Bernd Leitenbergers Blog

Nachlese zum Human Landing System (HLS) Kontrakt

Wie bereits bekannt und hier auch schon kommentiert, hat die NASA am Wochenende SpaceX den Vertrag über das HLS in einer Höhe von 2,89 Milliarden Dollar vergeben. Ich habe zuerst überlegt, ob ich das in der Aprilnachlese zu SpaceX thematisieren sollte, aber da die Kritik daran eigentlich nur teilweise mit SpaceX zu tun hat und viel weiter geht denke ich ist ein eigener Blog sinnvoll.

Zuerst einmal warum geht es? Beginnend mit dem 8.4.2019 hat die NASA eine Ausschreibung für einen Mondlander, eben das besagte Human Landing System vergeben. Für das die NASA auch drei Bewerbungen bekommen hat. Die leitenden Firmen waren Blue Origin, Dynetics und SpaceX. Ich will zuerst einmal die Konzepte beleuchten.

Die Konzepte

Blue Origin leitet ein Team mit der Beteiligung von Lockheed Martin, Northrop Grumman, and Draper. Das ist geballte Kompetenz. Northrop-Grumman beinhaltet Grumman die den originalen Mondlander entwickelt. Lockheed Martin baut die meisten Raumsonden, etliche Satelliten der NASA und ist an der ISS beteiligt und die Draper Laboratories haben damals den Computer für Apollo entwickelt. Von allen Entwürfen sieht der von Blue Origin noch am ehesten aus wie der Apollo Mondlander. Es sind zwei Stufen die aufeinandergestapelt sind, anstatt wie bei Apollo ineinander verschachtelt. Antrieb soll das kryogene Triebwerk BE-7 sein. Im Raumfahrtbereich entwickelt Blue Origin die New Glenn, eine Rakete mit 45 t LEO und 13 t GTO Nutzlast, derzeit ist die Firma im Abschluss der Erprobungsarbeiten der New Shepard mit der kommerzielle suborbitale Passagierflüge durchgeführt werden und sie stellt die Haupttriebwerke der Vulkan. Lockheed Martin stellt die Atlas V für das DoD und die NASA her und ist seit Jahrzehnten Bauer von Raketen und Satelliten.

Dynetics ist eher kleines Unternehmen, das jedoch schon zahlreiche Projekte für das amerikanische DoD entwickelt hat. Dynetics ist vor allem Systemintegrator, der mit der Beaufsichtigung zahlreicher Subkontraktoren große Erfahrung bei militärischen Projekten hat und hier 25 Firmen unter einen Hut bringt. Im Raumfahrtbereich gab es seitens Dynetics den Vorschlag für die SLS Block II Booster das F-1B einzusetzen das sie aus dem F-1A der Saturn V entwickeln wollten. Der Dynetics Mondlander ist anders als der von Blue Origin flach. Die Treibstofftanks sitzen links und rechts neben der Kabine. Dadurch entfällt das Herunterklettern der Astronauten an einer Leiter.

Über SpaceX muss ich wenig sagen. Die Firma hat seit 2002 drei Trägerraketen, die Falcon 1, Flacon 9 und Falcon Heavy entwickelt und arbeitet derzeit an einem vollständig wiederverwendbaren System dem Starship. Sie baut derzeit ein eigenes Netz aus Kommunikationssatelliten auf dessen erste Phase kurz vor dem Abschluss steht. In der bemannten Raumfahrt ist sie mit der unbemannten Dragon und bemannten Crew Dragon für ISS Transporte beteiligt. SpaceX hat schon zahlreiche Startkontrakte seitens der NASA erhalten. Ihr HLS-Lander soll vom Starship abstammen. Er hat damit einen anderen Aufbau als die anderen Systeme. Er ist zum einen einstufig. Achtet man auf die Astronauten in den Abbildungen, so wird deutlich, wie riesig die Rakete ist. Das Starship hat 9 m Durchmesser und ist rund 50 m hoch und in etwa in dieser Größenordnung ist auch das Vehikel. Es gibt Unterschiede, so eine dezidierte Spitze (Kapsel?) anstatt der Nutzlastverkleidung des Starships und es gibt keine Flügel. Während die anderen beiden Vehikel reine Lander sind, wäre wenn man die Eigenschaften des Starships übernommen hat, der SpaceX Lander ein Vehikel das auch die Astronauten zurück zur Erde bringen kann. In jedem Falle ist es zu schwer als das es von einer SLS in einen Mondorbit gebracht werden kann wie dies bei den beiden anderen Entwürfen der Fall ist.

Der Zeitpunkt

Massive Kritik gibt es am Zeitpunkt. Jeder Präsident setzt eigene Schwerpunkte im Raumfahrtprogramm. Der erste Budgetentwurf von Biden zeigt auch das er Klimaforschung, bei denen inzwischen die kleine ESA die NASA überholt hat, und wissenschaftliche Missionen mit mehr Geld unterstützen will. Das Artemisprogramm von Trump wird 2022 nicht so viel mehr Geld bekommen, aber bliebe zumindest 2022 noch am Leben. Es ist klar, das Bidens Administration für 2021 nichts groß bewegen kann, die Budgets für dieses Jahr wurden noch von der letzten Regierung genehmigt. Ebenso dauert es einige Monate, bis ein neuer NASA Chef das Amt antritt. Bill Nelson, der Wunschkandidat, geht gerade durch einige Anhörungen im Kongress und erst heute wurde eine Übergangsadministratorin ernannt. Da wirkt die Vergabe eines so großen Auftrages, wie als wöllten bestimmte Personen Fakten schaffen. Der Auftrag kann dann zwar wieder aufgelöst werden doch dann sind saftige Konventionalstrafen fällig.

Das Budget

In einer Pressekonferenz wurde deutlich, dass die NASA eigentlich wie bei CCdeV zwei Unternehmen zumindest in die nächste Runde bringen wollte, vielleicht wie bei CCdev auch zwei Lander entwickeln. Aber man hätte dieses Jahr „nur“ 850 Millionen Dollar (woanders kann man für das Geld eine komplexe Raumsonde bauen und nicht nur Papier produzieren) erhalten, ein Viertel des beantragten Budgets und so eben den günstigsten Anbieter gewählt. Auch hier: Eine niedrige Finanzierung kann ein Indiz sein, das die neue Regierung wohl anders über die Mondlandung denkt als die Letzte. Auch hier drängt sich auf, das man so noch Fakten schaffen wollte, anstatt zu warten, wie die neue Regierung zum HLS steht, die ja auch das Budget erhöhen könnte.

Die 2,89 Milliarden Dollar klingen auf den ersten Blick nach viel, es ist aber wenig. SpaceX hat nach Angaben des NASA-Administrators Bridistine bis September 2019 von der NASA insgesamt 7,7 Milliarden Dollar erhalten. 3,1 Milliarden alleine für die Entwicklung der Crew Dragon, die wiederum auf der normalen Dragon basiert, für die die NASA weitere 400 Mrd. Dollar aufwendete. Die Entwicklung eines Raumschiffs, das nur die ISS erreichen muss und bei dem man bei einem Problem innerhalb von 90 Minuten landen kann, basierend auf einer Technologie, die wohl bekannt und erforscht ist, kostet also mehr als die Entwicklung eines Raumschiffs, das zehnmal größer ist und auf dem Mond landen kann? Ich glaube nicht, dass diese Kalkulation korrekt ist, sondern wie auch woanders üblich man ein niedriges Angebot abgibt, um den Abschluss zu erhalten und dann die Preise erhöht. Abspringen kann die NASA dann ja nicht mehr. Das ist nicht neu. Im CRS-Programm war SpaceX der billigste Anbieter, inzwischen sind sie nach dem OIG der teuerste und das, obwohl sie die einzige Firma sind, die Rakete und Raumschiff teilweise wiederverwenden.

De Fakto würde eine vernünftige Entscheidung dann getroffen werden, wenn man Handlungsspielräume hat. Die hat man aber nicht, wenn man das billigste Angebot nehmen muss.

Die Beurteilung

Natürlich gibt es eine Beurteilung der Entwürfe. Diese war wie folgt:

Firma Technisch Management
Blue Origin Acceptable Very Good
Dynetics Marginal Very Good
SpaceX Acceptable Outstanding

Ich bin da etwas verwirrt. Ist das dieselbe Firma bei der die NASA früher und inzwischen vom OIG bestätigt, sich über chronisches Nichteinhalten von Terminen und Meilensteinen beschwerte? Das ist doch eine typische Management Aufgabe. Trotzdem erhält sie ein „Outstanding“. Sollte nicht nach Musk das Starship im letzten Herbst seinen ersten Orbitalflug absolvieren? Nun wird der Juli als Termin versprochen. Auch hier: Termine werden nicht eingehalten. Ich glaube auch nicht der Julitermin. Der eine oder andere wird wohl an die Falcon Heavy erinnert, die „Ende 2013“ starten sollte und es dann im Februar 2018 tat. Bei ihr hat sich SpaceX sehr geirrt. Musk meinte man müsste nur drei Kernstufen zusammenbinden und schon hätte man die Falcon Heavy. Tja nur war es eben dann komplizierter. Das Starship und ein aus dem Starship abgeleiteter Mondlander müssen noch weitaus mehr Veränderungen durchmachen als eine Falcon 9 wenn zur Flacon Heavy wird.

Das als „Average“ eingestufte technische Konzept wurde noch vor 11 Monaten als „Riskant“. Eingestuft. Was hat die NASA bewegt, seitdem die Meinung so gravierend zu ändern? Also ich habe seitdem beobachtet dass das Unternehmen nach 11 Prototypen, von denen die meisten zerstört wurden, gerade einmal das Problem der Druckbeaufschlagung des Starships gelöst und arbeitet derzeit daran einen Prototypen in der finalen aerodynamischen Phase zu landen. Die wirklichen Herausforderungen für das Raumschiff ist aber das Erreichen des Orbits und der Wiedereintritt. Der Booster dafür ist noch nicht getestet und selbst bei weniger ambitionierten Projekten gab es da Fehlschläge. Nicht zuletzt gingen beide Space Shuttle bei diesen Missionsphasen verloren. Selbst Musk, der übertrieben optimistisch ist, schätzt das er 20+ Prototypen, für die erste gelungene orbitale Mission braucht. Wie viele Starts wird SpaceX dann durchführen, bis der Mondlander funktioniert? Die Herausforderungen sind ja dann noch größer. Das Landegebiet ist uneben, er darf nicht umkippen, damit er überhaupt dorthin kommt, muss das Starship mehrmals im Erdorbit aufgetankt werden, etwas was bisher noch unerprobt ist und dann muss es auch noch zurück zur Erde. Also ich würde eine Firma angesichts der fehlenden Erfolge beim derzeitigen Starship keine so gute technische Note geben.

Ich kann mich nicht zu dem Management äußern, doch ich sehe in den anderen beiden Vorschlägen viel weniger technische Risiken, am wenigsten im Blue Origins Vorschlag.

Ich

Ich habe mir dann noch die Begründung der Entscheidung angeschaut. Auch wenn sie mit 24 Seiten zu lang ist, um sie komplett durchzulesen, so fiel mir sofort eines auf: die Sprache. Im Dokument ist nur von „I“, nicht „We“ oder „NASA“, „Panel“ die Rede. Man findet Sätze wie „I particularly find SpaceX’s strength under Technical Area of Focus 1 for its robust approach to aborts and contingencies to be compelling.“. Also das hinterlässt bei mir den Eindruck als würde eine Person entscheiden. Das Dokument wurde von Katherin Lueders, NASA-Direktorin für Human SpaceFlight unterzeichnet. Okay, das ist dann die höchste Instanz und sicher berechtigt den Auftrag zu vergeben, doch es ist sehr ungewöhnlich. Ich habe zahlreiche NASA Reports gelesen und es ist der Erste, in dem ich diese Schreibweise finde. Normalerweise wird entweder unbestimmt von „we“ oder in der dritten Person von „the Panel“ geschrieben. Also bei uns sagt man „Das hat a Gschmäckle“.

Wie geht es weiter

Die NASA wird nicht müde zu betonen, das dies nur der erste Kontrakt ist, der mit einer bemannten Mission endet, vergleichbar der Crew Demo Mission bei CCDev. Dann würde neu ausgeschrieben. Doch das ist natürlich blödsinnig, denn die Entscheidung ist damit gefallen. Wer soll sich denn sonst beteiligen? Dynetics und Blue Origin werden sicher nicht einen Mondlander auf eigene Kosten entwickeln, zumal bei bemannten Projekten die Entwicklung um ein vielfaches teuerer ist als ein Flug. Bei CCdev bekam SpaceX 3,1 Mrd. Dollar für die Entwicklung, bietet einen Flug aber für 55 Millionen Dollar pro Sitz, bei vier Personen also 0,22 Mrd. Dollar an, das ist nicht mal ein Zehntel der Summe.

Ich vermute man wollte so das HLS retten, vielleicht weil man befürchtet (oder weiß), das es unter der neuen Administration wieder eingestellt wird. Ich glaube aber genau dem wird so Vorschub geleistet. Denn ein transparentes Verfahren sieht anders aus. Gerade deswegen wird man diese Entscheidung kritisieren, zumal sie nicht nachvollziehbar ist, wenn man nach eigenen Angaben nur ein Viertel der beantragten Mittel erhalten hat. Denn ich glaube das mit einem Viertel man auch die SpaceX Lösung nicht finanzieren kann. Eher liefert man eine Steilvorlage, das gesamte HLS aufzulösen.

Das muss nicht zwingend auch das Ende von Artemis sein. Die NASA kann mit dem Gateway im Mondorbit immer noch punkten. Eine Raumstation im Mondorbit gab es bisher nicht und sie ist umsetzbar, an ihr arbeiten sogar internationale Partner mit, die schon bei der ISS die Einstellung nach Fertigstellung eines „US-Kerns“ verhinderten. Lueders hat so SpaceX vielleicht noch Zahlen aus der Vertragsauflösung verschafft, mehr aber auch nicht.

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