EthOh, NH4NO3, Privat und ein Ende

Mein vorletzter Blog über die Berichterstattung der Explosion in Beirut scheint irgendwie falsch angekommen zu sein, besonders bei Ingo, der sich vollkommen auf die Chemie konzentriert anstatt auf das einzugehen, warum es mir eigentlich ging, nämlich die mangelnde Sorgfalt der Journalisten bei der Berichterstattung.

Ich wurde an einiges erinnert, so mein Lieblingswort „privat“, das nun ja auch in aller Munde ist, aber auch an einen Aushang, den ich vor mehr als 35 Jahren an unserer Chemikalienausgabe sah. Das Original bei der „Zeit“ kann man leider nur noch nach Registrierung lesen, aber hier gibt es eine Kopie.

Es geht um einen Aprilscherz, der darauf baut das der Leser nicht weis, was Alkohol ist und seine Gefährlichkeit mit Einträgen aus einem Lexikon beschreibt:

Flüssigkeit, wie sie auch in Desinfektions- und Fensterputzmitteln vorhanden sei“…

Die Chemikalie …in höheren Dosen durchaus nicht ungefährlich“

die Substanz, je nach eingenommener Menge, „sedativ, hypnotisch oder sogar narkotisch“ wirke. Da die wasserklare Flüssigkeit leicht in gasförmigen Zustand übergehe … ob bei übermäßigem Genuß des durchsetzten Bieres nicht Brand- oder Explosionsgefahr für den Konsumenten bestünde.“

Der Aprilscherz verfehlte nicht seine Wirkung. Das Peinliche daran war, dass auch Brauereien sich dazu äußerten. Ihr Bier nach Weihenstephan zur Untersuchung auf Ethanol einschickten oder behaupteten, ihr Bier enthalte garantiert kein Ethanol.

Was hat das mit dem Ammoniumnitrat zu tun?

Nun viele chemische Substanzen haben ein breites Einsatzspektrum. Entsprechend stimmen natürlich alle Aussagen über Ethanol, man könnte ergänzen das es auch Lösungsmittel und Treibstoff ist. Dasselbe trifft auch auf Ammoniumnitrat zu. Natürlich kann Ammoniumnitrat explodieren und es wird deswegen als Sicherheitssprengstoff verwendet (sprich: es ist für den Einsatzzweck sicherer weil schwerer zur Explosion zu bringen als andere Sprengstoffe) und es gab auch zahlreiche Unfälle bei der Herstellung, wo es Explosionen mit Sach- und Personenschaden gab. Die Wikipedia informiert über einige der Unglücke. Dort steht aber auch drin, das der Großteil des weltweit produzierten Ammoniumnitrats in die Düngerproduktion geht.

Ähnlich wie wohl damals die Brauereien sich nicht richtig über Ethanol informiert haben, taten dies die Journalisten bei der Explosion von Beirut. Wer nur die Wikipedia liest, egal ob englischsprachige oder Deutsche, wird erkennen:

  • Ammoniumnitrat ist eine Substanz, die explodieren kann, aber der Großteil der Produktion wird für Dünger verwendet.
  • Es wurden in Beirut 2,750 t der Substanz zur Explosion gebracht.

Bei Nachdenken sollte man darauf kommen, das es kein terroristischer Anschlag sein kann, bei dem jemand Ammoniumnitrat als Sprengstoff nutzte, vielleicht weil der Terrorist an anderen Sprengstoff nicht herankam, denn die Menge ist viel zu groß. Die größten Sprengkörper, die das Militär hat, haben einige Tonnen Sprengstoff, die größte mir bekannte „Mutter aller Bomben“ 11 t TNT-Äquivalent. Bei Anschlägen beladen Terroristen Fahrzeuge mit einigen Hundert Kilogramm bis 1 t Sprengstoff. Hier ist eine Menge detoniert die etwa drei Größenordnungen höher ist. Warum sollte das jemand tun? Und vor allem so umständlich. Es wäre mit viel weniger Material dieselbe Zerstörungswirkung erreichbar, wenn man anstatt einer großen Ladung viele kleine verteilt über das Stadtgebiet gezündet hätte.

Durch logisches Nachdenken sollte auch ein fachlich nicht qualifizierter Journalist darauf kommen, das es sich bei der Ladung wohl um Ammoniumnitrat handelt, das für andere Zwecke gedacht war, was sich ja auch bald bestätigte.

Doch damit hörte es nicht auf. Ich habe noch Tage später gehört das „ungeklärt sei, wie 2750 t eines hochexplosiven Sprengstoffs sechs Jahre dort gelagert wurden“. Auch hier Stimmungsmache. Meiner persönlichen Meinung nach sprechen zum einen mal die sechs Jahre Lagerdauer gegen das Adjektiv „hochexplosiv“. „Hochexplosiv“ ist nun mal ein Begriff, der nur sprachlich definiert ist als „in hohem Maße explosiv“. Ich kenne aber keine naturwissenschaftliche Definition dessen, anhand man Substanzen als hochexplosiv kennzeichnen kann. Ich versuchte es in dem Artikel anhand einiger Kennzahlen eines Sprengstoffs klar zu machen. Eine ist, wie leicht man den Sprengstoff zur Explosion bringen kann. Man muss bei allen Sprengstoffen nur punktuell Energie aufbringen. Einige sind so empfindlich, dass es reicht den Sprengstoff aus geringer Höhe fallen zu lassen wie das von Knallerbsen bekannte Silberacetylid oder das in Spielfilmen so beliebte Nitroglyzerin und da ist es so, dass man für die Entzündung von Ammoniumnitrat mehr Energie aufwenden muss als bei andern Sprengstoffen. Erreicht man die, dann explodiert es natürlich wie jeder andere Sprengstoff auch. Aber hochexplosiv ist es meiner Meinung nach nicht. Es gibt zahlreiche Substanzen, die man leichter zur Explosion bringen kann und die nicht mal Spengstoffe im engeren Sinn sind, wie z.B. Mehlstaub.

Worauf ich raus will: mit Sprache macht man Stimmung, In dem Falle betont man die Gefährlichkeit der Substanz. Natürlich lief dort etwas schief, natürlich sollten nicht 2750 t Ammoniumnitrat an einem Fleck längere Zeit lagern. Aber es ist nicht vergleichbar, als wenn dort 2750 t eines echten Sprengstoffs wie TNT oder Piktrinsäure gelagert worden wären.

Privat <> private

Das leitet mich zu meinem zweiten Wort, über das ich in den letzten Wochen durch die Landung der Crew Dragon gehört habe, das berüchtigte „privat“. Es war in zahllosen Verknüpfungen zu hören, vom privaten Raumschiff bis zur privaten Raumfahrt. Und hier haben die Journalisten und Redakteure nicht mal die Ausrede, dass sie nachschlagen müssen, was es bedeutet. Sie haben nur das „private“ aus dem Englischen, so auch von den offiziellen NASA-Kommentaren ins deutsche „privat“ übersetzt, ohne zu beachten das „private“ im englischen Sprachgebrauch weiter geht als bei uns. Der Duden definiert das Wort unter anderem als: „nicht offiziell, nicht amtlich, nicht geschäftlich; außerdienstlich“ und da gibt es den Unterschied. Denn „private“ ist im englischen durchaus nicht „nicht geschäftlich“, sondern im Gegensatz geschäftlich. Gemeint ist private als Gegensatz zu offiziell, auch erkennbar am „private detective“ – detective ist ein Polizeirang und jemand der nicht bei der Polizei als Staatsorgan arbeitet aber dasselbe macht, ist eben ein „private detective“. Er kümmert sich nicht nur um private Fälle. Das Cambridge Wörterbuch definiert diese Bedeutung denn auch als „controlled or paid for by a person or company and not by the government:“

Ich vermute, die Redakteure haben (wenn sie den überhaupt nachgedacht haben) angenommen. das SpaceX ein Unternehmen im alleinigen Besitz von Elon Musk ist (auch nicht richtig, der verkauft zur Finanzierung immer wieder Anteile, erst gerade wieder für 1,9 Milliarden, wie viel Prozent davon noch ihm gehört. Schon 2016 waren es nur 54 %, inzwischen sicher unter 50%.

Spätestens, wenn der Journalist vernommen hätte, das die NASA auch bei Boeing – die sind nun kein Privatunternehmen, sondern an der Börse notierte AG – von „private“ spricht hätte es klingeln müssen. Ob sie wohl auch „eventually“ mit „eventuell“ übersetzen? Vor allem frage ich mich, was die Autoren von ihren Wortschöpfungen selbst halten. Was bitte ist für den Blogleser die so oftin der Berichterstattung beschworene „private Raumfahrt“? Also ich verstehe davon Cubesats, die von Privatpersonen gebaut werden oder einen Millionär, der als Tourist ins All reist. Alles, was SpaceX macht ist, aber kommerziell und dient dazu Geld zu verdienen und dann ist es eben kommerzielle Raumfahrt und die ist nicht neu, sondern gibt es seit Anfang der Sechziger Jahre. Glaubt der Journalist, der von „privater Raumfahrt“ spricht, SpaceX, hat die Dragon zum Spaß gebaut und der NASA geschenkt? Oder das man, damit nun nur noch Privatpersonen transportiert?

Oberflächlichkeit vs Recherche

Es ist ein Symptom unserer Zeit, die weit über solche sprachlichen Fehler hinausgeht. Es ist das allgemein ich den Eindruck habe, das es gar nicht mehr auf echtes Wissen, Verständnis ankommt, sondern den schnellen Überblick und die Essenz. Das drückt sich auch in anderen Gebieten aus. Ich arbeite derzeit an Artikeln über die 2020-er Marssonden. Der über Hope ist schon online, derzeit arbeite ich an mehreren Teilartikeln über Mars 2020. Es sind mehrere, weil ich dafür große Teile meines Buchs über das MSL verwendet habe. Nicht freiwillig, aber das Presskit der NASA hat deutlich nachgelassen und führt viel weniger technische Daten auf als früher und im NTRS finde ich nach einer Umstellung der Suchfunktion nichts mehr. Es scheint, als würde, wenn man mehr Wörter eintippt, die nicht wie bisher und wie man es erwarten würde, mit UND- sondern oder-verknüpft werden.

Das ist aber nur ein Aspekt. Als ich vor zwanzig Jahren anfing, die ersten Raumfahrtaufsätze online zu stellen, hatte ich das Problem aus der Fülle von Material das richtige herauszufinden. Die NASA stellte von den damals aktuellen Missionen sogar interne Dokumente über die Untersysteme auf der Website online, beantwortete unzählige technische Fragen und informierte über jedes Detail der Mission und das täglich. Heute ist das viel weniger geworden, zum Beispiel erfährt man von der NASA zwar das das erste TCM für Mars 2020 stattfand, aber nicht um wie viel es den Kurs geändert hat. Wie lange es dauerte und wie hoch die Geschwindigkeitskorrektur war – 2012 hatte ich kleine Probleme diese Werte für mein Buch zu ermitteln. Detailwissen sollen nun Blogs, also freiwillige Veröffentlichungen, von an der Mission beteiligten vermitteln, je nachdem wie diese Lust/Zeit haben oder was sie für wichtig halten. Das kann doch keine echte Informationspolitik sein. Weiterhin wird immer mehr Information in Form von Videos veröffentlicht. Die nutze ich aber aus Prinzip nicht, man kann sie weder überfliegen noch nach Schlüsselwörtern oder Zahlen durchsuchen und Suchmaschinen nennen mir auch nicht den Inhalt.

Ein zweiter Aspekt ist, das die Informationspolitik jenseits der westlichen Raumfahrtagenturen wie NASA, ESA, DLR, JAXA , CNES … noch weiter abfällt. Nun haben wir aber immer mehr Raumsonden, die von China, Indien oder den UAE kommen. Bei den Trägerraketen gibt es etliche, die von Firmen und nicht Raumfahrtagenturen entwickelt werden und selbst wenn diese im Auftrag einer Raumfahrtagentur entwickelt werden, gibt es von ihnen kaum Daten. Ich beklage das ja bei SpaceX, doch die anderen Firmen wie New Origin, Virgin Galactics, Rocket Lab und andere sind da kein Deut besser.

Ich habe daher eine Entscheidung getroffen. Ich habe jetzt 20 Jahre lang jede neue Trägerrakete und jede Raumsonde auf meiner Website mit einem Artikel gewürdigt, selbst Projekte, die es nie schafften oder nur wenige interessierten, weil sie keine Bilder lieferten. Ich werde das mit diesem Jahr einstellen. 2020 ist ein rundes Jahr, das passt gut und in den nächsten Jahren ist mit etlichen neuen Trägern und Raumsonden zu rechnen auf die die obige Kritik zutrifft.

Mein Anspruch war es immer für die, die es interessiert technisch fundierte Informationen zu bieten, aber wenn ich selbst mangels Informationen nicht viel mehr schreiben kann als die englischsprachige Wikipedia, dann denke ich muss ich mir nicht die Mühe machen.

6 thoughts on “EthOh, NH4NO3, Privat und ein Ende

  1. Texte auf Wikipedia können jederzei geändert werden. Auch missbräuchlich. Dass Gefühl, dass das hier auch so ist, habe ich nicht! Und unsere Presse ist auch auf einem sehr negativen Weg. Es zählen dort Emotionen und schön klingende Formulierungen. Fakten sind wertlos bis Fakenews. Da ich selber zu einigen Dingen recherchiere, kann ich die Entscheidung aber gut nachvollziehen.

    1. Auch wenn man bei Wikipedia einiges ändern kann funktioniert der Korrekturmechanismus recht gut und die englische Wikipedia sehe ich als eine gute und verlässliche Informationsquelle an (für die deutsche kann man das nicht immer behaupten). Ich ändere auch manchmal was, wenn ich neue Fakten bei einer Recherche fand, aber das ist selten. Normal ist eher das ich ergänze und sich so der Text dann eher holprig liest.

  2. Seinerzeit gab es ja sogar den „DHMO“ Hoax, die Warnung vor Dihydrogenmonoxyd, welches Hauptbestandteil des Sauren Regens sein soll, in Tumorzellen nachgewiesen wurde; und bei sämtlichen untersucten Amokläufen an US- Schulen hat es sich herausgestellt, dass der Täter in den 24 Stunden vor der Tat DHMO konsumiert hat. Und dennoch wird die Substanz von der Lebensmittelindustrie verwendet, sogar für die Herstellung von Babynahrung weil sie billiger und leichter verfügbar ist als andere Chemikalien. Irgendwo in den USA wurde sogar ein Gesetz verabschiedet, welches den Einsatz von DHMO in der Nahrungsmittelproduktion untersagte, bis jemand feststelltem, dass es sich dabei um Wasser handelt

    1. In der Chemie gibt es ein Nomenklatursystem das von der IUPAC kommt und da haben substanzen auch Namen, irgendwo muss man ja mit einem Namen für Basisgerüste anfangen. Wasser heißt korrekt Oxidan. Allerdings kennt die Bezeichnung keiner. Dagegen würde auf DHMO (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Dihydrogenmonoxid kein Chemiker reinfallen, auf Oxidan wegen der fehlenden Ableitung auf die Elemente schon. Ich habe mal einen Zettel an die Vorratsgefäße für deionisiertes Wasser, das jeder im Praktikum zum Verdünnen und spülen täglich brauchte einen Zettel angehängt „Verunreinigt mit Oxidan!“, es dauerte 6 Stunden bis der weg war. Ein Kollege hat eine Flasche mit destilliertem Wasser gefüllt, alle möglichen Gefahrensymbole drauf geklebt und auch mit „Oxidan“ beschriftet und in einem anderen Labor deponiert. Die soll noch Monate lang als Schwerz kursiert sein, weil jeder der darauf reinfiel sie ins Nachbar Labor brachte um die Kollegen reinzulegen.

  3. Die oberflächlichkeit  von Informationen ist mir auch Aufgefallen. Ich hatte schon das gefühl dass das Pressepaket von Curiosity und New Horizon besser waren als das von Mars Rover 2020. Frustrierend zu hoeren dass es in der Vergangenheit besser war und schwere verständlich warum dies reduziert wird, „outreach“ ist ja ein Teil von NASA’s auftrag. Aber ich habe generell das Gefühl dass Dinge heutzutage gerne auf ein 50 Sekunden video reduziert werden mit wenig Nuancen.

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