Ein System zum Deorbitieren von Cubesats
Der Start von Cubesats floriert. Es sind immer mehr in den letzten Jahren geworden. Während die Plattform ursprünglich entwickelt wurde, damit Raumfahrtstudenten preiswert Praxiserfahrungen sammeln können, nutzen nun Unternehmen so kleine Satelliten kommerziell, wie Planetlabs mit seiner Flotte von Dove Satelliten – praktisch um ein kleines Teleskop herum errichtet, dass immerhin einige Meter Auflösung liefert. Das ein 3U-Satellit von wenigen Kilogramm Masse kommerziell nützlich ist war vor 10 Jahren noch undenkbar.
Mit den vielen Satelliten entsteht aber ein neues Problem: Weltraummüll. In den vergangenen Jahren waren Transporte zur ISS die wichtigste Startmöglichkeit. Das liegt zum einen auf der Hand, wird die Station doch von 2-3 Progress, einem HTV, bis 2014 noch von ATV und von jeweils 3-4 Cygnus/Dragon pro Jahr angeflogen, zusammen mindestens 10 Starts pro Jahr. Dank der Tatsache, dass die NASA alles tut, um die „Nützlichkeit“ der bemannten Raumfahrt zu beweisen und dabei die Kosten-Nutzenrechnung anders als bei normalen Starts ist, ist die einfachste Startmöglichkeit für einen Cubesat heute die, das er im Inneren! eines Frachttransporters zur ISS gelangt. Von einem Astronauten ausgepackt und in einem Cubesatlauncher im japanischen Modul ausgesetzt wird. Das Anführungszeichen habe ich bewusst gesetzt, denn man könnte die Cubesats natürlich auch direkt an der Oberstufe befestigen und von dort aussetzen. Ihn in einem Frachter zu transportieren ist aus mehreren Gründen verrückt. Zum einen kann ein Frachter nur ein Drittel seines Gewichts als Nutzlast transportieren, er selbst kostet auch Geld, und zwar mehr als die Rakete und die Cubesats sind sogar noch verpackt (siehe dieses Bild), was ihr Gewicht und Volumen erhöht. Beim ATV sähe die Rechnung z.B. so aus: Nutzlast der Ariane 5: 21.100 kg bei 170 Mill. Euro → 8.050 €/kg. Nutzlast des ATV: 7.700 kg bei 450 Mill. € → 58.440 €/kg. Kurz: diese Vorgehensweise ist siebenmal teurer, als wenn man ihn direkt auf die Oberstufe montiert hätte (gut dann kämen noch Kosten für die Struktur hinzu, ein ESPA-Ring kostet 250.000 Dollar, ist allerdings nicht für Cubesats gedacht).
Trotzdem war diese Startmöglichkeit bisher die beste. Es fehlte bei anderen Launch Service Providern die nötige Flexibilität. Wie bei großen Satelliten musste man Starts Jahre vorher buchen und sehr oft lehnten diese die Mitführung von so kleinen Nutzlasten komplett ab. Arianespace ist so ein Beispiel, aber auch die US-Provider bekleckern sich hier nicht besonders mit Ruhm. Die einzige Ausnahme war bisher Orbital die bei 6 Starts bisher 102 Cubesats mitgeführt haben. Russland und Indien sind hier flexibler. Allerdings starten diese vor allem größere Satelliten als Hauptnutzlast in sonnensynchrone Orbits. Beim Rekordstart einer PSLV dieses Jahr war die primäre Nutzlast der 714 kg schwere indische Erderkundungssatellit Cartosat 2D der in einen 505 km hohen sonnensynchronen Orbit gelangte. Andere Erdbeobachtungssatelliten erreichen noch höhere Umlaufbahnen bis in 800 km Höhe. In 505 km Höhe ist bei einer mittleren Sonnenaktivität von 170 (Mittel über inaktive und aktive Sonne in einem Zyklus) ein 3U Cubesat von 3 kg Masse nach rund 12 Jahren verglüht. In der Bahnhöhe der ISS (beim Schreiben des Artikels: 405 km) sind es dagegen nur 1,91 Jahre. Es geht also sechsmal schneller und in 600 km Höhe liegen wir schon nahe 60 Jahren. Bei dieser Vielzahl von Satelliten – das Diagramm zeigt, wie die Zahl der Nutzlast seit einigen Jahren rapide ansteigt, die Zahl der Starts dagegen weitaus weniger – 2017 gab es, obwohl das Jahr erst zur Hälfte rum ist, schon mehr Nutzlasten als im ganzen letzten Jahr, Damit wird ihre Entsorgung zum Problem, vor allem wenn sie nun eben in höheren Umlaufbahnen abgesetzt werden.
Über Weltraummüll durch Satelliten macht man sich erst seit einigen Jahren Gedanken. Früher beschränkte man sich auf die Oberstufen – zugegeben, wenn eine Oberstufe durch in den Tanks ansteigenden Druck explodiert, gibt es sehr viele Bruchstücke, doch auch Satelliten sind eine Quelle. Bei der ESA haben nun alle Satelliten einen extra Treibstoffvorrat um sie zu Missionsende zu deorbitieren oder zumindest die Bahn soweit abzusenken, dass sie in 1-2 Jahrzehnten verglühen. Bei Satelliten in höheren Bahnen schiebt man sie dagegen weiter weg in einen Friedhofsorbit. Dieser Treibstoffvorrat ermöglichte es zwei Galileo Satelliten zu retten, als eine Sojus sie im falschen Orbit platzierte. Umgekehrt muss nun Metop-A in einen neuen Orbit verschöben werden. Er wurde gestartet, als es die Vorschrift noch nicht gab und nun braucht man die Hälfte des Treibstoffs zum Deorbitieren, er war eigentlich für Bahnkorrekturen vorgesehen. Würde man die Bahn nicht anpassen so würde er 200 Jahre im Orbit bleiben.
Ich glaube die ESA Entscheidung wurde stark vom Ausfall von Envisat am 8.4.2012 beeinflusst. Es riss der Funkkontakt ab, sodass man nicht ganz genau weiß was passiert ist, aber sicher ist, dass man ihn nun nicht mehr steuern kann und nun hat man einen 8,2 t schweren, 25 x 10 x 7 m großen Satelliten der sich zweimal im Jahr bis auf 200 m an katalogisierte Trümmer nähert und erst in 150 Jahren verglühen wird. Keine besonders schöne Vision …
Das Dumme: Cubesats haben kein eigenes Antriebssystem. Die meisten haben nicht mal ein aktives Lageregelungssystem und werden passiv stabilisiert. Man kann sie also nicht gezielt deorbitieren. Selbst wenn dann gibt es immer noch die Wahrscheinlichkeit eines Defektes an Bord und abreisen des Funkkontaktes wie bei Envisat. Bei Cubesats mit weniger Möglichkeiten aufgrund des beschränkten Gewichts und der Masse für redundante Elektronik, Sender und Empfänger sogar noch eher als bei großen Satelliten.
Es wurden schon Ideen unterbreitet, wie man dies bewerkstelligen könnte. Am einfachsten durch Erhöhung des Reibungswiderstandes. So wurden kleine Sonnensegel oder alternativ schirmförmige Strukturen, ähnlich der entfaltbaren Antenne von Galileo vorgeschlagen.
Mein Vorschlag nutzt dasselbe Prinzip, aber ist einfacher aufgebaut, ohne mechanische Teile. Diese können versagen. Das zeigt gerade die nicht entfaltete Antenne bei Galileo. Im Allgemeinen versucht man heute bewegliche mechanische Teile in Satelliten zu vermeiden, wo es nur geht, weil sie aufgrund der Beanspruchung schneller ausfallen als nicht bewegliche Teile. So gehören Ausfälle von Reaktionsschwungrädern oder Gyroskopen zu den häufigsten Ursachen, dass man einen Satelliten aufgeben muss.
Meine Lösung ist so einfach wie Simpel: In einem Cubesat-Abteilung (1U) befindet sich ein zusammengefalteter Ballon mit dünner Haut. Im Inneren eine Kartusche mit Feststofftriebstoff und elektrischem Zünder und ein einfacher Mikrocontroller mit Batterie, Echtzeituhr und Bluetooth-Empfänger. Die Batterie dient als Stromversorgung. Da die gesamte Elektronik nicht viel zu tun hat, habe ich mich an einer Digitalarmbanduhr orientiert und da hält eine kleine Knopfzelle mehrere Jahre. Eine normale AA-Zelle von der mehrfachen Kapazität müsste dann über Jahrzehnte reichen. Das Programm des Controllers ist ganz einfach: Er fragt einmal in einem Zeitintervall, z.B. einmal pro Stunde die Echtzeituhr ab. In einem größeren Intervall, dafür über einige Minuten, die Bluetooth Verbindung, z.B. einmal pro Tag. Der Hauptcomputer sendet nun dauernd oder zumindest kurzzeitig pro Abfrageintervall des Mikrocontrollers nur ein Signal auf dieser Bluetooth Verbindung. Es veranlasst den Mikrocontroller beim Empfang in eine Speicherzelle die aktuelle Uhrzeit mit Datum zu speichern. Beim regulären Programm vergleicht er die aktuelle Zeit mit diesem Wert und ist die Abweichung z.B. größer als 30 Tage, d. h. seit 30 Tagen wurde die Uhrzeit nicht zurückgesetzt, dann löst er den Zünder der Kartusche aus. Dieser bläst durch die Gase den Ballon auf und bewegt die drehbar montierten Seitenwände weg. Das System funktioniert also selbst dann, wenn der Hauptsatellit nicht mehr arbeitet und es aktiviert sich von alleine nach 30 Tagen.
Eine 1 U Einheit eines Cubesats wiegt 1 kg. Nimmt man 500 g für den Ballon an, so kann man einen recht großen Ballon aufblasen. Der 0,8 kg schwere Satellit AVL 802G hatte einen Durchmesser von 2,13 m. So wäre ein 1.7 m großer Ballon möglich – er hat die 222-fache Fläche ein 1U Cubesats. Der Effekt ist dramatisch. Ein 6U Cubesat der mit der Stirnfläche in Bahnrichtung fliegt würde aus 800 km Höhe erst in rund 98 Jahren Verglühen, mit dem Ballon wären es 0,53 Jahre.
Zugegeben, ein Kilogramm Masse ist etwas viel, aber man kann es herunterskalieren. Mikrocontroller, Batterie und Uhr wiegen wenig, bei 0,2 m² Fläche wird ein 1U Cubesat von 1 kg Gewicht immer noch aus einer 600 km Bahn in einem Jahr deorbitiert – und dann wiegt der Ballon weniger als 45 g. Mit Batterie und Controller kommt man dann vielleicht auf 60-70 g. Das sind 7 % der Masse.
Das Interessante ist aber, das man das Prinzip relativ einfach hochskalieren kann. Der Ballon muss nur größer sein. Ein 1000 kg schwerer Satellit der aus 600 km Höhe in 1 Jahr deorbitiert werden soll benötigt einen Ballon mit 200 m² Fläche. Das entspricht 16 m Durchmesser. Das liegt zwischen dem Durchmesser von Pascomsat OV8-1 mit 9,1 m und 3,2 kg Masse) und Pageos mit 30,48 m und 56,7 kg Masse. Hochskaliert von OV8-1 entspricht das einem Gewicht von 10 kg. Mit 10 kg Treibstoff würde im günstigsten Falle der Satellit seine Umlaufbahn aber maximal von 600 auf 547 km Höhe absenken können. Hätte er eine abzubremsende Fläche von 12 m² gehabt (2 x 2 x 2 m Solarpanel + 2 x 2 m Zentralkörper) und diese voll in Bahnrichtung gedreht so hätte er 7 Jahre für die weitere Abbremsung gebraucht.
Für solche Satelliten ist nicht nur der Aspekt des Treibstoffsparens wichtig, sondern auch das das System unabhängig von der Elektronik des Hauptsatelliten ist. Hätte man es schon bei Envisat gehabt, es hätte nach 30 Tagen einen Ballon ausgelöst und Envisat abgebremst. Envisat ist wegen seiner hohen Bahnhöhe von 767 km und Masse von 8,2 t eine Herausforderung. Doch 56,7 kg Masse zusätzlich, die des Ballonsatelliten Pageos 1 hätten ihn in 20 Jahren deorbitiert. Könnte man die Ballone skalieren, so würde man mit 16.000 m² Fläche, das ist ein Ballon von 143 m² Durchmesser ihn in einem Jahr deorbiteren. Gut das Jahr habe ich genommen, weil es gut klingt, ich denke, Weltraumagenturen wären auch mit 5-10 Jahren zufrieden. Dann liegt man aber selbst bei den schwersten Satelliten bei Ballonen, die man schon realisiert hat. Der größte war Echo 2 mit 41 m Durchmesser.
Dabei ist das System sowohl elektronisch wie auch mechanisch einfach. Im Prinzip ist die Technik die gleiche wie bei einem Airbag, nur viel größer. Es müsste daher auch preiswert umzusetzen sein.
Man könnte es auch nachträglich einsetzen und das relativ einfach. Man bräuchte nur ein Vehikel das den Ballon zum Ziel bringt. Anders als bei einem Triebwerk zum Abbremsen ist man nicht drauf angewiesen an eine Stelle des Satelliten sicher anzudocken damit er sich nicht mehr bewegen kann und der Schub durch den Schwerpunkt geht. eine Harpune reicht. damit ist auch das „Ankoppeln“ relativ einfach. Hat man den Satelliten so „aufgespießt“ so muss man nur den Ballon aufblasen. Einfach, kostengünstig und weniger Masse verbrauchend als die Abbremsung mittels eines Raketenantriebs,
Mich würde nicht wundern, wenn man das in einigen Jahren wirklich nutzt, wäre ja nicht das erste Mal …
Oder anstelle von einer Harpune einen Magneten nutzen.
Irgendwas magnetischen wird man doch mit Sicherheit an einem Satellit finden können.
Keine Harpune – keine splitter