Die schwere Landung des Starships auf dem Mars (2)

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Ich möchte an meinen Beitrag vor einigen Tagen über die Landung des Starships (https://www.bernd-leitenberger.de/starship.shtml) auf dem Mars eingehen und sowohl auf einige Kommentare eingehen wie auch neue Aspekte herausarbeiten. Ich habe inzwischen meine Simulation erweitert und kann einige Fälle mehr durchrechnen. Doch ich will auch vermitteln, dass man zu einer qualitativ korrekten Beurteilung auch ganz ohne Simulation auskommt. Gut, etwas muss man rechnen, aber das kann man im Kopf oder auf dem Ta… Damit fange ich an, und zwar mit der Nutzung von Raketentriebwerken (https://www.bernd-leitenberger.de/raketentriebwerke.shtml) bei der Landung. Beim letzten Test IFT-10 dauerte die Zündung 15 Sekunden. In der Zeit verbrauchen die Triebwerke, wenn sie alle laufen würden, rund 30 t Treibstoff. Es sind jedoch nur anfangs drei und dann nur noch eines betrieben. Die beiden separaten Tanks haben 19 bzw. 17 m³ Volumen, was 21,8 und 7,1 t Treibstoff – zusammen also 28,9 t – entspricht. Das klappt, weil nach d… Auf dem Mars war das Starship nach meinen Simulationen jedoch viel schneller – 1.500 bzw. 2.000 m/s. Da braucht man mehr Treibstoff, und die Brennzeit ist viel länger. Das führt zu einem sich verstärkenden Feedback: mehr Treibstoff macht das Starship schwerer, damit wird es weniger abgebremst, und es braucht noch mehr Treibstoff, um die Restgeschwindigkeit abzubauen. Eine Simulation zeigt, dass es mit realistischen Treibstoffzuladungen kaum aerodynamisch abgebremst wird – man könnte im Prinzip auch dar… Das zweite ist, dass man nicht kurz vor der Oberfläche anfangen kann, die Triebwerke zu zünden. Man kann mit der einfachen Formel s = ½ a t² eine Abschätzung machen. Die gilt korrekt nur für lineare Beschleunigungen. Das kann sogar der Fall sein, wenn man die Astronauten nicht überfordern will. Aber selbst bei nicht linearen Beschleunigungen ist die Näherung nicht schlecht.


Oder man macht es sich einfach und schaut sich einen Starship-Test (https://www.bernd-leitenberger.de/starship.shtml) an: Da hat nämlich die erste Stufe Superheavy Brennschluss bei der Geschwindigkeit einer Marslandung – und das in 60 km Höhe. Das Schöne an der Physik ist ja, dass sie invariant gegenüber der Zeit ist. Ein Raketenstart läuft genauso ab wie eine Landung, wenn man das Video rückwärts abspielt. In 60 km Höhe wäre das Starship aber kaum abgebremst.

In der Summe ergibt sich: Wenn das Starship die Geschwindigkeit nur durch die Triebwerke abbauen müsste, würde die benötigte Treibstoffmenge die Masse übersteigen, die überhaupt in eine Marstransferbahn gelangt.

Die Parameter

Schauen wir mal, wie realistisch meine Annahmen für die Parameter sind. Ich fange mit dem Eintrittswinkel an. Apollo trat mit einem Winkel von 6° in die Atmosphäre ein, die Mars-Raumsonden mit 12° bis 15°. Dieser höhere Winkel ist ebenfalls leicht durch Nachdenken erklärbar. Sowohl bei Apollo wie auch bei den Raumsonden nähern sich die Raumschiffe mit einer Geschwindigkeit, die höher als die Kreisbahngeschwindigkeit ist. Sie werden abgebremst und dies muss so weit erfolgen, dass sie die Kreisbahngeschwindigkeit unterschreiten. Die Erde ist aber eine Kugel. Eine – in erster Näherung – tangentiale Bahn wird also einen minimalen Abstand erreichen und sich dann wieder entfernen. Hat sich die Raumsonde bis zum Erreichen des nächsten Punktes nicht genügend abgebremst und ist dann schneller als die Kreisbahngeschwindigkeit in dieser Höhe, so wird sie sich wieder entfernen.

Die Abbildung hier zeigt zwei Grenzfälle eines Starships, das mir 6 km/s sich nähert, einmal mit 11,5° und einmal mit 12°. Dieses halbe Grad macht einen enormen Unterschied aus, denn im ersten Fall nähert sich die Raumsonde bis auf 25,3 km und entfernt sich dann wieder. Auch diese niedrige Höhe zeigt, dass die Marsatmosphäre völlig anders ist als die Erdatmosphäre – ihre Dichte entspricht der der Erdatmosphäre in 60 km Höhe, wo normalerweise die höchste thermische Belastung vorliegt. Allerdings würde die Raumsonde diese Visite nicht lange überleben – sie hat nun nur noch eine Geschwindigkeit von 2,5 km/s, also weniger als die Kreisbahngeschwindigkeit von 3,5 km/s, und würde so nach weniger als einem halben Umlauf doch landen, nur eben woanders. Auch hier erhalten wir den Winkel, der für Raumsonden angegeben wurde, was für meine Simulation spricht.

Nebenbei bemerkt: Bei Apollo verwendete man dafür den Ausdruck „an der Atmosphäre abprallen“. Ich halte das für falsch; es ist ein Vergleich, der mich an das Werfen von Kieselsteinen über die Wasseroberfläche erinnert. Die können abprallen, was an dem enormen Dichteunterschied von Wasser zu Luft (Faktor ~800) liegt. Die Atmosphäre wird aber langsam dichter, da prallt nichts ab.

Also: Die Winkel von 12° bis 15° scheinen korrekt zu sein. Weitere Informationen zu Eintritten und Reentry-Analysen finden sich z. B. auf www.bernd-leitenberger.de. UIm eine maximale Abbremsung zu erhalten verwende ich nun den flachesten Winkel + 1 Grad Sicherheitsspielraum

cw‑Wert und Gleitzahl


Der entscheidende Parameter für die Abbremsung ist der Strömungsbeiwert (Drag coefficient), häufig als cw‑Wert abgekürzt. Streng genommen muss man zwischen dem cw‑Wert bei Überschall- und Unterschallgeschwindigkeit unterscheiden. Da es jedoch keine verlässlichen Werte für das Starship gibt, habe ich diese Unterscheidung nicht vorgenommen.

Man kann die Abschätzung auf zwei Arten angehen: durch den Vergleich mit anderen Raumschiffen und durch den Vergleich mit idealisierten geometrischen Formen.

Vergleich mit dem Space Shuttle

Das Space Shuttle hatte cw‑Werte von etwa 0,78 bis 0,84, abhängig vom Anstellwinkel. In meinem ersten Artikel habe ich mit einem günstigeren Wert von 0,6 gerechnet, nachdem eine Recherche Werte von 0,5 bis 0,7 ergeben hatte. Ich halte 0,6 als eine sinnvolle Annahme, weil das Starship im Vergleich zum Space Shuttle aerodynamischer gestaltet ist: keine Triebwerksverkleidungen und deutlich kleinere Flügel, die vor allem bei Schrägstellung viel Widerstand erzeugen.

Vergleich mit geometrischen Formen

Die Spitze des Starship ähnelt einem spitzen Kegel, der einen cw‑Wert von etwa 0,5 hat. Die Rumpfseiten entsprechen näherungsweise einem langen Zylinder mit einem cw‑Wert von rund 0,82. Falls das Starship mit den Triebwerken zuerst eintreten würde, wäre der cw‑Wert zwar besonders hoch, gleichzeitig aber auch die Gefahr einer Beschädigung groß — daher halte ich dieses Szenario für unwahrscheinlich.

Realistisch erscheint mir deshalb der angenommene Wert von 0,6. In der Simulation habe ich die gesamte Seitenfläche des Starship angesetzt; bei einem spitzen Eintrittswinkel würde die exponierte Fläche jedoch stark abnehmen, da der effektive Querschnitt mit dem Winkel sinkt. Zum Vergleich kann man trotzdem das obere Shuttle‑Limit von 0,84 durchspielen.

Gleitzahl (Lift‑to‑Drag)

Auch die Gleitzahl (lift‑to‑drag coefficient) ist ein zentraler Faktor. Beim Space Shuttle lag die Gleitzahl bei etwa 1,1 im Hyperschallbereich — Piloten berichteten, das Shuttle fliege „wie ein Backstein“. Sie stieg auf ca. 2 im Unterschallbereich und auf etwa 4 bei der Landung. Für das Starship werden Werte zwischen 2,5 und 3,0 genannt; ich habe das Mittel von 2,75 verwendet.

Simulation

Die folgende Simulation wurde mit den oben genannten „optimalen“ Werten durchgeführt (cw = 0,60; Gleitzahl = 2,75). Für Sensitivitätsanalysen empfiehlt es sich, insbesondere den cw‑Wert zwischen 0,5 und 0,84 variieren zu lassen, da hier die größte Unsicherheit besteht.

Parameter Wert Einheit
Himmelskörper Mars
Annäherungsgeschwindigkeit 6.000,0 m/s
Eintrittshöhe 105.000,0 Meter
Eintrittswinkel 12,000 Grad
Gleitzahl 3,000
Simulationsstopp 0,000 Meter
Startmasse 200.000,0 kg
Fläche 450,00
Luftwiderstandsbeiwert 0,840 (Unterschall)
Luftwiderstandsbeiwert 0,840 (Überschall)
Ergebnisse Ergebnisse
Landegeschwindigkeit 441,87 m/s
Dauer 423,99 sec
Letzte Höhe -0,008 Meter
Minimale Höhe -0,008 Meter
horizontale Distanz 1.078,0 km
Maximale Verzögerung 43,598 m/s²
cw max 0,044 kJ
cw max 0,000 kJ/kg
cw Max Höhe 23.265,0 Meter
cw Max v 4.344,7 m/s

und hier eine Simulation mit den etwas niedrigeren Werten im Bereich:

Parameter Wert Einheit
Himmelskörper Mars
Annäherungsgeschwindigkeit 6.000,0 m/s
Eintrittshöhe 105.000,0 Meter
Eintrittswinkel 14,000 Grad
Gleitzahl 2,500
Simulationsstopp 0,000 Meter
Startmasse 200.000,0 kg
Fläche 450,00
Luftwiderstandsbeiwert 0,780 (Unterschall)
Luftwiderstandsbeiwert 0,780 (Überschall)
Ergebnisse Ergebnisse Ergebnisse
Landegeschwindigkeit 1.238,9 m/s
Dauer 138,36 sec
Letzte Höhe -0,001 Meter
Minimale Höhe -0,001 Meter
horizontale Distanz 600,82 km
Maximale Verzögerung 82,506 m/s²
cw max 0,083 kJ
cw max 0,000 kJ/kg
cw Max Höhe 12.840,7 Meter
cw Max v 3.875,3 m/s

Eintrittswinkel und Treibstoffeffekt

Wir kommen auf insgesamt deutlich bessere Werte; der Haupteffekt ist der niedrige Eintrittswinkel, aber es besteht das Risiko, den Minimalwinkel — der nur 0,5° kleiner ist — zu unterschreiten. Nimmt man, wie bei Apollo, eine Sicherheit von 1° an, so kommt man auf eine Landegeschwindigkeit von 608 m/s.

Es sieht zunächst so aus, als könnte man diese Geschwindigkeit mit Triebwerken abbauen, jedoch macht der dafür benötigte Treibstoff das Starship schwerer, wodurch der Eintrittswinkel wieder erhöht werden muss. 60 t Treibstoff, die benötigt werden, bewirken eine Änderung der Landegeschwindigkeit von 400 m/s (Tendenz: Mehr Treibstoff → mehr Masse → höhere Geschwindigkeit/enger Winkel) — die erwähnte Negativspirale setzt ein.

Fallschirm als Lösung

Meine Ansicht nach ist die sinnvollste Lösung, analog zu vielen Marsraumsonden, einen Fallschirm einzusetzen. Der Fallschirm vergrößert die effektive Fläche und erzeugt hohen Luftwiderstand. Standard‑Fallschirme haben einen cw‑Wert von ca. 1,33. Bis zu 30 m große Schirme wurden gebaut. Der Fallschirm, der beim Stratosphärensprung von Baumgartner verwendet wurde, war ca. 30 m groß und wog 27 kg, trug aber nur 120 kg.

Für den Abwurf militärischer Nutzlasten werden 2–10 % der Nutzlastmasse als Fallschirmmasse genannt. Bei unserer angenommenen Gesamtmasse von 200 t entspricht 5 % in etwa 10 t Fallschirm‑Masse.

Parameter Wert Einheit
Himmelskörper Mars
Annäherungsgeschwindigkeit 6.000,0 m/s
Eintrittshöhe 105.000,0 Meter
Eintrittswinkel 12,600 Grad
Gleitzahl 3,000
Simulationsstopp 0,000 Meter
Startmasse 200.000,0 kg
Fläche 450,00
Luftwiderstandsbeiwert 0,840 (Unterschall)
Luftwiderstandsbeiwert 0,840 (Überschall)
Falschirmdaten Falschirmdaten
Auslösehöhe Fallschirm 3.500,0 Meter
Abwurfhöhe Fallschirm 500,00 Meter
Durchmesser Fallschirm 30,000
Luftwiderstandsbeiwert Fallschirm 1,330
cw x Fläche Fallschirm 470,06
Abwurfmasse 10.000,0 kg
Ergebnisse Ergebnisse
Landegeschwindigkeit 418,62 m/s
Dauer 277,91 sec
Letzte Höhe -0,001 Meter
Minimale Höhe -0,001 Meter
horizontale Distanz 844,04 km
Maximale Verzögerung 55,488 m/s²
cw max 0,056 kJ
cw max 0,000 kJ/kg
cw Max Höhe 19.444,3 Meter
cw Max v 4.124,4 m/s
Fallschirmphase Fallschirmphase
Geschwindigkeit bei Fallschirmöffnung: 719,43 m/s
Geschwindigkeit bei Fallschirmabwurf: 424,47 m/s
Aktuelle Masse: 190.000,0 kg

Auslösehöhe

Die Auslösehöhe ist schwer einzuschätzen. Auf der einen Seite sinkt die Landegeschwindigkeit umso mehr, je früher der Fallschirm ausgelöst wird; auf der anderen Seite ist die Auslösegeschwindigkeit umso höher, je früher ausgelöst wird. In meinem Beispiel steigt die Auslösegeschwindigkeit von 550 m/s auf 860 m/s zwischen 1 km und 4 km Höhe an. Ich habe 3,5 km wie bei Viking angenommen.

Knapp 420 m/s Landegeschwindigkeit sind aber immer noch zu hoch; da ich den Fallschirm in nur 500 m Höhe abtrenne, bleibt den Triebwerken kaum Zeit, dafür abzubremsen. Wenn ich den Abwurfzeitpunkt nach oben verschiebe, muss der Fallschirm noch früher ausgelöst werden — bei noch höherer Geschwindigkeit. Auch hier haben wir die Spirale von negativen Folgen.

Fazit

Auch mit optimierten Ansätzen bleibt das Ergebnis bestehen: Es gibt keine reelle Chance, dass ein Starship ohne weitere Maßnahmen wie einen sehr großen, entfaltbaren Schutzschild auf eine akzeptable Landegeschwindigkeit kommt. Man kann dies nicht mit der Erde vergleichen, wo das Starship vor der Landung rund 80 m/s schnell war.

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