Bernd Leitenbergers Blog

Wofür braucht SpaceX die Starship-Betankung?

Ich möchte mich heute nicht mit den technischen Aspekten der Betankung beschäftigen, sondern damit, wofür SpaceX diese Technologie überhaupt braucht. Eigentlich dachte ich, müsste ich dazu nichts schreiben, weil der fehlende Sinn offensichtlich ist. Das scheint aber nicht so zu sein, zumindest bei den Fans der Firma. Die sind erstaunlich schlecht über ihr Objekt der Begierde informiert, was mich darin bestärkt das SpaceX inzwischen eine Transition von einer Firma zu seiner Sekte vollzieht. Denn wie bei Religion im Allgemeinen geht es um Glauben, Dogmen wie „Wiederverwendung senkt die Startkosten auf ein Bruchteil“, werden „Ungläubige“ geschmäht und ist Wissen sehr kontraproduktiv, denn sonst könnte man ja an einigen „Wundern“ zweifeln.

Die Grundlagen

Die Grundlage, warum SpaceX überhaupt an der Betankungstechnologie arbeitet, ergibt sich aus der Raketengrundgleichung. Die lautet:

v = Spez. Impuls * ln (Startmasse / Endmasse)

Mit der Formel kann man auch berechnen, wie viel Nutzlast übrig bleibt, wenn ein Starship eine höhere Geschwindigkeit erreichen muss. Man muss nur die Gleichung umstellen:

Startmasse / Endmasse = e(v/spez. Impuls)

Startmasse und Endmasse sind zwei Unbekannte, aber sie hängen dahingehend zusammen als in beiden Fällen die Masse des Starships konstant ist:

Starship+x / Starship = e(v/spez. Impuls)

und dann letztendlich:

x = Starship*(e(v/spez. Impuls)-1)

x ist die kombinierte Masse von Treibstoff und Nutzlast, die bei LEO-Missionen irgendwann bei 150 t liegen soll.

Der spezifische Impuls beim Raptor 2 Vakuum beträgt nach Musk 377 s, dass sind 3698 m/s (inzwischen wurde ihm wohl gesagt, dass seine angekündigten 380 s physikalisch für diesen Brennkammerdruck gar nicht möglich sind). Nimmt man die Masse des Starships von 120 t und die anfänglich erreichten 100 t Nutzlast (soll mal auf 150 t steigen), so kann man leicht ausrechnen das dieses ohne Nutzlast maximal 2.241 m/s gegenüber einem LEO beschleunigen kann.

Das ist nicht so viel. Hier einige typische Geschwindigkeiten für Missionen, die häufig vorkommen (relativ zum LEO-Orbit)

GTO: ~ 2,5 km/s

Fluchtbahn: ~3,2 km/s

Mars: ~ 3,7 km/s

GSO/Navstar-Orbit: ~4,2 km/s.

Keine dieser Mission kann das Starship mit dem internen Treibstoff erreichen.

Die Ursache

Die Ursache ist relatv einfach zu umreißen und hier greife ich mal auf die hausinterne Konkurrenz Falcon Heavy zurück. Diese hat mit 63,8 t etwa die halbe Nutzlast des Starships. Doch während dieses 120 t wiegt, wiegt die letzte Stufe der Falcon Heavy zwischen 5 und 6 t (genau weiß man es nicht, andere Stufen der Bauart würden in diesem Bereich liegen). Gemäß an der Gesamtmasse in den LEO macht die letzte Stufe der Falcon Heavy also weniger als ein Zehntel der Gesamtmasse aus und das Starship die Hälfte. Sinkt die Gesamtnutzlast auf die Hälfte ab, so kann eine Falcon Heavy immer noch über 30 t transportieren, das Starship hat dagegen eine Nutzlast von Null.

Die Ursache dafür liegt darin, dass das Starslip viel zu schwer ist. Hier ein Vergleich mit dem Space Shuttle: das Space Shuttle hatte eine Nutzlast die 25% der Startmasse. Bei dem Starship sind es 50% das ist zwar doppelt so viel, aber immer noch ein Bruchteil der über 90% die eine Falcon Heavy aufweist.

Der Sinn

Die Frage die sich wohl wenige in diesem Zusammenhang stellen ist, wofür SpaceX die Betankungstechnologie braucht. Dabei ist dies fundamental bei einer Wirtschaftlichkeitsberechnung. Nimmt man die Missionen ,die für die Falcons gebucht sind und überträgt dies auf das Starship so sind dies folgende drei Bereiche:

Starts für den Aufbau des Starlink Netzes: Schon jetzt erfolgen die meisten Starts dafür. Das Starship wurde nicht entwickelt für Marsmissionen, für den suborbitalen Passagiertransport, auch wenn so was immer wieder verbreitet wird. Es ist nach Musks eigenen Angaben vor allem für das Starlink Netz nötig. Die erste Generation wurde mit Falcons gestartet. Eigentlich sollte dann das Starship übernehmen, doch da es in der Entwicklung hinterherhinkt starten nun „Starlink V2 Mini“ Satelliten auf der Falcon 9. In der Endbausbauphase soll Starlink 42.000 Satelliten umfassen, in fünf Jahren wurden bisher rund 5.000 gestartet und da schon die „Mini“ Satelliten schwerer sind als die erste Generation und so nur noch 23 anstatt 60 pro Start den Orbit erreichen, kann man leicht abschätzen, dass dieses Ziel mit der Falcon nicht erreichbar ist, selbst das Starship müsste zweimal pro Woche starten um alle Satelliten in fünf Jahren in den Orbit zu bringen. Alleine durch die Startzahl von mindestens 500 Starts ist dies der Großteil der Missionen.

Starts für die US-Regierung. Das ist ein sehr heterogenes Gemisch. Wir haben zum einen Starts für das DoD und NRO, die meist in höhere Umlaufbahnen wie den Navstar Orbit oder direkt in den GSO gehen. Dann gibt es Aufträge seitens der NASA. Neben den Starts von Raumsonden und Satelliten stechen hier zwei Aufträge heraus. Das eine ist die Versorgung der ISS mit der Dragon und das zweite ist der Artemis Kontrakt. Obwohl es nicht so viele Starts sind, ist dies lukrativ, alleine die NASA hat bisher 12 Milliarden Dollar bezahlt, das meiste für die ISS-Versorgung. Damit SpaceX denselben Umsatz mit kommerziellen Starts erreicht, müssten sie 200-mal eine Falcon 9 starten.

Kommerzielle Starts: sie sind mehr oder weniger ein Zubrot. Es ist der kleinste Anteil. Sie gehen oft in den GTO, viele aber auch in den LEO.

Der Bedarf

Das Starship kann ohne Betankung alle LEO und SSO Missionen der Falcon 9 übernehmen. Das betrifft einen Teil der kommerziellen Starts, einen noch kleineren der militärischen Missionen, aber alle Starlink-Missionen. Erreicht es die 150 t Zielnutzlast so sind auch GTO-Transporte denkbar.

Was nicht geht sind direkte Transporte in den Navstar- oder GSO. Ebenso wenig Missionen, bei dem der Orbit verlassen wird. Die Frage ist, ob SpaceX daran überhaupt Interesse hat, selbst wenn sie möglich wären, denn bei all diesen Missionen geht das Starship verloren. Im ersten Fall verbleibt es in einem 20.000 oder 36.000 km hohen Orbit, im zweiten Falle verlässt es die Erde für immer. Alleine diese Tatsache dürfte den Start entscheidend verteuern.

Wegfallen wird auch die derzeitige Haupteinnahmequelle: die ISS Transporte. Die erfolgen durch die Dragons und das wird auch so bleiben. Es dauerte zehn Jahre die Transporter zu entwickeln und zu qualifizieren und das obwohl es schon die Trägerrakete gab. Nun soll die ISS 2028 oder 2030 endgültig aufgegeben werden, es gibt zwei andere Fracht- und einen Personentransporter, da wird die NASA nicht für eine Qualifizierung des Starships bezahlen und SpaceX wird dies sicher nicht auf eigene Rechnung tun.

In der Zusammenfassung kann das Starship ohne Betankung die meisten Missionen der Falcon 9 durchführen, für die verbleibenden kann die Falcon 9 und Heavy weiter in Betrieb bleiben. So macht eine Betankungstechnologieentwicklung keinen Sinn weil es zu wenige Missionen gibt die sie benötigen.

Die zwei großen Ausnahmen

Es gibt zwei Projekte, welche die Betankung erfordern und zwar nicht nur einen Flug sondern Dutzende – wobei dann auch der (angebliche) Kostenvorteil dahin wäre. Das eine ist der Einsatz im Rahmen des Artemis Programms. Der für alle die sich mit den physikalischen Grundlagen auskennen völlig verrückte Vorschlag, das 120 t schwere Starship auf dem Mond zu landen bekam 2021 bei der HLS Ausschreibung den Zuschlag. Und zwar weil es die günstigste Version war und die NASA eigentlich gar kein Geld für den HLS hatte. Inzwischen sind die Kosten von 2,94 auf 4 Milliarden Dollar gestiegen und das Programm liegt Jahre hinter dem Zeitplan zurück.

Die Vorgehensweise ist nicht neu: sie ist dieselbe wie bei CRS. Auch da war SpaceX zuerst der billigere Anbieter, inzwischen wurden die Preise soweit erhöht, das die Firma obwohl sowohl Raumschiff wie Rakete zumindest teilweise wiederverwendbar sind der teuerste Anbieter ist. Da man vor dem ersten Testflug weiß, wie viel Geld seitens der NASA schon geflossen ist und damit etwa 50 Prozent der Entwicklungskosten des Starships bis zum ersten Testflug finanziert wurden, kann man verstehen, warum SpaceX dies offerierte.

Die Frage ist ob SpaceX dafür auch die Betankungstechnologie entwickelt. Schon 2021 – wenige Monate nach dem HLS-Kontrakt – sagte Elon Musk sie würde nur mit wenig Aufwand erforscht. Eigentlich sollte, da es ohne diese Technologie nicht geht, das Gegenteil der Fall sein. Es geht bei SpaceX darum Gelder für die Starship Entwicklung zu erhalten und nicht darum die Vertragspflichten zu erfüllen. Diese sind an Meilensteine gekoppelt sprich, SpaceX erhält sie für Fortschritte beim Starship. Da sackt die Firma ein, solange es geht und verzichtet auf den Rest der Gelder, wenn sie selbst zubuttern müsste. Denn bei 20 geschätzten Tankflügen und zwei Vehikeln, die verloren gehen, dürfte ein Start für Artemis auch bei Wiederverwendung nicht billig sein. Gut, das ist meine Meinung, aber ich denke es wird so kommen.

Das zweite Projekt ist Elon Musk Marsbesiedelung. Sie ist ein Grund warum ich SpaceX inzwischen mehr als Sekte denn als Firma sehe. Denn es gibt ja Leute, die daran glauben. Daran ändern auch gescheiterte Projekte wie Mars One nichts, die an Musks Visionen glaubten. Ich beurteile Leute danach, in wie weit das, was sie sagen, auch umgesetzt wird. Und da fängt Musks Story zu SpaceX damit an, dass er nach Russland fuhr um über den Kauf einer Rakete für – je nach Version eine Raumsonde oder ein Treibhaus das er auf den Mars absetzen wollte, zu verhandeln. Das scheiterte und deswegen gründete er SpaceX. Dieser Gründungsmythos ist nun 20 Jahre her.

Okay, aber was ist draus geworden? Es gab mal kurzzeitig das Projekt der „Red Dragon“, wo SpaceX die gleiche Taktik anwandte wie bei HLS. Sie gingen zur NASA uns sagten so in etwa „Hey wir haben diese tolle Dragon Kapsel, wiederverwendbar, davon werden bald Dutzende nach den CRS Flügen bei uns rumstehen und wir haben diese Falcon Heavy die das ganze für fast umsonst starten kann, das wäre doch eine tolle Möglichkeit für euch Experimente auf den Mars zu bringen, ihr müsstet euch nur minimal an dem Projekt beteiligen“. Als die NASA nicht darauf einging, wars dann mit dem Projekt. Es ging nur darum andere für Dinge bezahlen zu lassen wie man sowieso entwickeln muss. Eine ausgediente Dragon hätte man beim Jungfernflug der Falcon Heavy zum Mars entsenden können, eine kleinere Nutzlast z.B. einen Starlink Satelliten, der dann von der NASA als Relay genutzt werden könnte, wäre bei jedem Start möglich, wo die Maximalnutzlast nicht ausgeschöpft wird, das sind jedes Jahr etliche Möglichkeiten. Beide Optionen bedeuten nur nur geringe Kosten für SpaceX. Trotzdem ist Musks Firma in 20 Jahren seinem Ziel nicht näher gekommen. Warum? Weil es nur eine Story ist! So wie Religionen als Endziel das Verlassen der Wiedergeburtszyklen, die Erleuchtung oder das Ewige Leben haben, gibt es eben in der Tech-Sekte SpaceX die Marskolonisierung als Endziel und die ist genauso nahe wie die Rückkehr Christi. Es geht um ein Ziel für die Sektenanhänger, nicht ein konkretes Projekt.

Die einfache Alternative

Es gibt für die meisten von Missionen natürlich eine einfache Alternative: man verzichtet auf die Wiederverwendung. Diese hat einige Auswirkungen auf die Mission. So hat die erste Stufe Superheavy bei relativ niedriger Geschwindigkeit Brennschluss, weil sie ein Vielfaches ihres Eigengewichtes an Treibstoff für die Landung braucht. Nach meinen Simulationen macht das alleine 1 km/s aus, die so das das Starship schneller wäre. Dieses braucht auch Treibstoff zum Landen. Etwas Treibstoff um den Orbit zu verlassen und deutlich mehr um zu landen. Daneben benötigt es einen Hitzeschutzschild, der bei dieser großen Fläche sehr schwer wird. SpaceX gibt an, das die Nutzlast ohne Wiederverwendung 250 t erreichen kann. Nimmt man weiter an, dass ohne die Flügel und den Hitzeschutzschild die Masse des Starships von 120 auf 100 t sinkt, so reicht dies aus um die Geschwindigkeit um mehr als 4,6 km/s zu ändern. Das heißt man kann mühelos eine Nutzlast zum Mond, Mars oder in einen GEO bringen. Es würde sogar reichen eine Dragon zum Mars zu schicken. Gemessen an den Massen von realen Nutzlasten wären praktisch alle Satellitenmissionen im Erdorbit möglich, dazu Flüge zu Mond, Venus und Mars. Nur für die Mondlandung reicht es eben nicht.

Die bessere Alternative

Selbst die Landung mit Artemis auf dem Mond wäre möglich, nur eben mit der zehnmal leichteren Dragon. SpaceX müsste nur eine oder zwei Stufen konstruieren, die in dem Nutzlastbereich des Starships passen. Mein Vorschlag wären zwei, eine für die Landung und eine für den Rückstart. Basis könnte das Merlin sein, es ist schubschwächer als die Raptors, die bei dieser kleinen Masse zu hohe Beschleunigungen erzeugen würden. Eine Dragon wiegt etwa ein Zehntel des Starships. Entsprechend käme man mit einem Flug für eine Artemis-Mission aus, in jedem Falle, wenn man auf die Wiederverwendung verzichtet.

Aber das wäre ja logisch, ökonomisch und vor allem nicht cool. Damit dürfte diese Idee bei Elon Musk schon durchgefallen sein.

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