Bernd Leitenbergers Blog

Die ISS und Ionenantriebe – Fortsetzung folgt

Ich habe ja schon vor ewigen Zeiten mal skizziert, das eigentlich die ISS ein ideales Testzentrum für Ionenantriebe wäre. Ich will heute mal einen neuen Anlauf machen, weil die ISS gerade neue Solarpaneele bekommt. Sie ersetzen die alten nicht, sondern ergänzen sie, liefern also mehr Strom. Dies ermöglicht ein einfacheres Erweitern der ISS um kommerzielle Module. Damit steht aber auch mehr Strom für Ionentriebwerke.

Die Ausgangslage

Die ISS benötigt wegen ihrer Masse und relativ niedrigen Bahnhöhe viel Treibstoff, um die Bahn aufrechtzuerhalten. Die NASA hat sich als Kompromiss da in einer höheren Umlaufbahn auch die Raumfahrzeuge die sie anfliegen mehr Treibstoff benötigen um sie anzufliegen und zu verlassen für eine Umlaufbahn in 407 km Höhe im Mittel entschieden. In 400 km Höhe benötigt sie 3.600 kg Treibstoff um die Höhe zu halten pro Jahr. Das ist ein Wert der für die meisten Jahre gilt. Bei einer hohen Sonnenaktivität, die liegt ein bis zwei Jahre pro Zyklus (11 Jahre vor) kann der Treibstoffbedarf durch Ausdehnung der Atmosphäre deutlich höher sein.

Das ist eine Menge Treibstoff, die ja auch zur ISS befördert werden muss. Leisten kann dies derzeit nur die Progress, da sie zum einen in der Längsachse andocken kann, die durch den Schwerpunkt führt. Zudem gibt es nur von ihr eine spezielle „Tanker-Version“, die viel Treibstoff transportieren kann.

Die neuen ausrollbaren ROSA-Arrays werden die Leistung der Solargeneratoren von 120 auf 215 kW erhöhen. Die 95 kW könnten nicht nur für neue kommerzielle Module sondern eben auch für Ionentriebwerke genutzt werden,

Berechnung

Da der Treibstoffbedarf gemessen an der Gesamtmasse der ISS von etwa 420 t klein ist, braucht man keine Berechnung über die Ziolkowskiformel sondern kann einfach über den Gesamtimpuls gehen.

Der Gesamtimpuls dem die 3.600 kg Treibstoff entsprochen ergibt sich aus Multiplikation mit dem spezifischen Impuls, das sind bei chemischem Treibstoff rund 3.000 m/s. So erhält man einen Gesamtimpuls von 10,8 MN. Ionentriebwerke haben spezifischen Impuls von 30.000 bis 40.000 m/s. Das würde also den Treibstoffbedarf mindestens auf ein Zehntel erniedrigen.

Die erste Frage ist: benötigen wir neue Antriebe, die besonders schubkräftig sind?

Nun bei 420 t Gewicht entsprechen die 10,8 MN nur einer Geschwindigkeitsänderung von 25,7 m/s (10.800.000 / 420.000=25,7…). Das ist wenig. Dawn wog 1,1 t, das ist in etwa ein 1/400-stel der Masse der ISS, aber sie konnte ihre Geschwindigkeit um 11 km/s ändern, das ist etwas mehr als das 400-fache von 26 m/s. So gesehen braucht man nicht mehr oder schubkräftigere Triebwerke als bei Dawn. Nun ja etwas schubkräftiger müssen sie sein, weil die von Dawn länger als ein Jahr arbeiteten und wir reden ja vom jährlichen Treibstoffbedarf.

Betriebt man die Triebwerke in 50 % der Zeit, nämlich nur dann, wenn auf der Tagseite die Solarzellen genügend Strom liefern, so sind dies im Jahr 12 Stunden x 3600 Sekunden/Stunde * 365 Tage = 15.798.000 Sekunden. Teilt man den Gesamtimpuls von 10,8 MN durch die 15,8 Millionen Sekunden, so braucht man nur einen Schub von 0,684 N pro Sekunde. Gängige Ionentriebwerke am Markt für Satellitenbahnänderungen erreichen 0,1 bis 0,2 N Schub, man benötigt also nur etwa 4 bis 7 Triebwerke und keine neuen Triebwerke.

Von Bedeutung ist auch die Lebensdauer eines Triebwerks, denn die liegt bei heutigen Antrieben bei 10.000 bis 20.000 Stunden. Diese Lebensdauer wird bei 12 Stunden pro Tag in 2,3 bis 4,6 Jahren erreicht. Ich habe hier mal eine Vergleichstabelle angelegt, die die Daten gängiger Triebwerke enthält:

Triebwerk Benötigte Zahl Strombedarf Schub Treibstoffbedarf/Jahr Masse (nur Triebwerke) Gesamtimpuls
Qinetig T6 5 25 kW 0,725 277 kg 43 kg 11,4 MN
Qinetig T7 3 17,1 kW 0,717 N 355 kg 39 kg 11,3 MN
RIT-2X 5 23,5 kW 0,75 N 292 kg 44 kg 11,8 MN
XIPS 25 4 17,2 kW 0,66 N 299 kg 54,8 kg 10,4 MN
NSTAR 7 18 kW 0,6489 N 334 kg 60,3 kg 10,2 MN

Die Triebwerke liegen alle in einem sehr engen Bereich, was Treibstoffverbrauch und Masse angeht. Den geringsten Stromverbrauch hat das neueste, das T7. In der Praxis wird man mehr Triebwerke einsetzen, um Reserven für einen Ausfall zu haben. Weiterhin braucht man Reserven für Schwankungen der Abbremsung durch die Atmosphäre, sonst würde man anfangen zu sinken und dabei in tiefere Schichten gelangen, die das Sinken weiter beschleunigen. Alle Triebwerke brauchen nur einen Bruchteil der 95 kW Leistung, die zusätzlich zur Verfügung steht und der jährliche Treibstoffverbrauch sinkt auf weniger als ein Zehntel des vorherigen von 3600 kg.

Nicht enthalten in der Tabelle ist die Lebensdauer. Sie beträgt bei allen Triebwerken mindestens 10.000 Stunden, was 2,28 Jahre Betriebszeit entspricht. Bei einigen ist die durch Tests verifizierte Lebensdauer höher, so beim XIPS 25 über 16.000 Stunden und beim RIT-2X 20.000 Stunden. Entsprechend seltener benötigt man einen Austausch des Transporters wenn man die Triebwerke über ihre ganze Lebensdauer betreiben will.

Die Progress haben im Adapter Stromleitungen für die Stromversorgung durch die ISS, doch denke ich sind die nicht für die Leistung, die hier benötigt wird, rund 18 bis 25 kW ausgelegt. Dafür müsste man in einer EVA dann noch Leitungen nachziehen. Dann kann man in den neuen Adapter auch die Steuerleitungen verlegen, die für die Kommandos an die Ionentriebwerke nötig sind. Kann die ISS die benötigte Strommenge an die Progress durch den Adapter liefern, so kann man die Steuersignale auch drahtlos übermitteln, indem man die Elektronik über ein Wlan einbindet – andere störende Wlan Netze gibt es im Umkreis von 400 km ja keine.

Vorgehen bei solarem Maximum

Während des solaren Maximums ist die Strahlungsaktivität viel höher. Die dadurch in die Atmosphäre eindringenden Teilchen heizen diese auf, sodass sie sich ausdehnt und die Abbremsung erhöht. Dem zu begegnen gibt es zwei Möglichkeiten:

Das eine ist es die maximale Abbremsung bei der Auslegung zugrunde zu legen, das bedeutet aber auch das man dann rund drei bis viermal mehr Triebwerke und Strom während des Maximums benötigt. Immerhin kann man die zusätzlichen Triebwerke auch während des Minimums betrieben und so die Lebensdauer aller Triebwerke vergrößern. Verglichen mit einer SFU von 120 als „Normalwert“ benötigt man bei einer SFU von 200 wie sie selten aber durchaus vorkommt den 2-fachen Schub, vergleichen mit dem Minimalwert von 70 der im Minimum benötigt wird, sogar den 4,1-fachen Schub.

Die zweite Möglichkeit ist es, während des Minimums die Station anzuheben und dann während des Maximums ein Absinken durch die höhere Reibung zu tolerieren. Da schon das Anheben um 50 km den Treibstoffverbrauch um mehr als die Hälfte reduzierte, würde ein Anheben der Station auf 460 km Orbithöhe ausreichen, um einen Anstieg des SFU von 120 auf 200 zu kompensieren. Während des solaren Maximums würde dann die Station absinken, Versorger benötigen mehr Treibstoff um sie zu erreichen und wieder zu verlassen. Doch dies sind nur rund 50 m/s. Bei Frachtern entspricht dies einer Nutzlasteinbuße von rund 4 % (bei einem Frachtanteil von einem Drittel der Gesamtmasse). Bei den bemannten Transportern ist dies unkritisch, da die Crewed Dragon noch unter der Maximalnutzlast liegt und man bei Sojus und Starliner auf stärkere Versionen der Träger ausweichen kann. Dies halte ich für den besseren Weg. Die derzeitige Bahnhöhe wurde ja deswegen gewählt, weil beim Space Shuttle, das für die Aufbauphase benötigt wurde, die Nutzlastabnahme mit der Höhe besonders hoch war.

Im Diagramm links sieht man das von 19 Jahren während der letzten Zyklen 13 Jahre unterhalb einer SFU von 130 liegen. Diese würde ich als Basis für die Berechnung der benötigten Triebwerke ansetzen.

Praktische Auslegung

Es bietet sich an, einen Progress-Tanker umzurüsten. Die können normalerweise bis zu 2,5 bis 2,7 t Fracht befördern. Zieht man die Ionentriebwerke und Tankmassen ab, so bleiben rund 2 bis 2,5 t für den Treibstoff, was einen Betrieb über 7 bis 8 Jahre erlaubt. Für eine so lange Zeit benötigt man dann aber überzählige Triebwerke, da keines so lange abreiten kann. Zudem sind die Progress nur für 180 Tage im All qualifiziert.

Die bessere Lösung für mich ist es, wie bisher einen Progress nur 180 Tage lang zu betreiben. Dann benötigt man nur den Treibstoff für diese Zeit, zusammen mit dem Tank und Triebwerken ist man bei einer Masse von 300 kg, bei zwei Progress also 600 kg, was immerhin eine Reduktion der Masse, die zur ISS befördert wird, muss um 5/6 entspricht. Die Progress kann dann noch etwa 2,2 bis 2,4 t pro Transporter andere Fracht befördern, auch normalen Treibstoff, den man nach wie vor für schnelle Bahnänderungen, z.B. bei Kollissionsvermeidungsmanöver benötigt, die werden angesichts vieler neuer Satelliten häufiger vorkommen.

In der Summe könnte Russland so mit zwei Progress pro Jahr, anstatt drei bis vier auskommen und die NASA Geld sparen, denn sie bezahlt ja Russland für den Treibstoff. Wäre es dieselbe Summe die US-Anbieter für ihre Frachtdienste bekommen, so entspricht dies rund 240 Millionen Dollar pro Jahr – dafür bekommt man schon einen komplexen Satelliten oder könnte sich alle zwei bis drei Jahre eine Raumsonde des Discoveryprogramms zusätzlich leisten. Dem müsste man die Kosten für Ionentriebwerke und Xenon gegenrechnen.

ISS verschieben

Derzeit ist geplant, die ISS am Ende ihrer Betriebsdauer zu deorbitieren. Zumindest Russland hat jedoch angekündigt, das sie ihre Module dann entfernen und in einer neuen Station verwenden will. Als Alternative gäbe es das hochheben der Station in eine neue Bahn, die eine längere Lebensdauer hat. Von dort könnte man Module abtrennen und in einer neuen Station verwenden, oder die ISS kommerziell nutzen – für Flüge von Weltraumtouristen oder Filmdrehs wird man keine ständig bemannte Station benötigen und auch weniger Aufwand für die Aufrechterhaltung der Höhe treiben wollen. Nicht zuletzt gibt es in größerer Höhe für Weltraumtouristen und Filmkulissen mehr Ausblick. Ich halte das Szenario für unwahrscheinlich, aber man kann es ja mal durchrechnen. Würde man 150 der maximal verfügbaren 215 kW Leistung für den Antrieb einsetzen, so könnte man 32 Rit-2X betreiben, die 1800 kg Xenon-Arbeitsgas in 350 Tagen verbrauchen würden. Damit kann man eine 420 t schwere Station innerhalb eines Jahres um 172 m/s anheben, das entspricht, wenn man von 407 km Starthöhe ausgeht, einer Kreisbahn in 720 km Höhe, in dieser Höhe spielt die Abbremsung durch die Atmosphäre praktisch keine Rolle mehr. Die Bahn wäre über mindestens ein Jahrhundert stabil, ich errechne in einer einfachen Simulation bei einem SFU im Mittel von 140 das die Station 187 Jahre im Orbit bei dieser Höhe ist. Bei weniger Triebwerken würde es entsprechend länger dauern, wobei man aber deutlich mehr als die nur zur Kompensation der Abbremsung nötigen Triebwerke einsetzen müsste, also mindestens die doppelte Anzahl.

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