Die Agena C
Die Agena Oberstufe war fast drei Jahrzehnte lang die am häufigsten eingesetzte Oberstufe der Vereinigten Staaten und die einzige die auf drei Trägerraketen flog, nämlich der Thor, Atlas und Titan. Der Grund dafür war, dass die Satelliten des Coronaprogramms anfangs fest mit der Stufe verbunden waren, später wurde sie Teil des Satelliten und führte größere Geschwindigkeitsänderungen durch. Diese Satelliten wurden in großer Zahl in den sechziger Jahren gestartet und dann vom System Gambit abgelöst, das aber auch auf die Agena Oberstufe setzte. War ein Satellit zu schwer für eine Thor, so wanderte er zur Atlas und später zur Titan. Primär wurde die Agena vom US-Militär eingesetzt, das jahrzehntelang andere Versionen der Trägerraketen als die NASA einsetzte.
Die Agena transportierte aber auch viele NASA Nutzlasten. Raumsonden wie Mariner 1-5, Ranger oder Lunar Orbiter, aber auch Nimbus-Wettersatelliten oder den Radarsatelliten Seasat. Die meisten Starts waren aber militärischer Natur, vor allem von den erwähnten Aufklärungssatelliten, die mit Film arbeiteten und daher nur eine begrenzte Lebensdauer hatten. Die Einführung von CCD-Sensoren und die Möglichkei,t so Bilder in Realzeit zu übertragen führten dann zum Auslaufen der Serie und damit auch zum Ende der Agena.
Die A-Version wurde nur kurz ein gesetzt und von der B-Version mit doppelt so großen Tanks abgelöst. Diese wurde dann Mitte der Sechziger Jahre durch D-Version abgelöst, die etwas leichter war, vor allem aber modular auf die Mission abgestimmt werden konnte. Eine Agena konnte eine Zündung oder mehrere Zündungen durchführen. Die Betriebszeit konnte eine Stunde aber auch mehrere Wochen betragen.
Wer aber aufgepasst hat, sieht das ein Buchstabe fehlt: Es gab keine Agena C. Es gab in der Tat Planungen für eine Agena C, mit nochmals doppelt so großen Tanks wie die Agena B/D. Sie wurde aber nie gebaut. Warum? Darum geht es in diesem Blog. Die Antwort ist komplex. Stellt man die Raketengrundgleichung auf, so ist klar, das eine weitere Vergrößerung der Tanks die Nutzlast anhebt, um so mehr je höhere Geschwindigkeiten gefordert sind. Es ist aber auch ein Beispiel, wo diese einfache Berechnung an ihre Grenzen stößt. Eine Simulation zeigt das Problem: Jede Rakete hat Verluste bis sie einen Orbit erreicht. Das kann in der Anfangsphase durch den Luftwiderstand sein, aber der Großteil sind Gravitationsverluste, so etwas schlecht aus dem englischen übersetzt „Gravity losses“. Es sind auch keine echten Verluste, denn Energie kann man nicht vernichten, aber man kann sie in andere Energieformen umwandeln. In diesem Falle ist es Hubarbeit: Das Anheben eines Körpers im Gravitationsfeld erfordert Energie. Daneben zieht die Gravitationskraft an jedem Körper, sobald er von der Erdoberfläche abhebt. Die schwerere Oberstufe bedeutet nun zum einen, dass der Anteil der Beschleunigung der Erststufe, der weitere Geschwindigkeit bringt und nicht die Fallbeschleunigung kompensiert, sinkt damit die Gravitationsverluste ansteigen. Zudem arbeitet die Oberstufe durch den zusätzlichen Treibstoff selbst länger, hat im Verhältnis zur Masse einen kleineren Schub. Beides steigert ebenfalls die Gravitationsverluste. Man kommt sehr bald darauf das eine ursprüngliche Thor eine so schwere Oberstufe gar nicht tragen kann. Auch mit der Startunterstützung mit drei Castor II Boostern wird es knapp. Aber später wurden neun an die Thor montiert und durch größere Castor IV ersetzt. Diese Versionen der Thor wurden aber schon nicht mehr mit der Agena eingesetzt. Die Atlas und Titan sind schon als Raketen größer und haben zudem Drittstufen, die ähnlich schwer wären wie eine Agena C, die Centaur und Transtage. Da sollte eine Agena C eigentlich einsetzbar sein.
Die Transtage zeigt übrigens das Phänomen recht gut. Sie wiegt rund 5 t mehr als eine Agena D, bei fast demselben Schub. Die Titan IIIA mit Transtage hat durch die höheren Gravitationsverluste eine kleinere Nutzlast als die Titan IIIB mit der Agena.
Die Agena C
Daten für die Agena C sind nicht verfügbar. aber sie können leicht rekonstruiert werden. Denn zum Ende der Einsatzzeit suchte die USAF nach Oberstufen für das Space Shuttle, da dieses nur einen LEO erreicht. Die Agena wurde dafür untersucht, die Wahl fiel dann aber auf die neue Oberstufe IUS. Von dieser Untersuchung gibt es aber Daten und es gab auch eine Version mit Zusatztanks, die abwerfbar waren. Ich habe nun einfach die Daten dieser Agena genommen. Andere Optimierungen die vorgeschlagen wurden, wie eine längere Düse oder eine Umstellung der Treibstoffmischung auf eine mit einem höheren Energiegehalt habe ich dagegen nicht übernommen, da man die Agena D auch nicht während ihrer Einsatzzeit technisch aufrüstete.
Parameter | Wert Agena C | Wert Agena D |
---|---|---|
Startgewicht: | 13.071 kg | 6.821 kg |
Brennschlussgewicht: | 900 kg | 734 kg |
Treibstoff: | UDMH/Salpetersäure | UDMH/Salpetersäure |
Triebwerk: | Bell 8096 | Bell 8247 |
Schub: | 71,2 kN | 71,2 kN |
Spez. Impuls: | 2.943 m/s | 2.943 m/s |
Brenndauer | 503 s | 254 s |
Mit einer Umstellung auf die Mischung MMH/NTO, dem Bell 8553 und einer längeren Düse wäre der spezifische Impuls auf 3.197 m/s steigerbar gewesen und der Schub auf 71,9 kN. Aber für den Vergleich rechne ich mit den normalen Triebwerken.
Verfügbare Träger
Bei der Titan und Atlas ist es relativ einfach. Es gibt wenige Versionen. Die ursprüngliche Atlas war eine Atlas D mit Anpassungen für Oberstufen, sie wurde dann von einer standardisierten Atlas abgelöst. Relativ spät verlängerte man die Atlas, da die Triebwerke auch stärkereicher wurden. Die letzte Einsatzversion mit der Agena Oberstufe, die SLV-4A Agena wog 25 t mehr.
Die Titan II wurde mit der Agena Oberstufe zur Titan 3B. Von dieser gibt es einige Varianten, die sich in der Nutzlastverkleidung unterscheiden. Später kam dann die Titan 34B mit leicht verlängerten ersten (+14 t) und zweiten Stufen (+5 t). In beiden Fällen wurde die Agena nicht angetastet. Diese verlängerten Versionen wurden übrigens nie für Aufklärungssatelliten, sondern andere militärische und auch zivile Missionen eingesetzt. Bei der Titan gab es auch die Pläne für einen Einsatz von Algol-Stufen als Booster. Diese Erststufe der Scout wog in etwa so viel wie ein Castor IV Booster. Zwei oder Sechs Booster sollten eingesetzt werden. Diese Version habe ich daher auch mit aufgenommen.
Problematischer ist dies bei der Thor. Hier endete der Einsatz der Agena schon früh, 1972. Das letzte eingesetzte Modell war die Long Tank Thrust Augmented Thor Agena D. Diese hatte eine 70 t schwere Thor und drei Castor II Booster. Die Delta-Linie wurde dagegen bis 1991 weiter entwickelt und bis 2011 eingesetzt und hatte am Schluss eine 102 t schwere XLT-Thor mit neun GEM-40 Boostern von denen jeder dreimal so viel wie ein Castor II wog. Sinnvoll bei der Thor sind immer neun Booster. Mit dreien kann man das Mehrgrwicht der Oberstufe nicht kompensieren. Ich habe daher von den vielen Versionen, die denkbar sind, folgende genommen:
Bezeichnung | Thor | Booster |
---|---|---|
LTAT-Castor II | LTAT (70 t) | 9 x Castor II |
ELT-Castor II | ELT (90 t) | 9 x Castor II |
ELT-Castor IV | ELT (90 t) | 9 x Castor IV |
XLT-Castor IV | XLT (102 t) | 9 x Castor IVA/B |
Auf den Einsatz der GEM-Booster habe ich verzichtet. Da es von keiner der Versionen eine eingesetzte Agena D-Version gibt, habe ich als Vergleich diese selbst konstruiert. Alle Nutzlastangaben sind für einen 200 km Orbit mit 28 Grad Neigung beim Start vom CCAF, berechnet mit meiner Aufstiegssimulation und auf 100 kg abgerundet.
Version | mit Agena D | mit Agena C |
---|---|---|
LTAT-Castor II | 1.900 kg | 2.100 kg |
ELT-Castor II | 2.100 kg | 2.200 kg |
ELT-Castor IV | 2.900 kg | 3.400 kg |
XLT-Castor IV | 5.000 kg | 5.700 kg |
Man sieht sehr deutlich, warum die Agena C nicht entwickelt wurde – auf der Thor macht sie bei den damaligen Versionen keinen Sinn. Erst mit den Castor IV resultiert ein deutlicher Nutzlastgewinn.
Wie sieht es bei der Atlas aus?
Nun, da die Atlas Erststufe viel größer ist als eine Thor ist der Nutzen etwas höher. Aber schon bei der Standard Atlas D gibt es nur einen kleinen Nutzlastgewinn. Die verlängerte SLV3A Atlas sieht besser aus, der Zugewinn ist aber auch bei der verlängerten Atlas überschaubar und liegt bei etwa 20 Prozent.
Version | mit Agena D | mit Agena C |
---|---|---|
SLV-3 (Atlas D) | 3.200 kg | 3.400 kg |
SLV 3A (Atlas G) | 3.900 kg | 4.700 kg |
Die Titan
Bei der Titan wiederholt sich im Wesentlichen der Befund bei der Atlas. nur mit dem Unterschied, das die Agena C in einigen Versionen eine geringere Nutzlast hat. Der Grund ist das die Zweitstufe der Titan einen Schub von 445 bzw. 476 kN hat, die Stufe ist dann einfach zu schwer.
Version | mit Agena D | mit Agena C |
---|---|---|
Titan IIIB | 4.200 kg | 4.300 kg |
Titan 24B | 4.700 kg | 4.500 kg |
Titan 34B | 4.700 kg | 4.400 kg |
Titan IIIB BAS6 | 7.500 kg | 7.700 kg |
Titan 34B BAS6 | 8.100 kg | 8.000 kg |
Andere Bahnen
Es ist nach den Berechnungen offensichtlich: in den LEO bringt eine Atlas C nicht mehr Nutzlast. Ich habe nun nur jeweils eine Version genommen, bei der Thor macht nur die größte einen echten Sinn, da bei der Delta-Linie für Fluchtbahnen immer noch eine weitere Oberstufe eingesetzt wurde. Gemessen an der nun kleineren Nutzlast ist der Gewinn deutlicher: 300 bis 400 kg, nur bei der Atlas nicht.
Version | mit Agena D | mit Agena C |
---|---|---|
Titan IIIB | 700 kg | 1.000 kg |
Atlas Agena | 400 kg | 400 kg |
XLT-Castor IV | 600 kg | 1.000 kg |
Die Problematik
Eine Agena C st schlicht und einfach zu schwer als Oberstufe. Für die Thor sowieso. Bei der Titan und Atlas liegen dagegen jeweils unterschiedliche Bedingungen vor. Die Titan hat noch eine rund 30 t schwere Zweitstufe, da ist eine 13 t schwere Oberstufe einfach zu groß, wie dies auch der Vergleich mit der Transtage zeigt, die ja das gleiche Problem hat. Die Transtage wurde aber – nach einigen Teststarts ohne Booster nur mit Boostern (Titan 3C / 34C) eingesetzt und die kompensierten dieses Manko. Bei der Atlas gibt es zumindest bei der verlängerten Version einen Nutzlastgewinn. Dazu kommt de relativ kleine spezifische Impuls, der sich aber durch eine Veränderung des Treibstoffs anheben lässt. Bei der Titan macht es aber Sinn die zweite Stufe durch eine Agena zu ersetzen. Man erhält fast dieselbe Nutzlast, aber mit einer kleineren Oberstufe:
Version | mit Agena D | mit Agena C | mit Core II |
---|---|---|---|
Titan II ohne Zweitstufe | 2.800 kg | 3,600 kg | 3.800 kg |
Titan 34 ohne Zweitstufe | 3.800 kg | 4.000 kg | 3.000 kg |
Das wusste man schon damals, so gab es Vorschläge die Centaur auf der Titan II (ohne Feststoffbooster) einzusetzen. Sie wiegt ähnlich viel wie eine Agena C hat aber den doppelten Schub. Trotzdem wäre in diesem Falle die zweite Stufe der Titan durch eine Centaur ersetzt worden.
Alternativen
Die offensichtlichste Alternative war schon damals bekannt: Die Agena wurde als Antrieb für einen Marschflugkörper konzipiert, der aber nie gebaut wurde. Danach wurde sie zur Oberstufe, weil damals – Anfang der militärischen Raumfahrt – es keine andere einsatzbereite Stufe gab. Während man das zivile Pendant, die Delta-Oberstufe laufend technisch aufrüstete, unterblieb dies bei der Agena. Dabei war sie besser als die Delta: Ihr Haupttriebwerk arbeitete mit einer Turbopumpe. Dadurch war der Brennkammerdruck höher und die Tanks mussten nicht unter hohem Druck stehen, was ihre Masse erhöhte. Aber die Delta bekam eine modernere Treibstoffmischung, vor allem das Ersetzen der Salpetersäure durch NTO, das wasserfreie Pendant erhöht, den spezifischen Impuls und die Dichte des Treibstoffs. Die Düse war für ein Vakuumtriebwerk recht kurz. Eine große Düse wie sie die letzten Delta-Versionen hatten, hätte mit einer optimierten Treibstoffmischung den spezifischen Impuls von 2.943 m/s auf 3.197 m/s erhöht. Daneben wäre der Schub leicht um 0,7 kN angestiegen. Diese Maßnahmen hätten die Orbitmasse (etwa 700 kg Leermasse der Agena + Nutzlast) um 8 Prozent gesteigert. Bei 2.000 bis 4.000 kg Nutzlast bei den eingesetzten Versionen entspricht das einem Plus von 200 bis 400 kg oder rund 10 Prozent der Nutzlast, ein entsprechendes Triebwerk (Bell 8133 für die Agena B und Bell 8533 für die Agena D) war auch projektiert. Ein Triebwerkstausch ist immer etwas Größeres, aber bei der Delta erfolgte dies auch mehrmals: ihre sechs Versionen kamen auf 339 Starts, die Triebwerke der Agena (drei Versionen) dagegen auf 362 Einsätze, obwohl das letzte Exemplar 30 Jahre früher, 1987 gestartet wurde.
Fazit
Die Agena C machte in den meisten Fällen keinen Sinn. Das hat man schon vor Jahrzehnten erkannt, als die Ingenieure Berechnungen mit dem Rechenschieber machten und keine Computersimulation hatten.