SpaceX und ihre Probleme mit Gasflaschen

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Wie der eine oder andere sicher mitbekommen hat, hat SpaceX das Starship mit der Seriennummer 36 am 18. Juni 2025 um 11:01.52 CDT bei einem Testcountdown gesprengt. Der nächste Starship Start, nun mit Schiff Nummer 37, verzögert sich. Elon Musk versprach ihn Mitte Juli für diese oder nächste Woche, hat aber Anfang August den Termin auf Ende August verschoben und wir alle wissen, wenn Musk 4 Wochen sagt, dauert es in Wirklichkeit noch länger.

Genug Gelegenheit mal wieder was zu SpaceX zu schreiben. Die Ursache der Explosion von Starship Nummer 36 war nach Angaben von SpaceX eine Stickstoff-Druckgasflasche. Sie barst, die Trümmer beschädigten dann das Starship soweit, das es explodierte, es war betankt und es sollte bei dem Probecountdown alles bis zum Start geprüft werden, das heißt der Countdown endet mit einem Zünden der Triebwerke für wenige Sekunden, ohne das es abhebt.

Beim Nachdenken fielen mir dann noch drei weitere Ereignisse ein. Beim Flug CRS-7 am 28. Juni 2015 explodierte die Falcon 9 nach 139 Sekunden noch während der Betriebszeit der ersten Stufe. Da dies ein bezahlter NASA-Flug war, gab es eine Untersuchung. Die Ursache wurde auch gefunden. Ein Composite overwrapped pressure vessel (COPV), im Prinzip eine Druckgasflasche aus einer inneren Aluminiumschicht, überzogen von faserverstärkten Werkstoffen wie Kevlar, Glasfasern oder Kohlefasern, fiel aus ihrer Verankerung in den Sauerstofftank der Obestufe und barst dabei.

Die COPV war mit Edelstahlstreben befestigt und mindestens eine hatte bei einer Belastung von 2.000 US-Pfund, rund 8,9 kN nachgegeben, obwohl sie (angeblich) für 10.000 Pfund spezifiziert war. Die NASA Untersuchung legte auch offen, das SpaceX Streben aus Edelstahl in „industrial garde“ nahm, anstatt das teurere, aber zertifizierte „aerospace grade“, das Tests durchlief die sicherstellen, das die Streben den Belastungen auch standhielten. SpaceX hat die Streben vorher weder getestet noch überprüft und das Industrial Grade war eben nicht für 10.000 Pfund unter diesen Bedingungen (-180 Grad Celsius) ausgelegt und brach.

Damals war übrigens Helium in der Flasche, nicht Stickstoff wie beim Starship.

Ein Jahr später zerlegte es wieder eine Oberstufe, diesmal noch am Boden, wie beim Starship 36 bei einem Probecountdown, diesmal mit dem Satelliten Amos-6 an Bord. Am 1. September 2016 explodierte die Oberstufe bei dem Probecountdown. Untersuchungen von SpaceX ergaben als Ursache wiederum ein COPV. Eine der drei (COPVs) im Flüssigsauerstofftank der zweiten Stufe (LOX) explodierte. Der Ausfall beruht wahrscheinlich auf die Ansammlung von Sauerstoff zwischen dem inneren Mantel des COPV und der Ummantelung in einem Hohlraum oder einer Beule in der Auskleidung, was zur Entzündung des COPV führte.

Jede Stufe der Falcon 9 verwendet COPVs zur Speicherung von kaltem Helium, das zur Aufrechterhaltung des Tankdrucks verwendet wird. Jedes COPV besteht aus einer Innenauskleidung aus Aluminium mit einer Kohlefaser-Ummantelung. Die geborgenen COPVs wiesen Beulen in ihren Auskleidungen auf. Beulen bringen ein COPV nicht von selbst zum Platzen bringen. Aber LOX kann sich in diesen Beulen unter der Ummantelung ansammeln. Unter Druck kann der in diesen Beulen angesammelte Sauerstoff eingeschlossen werden; brechende Fasern oder Reibung können wiederum den Sauerstoff in der Ummantelung entzünden und so zum Versagen des COPV führen. Darüber war die Ladetemperatur des Heliums kalt genug, um festen Sauerstoff (SOX) zu bilden, was die Möglichkeit eines Sauerstoffeinschlusses sowie die Wahrscheinlichkeit einer Reibungszündung erhöht.

Die Maßnahme von SpaceX war einfach: das Helium wurde wärmer eingefüllt. Die Falcon 9 fliegen seitdem, ohne das weitere COPV explodieren. Man sollte nun meinen, die Firma würde das Arbeiten mit Druckgas beherrschen, ist ja jetzt nicht unbedingt eine Technologie des 21-sten, sondern jeher des 19-ten Jahrhunderts. Aber beim Starship beginnt alles von neuem:

Die ersten Starship hatten noch keine Seriennummer (SN), sondern hießen „Mark x“, abgekürzt MK. MK 1 wurde am 20.11.2019 bei einem Drucktest zerstört. Die Spitze explodierte und wurde 150 m hochgeschleudert, kryogene Flüssigkeiten liefen am Restrumpf herunter. Der Rest von Mk 1 wurde dann verschrottet. Das noch nicht fertiggestellte MK 2 wurde daraufhin verschrottet, weil es auch explodiert wäre. Als Ursache wurden die Schweißnähte ausgemacht. MK 3 wurde dann in Starship 1 (SN1) umbenannt. Auch es wurde am 28.2.2020 bei einem Drucktest zerstört. Es wurde mit flüssigem Stickstoff beladen und hob plötzlich ab , erreichte eine Gipfelhöhe die seiner Höhe entsprach und schlug nach einigen Sekunden auf dem Boden auf. MK 3 (SN2) wurde daraufhin nie fertiggestellt.

Auch das Starship SN3 wurde bei einem Drucktest zerstört, diesmal weil Kontrollventile falsch konfiguriert waren. Der Sauerstofftank verlor an Druck und das Vehikel kollabierte am 3. April 2020. Es sollte einen statischen Test der Triebwerke absolvieren. Das gab einen Hinweis darauf, das das Starship wie die alte Atlas-ICBM oder Centaur Oberstufe auf die Technologie von innendruckstabilisierten Tanks setzt. Die Wandstärke ist so dünn, das die Tanks nur unter einem Innendruck stabil sind, der höher als der Außendruck ist.

Wir haben also bei SpaceX insgesamt sechs zerstörte Raketen bzw. Starships aufgrund irgendwelcher Versager von Druckbeaufschlagung, drei davon wurden von Druckgasflaschen verursacht. Das ist viel, vor allem beim Starship, während man die beiden Versager bei der Falcon 9 noch als Rinderkrankheiten oder als Lernphase einer noch jungen Firma abtun kann. Solche COPV sind ja nicht selten. Praktisch jede Rakete hat solche COPV um den Tankdruck aufrechtzuerhalten, wenn durch die Verbrennung der Flüssigkeitsspiegel sinkt. Ebenso haben viele Satelliten COPV, wenn sie einen Antrieb auf der Basis der Druckförderung haben, wie geostationäre Satelliten. Die Technologie ist also weit verbreitet und erprobt. Nur bei SpaceX scheint sie dauernd zu versagen.

Das ist natürlich kein Zufall. Gängige Hersteller wie die Airbus-Group haben Druckgas-Flaschen im Angebot die sind zertifiziert und vor der Auslieferung getestet auf einen Prüfdruck der typisch 25 % höher als der maximal Betriebsdruck ist. Ich vermute aber SpaceX verwendet eigene Flaschen und SpaceX scheint eben nicht so hohe Qualitätsstandards zu haben. So habe ich noch nie bei anderen Firmen davon gehört, dass es „Beulen“ zwischen der inneren Aluminium und äußeren Faserschicht gibt. Dass es nun beim Starship erneut solche Probleme gibt, obwohl man ja 400+ erfolgreiche Falcon 9 Starts seit den Unfällen 2015/16 hat, führe ich auf zwei Dinge zurück. Zum einen das alles sehr billig sein muss. Bei CRS-7 erwähnte die NASA, das man Streben verwendete, die eigentlich nicht dafür geeignet waren, also zum Beispiel nie in -180 Grad kaltem Sauerstoff funktionieren müssen. Klar kann man machen, spart viel Geld ein, nur sollte man testen, ob man nicht am falschen Ende spart – SpaceX bot der Firma einen Ersatzstart oder 50 Millionen Dollar an, viel Geld, dafür muss man schon viele Streben in Industrial Grad kaufen, um das einzusparen. Der zweite Punkt beim Starship scheint es zu sein, dass das qualifizierte Personal das die Falcon 9 entwickelt hat, inzwischen abgewandert ist. Elon Musk erwartet Arbeit bis zur Selbstaufgabe, nicht 40 Stunden pro Woche, genehmigt keinen Urlaub. Das macht man einige Jahre mit, aber nicht ewig. Zudem dürften die Entwickler bei anderen Firmen gefragt sein, denn sie haben ja wertvolle Erfahrungen gesammelt.

Es gibt noch etwas Zweites und das ist das Druckgas. Bei den vorherigen Fällen war es Helium. Helium wurde auch noch bei den Testflügen des Starships eingesetzt. Der Flug von SN10 am 3. März 2021 schien zuerst zu klappen, doch SN10 setzte zu schnell auf. Bei SN10 kam beim Triebwerksstart das Druckgas Helium mit in den Treibstoffstrom, sodass der Schub zu gering war. Die Beine wurden dadurch beschädigt und kurz nach der Landung brach ein Bein und SN10 kippte um und explodierte. Das Helium wurde erst nach dem Versagen von SN9 hinzugenommen, um das Treibstoffsachwappen zu reduzieren. Klar ist, dass bei einer vorher horizontalen Position beim Fall aus 10 km Höhe so natürlich Helium in die Leitungen gelangen kann, die nicht mehr von Flüssigkeit bedeckt sind.

Beim Starship SN36 war es dagegen eine Stickstoffflasche, die explodierte. Warum ist das wichtig? Nun für die Explosion nicht und auch für den Einsatz als Druckgas ist es egal, ob es Stickstoff oder Helium ist. Beides sind inerte Gase, die weder mit Methan noch mit Sauerstoff reagieren. Aber es gibt einen bedeutenden Unterschied: Stickstoff hat Molmasse 28, Helium eine von 4. Der Druck, den eine bestimmte Gasmenge ausüben kann hängt von Temperatur, Volumen und Anzahl der Moleküle ab. Bei gleichem Volumen und Temperatur bleibt die Molekülzahl als einzige Unbekannte übrig und da ist es so, dass ein Stickstoff-Molekül siebenmal so schwer ist wie ein Heliummolekül. Ariane 5 setzte flüssiges Helium mit einer Temperatur von 4 K ein. 136 kg werden mitgeführt, durch die Wahl von super-kritischen Helium, einem Zwischenzustand von flüssig und gasförmig, ist die Dichte recht hoch, sie entspricht Druckgas von 668 Bar Druck.

Stickstoff hat diese Eigenschaft nicht und er verdampft auch nicht schnell genug, sodass man ihn flüssig mitführen kann. Alleine die Verwendung von superkritischem Helium führte bei Ariane 5 zu einer Nutzlaststeigerung um 200 bis 400 kg, je nachdem ob man mit Heliumdruckgas von 200 oder 300 Bar vergleicht. Stickstoff wäre nochmals schwerer mit noch negativeren Auswirkungen auf die Nutzlast. Stickstoff wird auch bei der Ariane 5 eingesetzt, aber nur bei dem Lagenkontrollsystem mit kleinen Triebwerken und kleinen Tanks, da spielt das Zusatzgewicht keine Rolle. Dass es sich um eine solche kleine Druckgasflasche für das RCS handelt würde ich aber beim Starship aber ausschließen, denn das Innenvolumen ist so groß, das, wenn eine nur wenige Liter fassende Stickstoffflasche birst, das Gas den Innendruck nicht wesentlich erhöht.

Ich vermute daher, der Stickstoff sorgt für den Tankdruck. Bei den großen Tanks des Starships – V1 fasst 1.200 t Treibstoff, V2 sogar 1.500 t, ist die Mehrmasse gegenüber Helium nicht zu vernachlässigen. Aufgrund der Absolutmenge von Helium der Ariane 5, ihren bekannten Tankabmessungen kann man hochrechnen, dass die Starshiptanks bei gleichem Druck so viel Stickstoff benötigen, dass dieser 2.650 kg mehr wiegt, als wenn Helium verwendet wird. Dabei vermute ich stehen diese Tanks eher unter höheren Druck, da sie ja nur durch Druck versteift sind. (Bei Edelstahl würde ohne Sicherheitszuschläge die Wanddicke von 3,97 mm einem Innenüberdruck von etwa 5 Bar entsprechen, bei Ariane 5 waren es 1,53 Bar Betriebsdruck). Anders gesagt: diese Designentscheidung kostet 2.650 kg Nutzlast, denn das Gas gelangt mit in den Orbit und auch wieder zurück zur Erde, (was übrigens weiteres Torgewicht für den Treibstoff zum Verlassen des Orbits und der Landung addiert) sonst würde das Starship kollabieren.

Kann man machen, erklärt neben anderen Dingen auch, warum die Starships bei den Testflügen nur eine Nutzlast von 20 bis 43 t hatten – wobei die 43 t von Flug 4 und die 20 t von Flug 6 sind, die Tendenz ist also abnehmend. Für ein Unternehmen kann es sich lohnen, wenn die Mehrkosten für Helium höher sind, als die Einnahmen, die man verliert, weil man die Nutzlast nicht voll ausnützt. Ich habe daher nach den Preisen für Helium und Stickstoff gesucht. Ich fand nur welche für Endkunden, also kleine Flaschen zu 20 Litern und 200 Bar Druck. Helium ist natürlich deutlich teuer. 1 Liter (200 Bar) kosten im Nachbefüllen 12 bis 15 Euro, Stickstoff 2,25 bis 3,5 Euro. Das ist klar, denn das Gas gibt es in der Atmosphäre nur in Spuren, es entsteht aus dem radioaktiven Zerfall von Uran und Thorium und die Erdgravitation ist zu gering um es über geologische Zeiträume zu halten. Rechnet man die obere Preisdifferenz auf 1 Kilogramm um, so kommt man auf 322 Euro. 1 kg Helium kosten also 322 Euro mehr als 1 Kilogramm Stickstoff – bei Großabnehmern wie SpaceX dürfte die Preisdifferenz sicher erheblich kleiner sein. Dafür bedeutet der Einsatz von Stickstoff anstatt Helium das man 1 kg Helium durch 7 kg Stickstoff ersetzen muss. Das bedeutet. um 322 Euro für das Helium einzusparen, verliert man 6 kg Nutzlast. Sofern SpaceX also die praxisferne, aber von Fans gerne zitierte Größe. „Preis pro Kilogramm“ als Maßstab nimmt, lohnt sich der Einsatz von Stickstoff anstatt Helium, wenn der Nutzlastpreis unter 54 Euro/Kilogramm liegt, ein Start mit 100 t Nutzlast dürfte dann nicht mehr als 5,4 Millionen Dollar kosten.

Das ist noch deutlich weniger als selbst Musk verspricht, die englische Wikipedia vermutet einen Startpreis von 100 Millionen Dollar pro Flug, also 1000 Dollar pro Kilogramm. Die Entscheidung dürfte also keine optimale sein.

Offen bleibt, welches Material die Flasche nun einsetzt. Ich denke, aus zwei Gründen wird es Edelstahl 304 sein. Der Erste: das Material spielt, wenn man Stickstoff nutzt, keine so große Rolle beim Gewicht mehr. Die erwähnte Heliumflasche der Ariane 5 wog genau soviel wie ihr Inhalt. Wenn der Inhalt nun siebenmal mehr wiegt so ist das Mehrgewicht, wenn man von CFK auf Edelstahl 304 übergeht, zu verschmerzen, denn berücksichtigt man Zugfestigkeit und spezifische Dichte so wird ein CFK-COPV etwa 2,5 bis 3-mal leichter als eine aus Edelstrahl sein. In der Summe ist das zusätzliche Gewicht aber nicht so stark gestiegen: 100 kg Helium in einer 100 kg Flasche wiegen 200 kg. Sie entsprechen 700 g Stickstoff in einer 100 kg CFK-Flasche (also 800 kg) oder 700 kg Stickstoff in einer 250 kg schweren Edelstahlflasche, also 950 kg – Das Gesamtgewichts zeigt nur um 36 %, aber CFK-Werkstoffe sind erheblich teuer als Edelstahl, ein Grund warum auch die Tanks aus Edelstahl sind, obwohl das mindestens 40 t Nutzlast kostet. Wer auf Kosten der Nutzlast überall spart, bekommt so eben ein Moppel-Starship

Bei uns Schwaben gibt es ein Sprichwort „Ich bin zu arm, um mir billig leisten zu können“, gemeint ist damit, dass billige Sachen oft nicht so lange halten, wie teurere qualitativ höherwertige Dinge, doch ich denke das Sprichwort passt auch hier sehr gut.

Okay, das war viel zu einem sehr speziellen Thema. Worum es mir aber auch geht und wenn das hängen bleibt, ist schon viel erreicht: Eine Druckgasflasche ist jetzt nicht gerade High-Tech aus dem 21. Jahrhundert. Die Kesselformel zur Berechnung der Mindestwandstärke gibt es seit dem 19-ten Jahrhundert, Vorarbeiten wurden schon im 18-ten Jahrhundert geleistet und Gasflaschen findet man in vielen Anwendungsbereichen vom Schweißen bis zur Befüllung von Luftballons. Wenn es dann bei SpaceX bei einem so alltäglichen Gegenstand eine bemerkenswerte Anhäufung von Vorfällen, alleine vier zerstörte Starships bei Drucktests gibt, wie sieht es dann erst aus, bei den Dingen wo sie wirklich technisches Neuland betreten?

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