Die geclusterte Mondrakete
Als letztes Beispiel für eine Clusterung möchte ich das Extrembeispiel eine Schwerlastrakete skizzieren. Eine Schwerlastrakete ist meiner Ansicht nach der sinnvollste Einsatz dieses Konzepts. Das ergibt sich aus den Anforderungen:
- Eine Schwerlastrakete muss eine hohe Nutzlast aufweisen.
- Damit ist ihre Entwicklung teurer als die einer Rakete für mittelgroße oder kleine Nutzlasten.
- Gleichzeitig gibt es nur wenige Missionen für eine solche Rakete, was auch ihre Herstellung verteuert.
Eine geclusterte Rakete hat zudem weitere Vorteile:
- Mit weniger Stufen und einer zusätzlichen Oberstufe kann die Rakete auch kleinere und mittelgroße Nutzlasten transportieren, also auch für andere Zwecke eingesetzt werden.
- Die dadurch benötigten vielen Stufen führen zu einer hohen Stückzahl und damit geringen Kosten.
- Gleichzeitig liegt so nach wenigen Starts sehr viele Einsatzprofile der verwendeten Stufen vor und man kann Kinderkrankheiten schnell finden und ausmerzen.
Also, eine Rakete die im Nutzlastbereich einer SLS oder eines Starships liegt auf Basis des Clusterungsprinzips. Sinnvoll ist es daher pro Stufe nur ein Triebwerk vorzusehen, sonst werden es zu viele Triebwerke. Das schubstärkste Einzeltriebwerk, das es momentan gibt, ist das BE-4 mit 2.400 kN Vakuumschub (beim Raptor weiß man den Schub nicht so genau, es gibt unterschiedliche Angaben und anders als Blue Origin wird SpaceX es wohl kaum anderen Herstellern lizenzieren). Der Bodenschub ist unbekannt, kann aber auf Basis anderer Triebwerke auf etwa 2.200 kN abgeschätzt werden.
Das erste was zu machen ist, ist eine Abschätzung der Nutzlast. Ein Triebwerk mit 2.200 kN Startschub erlaubt bei 1,25 g Startbeschleunigung eine Gesamtmasse von 179,4 t Masse. Aus meinem Erfahrungswissen würde ich die Nutzlast bei dem Treibstoff LOX/LNG auf etwa 5 t abschätzen. Wenn man für eine Mondrakete eine Nutzlast im Bereich 150 t für den LEO braucht, so kommt man so auf 30 Stufen.
Die meisten diese Stufen müssen gleichzeitig gezündet werden, was bei einer kreisförmigen Anordnung bei so vielen Stufen zu drei Kreisen um eine Zentralstufe führt (1 – 6 – 9 – 12 Stufen). Noch mehr Raketen wären es, wenn man die zweiten und die einzelne Dritte Stufe nicht auf den Stufen auf dem zentralen Ring platziert oder man nimmt die inneren Stufen als Oberstufen.
Es gibt nun mehrere Konzepte, ich habe einmal drei untersucht, alle drei sind dreistufig. Alle drei setzen die oben besprochenen Ringe (1 Stufe in der Mitte, umgeben von 6 weiteren Stufen, zweiter Ring aus 9 Stufen und dritter Ring aus 12 Stufen) ein, aber unterschiedliche Strategien:
- Zündung nacheinander: die zentrale Stufe ist die dritte Stufe, vier der sechs sie umgebenden Raketen die zweite Stufe, die restlichen 23 Stufen bilden die erste Stufe.
- Zündung gleichzeitig, aber verlängerte Stufen. Alle Stufen bis auf die zentrale Stufe zünden beim Start, aber die inneren sieben Stufen sind verlängert. Sie brennen doppelt so lange. Sobald der äußere Ring ausgebrannt ist, zündet auch die zentrale Stufe.
- Klassische Mehrstufenrakete: auf den zentralen sieben Stufen sitzen die Oberstufen: sechs in einem Ring als zweite Stufe und die zentrale Stufe als dritte.
Konzept 1 setzt 28 Stufen ein, bei Konzept 2 sind es 35 und Konzept 3 sind es 21 normal lange und sieben verlängerte.
So muss man die Startmassen an das Konzept anpassen. Bei Konzept 3 müssen die Stufen leichter sein, weil sie noch die Oberstufen befördern müssen. Weiterhin hat das Konzept auch Einflüsse auf die Leermasse, weil in Konzept 3 noch die Last der Oberstufen abgefedert werden muss, während die verlängerten Stufen ein viel besseres Voll-/Leermasseverhältnis durch verlängerte Tanks haben. Ich will in diesem Blog nicht auf alle Details eingehen, ich habe die Massen auf Basis von Erfahrungswerten abgeschätzt, es wäre natürlich noch andere Aufteilungen möglich, die technischen Daten der Raketen finden sich am Ende. Hier eine kleine Nutzlasttabelle für eine TLI-Bahn (200 x 450.000 km)
Typ | Stufen | Startmasse | Startschub | Nutzlast |
Konzept 1 | 28 | 3.767.200 kg | 46.200 kN | 78.000 kg |
Konzept 2 | 21 normal lange, 7 verlängerte | 5.022.000 kg | 61.600 kN | 97.000 kg |
Konzept 3 | 35 | 4.753.200 kg | 59.400 kN | 94.000 kg |
Gemessen an der Startmasse ist Konzept 2 das attraktivste. Konzept 1 hat als Vorteil das alle Stufen identisch sind – die rund 80 t Nutzlast und ihre Kräfte verteilen sich auf sieben Stufen und bewirken keine wesentliche zusätzliche Last. Bei Konzept 3 muss die Masse von sieben Stufen und Nutzlast – über 1.000 t – auf die 16 Stufen der ersten Ringe verteilt werden, das ist eine große Last, diese Stufen müssen daher verstärkt werden, was ihre Leermasse verändert und die Stufen sind so nicht mehr identisch. Das trifft auch auf Konzept 2 zu, bei denen die zentralen Stufen doppelt so lang sind. Die „normalen“ Stufen könnten einen Durchmesser von 3 m und eine Länge von etwa 24 bis 25 m haben. Die Rakete wäre trotz der schlanken Form sehr breit: 12 m Durchmesser.
Man kann an den Konzepten noch etwas optimieren, z.b. bei Konzept 3 bei den später gezündeten Stufen Vakuumdüsen einbauen, die den Treibstoff besser nutzen, das ändert aber nicht mehr viel.
Real ist die Nutzlast schon zu hoch, wenn man, wie dies derzeit geplant ist Mondlander und Orion getrennt startet wäre ohne den äußerten Ring mit 12 Raketen käme man bei Konzept 1 auf 45 t Nutzlast, das wäre immerhin noch mehr, als die SLS mit der neuen Oberstufe hat. Konzept 1 wäre von den dreien auch mein Favorit, wenn es um Wirtschaftlichkeit geht, denn bei ihm kann man wirklich alle Stufen identisch fertigen.
Die Probleme
Während es eine Reihe von Vorteilen gibt, wie das der Transport über bestehende Schienen und Straßen erfolgen kann, weil die einzelnen Stufen überschaubare Abmessungen haben, gibt es auch Nachteile: Es müssen bis zu 28 Stufen verbunden werden und diese Verbindungen müssen auch wieder getrennt werden und zwar so, das alle Stufen simultan abtrennt werden, ohne das sie mit der Hauptstufe kollidieren. Das ist eine technische Herausforderung, so was hat man bisher nicht gelöst.
Die größte Risiko sehe ich in einem Triebwerksausfall. Der kommt bei bis zu 35 Triebwerken natürlich häufiger vor, als bei weniger Triebwerken und er ist gravierender: bei einer normalen Rakete kann dieser je nach Missionsphase unter Umständen abgefangen werden, indem die anderen Triebwerke weiter brennen. Das geht hier nicht. Der unverbrauchte Treibstoff erhöht die Leermasse und das senkt die Nutzlast ab. Den Treibstoff abzulassen, ist keine gute Idee, wie SpaceX im November bewies. Es würde aber auch nicht bei den Mengen helfen: der Treibstoff wird ja nur in wenigen Minuten verbraucht weil eine Turbopumpe ihn ansaugt und unter Druck weiterleitet, ohne Triebwerke keine Pumpe und alleine durch den Druck und die Erdbeschleunigung bekommt man viel weniger Treibstoff durch die Leitungen, zumal er am Triebwerk selbst bei Abschalten sich durch die Resthitze noch entzünden kann.
Man kann nun auf mehrere Arten damit umgehen:
Das Risiko kann ignoriert werden, wenn man ein erhöhtes Restrisiko akzeptiert. Wir haben einige eingeführte Raketen, die 100 ja sogar über 200-mal ohne Triebwerksausfall geflogen sind. Dabei haben die mehrere Triebwerke. Ariane 5 startete über 100-mal ohne Fehlstarts mit 4 Triebwerken pro Rakete, davon zwei Flüssigantriebe. Nehme ich nur diese und ignoriere die Feststoffgetrieben (eigentlich falsch, denn auch sie können ausfallen, das ist nur nach den bisherigen Erfahrungswerten weitaus unwahrscheinlicher als bei Flüssigraketen) so beträgt das Risiko eines Triebwerksausfalls 1:200, bei 21, 28 und 35 Stufen (in den obigen Konzepten) sollte also jeder zehnte, siebte und fünfte Start schiefgehen. Das ist wohl für bemannte Einsätze zu viel.
Man kann einen Ausfall einkalkulieren, also die Nutzlast nur so hoch ansetzen, dass eine Stufe ausfallen kann. Durch die Kombination mit höherer Leermasse und geringerer Beschleunigung ist dies relativ viel. Ich habe für Konzept 1 einen Ausfall nach 30 Sekunden simuliert und das reduziert die Nutzlast von 78 auf 72 t. Ein Ausfall von zwei Stufen ist deutlich unwahrscheinlicher – je nach Stufenzahl zwischen 1:25 und 1:100.
Weniger Booster, aber größer
Das konventionelle Konzept, das immer noch Clusterung vorsieht, aber nicht so massiv ist, es einfach pro Stufe mehrere Triebwerke einzusetzen. Beschränkt man sich auf einen Ring, so sind neben der Zentralstufe sechs Booster möglich. Die Zentralstufe ist dann wie bei dem zweiten Konzept verlängert, auf eine Oberstufe habe ich komplett verzichtet. Mit etwas Probieren – die Brennschlussbeschleunigung sollte nicht zu hoch sein und unter 5 g liegen – kam ich bei vier Triebwerken (28 insgesamt) auf 72 t in einen LTO und 55 t bei drei Triebwerken pro Booster (21 insgesamt).
Als Trägerrakete kann man diese Booster auch verwenden – die Außenbooster wiegen 420 bzw. 550 t und sind damit schwerer als die erste Stufe einer Zenit oder Falcon 9 – aber man hätte inmmerhin den Vorteil einer kleinen Serie. Vor allem ist nun das Risiko von Triebwerksausfällen kleiner. Selbst wenn dies in einem Außenbooster auftritt können die anderen Triebwerke den Treibstoff zumindest zu einem großen Teil aufbrauchen, unter Umständen, das hängt von der genauen Auslegung der Rakete ab, kann man diesen Booster dann auch etwas später nach Verbrauch des ganzen Treibstoffs abtrennen, sofern man ein Triebwerk hat, das auch über dem 100 % Schublevel betrieben werden kann, könnte durch Hochfahren der Triebwerke auch der Treibstoff so vollständig verbraucht werden. Die Nutzlasteinbuße ist so kleiner.
Der wesentliche Unterschied ist, dass nun alle Booster an der Zentralstufe hängen. Die Abtrennung ist so nicht anders als heute und es wäre auch denkbar einen Booster, bei dem ein Triebwerk ausgefallen ist, einfach mit einer gewissen Menge Resttreibstoff abzutrennen.
Dieses Konzept wäre realistischer, die Rakete auch nicht so breit. Man würde trotzdem pro Start sechs Booster herstellen – mit einigen Einsätzen einzelner Booster als Trägerrakete kommt man dann leicht auf eine zweistellige Produktionszahl pro Jahr, was viele andere Träger schon nicht erreichen. Eine Stufe wäre verlängert, könnte aber rationell gefertigt werden, wenn man die Tanks der anderen Stufen von vornherein so wie deren Tanks gefertigt werden (Die Flüssigkeit in den Tanks wird mit einem vielfachen der Erdbeschleunigung beim Start beschleunigt und die Kräfte sind bei einem längeren Tanks so höher. Normal ist bei Tanks auch, dass ihre Dicke wegen dieser Tatsache nicht konstant ist, sondern sie oben dünner als unten sind.
Bei der Bündelung von Stufen sind in jedem weiteren Ring 6 mehr als im vorhergehenden. Also nicht 6 – 9 – 12 sondern 6 – 12 – 18. Lässt sich mit Kleingeld oder anderen runden Dingen leicht nachprüfen.
Eine Möglichkeit wäre auch, mit Crossfeeding zu arbeiten. So etwas wie der heilige Gral der Stufenbündelung. Alle reden davon, aber gesehen wurde es noch nie.
So könnten alle Triebwerke schon vom Start ab laufen, Triebwerke die erst später zünden muss man nicht mitschleppen und auch nicht bezahlen. Bei einem Triebwerksausfall könnte dann der Treibstoff von anderen Triebwerken verbraucht werden. Hat aber auch einen Nachteil: Alle Triebwerke müssen für den Bodenstart ausgelegt sein, für denn Betrieb im Vakuum optimierte Versionen mit höherem spezifischem Impuls sind so nicht einsetzbar. Das könnte aber möglicherweise durch ausfahrbare Düsenverlängerungen umgangen werden.
Crossfeeding hat selbst SpaceX begraben. Durchdenke das mal in der Praxis. Treibstoffleitungen zwischen den Stufen bei den Vibrationen jeder Stufe. Die müssen das Aushalten, dürfen nicht reißen.
Beim Spaceshuttle waren die Treibstoffleitungen jedenfalls kein Problem. Und das obwohl durch die großen Feststoffbooster die Vibriationen warscheinlich stärker waren, als sie bei der Bündelung von Flüssigraketen zu erwarten sind. Sicher wird das mit einigem Entwicklungsaufwand verbunden sein, sollte aber in Griff zu kriegen sein.
Noch ein Vorteil: Ohne Crossfeeding muss der Schub mindestens so groß sein, dass die Oberstufen getragen werden können. Mit Crossfeeding ist die Anzahl der Antriebe immer gleich der Anzahl der Tanksektionen. Wenn nicht die volle Nutzlast gebraucht wird, können beliebig viele Booster weggelassen werden. So lässt sich die Rakete recht flexibel an die Nutzlast anpassen. Schon alleine das sollte den höheren Entwicklungsaufwand rechtfertigen.
Wobei SpaceX bzw. genauer Elon ja zeitweise die Falcon Heavy absägen wollte da das Starship ja kaum später im Dienst sein sollte. Das hat Gwynne Shotwell aber wohl verhindet. Es wird aber wohl mindestens größere „unnötige“ Entwicklungen für die Falcon Heavy verhindert haben