Bernd Leitenbergers Blog

Ammoniumnitrat

Am 5.8.2020 kam es in der libanesischen Hauptstadt Beirut zu einer großen Explosion bei der es viele Tote und Verletzte gab. Schon bevor man genau wusste, was die Ursache war, gingen die Spekulationen los? Ist ein Munitionsdepot explodiert oder war es ein terroristischer Anschlag? Das ging auch noch weiter, als die libanesische Regierung eine erste Einschätzung abgab. Die Ursache waren 2.750 t Ammoniumnitrat, die seit sechs Jahren in einem Lagerhaus untergebracht waren. Sie waren von einem Frachter konfisziert worden. Das erklärt zwar vieles nicht. wie die Explosionsursache und warum man diese Menge an Ammoniumnitrat jahrelang vergessen konnte, aber zumindest bei meinem Radiosender änderte das an der Berichterstattung nicht viel und er sprach weiterhin davon, dass Ammoniumnitrat ein Ausgangsmaterial für den Bombenbau wäre.

Okay, das letztere sagt nicht viel aus, wie ich schon vor mehr als 12 Jahren schrieb, kann jedermann aus Blondiermittel, einem Fettlösemittel und etwas Säure eine Bombe bauen, deswegen dürft ihr auch nicht mehr als 250 ml Flüssigkeit in Flugzeuge mitnehmen. Aber gehen wir dem auf den Grund.

Ammoniumnitrat ist das Salz, dass man erhält, wenn man die Säure Salpetersäure mit der Base Ammoniak umsetzt. Wie der Name „…nitrat“ schon aussagt, gehört es zur Gruppe der Nitrate also der Salze der Salpetersäure. Andere bekannte Vertreter aus dieser Gruppe sind Natriumnitrat und Kaliumnitrat umgangssprachlich Chilesalpeter und Salpeter genannt. Wie andere Nitrate kann man Ammoniumnitrat zur Explosion bringen, dabei zerfällt es in Stickstoff, Sauerstoff und Wasser. Das liegt daran, dass das Molekül Stickstoff sowohl in reduzierter Form wie oxidierter Form enthält. Aufgrund der Tatsache, dass dabei nur Gase frei werden, ist das Gasvolumen viel größer, als bei anderen Salpeterverbindungen. Als Beimischung findet man auf dieser Tatsache daher Ammoniumnitrat in der Tat bei anderen Sprengstoffen, um deren Eigenschaften zu verbessern.

Aber:

Auch wenn Ammoniumnitrat explosiv ist und es in der Vergangenheit zahlreiche Katastrophen gab, ist es im eigentlichen Sinne kein Sprengstoff, beispielsweise zerfällt es bei Erhitzung ohne zu Explodieren in Lachgas und Wasser. Auch nach dem deutschen Sprengstoffgesetz ist Ammoniumnitrat nicht als Sprengstoff eingestuft.

Warum?

Ammoniumnitrat erzeugt zwar ein enormes Gasvolumen, was für einen Sprengstoff wichtig ist, es fehlt ihm aber die nötige Brisanz: Eine Explosion ist im Prinzip eine Verbrennung, die sehr schnell abläuft, so schnell, dass die entstehenden Gase einen enormen zerstörerischen Druck aufbauen, weil sie nicht so schnell entweichen können – auch ohne Sprengstoff kann man z.b. Explosionen verursachen, wenn man verschlossene Behältnisse wie Flaschen oder Dosen erhitzt. Für einen Sprengstoff ist eine charakteristische Größe die Detonationsgeschwindigkeit, die gibt an wie schnell die chemische Reaktion fortschreitet, das heißt wie viel Zeit man benötigt, um eine bestimmte Menge eines Stoffes umzusetzen und mit 2.400 m/s liegt Ammoniumnitrat in der Region, wo auch explosive Gasgemische wie die Mischung von Ethin oder Wasserstoff liegen. Es gibt zwar auch den Begriff „Knallgasexplosion“, aber eigentlich ist es eine Verpuffung und das wird wohl auch bei der Explosion in Beirut der Fall gewesen sein. Natürlich richten 2.750 t, die spontan verpuffen, trotzdem einen riesigen Schaden an, genauso wie eine Explosion, einfach aufgrund der Menge.

Da Ammoniumnitrat nicht als Explosivstoff nach der Gefahrengutverordnung eingestuft ist, finde ich es auch zweifelhaft, wenn in den Medien von „hochexplosiv“ die Rede ist wie in der 20 Uhr Tagesschau am 5.8.2020 und dem Brennpunkt danach. Auch in den veröffentlichten Videos geht der großen Explosion eine kleine vorraus, die wahrscheinlich erst zu der großen Explosion führte.

Sprengstoffe wie sie in Industrie und Militär eingesetzt werden haben dagegen Detonationsgeschwindigkeiten von 5.000 bis 9.000 m/s. Ebenso ist seine Schlagempfindlichkeit recht hoch, doppelt so hoch wie bei Sprengstoffen. die man nicht spontan zünden kann. sondern nur elektrisch oder durch einen anderen Sprengstoff. Analoges gilt für die Reibeempfindlichkeit. Es ist daher auch nicht per se explosiv.

Warum Ammoniumnitrat in den Medien trotzdem als Ausgangsmaterial für Sprengstoffe genannt wird? Die meisten verwendeten Sprengstoffe sind Nitroverbindungen, Verbindungen der Salpetersäure mit organischen Materialien wie Glycerin, Cellulose, Toluol. Diese werden durch Nitrierung, der Umsetzung mit Nitriersäure, einem Gemisch von Salpetersäure und Schwefelsäure hergestellt.

Salpetersäure ist eine oxidierende Säure, die zahlreiche Metalle angreift, sie zersetzt sich selbst und setzt dabei giftige nitrose Gase frei (das Stickstofftetroxid das in der Raketentechnik als Oxidator verwendet, wird ist ein solches Gas). Man kann aus Ammoniumnitrat durch Zusatz von Schwefelsäuren und Destillieren die Salpetersäure wieder zurückgewinnen, Schwefelsäure braucht man sowieso um Nitriersäure herzustellen. Somit kann man Ammoniumnitrat als eine Form betrachten in der man Salpetersäure viel einfacher transportieren und handhaben kann.

Meine Ansicht

Ich würde mich trotzdem festlegen, das die 2.750 t Ammoniumnitrat nie zur Herstellung von Sprengstoff gedacht waren. Warum? Einfach wegen der Menge. Selbst wenn eine terroristische Vereinigung auf die Idee kommen würde, den Sprengstoff selbst herzustellen, anstatt ihn irgendwo illegal von zivilen oder militärischen Quellen zu beziehen, ist diese Menge weitaus größer als das was sie brauchen. Mit einer Tonne Sprengstoff können sie ein ganzes Hochhaus sprengen und hier haben wie viele vieltausendfache Menge davon. Daneben bräuchten sie eine richtige Fabrik, kein Labor in einer Garage, um diese Menge in einer Zeit umzusetzen, die erträglich ist – und die unauffällig aufzubauen, wird wohl kaum möglich sein und noch dazu ziemlich teuer.

Ich glaube eher das dieses Ammoniumnitrat für das bestimmt war, wo auch sonst das meiste Ammoniumnitrat hingeht: in die Düngeindustrie. Pflanzen brauchen Stickstoff denn auch sie bilden Eiweiße. Den Stickstoff aus der Luft können sie jedoch kaum aufnehmen, auch wenn einige Arten hier effizienter sind, weil sie eine Symbiose mit Bakterien eingegangen sind, die diese Fähigkeit haben. Die wichtigste Stickstoffquelle für alle anderen Pflanzen sind die Stickstoffverbindungen die natürlich entstehen, entweder als Abbauprodukte wie Lachgas oder bei Reaktionen wie z.B. bei Blitzen. Stickstoff ist also ein Mangelelement und jeder Dünger enthält als Hauptbestandteil eine Stickstoffverbindung, die leicht wasserlöslich ist, meistens eben Nitrate und hier vor allem Ammoniumnitrat ist dabei besonders gut geeignet, weil das Molekül zwei Stickstoffatome enthält. Im Wasser zerfällt es in die Ionen Ammonium und Nitrat, beide gut wasserlöslich und beide leicht von Pflanzen verwertbar. Bedenkt man, welche Mengen an Dünger jedes Jahr eingesetzt werden, ist klar, das man dafür auch enorme Mengen an Ammoniumnitrat braucht, wie eben die 2.750 t die der Frachter geladen hatte.

Die mobile Version verlassen