„Grüne“ Treibstoffe

Die Bemerkungen, das SpassX den Umweltfaktor ihrer Raketen so herausheben würde (ist an mir komplett vorbeigegangen) bringt mich auf das heutige Thema: grüne Treibstoffe. Die Bezeichnung kennen wir ja schon Treibstoff für Autos. Da sind es Ester von Fettsäuren, die man aus Pflanzenölen gewinnt. Dieselfahrzeuge, zumindest nicht die hochgezüchteten, kommen auch mit Pflanzenöl aus. Mancher Besitzer klappert alte Imbissbuden ab und filtriert das Altfett. Zumindest war Pflanzenfett vom Supermarkt einige Zeit lang sogar billiger als das Diesel von der Tankstelle.

In der Raumfahrt versteht man unter „Green Propellants“ etwas anderes. Es haben sich zwei Interpretationen durchgesetzt:

  • Der Treibstoff selbst ist für die Umwelt weniger giftig als den, den er ersetzt.
  • Die Verbrennungsprodukte sind weniger giftig, als die des Treibstoffs, den er ersetzt.

Die beiden Deutungen sind nicht deckungsgleich, wie ich noch zeigen werde. So richtig ungefährlich ist von den heutigen Treibstoffen nur die Kombination Wasserstoff und Sauerstoff. Wird der Treibstoff freigesetzt so verdampft er. Wasserstoff ist zwar brennbar, aber nicht giftig. Das Verbrennungsprodukt ist Wasser mit Resten an Wasserstoff.

Heutige Treibstoffe im Toxizitätsvergleich

Schon Kerosin / Sauerstoff ist giftiger. Wird Kerosin freigesetzt, so sind die Folgen vergleichbar wie wenn jemand Erdöl freisetzt. Es ist nicht akut giftig, aber es verunreinigt das Wasser und Kerosin hat hohe Siedepunkte, ist also ziemlich persistent. Bei der Verbrennung entstehen neben den Hauptprodukten Kohlendioxid, Kohlenmonoxid und Wasser auch alle Nebenprodukte von unvollständigen Verbrennungen, zumal diese immer mit Sauerstoffunterschuss erfolgt. Es entstehen also so „nette“ Moleküle wie Benzpyren, Naphtalin oder Dibenzodixoine und Dibenzofurane. Harmlos ist das nicht. Ach ja wegen des Sauerstoffunterschusses entsteht dabei auch noch jede Menge Feinstaub. An der schwarzen Rußfahne leicht zu erkennen.

Dann kommen die festen Treibstoffe. Sie bestehen aus Ammoniumnitrat (60-70%), Aluminium und Hydroxiterminiertem Polybutadien (HTPB). Die letzten beiden sind relativ harmlos. Aluminium sinkt im Wasser auf den Boden, an Land könnte man es zusammenfegen. HTPB dürfte im Wasser die gleichen Probleme wie anderer Plastikmüll machen. Ammoniumperchlorat ist ein starker Oxidator. So stark, dass es im Wasser sofort mit jeder organischen Substanz reagiert. Das hat einen kurzzeitigen starken negativen Effekt, aber es ist kein langfristig wirkendes Gift. Analog geschieht es an Land, doch ohne Wasser keine Reaktion, sodass man gute Chancen hat, den Großteil zusammenzutragen und zu entsorgen. Bei der Verbrennung entsteht Aluminiumoxid, Kohlendioxid, Wasser und Salzsäure. Letztere ist so reaktiv, dass sie in der Umwelt starke Kontaktschäden auslöst, aber sei ist nicht persistent. Problematischer ist das beim Passieren der Stratosphäre die Salzsäure fotochemisch gespalten wird und damit zum Atomabbau beiträgt. Vergleichen mit anderen Antropopgenen Chlorquellen ist der Eintrag aber durch die wenigen Starts gering. Die NASA hat das mal für die Space Shuttle Starts untersuchen lassen.

Die heute giftigsten Treibstoffe sind die lagerfähigen Treibstoffe. Als Oxydator wird Stickstofftetroxid (meist als NTO nach der englischen Abkürzung für Nitrogentetroxide abgekürzt) eingesetzt, als Reduktionsmittel Hydrazine. Stickstofftetroxid ist das gemischte Anhydrid der Salpetersäure und salpetrigen Säure. Es ist eigentlich ein Gas das bei nicht zu hohen Temperaturen verflüssigt werden kann. Bei Freisetzung wird ein Teil mit Wasser reagieren. Es entsteht dann wieder Salpetersäure und salpetrige Säure. Der Rest verdampft und wie alle Stickoxide ist es ein für den Menschen nicht gerade gesundes Gas. (Ursache für die Smog-Alarme) Es reizt die Atemwege und steht im Verdacht krebserregend zu sein. Es ist aber nicht sehr stabil. Solare UV-Strahlung zerlegt es innerhalb weniger Stunden in der Troposphäre in harmlose Bestandteile.

Die deutlich gefährlichere Substanz sind Hydrazine. Alle Hydrazine sind relativ starke Fischgifte. Im Wasser werden sie auch relativ langsam abgebaut. Auf dem Land geht das schneller, aber auch dort sind sie relativ langlebig. Vor allem, wenn der Startort wie in Kasachstan in einer Gegend liegt, wo es wenig regnet.

Akut giftig für Menschen sind auch Hydrazine nicht. Die letalen Dosen (LD50) liegen bei Hydrazin bei 76 mg/kg, bei UDMH bei 91 mg/kg und bei MMH bei nur 15 mg/kg. Man kommt dann schon an Grammengen, die man aufnehmen muss, um daran zu sterben. Zyankali als bekanntes Gift liegt bei 1 mg/kg und das ist schon relativ viel. Cuare oder Strychnin liegen bei 0,5 mg/kg. Einige tierische Gifte wie Saxitoxin in verdorbenen Muscheln wirken im niedrigen Mikrogrammmengen und das Gift von Chloristidium Botulinium, das zumindest meinem Kenntnisstand das giftigste überhaupt ist, hat eine LD50 von 0,00003 g/kg. Es wird trotzdem neuerdings häufig eingesetzt: genau das Gift steckt in Botox, und wie leicht man falsch dosieren kann, zeigen eingefrorene Mimiken bei Mickey Rouge oder Simone Thomalla. Selbst essenzielle Substanzen, wie Fluorid wären bei einer Aufnahme von 1 mg/kg Körpergewicht stark toxisch.

Die Giftigkeit der Raketentreibstoffe für den Menschen beruht schlicht und einfach darauf, dass man es gleich mit Hunderten oder Tausenden von Litern dieser Substanzen zu tun hat.

Grüne Treibstoffe

Wenn es um „grüne Treibstoffe“ geht, dann ist man bestrebt, vor allem Hydrazin/NTO zu ersetzen. Bei den Trägern geschieht dies schon seit Jahrzehnten. Hydrazin und Stickstofftetroxid wurden nur Treibstoffe, weil sie bei Zimmertemperatur lagerfähig sind und damit wichtig für militärische Raketen war. Für zivile Träger spielte das aber nur eine untergeordnete Rolle. Trägerraketen nutzten die Treibstoffkombination nur, wenn sie oder ihre Triebwerke militärische Wurzeln hatten. Sie wird aber bis heute eingesetzt, und zwar in Satelliten die brauchen auch Treibstoff für Bahnänderungen oder zur Lageregelung. Manche nur wenig, aber Kommunikationssatelliten bestehen zu mehr als 50% aus Treibstoff. Hier verzichtet man auch manchmal auf den Oxidator und setzt nur Hydrazin ein, das chemisch instabil ist und leicht in Wasserstoff und Stickstoff gespalten werden kann. Auch dabei wird Energie frei.

Das grundlegende Problem ist der Oxidator. Er muss Sauerstoff liefern und er muss flüssig sein. Es gibt wenige Substanzen, die dies leisten. Hydrazin als Treibstoff kann leicht durch jede oxidierbare Substanz ersetzt werden z.B. Erdölprodukte, Pflanzenöle oder Alkohole. Man setzt es nicht wegen des Energiegehaltes ein, der ist z.B. kleiner, als wenn man Kerosin einsetzen würde, sondern weil sich die Mischung selbst entzündet. Bei anderen Treibstoffen braucht man ein Zündsystem.

Derzeit geht die Entwicklung dahin, das man kein Zweikomponentensystem nimmt, sondern eine Substanz, die im Molekül Sauerstoff und reduzierbare Substanzen enthält und nicht sehr stabil ist. Ameisensäure kann man z. B. mit einem Katalysator in Kohlendioxid und Wasserstoff spalten. Hydroxylamin zerfällt spontan in Ammoniak und Wasser.

Die NASA wird, wenn mal die Falcon Heavy startet, bei der zweiten Mission STP-2 einen Experimentalsatelliten starten, der den nur unter “ AF-M315E“ bekannten Treibstoff einsetzen soll. Auch dies ist ein Einkomponentensystem. Es besteht als Hydroxylammoniumnitrat, ein Salz aus Hydroxylammoniumion und Nitration. Es kann zum einen Bestandteil von Feststoffen eingesetzt werden, aber auch im Falle der „Green Propellant Infusion Mission“ in wässriger Lösung als Ersatz für Hydrazin/Stickstofftetroxid als flüssiger Treibstoff. Doch so richtig „grün“ ist es nicht. Es verbindet nur die negativen Eigenschaften beider Ausgangsstoffe: es ist giftig, ätzend und wenn, was beim Disproportionieren leicht passieren kann, Stickoxide freigesetzt werden auch noch krebserregend. Also unter „grün“ stelle ich mir was anderes vor.

Tests wurden auch mit Lachgas durchgeführt. Lachgas (Distickstoffmonoxid) wird in großen Mengen in der Natur freigesetzt und hat erhebliches Treibhauspotenzial, ist jedoch vergleichsweise ungiftig und lässt sich ohne Kühlung alleine durch Druck verflüssigen. Lachgas kann man schon alleine als Treibstoff nutzen da es oberhalb 577°C zu Stickstoff und Sauerstoff unter Energieabgabe zerfällt. Bei der Verwendung als Oxidator ist von Nachteil das nur 37 % der Masse Sauerstoff sind. Beim Stickstofftetroxid sind es 66 %.

Ein alternativer Oxidator wäre Wasserstoffperoxid. Doch es zersetzt sich leicht selbst und hochkonzentrierte Lösungen sind nicht über Monate oder Jahre stabil, wie es für Satelliten nötig ist. Immerhin wurde es schon ein einer Rakete eingesetzt. Die Black Arrow nutzte es in den ersten beiden Stufen. Das lag daran das die Briten damals das Expertenteam des Antriebs der ME 163 übernommen haben und das setzte diese Treibstoffkombination ein.

Zuletzt las ich noch in den aktuellen DLR Magazin, das die DLR zusammen mit Brasilien zwei Einspritzköpfe für Ethanol testet. Das wicht von obigen Kombinationen ab, da hier der Treibstoff und nicht der Oxydator ersetzt wird. Nach DLR Seite, weil Hydrazin in der EU verboten werden könnte. Nur macht das erstezn von Hydrazin durch Alkohol wenig Sinn. Dann könnte ich immer noch Erölderivate wie Diesel, Kerosin als Treibstoff nutzen. Den einzigen Sinn den ich sehe ist das man Alkohol gut mit Aminen mischen kann und die entzünden sich wie Hydrazin beim Kontakt mit Stickstofftetroxid. Alkohol ist der älteste Raketentreibstoff: schon die A-4 arbeitete damit. In den letzten Jahrzehnten fällt mir nur die Anwendung im Smart Dispenser der Kistler K-1 ein. Was mich besonders wundert ist das Ethanol als Treibstoff einer Rakete eingesetzt werden soll und dann wird es mit LOX verbrannt. Da kommt es also nicht auf die Lagerfähigkeit an und da würde ich LOX/Kerosin schon wegen der Energieausbeute einsetzen, auch wenn Brasilien den Treibstoff so direkt produzieren kann. Vergleichen mit dem Verbrauch von Erdöl an anderen Stellen ist der Bedarf für einige Raketenstarts pro Jahr zu vernachlässigen.

Nachteile „grüner“ Treibstoffe

Der grundsätzliche Nachteil aller Alternativen ist ihr geringer Spezifischer Impuls:

  • Hydroxylammoniumnitrat erreicht nach NASA angaben einen von 2492 m/s (257 s)
  • LOX/Ethanol erreichte in der Redstone bis zu 2400 m/s (Erststufe). Im OMS der Kistler wurde bis zu 2923 m/s angegeben.
  • Wasserstoffperoxid/Kerosin erreichte in der Black Arrow spezifische Impulse von bis zu 2598 m/s

Zum Vergleich:

  • Satellitentriebwerke erreichen mit Stickstofftetroxid/Hydrazin je nach Brennkammerdruck und Triebwerk spezifische Impuls von 2900 bis 3150 m/s.
  • LOX/Kerosin erreicht je nach Technologie bei großen Triebwerken spezifische Impulse von 3100 bis 3350 m/s.

Da der spezifische Impuls linear in die Raketengleichung eingeht, die Strukturmasse aber über den Logarithmus bedeutet ein Viertel bis ein Drittel geringerer spezifischer Impuls eine deutliche Reduktion der Nutzlast.

Nicht grüne Treibstoffe sondern ungiftige Treibstoffe

Der einzige Vorteil der meisten Alternativen ist, das sie eine höhere Dichte als konventionelle Treibstoffe haben und so die Tanks kleiner und leichter sind. Hydroxylammoniumnitrat hat z. B. eine um 45 % höhere dichte als die Kombination Hydrazin mit Stickstofftetroxid.

Da die meisten Bestrebungen auf den Ersatz bei Satelliten ziehen hätte ich eine viel bessere Alternative: Ionentriebwerke. Elektrostatische Ionentriebwerke arbeiten heute mit Xenon. Das ist ein Edelgas und absolut ungiftig. Ungiftiger geht’s nicht, dagegen ist sogar Wasser gefährlich. Aber auch Wasser kann man als Treibstoff nutzen: In Plasmatriebwerken. Diese Ionentriebwerke sind im Westen unüblich, Russland setzte sie aber häufig ein. Dabei wird in einem Lichtbogen eine Substanz hoch erhitzt und das kann jede Substanz sein, auch Wasser. Damit erreicht man je nach Technologie immerhin noch Ausströmgeschwindigkeiten von 8.000 bis 15.000 m/s. Wenig im Vergleich zu elektrostatischen Triebwerken, aber dafür braucht man keine Hochdrucktanks. Ganz billig dürfte Xenon als Spurengas auch nicht sein.

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