Bernd Leitenbergers Blog

Über den Mond in den GTO

Ich habe wieder mal an meinem Programm gearbeitet, diesmal für ein Spezialproblem: Das Erde-Mond Problem. Den Mond als Einflussgröße kann man ignorieren, solange man ihm nicht zu nahe kommt. Doch kann man ihn auch nutzen?

Zuerst zu den Grundlagen. Nach dem Gravitationsgesetz nimmt die Anziehung eines Körpers proportional zu seiner Masse zu und umgekehrt im Quadrat zu dem Abstand ab. Bei jedem System von zwei Körpern kann man so eine Einflusssphäre definieren, in der ein Körper eine höhere Anziehungskraft hat. Bei dem Erde-Mondsystem ist der Mond 81-mal schwerer als die Erde. Der Abstand, wo der Mond eine höhere Anziehungskraft hat, liegt also neunmal (Wurzel aus 81) so weit von der Erde wie vom Mond entfernt. Nimmt man diesen dazu, so ist es 1/10-tel des Gesamtabstands von 384400 km von den beiden Zentren also rund 38.440 km von dem Mondzentrum entfernt. Sobald eine Mondmission diesen Abstand passiert hat, beschleunigt sie wieder.

Es reicht übrigens nicht, eine Bahn zu beschreiten, die nur zu diesem Punkt führt. Da dann ein Körper immer noch eine Geschwindigkeit hat und der Vektor dann am Apogäum zur Erde zeigt, fällt er nicht zum Mond. Der Mond wird aber das Perigäum durch seine Anziehung abbremsen, sodass die Mission auf der Erde aufschlagen würde. Erst wenn man sich dem Mond noch stärker genähert hat (nach meinen Simulationen auf mindestens 373.100 km von der Erde oder 11.300 km vom Mond Zentrum entfernt, überwiegt die Mondgravitation, sodass die Mission auf den Mond fällt.

Die gravitative Einflusssphäre ist etwas anders definiert. Es geht hier um langfristige Störungen und die finden schon in größerer Distanz statt. Nach gängiger Faustformel ist die Einflusssphäre 66.000 km groß. Doch ich habe mal 10-Jahressimulationen von Kreisbahnen durchlaufen lassen. Der Mond zerrt an jedem Satelliten. Befindet er sich näher am Satelliten (Linie Erde-Satellit-Mond), so zieht er stärker und befindet er sich auf der anderen Seite der Erde (Konstellation Satellit – Erde – Mond) so weniger. Die Anziehung hebt sich also nicht über einen Umlauf auf. Als Folge wird die Bahn elliptisch, weil die Anziehung unterschiedlich ist. Meine erste Simulation galt daher der geostationären Bahn. Hier ist der Einfluss klein. Hier schwankt das Apogäum und Perigäum um 500 km während 10 Jahren, wenn man nichts tun würde. Die Geschwindigkeitsänderung von 15 m/s ist bezogen auf diese Dauer ist klein verglichen mit anderen Störeinflüssen. Anders sieht es bei einer 100.000 km hohen Kreisbahn aus. Hier ergeben sich in nach 10 Jahren folgende Werte:

und in 200.000 km Entfernung:

In 300.000 km Entfernung ist schon nach weniger als 2 Jahren es so, dass die Sonde auf den Mond aufschlägt. Die Einflusssphäre ist also schon deutlich größer als die 66.000 km nach Formel oder 38.440 km nach gravitativem Radius.

Deutlich ist das immer das Perigäum abgesenkt wird, das Apogäum nur wenig ansteigt. Bei elliptischen Bahnen ist der Einfluss noch stärker, dann wird das meist erdnahe Perigäum bald, soweit abgesenkt das die Sonde verglüht.

Soweit zu den Störungen durch den Mond. Doch kann man ihn auch nutzen? Einmal hat man den Mond genutzt, um einen geostationären Satelliten zu retten. 1997 hat man Asiasat 3 zum Mond umgelenkt, als der Satellit zwar einen GTO erreichte, aber mit einer hohen Inklination, sodass der Treibstoff nicht ausreichte, um den GEO zu erreichen. Wäre das eine Möglichkeit für den regulären Betrieb? Ich habe es mal simuliert. Die effektivste Umlenkung erreicht man, wenn man eine Bahn erreicht, auf der man ohne den Mond ein Apogäum jenseits des Mondes hat. Das erweis sich in Versuchen als sehr sensitiv. 1 m/s mehr oder weniger bei der Startgeschwindigkeit ergab dann bei gleicher Passagedistanz völlig andere Zielbahnen. Durch Versuch und Irrtum habe ich mal folgende (nicht optimale) Bahn gefunden:

Die Bahn ist, wie man an der Abbildung (Simulation über 16 Tage) sieht, eine typische Sling-Shotbahn, nur das diesmal das Perigäum angehoben wurde. Andere Bahnen können es absenken. Das zeigt die zweite Abbildung. Bei dieser Bahn wäre man nach 6 Tagen wieder bei der Erde und würde in die Atmosphäre eintreten.

Um nun den GEO (35786 km) zu erreichen, muss in 35781 km Entfernung der Satellit um 1.122 m/s geändert werden. Die GTO-Geschwindigkeit in 250 km Höhe beträgt 10.196 m/s und die Änderung vom GTO in den GEO 1473 m/s. Das heißt im ersten Fall (ohne Mond) beträgt das ΔV über der GTO-Transferbahn 1473 m/s und im zweiten Fall (über den Mond) 1.815 m/s. (10.889-10.196+1.122) Es ist also um rund 500 m/s ungünstiger.

Das man bei Asisat so verfuhr, liegt an der Inklination. Der Satellit startete von Baikonur aus, das bedeutet die Startinklination liegt bei etwa 50 Grad. Um die Inklination im Standard-GTO auch noch abzubauen, müsste der Satellit die Geschwindigkeit nicht um 1.472 m/s, sondern um 2.385 m/s ändern. Der Rest entfällt auf die Inklinationsänderung.

Leider habe ich mein Programm auf zwei Ebenen beschränkt, nicht wegen der komplexen Mathematik, sondern weil so die Eingaben einfacher sind – man kann mit einer Startgeschwindigkeit und Bahnhöhe relativ einfach einen Anfangspositionsvektor und Geschwindigkeitsvektor konstruieren. Da der Mond die Erde nahe des Äquator umreist (5,1 Grad geneigt) wird eine Bahnänderung die Inklination, wenn man die Bahn nicht bewusst darauf anlegt, stark absenken. Bei Asisat 3 senkten zwei Passagen die Inklination auf 8 Grad ab und zudem das Apogäum auf 488.000 km ab. Doch selbst wenn dies nicht erfolgen würde, kann man bei der obigen Bahn mit 259 m/s die Bahnneigung von 50 auf 0 Grad absenken. In der Summe braucht man also über den Mond im Worst-Case 2074 m/s und direkt 2385 m/s.

Was folgt daraus: Für Russland wäre es schon jetzt lukrativ, alle Satellitenstarts in den GEO über den Mond durchzuführen. Die Ersparnis von 311 m/s entspricht bei der Breeze-M fast 1.000 kg mehr Nutzlast (6.300 zu 7.260 kg in den GTO.

Noch besser: Die Inklination spielt keine große Rolle mehr. Russland könnte z.B. auch Plessezk aus starten. Das erhöht die Geschwindigkeitsänderung für die Inklination nur auf 330 m/s. Zumindest für die Sojus und Angara wäre das eine Alternative. Startbasen für die Proton gibt es in Plessezk nicht. Der ökonomische Vorteil ist, dass man schneller Baikonur aufgeben kann und damit die Pacht an Kasachstan entfällt.

Dabei ist das nur eine einfache Überschlagsrechnung. Optimiert man das, wie dies bei Asiasat erfolgte, so ist der Gewinn noch größer. Bei Asiasat sah die Rechnung so aus:

Das ist in etwa so viel als wie, wenn die Startinklination 31 anstatt 50 Grad beträgt. Die Nutzlast der Proton würde so auf 7.797 kg anwachsen. Die Breeze-M Stufe hat schon lagerfähige Treibstoffe und ist für einen längeren Betrieb qualifiziert. Was sie zusätzlich leisten müsste, wäre ein Betrieb über Wochen und die Kommunikation bis in Mondentfernung. So benötigt man eine solare Stromversorgung und stärkere Sender bzw. bündelnde Antennen. Doch bei über 1400 kg Nutzlastgewinn wäre das durchaus lohnend.

Eine zweite Möglichkeit gibt es noch. Das ist ein Swing-By am Mond. Nach einer Faustregel von mir (basierend auf den bisher veröffentlichten ΔV von Swing-By Manövern) ist ein Himmelskörper für eine dV Änderung gut die in etwa der Differenz der regionalen Fluchtgeschwindigkeit zur Kreisbahngeschwindigkeit entspricht. Beim Mond also rund 800 m/s (das ist nicht exakt, aber eine grobe Richtlinie). Ich habe daher mal einen Vorbeiflug am Mond mit einer Anfangsgeschwindigkeit von 11400 m/s aus einem 250-km-Orbit simuliert. Das wäre ausreichend, um zur Venus oder bei einer nahen Marsopposition auch zum Mars zu kommen. Bei einer nahen Passage in 1000 km Entfernung erreiche ich eine Endgeschwindigkeit, die nur etwa 200 m/s addiert. Der Gewinn ist sicher bei geringerer Annäherungsgeschwindigkeit größer. Für Raumsonden, die aber mit mehr als Fluchtgeschwindigkeit starten, finde ich bringt der Mond zu wenig Gewinn. Er verkompliziert nur die Sache, da man nun das Startfenster zu einem Planeten das sowieso meist nur 2-4 Wochen offen ist mit der Umlaufsperiode des Mondes von knapp einem Monat koppelt. Als Folge geht dann der Start nur noch an einem oder zwei Tagen. Bisher hat nur Japan den Mond genutzt. Das hat aber besondere Gründe. Das eine ist das Japan lange Zeit ihre Raumsonden nur mit Feststoffraketen startete. Meist nicht direkt sondern in einen Erdorbit, den sie dann mit eigenen Treibstoffvorräten anheben müssen. So integrierte Motoren haben aber einen geringen Schub und hohe Leermassen. Zusammen mit der nicht gerade hohen Nutzlast der My war man für jede weitere Starthilfe dankbar.

Der zweite und meiner Ansicht nach wichtigere Grund ist das Japan lange Zeit nur an vier Monaten im Jahr starten dürfte. Die Fischereiindustrie wollte keine zerstörten Netze durch herabfallende Stufen haben. Wenn dort also Startzeitpunkt und Startfenster schon entkoppelt sind, also die Sonde erstmal Wochen oder Monate im Erdorbit ist, dann kann man den Mond auch als Sprungbrett nutzen. Zumal im Extremfall es reichen etwa 10900 m/s aus, um auf Fluchtbahnen zu kommen, aber nicht auf einmal. Zuerst muss man in einem ersten Manöver das Perigäum anheben und ein zweites Manöver beschleunigt dann nochmals.

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