Die IUS Oberstufe

So, heute will ich mal wieder einen informativen Blog bringen. Es geht um eine Oberstufe und ihre Geschichte: die IUS.

Als man das Space Shuttle konzipierte, war klar, dass es nur einen erdnahen Orbit erreichen konnte. Doch schon als es geplant wurde fanden die meisten Starts der Delta mit kommerziellen Nutzkasten in den GEO Orbit statt. Die Titan 3C transportiere USDAF Nutzlasten in diesen Orbit und die Intelsat IV Serie würde in wenigen Jahren mit der Atlas in den GEO Orbit befördert werden. Die NASA suchte auch nach einer Möglichkeit ihre Raumsonden mit dem Shuttle zu starten. Für all das braucht man eine Oberstufe.

also ging man dran eine zu konzipieren. Kurzzeitig dachte die NASA an einen Space-Tug. Das wäre eine Stufe auf Basis der Centaur gewesen (zumindest mit deren Triebwerken) die zwischen einem niedrigen Erdorbit und dem GEO Orbit pendeln sollte. Sie sollte auch fähig sein Satelliten aus dem GEO-Orbit zu bergen und zur Reparatur zum Shuttle zu bringen. Dort angekommen wäre sie eingefangen und zur erde zurückgebracht worden.

Für den Space Tug bekam die NASA keine Finanzierung, so suchte sie nach der nächstbesten Lösung. Diese war, existierende Stufen zu verwenden und eventuell an das Shuttle anzupassen. Es gab deren vier im NASA/DoD Arsenal:

  • Die Delta Oberstufe der Delta Trägerrakete mit den lagerfähigen Treibstoffen Aerozin/NTO
  • Die Transtage der Titan 3C mit derselben Treibstoffkombination (und auch denselben Triebwerken, nur zwei anstatt einem Triebwerk)
  • Die Agena die auf Thor, Atlas und Titan eingesetzt wurde. Sie setzte die Treibstoffkombination UDMH/Salpetersäure ein.
  • Die Centaur auf der Atlas und Titan 3E mit der Kombination LOXLH2

Boeing unterbreitete für eine neue Stufe auch den Vorschlag einer zweistufigen Feststoffrakete. Aus ihr sollte die spätere IUS entstehen. Die Grundidee war nicht so schlecht. Die obere, kleinere, Stufe war als Apogäumsantrieb gedacht, konnte aber auch alleine eine Nutzlast der Delta Klasse mit Apogäumsmotor in eine GTO-Bahn bringen. Die Unterstufe war als Perigäumsantrieb gedacht, konnte ohne Oberstufe auch eine Nutzlast der Atlas Klasse in einen GTO bringen. Für Hochenergiemissionen hätte man mehrere Unterstufen / Oberstufen kombinieren können oder eine weitere kleine Feststoffoberstufe hinzunehmen können.

Alle mit flüssigen Treibstoffen arbeitenden Stufen hatten Nachteile oder erforderten Entwicklungsaufwand. Der letztere ergab sich schon daraus, dass die Durchmesser zwischen 1,52 und 3,05 m lag, sie also nur einen Bruchteil des Shuttle Nutzlastraums ausfüllen würden, der 4,48 m Innendurchmesser hatte. So wäre entweder ein aufwendiges Befestigungssystem nötig oder man müsste die Stufen umkonstruieren, sodass die Treibstofftanks dicker waren, dafür sie aber kürzer. Die längste, die Centaur nahm mit 9,30 m Länge schon so mehr als die Hälfte des Nutzlastraums ein.

Delta und Agena waren nahezu gleich schwer auch Durchmesser und Länge waren vergleichbar. Die Delta hatte einen höheren spezifischen Impuls, die Agena war leichter. Sie waren daher vergleichbar. Sie konnten aber verglichen mit der Länge von 6 m nur kleine Nutzlasten transportieren. Die Agena z. B. nur 1.470 kg in den GEO Orbit. Dafür blockierten sie den größten teil des Nutzlastraums, wenn man noch den Satelliten hinzurechnete.

Das Wunschkind der USAF war die Transtage. Sie hatte einen Durchmesser von 3,05 m, war aber relativ kompakt und nur 4,57 m lang. Damit passte sie von allen Stufen am besten in den Nutzlastraum. Für die Air Force hatte sie den Vorteil, dass so Nutzlasten einfach von der Titan der größten US-Rakete auf das Shuttle als Nachfolger verschieben konnte.

Nur für die Centaur gab es schon Ausbaupläne, da aus ihr auch der Space Tug entstehen sollte. Der LH2-Tank sollte auf den Durchmesser der Shuttle-Nutzlastbucht vergrößert und verkürzt werden, der Sauerstofftank seinen Durchmesser von 3,05 m behalten und gestreckt. In der Summe hätte die Stufe so 50% mehr Treibstoff aufnehmen können und wäre trotzdem 43 cm kürzer gewesen.

Bei näherer Betrachtung waren alle flüssigen Stufen mit einem Makel behaftet: Sie machten Betankungsvorrichtungen in der Shuttle Nutzlastbuch notwendig. Dazu kamen Entlüftungsvorrichtungen, weil mit Ausnahme der Agena auch bei den lagerfähigen Stufen ein Überdruck entstehen konnte wenn der Treibstoff zu warm wurde. Flüssige Treibstoffe konnten schwappen (beim Aufstieg nicht gerade angenehm) und im Falle eines Startabbruchs war es schwierig, den Treibstoff abzupumpen.

So verwundert es nicht, dass die Boeing Lösung mit reinen festen Stufen doch mehr und mehr favorisiert wurde. Sie war von der Nutzlast her den anderen Stufen unterlegen (die spätere IUS sollte 2.270 kg in einen GEO bringen, eine verbesserte Agena mit Zusatztanks 2.950 kg und eine Centaur 6.360 kg. Doch zu dieser Zeit, in den frühen siebziger Jahren war man ja noch von einem billigen Shuttle-Start überzeugt. Da wäre dies verschmerzbar, sofern die Nutzlast ausreichen würde, gäbe es eben einfach mehr Starts. Da die Titan 1.600 kg in den GEO brachte war schon die IUS um 50% leistungsfähiger.

Nur die NASA war skeptisch. Für mindestens zwei Planetensonden brauchte man eine Stufe die hohe Geschwindigkeiten erreichte, und das war mit der IUS nicht möglich. Boeing schlug daher drei und sogar vierstufige Versionen vor, indem man die IUS Stufen mehrmals hintereinander schaltete. Da das DoD bereit war die IUS Entwicklung zum größten Teil zu finanzieren stimmte die NASA zu. Später sollte sie ihre Meinung noch ändern und die Centaur Prime zusätzlich entwickeln. Die Favorisierung einer festen Oberstufe wurde am 4.9.1975 angekündigt.

Doch der Auftrag musste ordentlich ausgeschrieben werden. Boeing reichte das IUS Konzept erneut ein, das damals die Abkürzung für „Interim upper stage“ war. Die Firma gewann den Auftrag erneut im August 1976. Die IUS hatte eine besondere Eigenschaft: sie war als erste Oberstufe mit festen Treibstoffen dreiachsenstabilisiert. Dazu gab es in der zweiten Stufe einen Bordcomputer mit einem Inertialsystem und ein System von Hydrazintriebwerken und Hydrazin. Mit ihm wurde die Stufe auch während der Freiflugphase von bis zu 6 Stunden stabilisiert. Das machte die zweite Stufe schwer und teuer. Die damaligen Kommunikationssatelliten waren spinstabilisiert. Bei den wenigen Kommunikationskanälen, die sie hatten, reichte es den Zylinder an der Außenseite mit Solarzellen zu bedecken und den Satelliten in eine schnelle Rotation zu versetzen. Die IUS war für sie ungeeignet und zudem war sie dadurch teurer als nötig und die Nutzlast kleiner als möglich. Es wurden Studien für zwei Stufen genannt SSUS (Sold-Spinning Upper stage) vergeben. Die erste, SSUS-D sollte für Nutzlasten der Delta Klasse eingesetzt werden und würde neu entwickelt. Die zweite SSUS-A war für Nutzlasten der Atlas Klasse vorgesehen und sollte aus der dritten Stufe der Minuteman entwickelt werden. Die letztere wurde später gestrichen, die erstere als PAM-D (Payload Assistant Module-Delta) entwickelt und nicht nur auf dem Space Shuttle, sondern auch der Delta eingesetzt. Ihre Entwicklung wurde Ende 1976 beschlossen. Im Laufe des Jahres 1977 beschloss das DoD die IUS auf der neuen Titan 34D einzusetzen. Das machte den Übergang von den Wegwerfraketen zum Shuttle einfacher. Eine Nutzlast konnte so, wenn das Shuttle irgendwelche Probleme hatte mit der Titan gestartet werden und umgekehrt. Damit war die IUS aber auch keine Zwischenlösung mehr und im Dezember 1977 wurde der Name in „Interim Upper Stage“ geändert.

Die IUS war in vielem rekordverdächtig. so konnte um die Stufe unterschiedlich schweren Nutzlasten anzupassen, der Treibstoff bis auf 50% der Masse weggelassen werden („off-loading“). So etwas gab es auch bei anderen Feststoffstufen, dort jedoch meist begrenzt auf 10%. Das Gehäuse bestand aus gewebten Kevlarfasern anstatt Stahl. Die Brenndauer der ersten Stufe von 145 s war ein neuer Rekord. Die zweite Stufe verfügte erstmals über eine ausfahrbare Düse, das das Expansionsverhältnis von 45 auf 181 vergrößerte.

Allerdings gab es auch Probleme. So war Boeings Ansatz derer zweiter Bordcomputer mit einem dritten als Stand-By. Das schien ausreichend für eine Stufe die maximal einige Stunden in Betrieb war. Doch die Air Force wollte eine höhere Zuverlässigkeit und so verlange sie drei Computer in einem „Voting-System“, drei sollten gleichzeitig laufen und falls einer abweichende Ergebnisse hatte sollten die anderen beiden ihn überstimmen. Das war wesentlich aufwendiger, da sich die Rechner nun regelmäßig synchronisieren und Rechenergebnisse austauschen mussten. Die Software war zudem zu umfangreich. Die Rechner hatten 64 KWorte Speicher (65.536 Worte), die Software war aber im August 1979 70.415 Worte. Ein Umschreiben reduzierte sie im Oktober auf 66.629 Worte. Es schien möglich sie bis auf 61.144 zu reduzieren, doch das war immer noch höher als die Anforderungen die noch einen Buffer von 10% liesen. TRW als Softwareentwickler bekam daher den Auftrag, die gesamte Software neu zu schreiben, was die Kosten erhöhte und den Zeitplan unter Druck brachte. United Alliance, verantwortlich für die Antriebe, hatte dagegen Probleme mit den Düsen und auch der Befüllung des großen Motorgehäuses. Alles zusammen lies die Kosten ansteigen.

Im April 1978 hatte der erste Kontrakt einen Umfang von 263 Millionen Dollar für die Entwicklung. Ende 1979 wurde der Vertrag nach Massiven Budgetüberschreitungen nochmals abgeschlossen, diesmal aber mit einem Umfang von 432 Millionen Dollar. Weitere Änderungen liesen die Kosten weiter steigen und im Juni 1981 wurde der Vertrag erneut neu ausgehandelt. Die Regierung würde mindestens 506 Millionen Dollar zahlen und falls Boeing ein Minus machen sollte bis 700 Millionen Dollar zubuttern. die dreistufige IUS Version, welche die NASA für Galileo brauchte, sollte weitere 179 Millionen Dollar kosten, 50% mehr als die NAA veranschlagt hatte. Der NASA war dies zu viel und sie nahm die Entwicklung der Centaur auf, die auch die Anforderungen für das Space Shuttle reduzierte, das mit der IUS Galileo nur in zwei Teilen mit getrennten Flügen und maximalem Schub, einem noch zu entwickelten leichtgewichtigen Tank und ausbauten bei den Orbitern starten konnte.

Die Kostensteigerung war auch beiden Stufen gegeben. Die ersten vier, die bestellt wurden sollten zusammen 64,6 Millionen Dollar kosten. Tatsächlich kostete das erste Exemplar 50 Millionen Dollar. Der Prototyp war teurer als die Serienexemplare, doch auch die kosteten 1983 noch 30,6 Millionen pro Stück. Damit war die IUS als Feststoffoberstufe teurer als eine Centaur D die damals 24 Millionen Dollar kostete. 1984 kosteten sechs weitere bestellte Exemplare 277 Millionen Dollar, also 46,4 Millionen pro Stück.

Die IUS war damit eine teure Stufe und wurde nur für US-Regierungsnutzlasten auf dem Shuttle und der Titan eingesetzt. 1982 startete das erste auf einer Titan. Ihm gingen zwölf Probezündungen am Boden voraus, Das letzte Exemplar von 23 Stück startete 1999. 15 starteten mit dem Space Shuttle, sieben mit der Titan 4 und eines mit der Titan 34D. Aus der ersten Stufe wurde noch die TOS entwickelt, bei der man das Lagereglungssystem von der zweiten auf die erste Stufe transferierte. Von ihr wurden nur zwei Exemplare gefertigt. Die Antriebe wurden öfters eingesetzt. Der Orbus 21 der ersten Stufe wurde auch als Perigäumsantrieb der Intelsat VI Serie einsetzt. Eine Variante des Orbus 6, der zweiten Stufe, der Orbus 7 wurde als Perigäumsantrieb für einige kommerzielle Kommunikationssatelliten die 1984/85 an Bord des Shuttles und 1990 an Bord von Titan starten genutzt. Ein Restexemplar ist die dritte Stufe der Super-Strypi, der neuesten US-Trägerakete.

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