Die größten Rätsel in der frühen Erdgeschichte (1)

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Wir wissen immer noch sehr wenig über einen Großteil der Geschichte der Erde. Sie entstand vor 4,6 Milliarden Jahren. Bis vor 600 Millionen Jahren – also über den größten Teil dieser Zeit – gibt es kaum Fossilienfunde, und auch alte Gesteine werden umso seltener, je weiter man in der Zeit zurückgeht. In diesem zweiteiligen Blog möchte ich einige offene Fragen oder Rätsel dieser frühen Epoche diskutieren. Wie öfters wurde der Artikel zu lang, sodass ihr heute Teil 1 seht, morgen dann Teil 2.

Die Bildung der Ozeane

Heute bedecken Ozeane rund 70 Prozent der Erdoberfläche, und sie sind im Mittel etwa 4 km tief. Zum Vergleich: die mittlere Höhe der Landmassen über dem Meeresspiegel beträgt nur etwa 800 m. Schaut man auf unsere erdähnlichen Nachbarn, so sieht es dort anders aus. Mond und Merkur haben überhaupt kein Wasser, der Mars nur sehr wenig, und die Venus keines, da es auf ihrer Oberfläche viel zu heiß ist.

Für Merkur und Mond ist die Erklärung relativ einfach: Diese Körper sind zu klein, um Wasser dauerhaft halten zu können. Beim Mars findet man Spuren von flüssigem Wasser, doch er verlor seine Atmosphäre, wodurch er Wasser nicht mehr in flüssiger Form halten konnte. Auswertungen von Marssonden und Simulationen ergaben, dass die globale Dicke der Wassersäule einmal bei etwa 140 m lag.

Die Venus muss nach Isotopenanalysen früher viel Wasser enthalten haben. Die Ergebnisse gehen von rund 3 km globaler Wassersäule aus – ein nahezu identischer Wert wie auf der Erde. Doch da die Venus zu nah an der Sonne lag, kam es zu einem sich selbst verstärkenden Treibhauseffekt. Schließlich reagierte das Wasser mit Gesteinen und bildete Oxide, wobei Kohlendioxid freigesetzt wurde, das bis heute die Atmosphäre dominiert. Die Venusatmosphäre wiegt 4,8 × 10^20 kg; zum Vergleich: Das gesamte Wasser auf der Erde wiegt etwa 1,4 × 10^21 kg, also nur rund das Dreifache. Würde man alles Wasser der Erde zu einer Kugel formen, hätte diese einen Durchmesser von 1.388 km – in etwa so groß wie der Saturnmond Iapetus. Gemessen an der Gesamtmasse der Erde beträgt der Anteil des Wassers jedoch nur 0,23 Promille.

Heute geht man davon aus, dass das Wasser zum größten Teil schon von Anfang an vorhanden war, denn die meisten Gesteine enthalten gebundenes Wasser, sogenanntes Kristallwasser. Gehen Verbindungen durch Erhitzung in andere Kristallformen über, so geben sie oft dieses Wasser ab. Ein kleines Beispiel: Calciumsulfat kommt als Anhydrit ohne Kristallwasser vor und als Gips mit zwei Molekülen Kristallwasser pro Calciumsulfatmolekül.

Weiteres Wasser könnten Kometen und Asteroiden gebracht haben. Früher vertrat man die These, dass diese Einschläge – vor allem von Kometen – die Hauptquelle der Ozeane gewesen wären. Doch das scheidet aus: Ein Kometenkern ist nur wenige Kilometer groß. Bei durchschnittlich 2 km Durchmesser wären rund 175 Milliarden Kometen nötig gewesen, um die heutigen Ozeane zu bilden.

Bedingt durch die Schwerkraft sanken schwere Verbindungen wie Eisen ins Innere ab, während leichtere Verbindungen und Wasser aufstiegen. Auch Gips hat eine um 0,6 g/cm³ geringere Dichte als Anhydrit. So wurde Wasser an die Atmosphäre freigesetzt. Bis heute geben Vulkane Wasser an die Atmosphäre ab. Mineralogische Untersuchungen ergaben, dass es seit mindestens 3,8 Milliarden Jahren flüssiges Wasser auf der Erde gab. Zuvor existierte nur eine extrem dichte Atmosphäre, die zu 80 % aus Wasserdampf, 10 % Kohlendioxid und 5–7 % Schwefelwasserstoff bestand; der Rest war größtenteils Stickstoff. Stickstoff ist äußerst reaktionsträge und der einzige Bestandteil, der sich über Äonen kaum verändert hat. Wie stark die Dichte der Uratmosphäre abnahm, erkennt man daran, dass Stickstoff heute 80 % der Atmosphäre ausmacht. Man nimmt an, dass der Druck der Uratmosphäre etwa 10 Bar betrug. Allerdings entspricht dies nur etwa einem Tausendstel der heutigen Wassermenge. Woher der Rest kommt, ist bis heute ein Rätsel.

Die Ozeane entstanden vor rund 4 Milliarden Jahren. So alt sind die ältesten Zirkonkristalle, die gebundenes Wasser enthalten – sie wurden also im Wasser gebildet. Berechnungen und geochemische Analysen legen nahe, dass die Wassermenge damals schon ähnlich groß war wie heute. Damit sich die gesamte Atmosphäre ausregnen konnte, muss es zehntausende Jahre lang ununterbrochen geregnet haben.

Das Salz der Ozeane entstand durch Chlorwasserstoff (Salzsäure), der ein Bestandteil von vulkanischen Gasen war. Salzsäure ist äußerst aggressiv und trägt stark zur Verwitterung von Gesteinen bei. Vor allem Kalium und Natrium – die beiden häufigsten Alkalielemente der Erdkruste – wurden dadurch gelöst. Andere Elemente wie Magnesium oder Calcium sind nicht so gut wasserlöslich. Zeolithe, bestimmte Gesteine, können sehr gut Kalium binden, sodass vor allem Natrium übrig blieb.

Die Entstehung des Lebens

In den fünfziger Jahren führten Stanley Miller und Harold Urey ein berühmtes Experiment durch: Sie schlossen in einem Kolben Wasser und eine Gasmischung ein, die sie für die Zusammensetzung der frühen Erdatmosphäre hielten, und setzten sie elektrischen Entladungen aus. An den Kolbenwänden bildete sich ein brauner Belag, in dem zahlreiche organische Moleküle – darunter einfache Aminosäuren und Zucker – nachgewiesen werden konnten. Dieses Experiment wurde seither oft wiederholt – mit anderen Gasen, anderer Energiezufuhr oder mit Gesteinen als Katalysator – und führte zur Entdeckung weiterer Verbindungen.

Das führte zunächst zur Euphorie, dass man so die Entstehung von Leben erklären könne. Mittlerweile herrscht jedoch Ernüchterung. Zum einen entstehen bei allen Experimenten keine komplexeren Moleküle, und sie verbinden sich auch nicht zu Makromolekülen. Weiterhin gibt es von den meisten Biomolekülen – wie Zucker oder Aminosäuren – zwei Formen (Stereoisomere). Die Natur verwendet jedoch stets nur eine Form und ignoriert die andere. Organismen können die falsche Form nicht einmal verdauen. Auch synthetisieren sie ausschließlich diejenige Form, aus der sie selbst bestehen. Im Miller-Experiment entstehen dagegen immer beide Isomere zu gleichen Teilen.

Das grundlegende Problem der Entstehung des Lebens ist, dass es gesicherte Nachweise für Leben vor 3,5 Milliarden Jahren gibt. Indizien deuten sogar auf Leben vor 3,77 Milliarden Jahren hin – also nur etwa 200 Millionen Jahre nach der Bildung von flüssigem Wasser und zeitgleich mit den ältesten erhaltenen Gesteinen. Leben entstand also sehr früh, nachdem Wasser flüssig geworden war. Ohne flüssiges Wasser ist die Bildung von Leben nicht denkbar. Wie es jedoch von einfachen organischen Verbindungen zu ersten Stoffwechselvorgängen und schließlich zur Selbstreplikation kam, ist nach wie vor ein Rätsel. Heute vermutet man, dass die erste lebende Zelle aus einer Lipidmembran entstand – diese Doppelschicht kann sich unter bestimmten Umständen von selbst bilden – in Kombination mit einem DNA- oder RNA-Stück, das sowohl Erbinformationen enthielt als auch enzymatisch aktiv war.

Ebenso ist umstritten, wo das Leben entstand. Die verbreitetsten Hypothesen sind kleine Tümpel in der Brandungszone – einerseits geschützt, andererseits durch die Flut ständig mit neuen Nährstoffen versorgt – oder vulkanische Schlote in der Tiefsee, die auch heute noch eine eigene Fauna und Flora beherbergen. Da man in Meteoriten ebenfalls organische Moleküle gefunden hat, vermuten andere, das Leben sei von außen gekommen. Dies verlagert das Problem jedoch lediglich auf einen anderen Entstehungsort.

Ein weiteres Rätsel ist, dass sich zwar sehr früh Leben bildete, es sich aber über Milliarden Jahre hinweg kaum weiterentwickelte. Man sollte meinen, dass Organismen, die Energie aus der Umwelt beziehen und sich vermehren können, auch schnell evolutionär voranschreiten. Heute können das Bakterien sehr gut – wie man am Beispiel von MRSA (einem Krankenhauskeim) sieht, gegen den die meisten Antibiotika nach weniger als 100 Jahren bereits unwirksam sind. Immer überlebten einige resistente Keime, die sich vermehrten und die Resistenz auch auf andere Staphylokokken übertrugen.

Die frühe Entdeckung der Photosynthese

Das erste Leben wird als chemoautotroph angesehen. Dabei wird chemische Energie aus oxidierbaren Substanzen gewonnen und genutzt, um Kohlendioxid zu reduzieren und daraus organische Moleküle zu erzeugen. So kann Schwefelwasserstoff zu Schwefel oxidiert werden – dabei gewinnt man nicht nur Energie, sondern auch Wasserstoff, der für die Bildung von Aminosäuren, Fetten und Zuckern benötigt wird.

Relativ schnell entwickelte sich jedoch die Photosynthese, betrieben von Cyanobakterien. Sie nutzen Licht, um Wasser zu spalten und so den Wasserstoff für die Bildung organischer Substanzen zu gewinnen. Dies fand bereits vor mindestens 3 Milliarden Jahren statt. Kalkkrusten, die durch die nächtliche Abgabe von Kohlendioxid entstanden, belegen dies. Die ältesten bekannten Stromatolithen sind etwa 3,7 Milliarden Jahre alt und wurden im Isua-Grünsteingürtel in Grönland gefunden. Diese Strukturen gelten als die frühesten Hinweise auf mikrobielles Leben, da sie durch Mikroorganismen wie Cyanobakterien gebildet wurden. Durch die Photosyntheseaktivität schied sich laufend Kalk ab, der Schicht für Schicht anwuchs. Diese Strukturen können jedoch auch anaerob entstehen. Für die 3,5 Milliarden Jahre alten Stromatolithen gilt die Bildung durch Cyanobakterien jedoch als gesichert. Ob diese bereits Photosynthese betrieben, ist nicht zweifelsfrei geklärt – gesicherte Nachweise gibt es erst ab etwa 1,8 bis 2 Milliarden Jahren.

Seltsamerweise dauerte es sehr lange, bis die Abgabe von Sauerstoff als Abfallprodukt der Wasserspaltung die Umwelt nachhaltig veränderte. Durch den damals noch nahen Mond – er befand sich bei der Entstehung der Erde vermutlich nur 60.000 bis 80.000 km entfernt – wurden die Küstengebiete regelmäßig von über 100 m hohen Flutwellen überzogen. Diese zerkleinerten Gesteine und spülten große Mengen Salz, Eisen und andere Mineralien in die Ozeane. Unter den damals herrschenden reduzierenden Bedingungen ist Eisen in der Oxidationsstufe +2 stabil und gut wasserlöslich. Mit Sauerstoff reagiert Eisen jedoch zu Eisen(III)-oxid-hydroxid, das wasserunlöslich ist und ausfällt. Vereinzelt trat dies bereits vor 3,5 Milliarden Jahren auf, massiv jedoch erst vor 2,5 Milliarden Jahren. Bis vor etwa 0,5 Milliarden Jahren waren schließlich auch die letzten Eisenspuren ausgefällt. Dies führte zum Aussterben der meisten chemoautotrophen Organismen. Dieses Ereignis zwischen 2,4 und 2,2 Milliarden Jahren wird auch als ‚Große Sauerstoffkatastrophe‘ bezeichnet.

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