Epidemiesplitter

Als kleinen Zwischenblog – aus aktuellem Anlass – mal wieder meine Meinung zur Codiv-19 Epidemie. Das Positive zuerst: ich erlebe zum ersten Mal, das sich Politiker mit kleinen Ausnahmen wie Johnson, Trump und Bolsonaro sich nach den Empfehlungen von Wissenschaftlern richten und das, obwohl diese ziemlich radikal sind. Bei dem Kohleausstieg sah das bei uns noch ziemlich anders aus, obwohl die Forderungen viel kleiner waren.

Doch sobald sich die Situation zu bessern scheint oder wenn die Politik meint, eigene Entscheidungsspielräume zu haben baut sie wieder Mist. In Frankreich gibt es eine totale Ausgangssperre, doch da man ab und an schon das Haus verlassen muss – auch als nicht Hundehalter – so gibt es je nach Bezirk „Freigang“ für einige Stunden, meist morgens oder abends und dann sind eben alle draußen. Da die Polizei das sowieso überwacht, wäre es doch viel einfacher das nach dem Anfangsbuchstaben des Namens zu machen so was wie „von 7 bis 13 Uhr Buchstaben A bis I“ und den Bereich dann täglich zu wechseln, sodass jeder mal zu seiner Lieblingszeit dran ist. Bei uns sind es die Lockerungen, die ab dem 4.5. eintreten sollen. In der Diskussion. Über eine Empfehlung der Experten habe ich mich allerdings gewundert: dass man zuerst die unteren Klassen öffnen soll. Ich bin hier 100 % auf der Linie der Politik: Wenn, dann können eher ältere Jugendliche mit verordneten Mindestabständen oder anderen Maßnahmen wie Desinfektion umgehen als Grundschüler. Zudem haben die ja noch Jahre Gelegenheit den Stoff aufzuholen. Wie das allerdings in der Praxis gehen soll, frage ich mich. Ich glaube nicht, dass in den Schulen es mehr Platz gibt als zu meiner Schulzeit. Wenn ich meine Erfahrung als Basis nehme, dann dürften maximal die Hälfte der Schüler in die Klassenzimmer um die Mindestabstände einzuhalten. Das Problem des begrenzten Platzes in Pausenhöfen, Gängen und Toiletten könnte man mit versetztem Beginn der Schulstunden lösen. Doch wenn sowieso nur die Hälfte der Schüler zur Schule gehen können, wird man sich sowieso beschränken müssen. Von der begrenzten Lehrerzahl mal ganz zu schwiegen.

In der Diskussion sind vor allem die Lockerungen bei Geschäften. Läden bis 800 m² Fläche dürfen öffnen, Gastronomie nicht, dafür Autohäuser und Fahrradläden. Also ich verstehe das nicht. Meiner Erfahrung nach ist es leerer in großen Geschäften, dort hat man viel mehr Platz und es ist viel leichter, den Mindestabstand einzuhalten. Im Supermarkt ist das fast unmöglich, schon alleine, weil die Gänge nicht so breit sind, dass man an jemanden vorbei kann, ohne den Mindestabstand zu unterschreiten, und man kann nicht warten, bis jeder der vor einem ist, sich bedient hat, zumal einem ja auch dauernd andere entgegenkommen. In NRW gibt es nun eine landesspezifische Regelung für Möbelhäuser. Begründung: Diese Industrie sei für NRW so wichtig, wie die Automobilindustrie woanders. Das wurde kritisiert. Doch ich sehe es anders, denn es geht doch darum die Epidemie einzudämmen, nicht um abstrakte Verbote. Ich habe noch nie in Möbelhäusern viele Leute gesehen. Die brauchen viel Fläche für ihre Ausstellungstücke und nicht für Waren, die man mitnimmt wie andere Geschäfte.

Meine Ansicht: man sollte die Aufhebungen und Einschränkungen regional und vor Ort entscheiden. Das heißt: im Prinzip darf jeder öffnen, der bestimmte Regeln einhält, wie Mindestabstand, Desinfektion, Schutzmasken. Das wird immer noch Einbußen bedeuten – in der Gastronomie dürften sich wohl die Zahl der zur Verfügung stehenden Platze halbieren, aber es generiert immerhin Umsatz und es bedeutet für mehr Menschen wieder etwas Normalität. Die Psychologie ist ja auch wichtig. Die Umsetzung der Maßnahmen kann man durch das Ordnungsamt und die Polizei vor Wiedereröffnung kontrollieren und über die spätere Einhaltung muss man sich keine Sorgen machen – die Epidemie hat zu einer rapiden Zunahme von „Hinweisen“ an die Polizei über angebliche und echte Verstöße gegen die Maßnahmen geführt. Die Maßnahmen wurden ja jetzt über die Länder hinweg koordiniert. Vorher hatten sich Medien über die unterschiedlichen Regelungen in verschiedenen Bundesländern lustig gemacht. Aber was dabei vergessen wird: es sind die Bundesländer auch unterschiedlich stark betroffen. BW und Bayern am stärksten, weil über die Faschingsferien viele in Südtirol waren, wo sie sich mit dem Virus infiziert haben. Das macht eben die örtliche Nähe zu Österreich aus. Je weiter man nach Norden kommt, desto entspannter wird die Situation.

Ganz unverständlich ist für mich das nun Automobilfirmen ihre Produktion hochfahren wollen. Also wenn ich die Bilder von der Produktion vergegenwärtige, dann arbeiten dort Hunderte bis Tausende eng zusammen und die können bei der Fließbandfertigung kaum den Mindestabstand einhalten. Unter den Umständen kann sich eine Epidemie schnell ausbreiten. Die Branche fordert übrigens wie 2008 eine Abwrackprämie, nun „ökologische Abwrackprämie“ genannt. Meine Meinung: eine Industrie, die es 30 Jahre nach dem Kyotoprotokoll nicht fertigbringt ihre Produkte ökologisch zu gestalten, die seit Jahren es schafft, das EU-Grenzwerte nicht gesenkt werden, (vor allem durch deutsche Vetos) und die bei jeder Krise Staatssubventionen braucht, sollte man den Bach runter gehen lassen. Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Fass ohne Boden (ja das abwandelte Sprichwort ist so gemeint) und das bei einem Klimaziel von Null Kohlendioxidemissionen es ein Unding ist Unmengen an Energie zu verbraten um 1,8 t zu bewegen die nur 0,1 t echte Nutzlast haben, dürfte jedem klar sein.

Eine andere Sache ist, dass bei dieser größten Krise, die wir jetzt haben, jeder Verband meint, noch Pfründe verteidigen zu müssen. So Verbände von Lehrern und Eltern, die sich sorgen über die Abschlussprüfungen und ihre Qualität machen. Nichts gegen die Sorgen und Forderungen, aber das ist jetzt ehrlich ein kleines Problem, zumal die Schulnote auf dem Abizeugnis nur wenig über die Qualifikation aussagt. Ich finde das auch unter dem Gesichtspunkt das man es trotz Globalisierung und vermehrter Mobilität der Bevölkerung man es immer noch nicht fertiggebracht hat, die Standards der Bildung und Prüfungen in den Bundesländern anzugleichen ziemlich frech. Oder andres ausgedrückt: ich denke, wenn jemand komplett ohne Prüfung nach der 13 Klasse in Bayern oder BW die Schule verlässt er sicher mehr in den 12 Jahren gelernt hat als in 13 Jahren mit Abiprüfung in NRW oder Berlin.

Immerhin: die Situation ist bei uns noch gut. Wenn ich in den Nachrichten Bilder aus den USA und Brasilien sehe, wo Menschen in Schlangen anstehen, um Lebensmittel abzuholen, weil beide Länder kein System etabliert haben die Menschen auffängt, wenn sie keine Arbeit mehr haben, dann muss ich mir nicht ausmalen, wie sich dort die Infektion schnell weiter ausbreitet.

Was alle gerne vergessen ist: so gern wir uns angesichts immer weniger neuen Fällen pro Jahr und steigender Verdopplungszeit und sinkender Neuansteckungsquote auf die Schultern klopfen: damit ist das Problem zwar in Griff aber nicht gelöst. Es heißt nur, dass wenn wir so weiter machen, das medizinische System mit der Epidemie zurechtkommt. Doch das heißt auch, das wir diese Maßnahmen so lange aufrechterhalten müssen, bis es eine Herdenimmunität gibt, das soll bei 60 bis 70 % geimpften oder Infektierten der Gesamtbevölkerung der Fall sein, wir reden also von rund 50 Millionen Menschen, das bedeutet, dass es bei 3.000 neuen gemeldeten Fällen pro Tag so rund 45 Jahre dauern würde. Daher liegen ja auch die Hoffnungen auf einem Impfstoff, doch der soll nach Experten erst in einem Jahr zur Verfügung stehen. Sollte es Medikamente geben, die den Krankheitsverlauf mildern, dann könnten es mehr Fälle geben und die Maßnahmen gelockert werden. Von beidem sind wir aber weit entfernt und so sollte man sich nicht auf weitere Wochen, sondern eher weitere Monate der Einschränkungen vorbereiten, wenn die Politik nicht irgendwann nervös wird und diese wieder herunterfährt und eine zweite Pandemiewelle riskiert.

Was mich persönlich wundert, ist das die Wissenschaft so spät die „Dunkelziffer“ ermittelt. Erst letzte Woche habe ich von einer wissenschaftlichen Untersuchung gehört, in der man 4.500 Personen zufällig ermittelt über ein Jahr auf Infektionen untersuchen will. Wer heute als infiziert erfasst ist, der wurde erfasst, weil er entweder Kontakt zu einem Infizierten hatte oder weil er Symptome hatte und sich gemeldet hat. Wir wissen nicht, wie viele die Infektion durchgestanden haben, ohne erkrankt zu sein, noch bedeutsamer: Der Test erfasst nur Viren im Blut. Er erfasst nicht Antikörper. Die werden gebildet, wenn man die Infektion überstanden hat, als Immunantwort auf die Infektion. Ein Antikörpertest würde informieren über eine überstandene Infektion. Beide Zahlen sind wichtig. Wenn man weiß, dass es (nur als Zahlenbeispiel, die echten Werte sind ja unbekannt) nicht 130.000 infizierte gibt, sondern es 500.000 sind und es 1 Million gibt, die schon genesen sind und sich nie gemeldet haben, dann reden wir von anderen Skalen. Vor allem Zeitskalen, denn die 50 Millionen, ab denen die Herdenimmunität greift, sind dann viel schneller erreicht. Für die zeitliche Befristung der Maßnahmen sind diese Daten unabdingbar und man hätte sie schon viel früher ermitteln sollen. Vielleicht nicht in Deutschland, aber in China.

Was klar ist: die Büchse der Pandora wird man nicht mehr schließen können. Selbst wenn man immer weniger neue Fälle hat und sie irgendwann gegen Null gehen, wie dies China anstrebt. In einem freien Land wird man nie verhindern können, das das Virus dann aus dem Ausland nicht hereingeschleppt wird, außer man will jeden Grenzverkehr über Jahre komplett einstellen.

Für mich zeigt sich aber auch ein anderer Punkt, der in der Diskussion gerne untergeht: Die Covid-19 Epidemie, wie auch zuvor SARS und der Ebola Ausbruch in Zentralafrika entstanden, weil Wildtiere auf heimsichten Märkten angeboten wurden als „Wildfleisch“ und die Viren sind vom Tier auf den Mensch übergesprungen. Wir reden gerne von dem Schutz der letzten noch nicht vom Menschen zerstörten Regionen, doch gerade diese Beispiele zeigen: das greift nicht: Menschen beuten diese Reservate aus, selbst wenn sie nicht abholzt, werden, so werden Tiere gefangen. Angesichts der weltweiten Folgen der Covid-19 Epidemie gibt es für mich nur eine Folgerung: Wenn die Regierungen in den Ländern wo diese Epidemien entstanden nicht gegen diese Praxis vorgehen, dann muss man rigide Kontrollen machen bei jedem, der von dort kommt, egal ob nur dorthin gereist oder Einheimischer: Es wird getestet und es muss ein Test vorgelegt werden, der die Inkubationszeit abdeckt, sodass man sicher sein kann, dass derjenige nicht infiziert ist. Und das müsste noch im Ursprungsland geschehen, sonst darf er kein Flugzeug besteigen.

8 thoughts on “Epidemiesplitter

  1. Liebe Bayern, überschätzt bitte Euer Bildungssystem nicht dauernd so massiv.

    Logik können auch Menschen mit Abitur. Wenn jemand einen Virentest macht und erst nach positivem Ergebnis, nach Abschluss der Dauer der Inkubationszeit reisen darf, wer garantiert, dass wärend der vermeintlichen Inkubationszeit keine Ansteckung erfolgt ist, die noch in ihrer tatsächlichen Inkubationszeit liegt und somit noch nicht nahweissbar ist?

    Mein Tipp: bleib bitte bei Raketen. Vega für Marsmissionen war brilliant!

    1. Korrekturmodus (Klugscheißmodus) an:
      Logik können auch Menschen ohne Abitur. Wenn jemand einen Virentest macht und erst nach negativem Ergebnis nach ….
      Korrekturmodus (Klugscheißmodus) aus.

      War der Text eventuell so gemeint?

      Gruß aus Bayern, Ralf mit Z

  2. Die Frage ist, wie nachlässig solche Vorschriften eingehalten werden. Und wenn sich Jemand erst auf dem Weg zum Flugzeug infiziert, ist die ganze vorher erfolgte Quarantäne nutzlos.

    1. Okay ich revidiere das Konzept. Jeder der ankommt wird für die Inkubationszeit von 14 Tagen isoliert, unabhängig vom Test. Sinn der Maßnahme ist ja nicht dass man sie durchführt, sondern das sie Druck auf die Länder ausübt bei denen dieser Wildtierhandel und die Umweltzerstörung gängig ist. China dürfte angesichts der ökonomischen Folgen ein eigeninteresse haben. Bleiben dann noch einige zentralafrikanische Länder zu denen wenige reise bzw. von diesen kommen.

      Ich darf daran erinnern, das die Heimkehrer von Wuhan ja auch erst mal 14 Tage in Quarantäne kamen unabhängig ob sie infiziert waren oder nicht und anders als diese wüsste jeder der dorthin reist oder von dort einreist vorher was iohn erwartet.

  3. Wildtiere, also bei uns Hase Kaninchen, Rehe, Wachteln, Fische… sind nicht anders zu bewerten als Springböcke, Okapi etc. Was war mit dem Rinderwahnsinn. Warum sollte kein Virus per Insekt oder Pflanze auf den Menschen übertragbar sein?

    Also keine Schnellschüsse, sondern Gesundheitssystem mit Reserven aufbauen, weniger Fernreisen (Telekonferenz geht ja auch). Weniger globalisierte Produktion.

    1. Das das Virus durch Wildtiere übertragen wurde und dies gekoppelt mit Wildtierhandel und dem Eindringen in Gebiete die vorher unberührt waren ist wissenschaftlich gesichert und allgemein, sogar von der AfD akzeptiert. An Viren die von unseren Wildtieren kommen sind wir nach einigen Tausend Jahren des Kontakts wohl angepasst.

      1. Sehr lustig Bernd, Du schreibst: „An Viren die von unseren Wildtieren kommen sind wir nach einigen Tausend Jahren des Kontakts wohl angepasst.“
        Du meinst also einige Tausend Jahre des Kontakts sind ausreichend, um sich an die Viren der Wildtiere anzupassen. Warum soll das aber nur für „uns“ gelten?
        Mit anderen Worden: Kannst Du auch erklären, warum die Chinesen sich während der letzten einigen Tausend Jahren nicht an die Viren, die Chinesischen Tiere befallen, angepasst haben, obwohl dies „uns wohl gelingt“?
        Viele Grüße
        Gregor Piffczyk

        1. Das ist keine Meinung das ist eine Tatsache. Als Amerika entdeckt wurde starben dort etwa 80 bis 90 % der indogenen Bevölkerung an von Europa eingeschleppten Infektionskrankheiten wie Masern oder Pocken an die die Bevölkerung nicht angepasst war. Inzwischen sterben dort auch unter den Indios keine 80 bis 90 % mehr und das in weniger als 500 Jahren …

          Kannst aber auch gerne in der Fachliteratur nachlesen. Wahrscheinlich sind beim ersten Kontakt vor etlichen Tausend Jahren auch bei uns viele gestorben, nur die die überlebten hatten eine bessere Immunantwort.

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