Es läuft einiges schief …

– und zwar ziemlich in der russischen Raumfahrt. Eigentlich gilt die Zeit von 1995 bis 2000 als schwarze Periode der russischen Raumfahrt: damals gab es als Folge des Zusammenbruchs der Sowjetunion kaum Geld für die Raumfahrt. An neue Projekte war nicht zu denken, zeitweise gab es monatelang keinen Lohn. Eigentlich sollte Russland das hinter sich gelassen haben. Das Raumfahrtprogramm funktioniert zumindest soweit, dass die militärisch wichtigen und anwendungsorientierten Satelliten wie das Glonassprogramm betrieben oder aufgebaut werden. Die Versorgung der ISS stand ja nie zur Disposition, das ist das wichtigste Prestigeprojekt der russischen Raumfahrt. Zudem verdient man mit den Sitzen für Astronauten und den Transport von Versorgungsgütern auch noch Geld. Aber schon Nauka wartet seit 6 Jahren auf den Start. Vor einem Jahr war es startbereit, da musste es wegen Lecks im Antriebssystem wieder zurück zum Hersteller, sodass der Start nicht vor einem Jahr geplant ist. Meiner Ansicht nach kommt es überhaupt nicht mehr zur ISS.

Auch die Angara hinkt Jahre hinter den Planungen hinterher. Letztes Jahr gab es einen suborbitalen Start, seitdem Pause, dabei sollte die Angara ja die alten Träger ersetzen, man sollte also annehmen das man das zügig umsetzt. Noch schlimmer sieht es im wissenschaftlichen Programm aus. Bei den Planetensonden gibt es tolle Präsentationen, was man alles machen will. Doch von den einzigen konkret geplanten scheiterte Phobos-Grunt an Computerproblemen und Venera D ist seit einem Jahrzehnt ein Papierprojekt.

Selbst beim Weltraumbahnhof Wostotschny  fing man zwei Jahre später an. Immerhin soll der Bau in dem Zeitplan liegen. Wostotschny  ist für Russlands Raumfahrt wichtig, weil er Baikonur ablösen soll. Kasachstan lässt sich die Nutzung von Baikonur gut bezahlen und es gab immer wieder Streit, besonders wenn Treibstoff auf kasachischem Gebiet freigesetzt wurde. Wostotschny liegt zudem bei 51° Nord, spart also etwas Energie ein und man kann nach Süd-Osten starten, auch das ein Vorteil.

Doch überschattet wird das von zahlreichen Fehlstarts. Vor allem von der Proton, nun allerdings auch der Sojus. Nachdem gestern erneut eine Proton einen Fehlstart hatte zeigt sich dass Russland einige Probleme hat. Das erste ist das alle Fehlstarts mit alten, eingeführten Trägern erfolgten, die ihre Kinderkrankheiten längst hinter sich haben sollten. Soweit man die Fehlerursachen kennt sind es auch keine Designfehler, stattdessen wurde mal die falsche Treibstoffmenge zugetankt, mal Beschleunigungssensoren falsch herum eingebaut. Das gehört in die Kategorie „Menschliches Versagen“ und sollte eigentlich durch Kontrollen verhindert werden. Das es vorkam spricht aber auch für eine mangelnde Qualifizierung, denn ich vermute mal das der Arbeiter der die Sensoren seit ahrzehnten einbaut weiß wie herum sie eingebaut werden müssen. Ebenso ergab beim letzten Fehlstart einer Sojus ST, das jede  vierte Fregat-Oberstufe das Problem mit den eingefrorenen Leitungen hat. Das gilt für alle bisher gebauten Oberstufen. Warum nur jede Vierte? Vieleicht weil in einer Schicht immer derselbe Fehler gemacht wurde?

Was auffällig ist, ist das die Fehlschläger immer häufiger werden. Es gab 30 Jahre keinen Fehlstart einer Progress, dann zwei in kurzer Zeit. Bei der Proton sieht man die Zuname in dieser Zusammenfassung in jeweils rund 80 Starts. Nachdem von 1988 bis 1997 eine hohe Zuverlässigkeit erreicht wurde, sank sie zuerst etwas ab, dann deutlich ab.

Years Success Failures
1965-1980 60 21
1980-1988 74 7
1988-1997 79 2
1997-2007 76 5
2007-2015 71 9

Was bisher immer klappte, waren die bezahlten Aufträge. So gab es auch Fehlstarts wenn ILS den Start durchführte, aber die meisten Fehlstarts entfielen auf Nutzlasten der russischen Regierung. Der Fehlstart von MexSat-1 war aber nun einer im Auftrag von ILS. Woran es liegt, weiß man noch nicht, doch entweder hat ILS bisher viel Glück gehabt oder was ich eher glaube nun sinkt die Qualität auch bei den Starts von ILS. Die haben wahrscheinlich bisher gut bezahlt, besser als Russland. Das erlaubt auch zusätzliche Kontrollen. Warum ist offen. aber es ist nicht die einzige schlechte Nachricht. Sarah Brightman wird auch nicht ins All fliegen. Russland hatte um wieder den Weltraumtourismus aufnehmen zu können bei der ISS Langezeitaufenthalte durchgesetzt. Dadurch gibt es wieder Plätze für die Touristen. Sarah Brightman hatte sich ja auf den Trip vorbereitet und ich denke sie wird nicht aus Spaß zurückgezogen haben. Vielleicht hat auch sie das Vertrauen in die russische Raumfahrt verloren.

Mich wundert, dass sich Putin des Themas nicht angenommen hat. Es ist ja doch sehr prestigeschädigend und wenn es ums Prestige geht steckt er gerne mal ein paar Milliarden in Projekte wie Olympia im letzten Jahr. Woran die vielen Pannen nun kommen, während es sie bei durchaus schlimmeren Bedingungen Ende der Neunziger nicht gab? Meine Idee ist die, dass inzwischen wohl die meisten qualifizierten und über Jahrzehnte im Programm verbliebenen Mitarbeiter ausgeschieden sind. In den Neunzigern waren viele von Ihnen zu alt um zu einem anderen Job zu wechseln und blieben im Programm. Nun sind sie in Rente und was man für die schlechte Bezahlung bekommt sind wohl nicht die besten Mitarbeiter die viele Fehler machen.

13 thoughts on “Es läuft einiges schief …

  1. Das Problem mit der mangelnden Qualifizierung hat auch Spacex, und die sind auch noch stolz darauf. Dazu kommen noch extrem lange Arbeitszeiten und Leistungsdruck. Auch nicht gerade qualitätsfördernde Faktoren. Trotzdem klappen in letzter Zeit die Starts, auch wenn die Landeversuche regelmäßig scheitern. Das läßt sich wohl nur dadurch erklären, daß man dort nicht bei den Kontrollen spart.

  2. Was mich vor allem befremdet, ist die Tatsache, dass sich trotz der bekanntermaßen geringen Zuverlässigkeit noch Kunden für die Proton finden, bzw. dass Versicherungen bereit sind, das Risiko eines Fehlstarts zu übernehmen.
    Auch das europäische Marsprogramm setzt auf die Proton und eine Zusammenarbeit mit Russland. Eine Entscheidung, die aus reiner finanzieller Not heraus geboren wurde. Ob es da nicht vernünftiger gewesen wäre, es auf eine Einstellung der Programme ankommen zu lassen?

  3. Eine Versicherung findet sich immer, sie erhöht eben die Prämien. Nach dem letzten Fehlstart einer Proton kündete ILS an die Preise zu senken, weil die Versicherungsprämien steigen. Zudem muss eine Versicherung nur zahlen wenn auch ein Schaden entstanden ist. Die russischen Satelliten sind zwar zum Teil versichert, aber soweit ich weiss nicht bei den Versicherern die kommerzielle Nutzlasten versichern. Die haben da eine eigene russische Versicherungsgesellschaft dafür.

  4. „…Auch die Angara hinkt Jahre hinter den Planungen hinterher. Letztes Jahr gab es einen suborbitalen Start, seitdem Pause…“

    Das stimmt so nicht. Die kleine Angara 1 hatte einen suborbitalen Testflug letzten Sommer und zu Weinachten ist dann die große Angara 5 zum ersten mal zu einem orbitalen Testflug gestartet.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Angara_(Rakete)#Bisherige_Starts

    Aber es stimmt natürlich dass die Angara sehr lange gebraucht hat bis die mal flog…

  5. Das Problem der Qualifikation der Mitarbeiter lässt sich durchaus in Teilen kompensieren. Nötig sind hierfür aber umfangreiche Arbeitsanweisungen, Checklisten und Kontrollen. Eine gelertne Fachkraft mit 30 Jahren Berufserfahrung am System könnte darauf größtenteils verzichten, aber der ungelernte Neuling benötigt sowas unbedingt.

    Ich traue SpaceX durchaus zu, bei Ihren Arbeitsprozessen deutlich strukturierter vorzugehen als die Russische Raumfahrt. Alleine schon im Rahmen der NASA-Qualifizierung der Falcon 9 wird die Firma umfangreiche Qualitätsmanagmentstrukturen nachweisen müssen. Bei der russischen Raumfahrtindustrie kann ich mir dies, zumindest in dem Umfang, weniger vorstellen. Deswegen ja diese Schlampereien.

  6. Ich will ja auch nicht unbedingt die russische Raumfahrt verteidigen müssen, aber die Angara 5 ist schon zu einem orbitalen Flug gestartet, keinem Suborbitalen.

    Und die zwei Progress innerhalb kurzer Zeit mag auch reiner Zufall sein. Zwecks der unintuitiven Statistik.

  7. Also nochmal zum Thema Versicherung: Spaceflight Now berichtet, dass im vorliegenden Fall ca. 390 Mill. $ gezahlt werden (was insured for approximately $390 million — $300 million for the spacecraft and $90 million for launch services). Dieser Betrag auf 10 Starts verteilt, beläuft sich auf ca. 39 Mill. $. Hier sind Margen und Gewinne der Versicherung noch nicht dabei und z. Z. ist die Fehlstartrate der Proton lt. Startliste Wikipedia sogar noch höher. Wenn man also (vereinfacht gerechnet) von 50 Mill. § Versicherungsprämie ausgeht und dies auf die angegebenen 90 Mill. § für Startdienstleistungen aufschlägt, dürfte der Start auf einer Ariane 5 wohl auch nicht wirklich teuerer kommen – ist aber wohl erheblich sicherer.

  8. Zum Thema hier die Aussagen von dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Dmitri Rogozin in einer Plenarsitzung der Staatsduma von heute: Wörtlich:

    1) „Die Gründe für die hohe Unfallrate in der russischen Raumfahrt – ist der moralische Verfall im Industrie-Management“,

    2) „Als wichtiger Indikator – die Effizienz der Arbeit in der Raumfahrtindustrie – wir sind neun Mal schlechter als die Vereinigten Staaten.“

    Als ein Beispiel, das Unternehmen Orbital Sciences zitiert er in der Duma, beschäftigt nur 1300 Menschen – 13-mal weniger als im Chrunischew Zentrum. Aber die Produktion pro Kopf ist bei etwa 414 000$.

    Die Reformen, das wichtigste ist die Vereinigung der ORKK und Roskosmos zu GK Roskosmos nach dem Vorbild von Rosatom (ein Top Unternehmen), brauchen aber seine Zeit. Auch Chrunischew steht vor radikalen Massnahmen, darunter der Börsengang, keine Produktion von Modulen oder Satelliten. Es werden nur Trägerraketen dort gebaut, soll ab 2022 Weltniveau erreichen.

    Bei Progress ein börsennotiertes Unternehmen mit westlichen CAD/CAM Systemen und Maschienen läuft es deutlich besser. Mit der Neuentwicklung Sojus-5 kommt selbst die Ariane-6 nicht mit.

  9. Der Übergang zur Angara dauert aber noch sehr lange. Die Proton soll noch bis 2025 Starten, es gibt aber inzwischen andere Stimmen. Die Angara-5 soll noch bis 2020 etwa 4-5 Testflüge absolvieren, der nächste Start mit Nutzlast ist für Ende 2016 vorgesehen, für die Angara-1 muss noch eine Gerätesektion entwickelt werden. Die Angara-A5W für 37 Tonnen Nutzlast kommt um 2024.

    Gegenwärtig werden in Russland 4 Startkomplexe in Plessezk und Wostotschny gebaut, zumindest bis 2020,

  10. Dazu habe ich zwei Fragen? Warum hat sich dieser Fehlerhäufung erst in der letzten zeit gezeigt? In den 90ern war die Situation doch viel schlimmer, auch was Korruption anging. Außerdem: Warum läuft die Angara so langsam an? Ist Wostotschny erst dann fertig? Meines Wissens nach sollte die Proton nach und nach von der Angara abgelöst werden, weswegen doch nicht nur die Startrampe die Ursache sein kann, zumal die Fertigstellung der Rampe wohl kaum bis 2025 dauern kann.

  11. In the mean time in America: Das „Establishement“ funktioniert technisch zu 100% (Atlas V/Delta IV/und auch noch Delta II);

    Spricht irgendwie nichts faktisches, für ein so „wichtiges“ High-Tech Land, wie es die Russen selber so gerne beschwören.

    Wie kommt man da auf den Gedanken, dass so ein dahergelaufener, „gehypter“ Südafrikanischer US-Einwanderer es doch so rotzfrech mit Ganz Russland aufnimmt 😉

    Die Zukunft wirds recht bald zeigen…

  12. Der Startkomplex hat doch keinen Einfluss auf die Einführung der Angara. Zunächst erfolgen die Starts vom Plessezk, der nächste im Dezember 2016, die Serienfertigung ab 2020. In Plessezk wird es 2 Startkomplexe für Angara und 3 separate Startkomplexe für die Sojus-2 mit Etappen der Modernisierung 1a, 1b, 1v geben. Der erster Start der Angara-A5 vom Wostotschny erfolgt 2021, insgesamt erfolgen dort 35 Starts zwischen 2018-25. Die Arbeiten am Startkomplex in Wostotschny sind schon im Gange, zumindest die Vorbereitungen, im laufe des Jahres beginnen die eigentlichen. Mit der zunahme von Angara Starts wird sich die Anzahl der Proton Starts ständig verkleinen. Die Zahlen wurden auch veröffentlicht. Nur, eine beschleunigte Einführung wie von Rogozin gefordert, ist technisch schwer umsetzbar, vielleicht das Ende der Proton sehen wir auch 2-3 Jahre früher.

    Eine radikale Massnahme, die Verhängung des Startsverbots vom kasachischen Territoriums die schon mehrmals gefordert wurde, wäre aus politischen Gründen kaum machbar.

    Über die Ursachen der Fehlerhäufung hat D. Rogozin in der Staatsduma mit drastischen Worten nicht gespart.

  13. Markus W. Naja, das ist jetzt aber durchaus ungerecht. Sicherlich besteht Russlands Export zu großen Teilen aus Rohstoffen und viele Industrien sind rückständig. Die Raumfahrtindustrie produziert aber nach wie vor sehr gute Technologien. Das amerikanische und europäische Raketen zuverlässiger sind, kann man schlicht und einfach erwarten. Alles andere wäre eine Blamage für die westliche Technologie, da diese Träger vom Steuerzahler subventioniert werden, während die wesentlich günstigeren russischen kommerziellen Starts Gewinne abwerfen müssen, da der russische Staatshaushalt sich Technologieentwicklungen ohne Blick aufs Preisschild nicht leisten kann. Soweit zu gehen wie manche Putinanhänger in den Kommentarforen zahlreicher Zeitungen, die behaupten, Russland sei wegen des einzigen derzeitigen bemannten Raumfahrtprogramms, den USA technisch überlegen, wäre mir allerdings fremd. Technisch hätten die USA ihre alten Raumfahrtsysteme ja durchaus weiter benutzen können, nur wäre dies mit unvertretbar hohen Kosten verbunden gewesen. Der Vorteil der Sowjetunion war eher der, dass sie auf die Raumgleiter-Welle nicht mehr aufspringen konnte und ihr deswegen das Schicksal des Shuttle erspart blieb. Nebenbei: Sollte der Buran eigentlich die Sojus komplett ersetzen, oder sollte beide parallel weiterlaufen? Bei Google habe ich dazu nichts finden können.

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