Der neue Rekordhalter bei der bemannten Raumfahrt

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… ist unfreiwillig Oleg Popolow. Die Geschichte zeigt, wo Russland heute in der Raumfahrt steht. Sie beginnt am 22. September 2022. Russland führt seit rund sieben Monaten Krieg gegen die Ukraine und hat Tausende Gefallene, Verwundete und gefangene Soldaten zu beklagen. Um die Verluste auszugleichen, wurde an diesem Tag eine Teilmobilmachung verordnet, die zu einem Exodus zahlreicher potenzieller Wehrpflichtiger in andere Staaten führte. Insgesamt 300.000 Soldaten wurden eingezogen, darunter auch ein Kollege von Popolow. Beide waren Techniker bei der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos und zuständig für verschiedene Arbeiten bei den Startvorbereitungen von Satelliten, Progress-Frachtern und Sojus-Raumschiffen. Vor allem kurz vor dem Start musste Popolow nun Doppelschichten übernehmen, weil in dieser Phase viele Tests und Checks in kurzer Zeit durchgeführt werden. Was zuvor zwei Techniker gemeinsam oder in Schichten erledigten, blieb jetzt allein an Popolow hängen.

Am selben Tag wie die Teilmobilmachung startete auch das Raumschiff Sojus MS-22, am 22. September 2022, mit den Kosmonauten/Astronauten:

  • Sergei Prokopjew (2. Raumflug), Kommandant (Russland/Roskosmos)
  • Dmitri Petelin (1. Raumflug), Bordingenieur (Russland/Roskosmos)
  • Francisco Rubio (1. Raumflug), Bordingenieur (USA/NASA)

Schon bald traten Probleme mit dem Raumschiff auf. Am 15. Dezember 2022 wurde in den Kontrollzentren in Houston und Moskau visuell ein Leck am Servicemodul festgestellt; Sensoren meldeten einen Druckabfall im Kühlkreislauf. Kühlflüssigkeit trat über mehrere Stunden nach außen, was in einer Live-Übertragung auf dem Sender NASA TV sichtbar war. Die NASA gab später an, dass ein Großteil der Ammoniak-Kühlflüssigkeit von Sojus MS-22 in den Weltraum entwichen sei. Damit war die Sojus nicht mehr geeignet, um die Besatzung zur Erde zurückzubringen.

Das war nicht das einzige Leck. In den letzten sechs Jahren gab es insgesamt fünf Vorfälle:

  • Sojus MS-09 (August 2018):
    Ein etwa 2 mm großes Loch wurde im Orbitalmodul der Sojus MS-09 entdeckt, während sie an der ISS angedockt war. Der Druckabfall wurde provisorisch mit Epoxidharz abgedichtet. Spätere Analysen ergaben, dass es sich nicht um einen Einschlag durch Weltraummüll handelte, sondern um eine von innen verursachte Bohrung. Die Mission wurde dadurch nicht beeinträchtigt, da das Orbitalmodul vor dem Wiedereintritt abgetrennt wird.
  • Sojus MS-22 (Dezember 2022):
    Am 14. Dezember 2022 wurde ein Leck festgestellt, vermutlich durch einen Mikrometeoriteneinschlag im Kühlsystem. Sichtbar trat Kühlmittel aus. Die Crew konnte nicht wie geplant mit MS-22 zurückkehren, stattdessen wurde Sojus MS-23 als unbemanntes Ersatzraumschiff gestartet.
  • Swesda-Modul (seit 2020):
    Das Swesda-Service-Modul (gestartet 2000) entwickelte ab August 2020 ein kleines, kontinuierliches Luftleck im Vorraum (Vestibül/Transfer-Tunnel). Später, 2021, wurde bekannt, dass bis zu fünf separate Lecks identifiziert oder vermutet wurden. Die Leckrate stieg mit der Zeit an (Stand Februar 2024: über 1 kg/Tag Luftverlust).
  • Swesda-Transfer-Tunnel (2024):
    Dort besteht weiterhin ein wachsendes Luftleck, das zunehmend als Sicherheitsrisiko bewertet wird. Eine schadhafte Schweißnaht gilt als Ursache. Der Luftverlust nimmt zu, und es wurden mehrere Notfallprotokolle vorbereitet.
  • Nauka-Modul (Oktober 2023):
    Am Backup-Kühler des Nauka-Moduls trat Kühlmittel aus. Der Hauptkühler funktionierte weiter, sodass die Crew nicht gefährdet war. Es war bereits das dritte vergleichbare Leck an russischer Hardware binnen zehn Monaten (nach Sojus MS-22 und Progress MS-21).
  • Progress MS-21 (Februar 2023):
    Auch hier trat Kühlflüssigkeit im Bereich des Frachtraumschiffs aus. Roskosmos machte äußere Einflüsse wie Mikrometeoriten verantwortlich.

Am 24. Februar 2023 startete Roskosmos schließlich das Raumschiff Sojus MS-23, offiziell unbemannt, zur ISS. Mit ihm sollten die drei Besatzungsmitglieder von Sojus MS-22 zurückkehren – was sie auch am 27. September 2023 taten. Durch den Ausfall von Sojus MS-22 hatten sie anstatt 180 Tagen ganze 370 Tage an Bord verbracht.

Doch Sojus MS-23 war nicht unbemannt. Vor dem Start sollte Oleg Popolow die Rückkehrkapsel für eine automatische Ankopplung konfigurieren, was er auch tat. Dabei muss er jedoch – es war bereits seine zweite Schicht an diesem Tag – eingeschlafen sein. So startete die Sojus mit ihm an Bord. Ohne Raumanzug und ohne Mikrofon hatte er keine Möglichkeit, mit der Missionskontrolle Kontakt aufzunehmen. Selbst wenn, wäre es unwahrscheinlich gewesen, dass eine Notlandung eingeleitet worden wäre – man hätte dann ja ein weiteres Sojus-Raumschiff benötigt, um die Besatzung zurückzuholen.

Als Sojus MS-23 an der ISS andockte, bemerkte die Crew sofort, dass jemand an Bord war – es gab Klopfzeichen. Man vereinbarte, dies zunächst nur über die interne Kommunikation zu melden und die sonst übliche Live-Übertragung der Lukenöffnung auf NASA TV nicht zu zeigen. Den Kosmonauten war schnell klar, was passiert sein musste, und sie informierten die Missionskontrolle. Dort stellte man fest, dass Popolow seit dem 24. Februar 2023 nicht mehr aufgetaucht war. Die Kosmonauten erhielten den Befehl zu schweigen. Die NASA hätte sich dem nicht anschließen müssen, tat es aber. Warum, blieb unklar. Möglicherweise wollte man den Partner nicht brüskieren – trotz Konflikten auf der Erde verlief die Zusammenarbeit auf der ISS weiterhin reibungslos. Der Mitflug von Rubio bei MS-22 zeigt dies, obwohl seit dem 16. November 2020 mit Crew Dragon eigentlich ein US-Transportmittel verfügbar war, auf dem sogar russische Kosmonauten mitflogen.

Die Zusammenarbeit erstreckte sich also nach wie vor nicht nur auf die Arbeit an Bord, sondern auch auf den Besatzungstransport. Vielleicht wollte man aber auch keine Diskussion aufkommen lassen, ob es möglich sei, einfach als blinder Passagier zur ISS zu gelangen.

Roskosmos wollte den Vorfall vertuschen. Fortan musste sich Popolow im russischen Segment aufhalten, wo selten gefilmt wurde und keine fest installierten NASA-Kameras existierten. Falls doch, musste er ins PMM ausweichen, das lediglich als Frachtraum genutzt wird. Unter den russischen Stammbesatzungen war er äußerst beliebt – er kannte sich als Techniker mit den Bordsystemen besser aus als die Kosmonauten selbst. Bald übertrug man ihm die Aufgabe, die gesamte Lebenserhaltung, die Elektrik, die Kommunikation und die Computersysteme zu überwachen – unbeliebte Arbeiten, da die russische Technik viele manuelle Eingriffe erfordert. So konnten sich die Kosmonauten auf ihre Experimente konzentrieren.

Eine Lösung schien sich bald anzubieten: Der bemannte Erstflug des Starliners von Boeing. Er sollte nur mit zwei Astronauten starten, hatte aber Platz für vier Besatzungsmitglieder. Popolow sollte den dritten Platz einnehmen.

Aufnahmen während der Landung des Starliners sollte es aus Sicherheitsgründen nicht geben. Nach der Landung wären die beiden Astronauten aus der Kapsel geborgen worden, während Popolow an Bord geblieben und unbemerkt von der Öffentlichkeit auf das Bergungsschiff gebracht worden wäre. Angesichts seines inzwischen eineinhalbjährigen Aufenthalts im All wäre er ohnehin nicht mehr in der Lage gewesen, unter normaler Gravitation ohne Hilfe auszusteigen. Die NASA hatte diesem Plan zugestimmt.

Am 5. Juni 2024 startete der Boeing Crew Test Flight (kurz Boe-CFT) mit den beiden US-Astronauten Barry Wilmore und Sunnita Adams. Geplant war ein achttägiger Aufenthalt; am 13./14. Juni sollte der Starliner wieder landen. Popolow wäre dann bereits 15 Monate an Bord gewesen – ein neuer Rekord für die ISS und länger als der bis dahin längste Raumflug: Der russische Kosmonaut Waleri Poljakow hatte 437 Tage an Bord der Raumstation Mir verbracht – vom 8. Januar 1994 bis zum 22. März 1995. Wäre Popolow am 14. Juni 2024 gelandet, hätte er 476 Tage im All hinter sich.

Während des Flugs des Starliners zur ISS wurden jedoch Heliumlecks festgestellt, zudem fielen mehrere Lageregelungstriebwerke aus. Trotzdem erreichte die Kapsel die ISS, wo sie nach knapp 27 Stunden Flug am 6. Juni um 17:34 Uhr andockte. Die NASA evaluierte die Probleme gemeinsam mit Boeing und verschob die Rückkehr zunächst. Schließlich entschied man sich aus Sicherheitsgründen, den Starliner unbemannt abzukoppeln, da unklar war, ob alle Triebwerke funktionieren würden. Am 7. September 2024 landete der Starliner unbemannt im Ozean.

Roskosmos übte massiven Druck auf die NASA aus, damit Popolow doch zurückkehren könne. Doch die NASA befürchtete schlechte PR im Falle eines Unglücks – auch wenn führende Vertreter der russischen Raumfahrtagentur betonten, Popolow sei ja nur ein Techniker und kein Kosmonaut, zudem ein blinder Passagier.

Ebenso kam es nicht infrage, die Rettungsmission für Wilmore und Adams nur mit einem Astronauten durchzuführen. Zum einen sahen die Regeln zwei Astronauten pro Raumschiff vor, die während Start und Landung wichtige Aufgaben hatten. Zum anderen wäre der Vorfall publik geworden – und nachdem die NASA ihn bereits über ein Jahr vertuscht hatte, wäre ein gewaltiger Shitstorm über die Raumfahrtagentur hereingebrochen.

Auch Verhandlungen mit Axiom verliefen erfolglos. Das Unternehmen führt bemannte Flüge zur ISS durch: Zwischen dem 21. und 31. März 2024 war die Mission Axiom-2 mit vier Weltraumtouristen an Bord der ISS, und vom 18. Januar bis 9. Februar 2024 die Mission Axiom-3. Warum Popolow nicht über diese Flüge zurückgeholt wurde, ist unklar. Vielleicht wollte man die Aufmerksamkeit nicht von den Missionen ablenken – wahrscheinlicher aber erschien das Risiko zu hoch, da von den Teilnehmern nur einer ein ausgebildeter Astronaut war.

Nach Amtsantritt von Donald Trump schien es zunächst, als würde er einer Sonderregelung zustimmen. Er redete sogar öffentlich über eine Rückkehr, die US-Medien interpretierten diese Astronauten als Wilmore / Williams doch Trump der keine Namen nannte meinte eigentlich Popolow. Doch Trump überlegte es sich anders, auch weil es Streit mit Musk gab. Roskosmos-Chef Juri Borissow gab daher die Order aus, das nächste Sojus-Raumschiff nur mit zwei Kosmonauten zu starten und Popolow zurückzuholen.

Im Februar 2025 jedoch kam es zu einem Führungswechsel bei Roskosmos. Präsident Wladimir Putin entließ den Roskosmos-Chef Juri Borissow überraschend. Sein Nachfolger wurde Dmitri Bakanow, zuvor stellvertretender Verkehrsminister. Offiziell sprach man von einer „Rotation“. Hintergrund waren wiederholte Rückschläge für die russische Raumfahrt, darunter die Lecks in der ISS, die Probleme bei Sojus MS-22 und Progress MS-21, die gescheiterte Luna-25-Mission und natürlich auch der „Fall Popolow“.

Bakanow wollte nichts mehr von einer Zweierbesatzung wissen – das käme einem Schuldeingeständnis gleich. Stattdessen versuchte er es über einen persönlichen Kontakt zu Elon Musk, dem Chef von SpaceX. Errol Musk, der Vater von Elon Musk, nahm am „Future Forum 2050“ teil, das vom 9. bis 10. Juni 2025 in Moskau stattfand. Dieses Forum wurde vom kremlnahen Zargrad-Institut organisiert. Errol Musk war einer der Redner und traf dort hochrangige Vertreter von Roskosmos, die ihn gewinnen wollten, mit Elon Musk zu sprechen.

Doch der Plan hatte einen Haken: Elon Musk hält nicht viel von seinem Vater. Das Verhältnis gilt als stark zerrüttet. Elon beschrieb seine Kindheit unter der strengen und teils demütigenden Erziehung seines Vaters als „mentale Folter“. Errol Musk gilt als autoritär und soll seinen Sohn zeitweise gedemütigt haben. Zwar gab es immer wieder minimale Kontakte, meist über kurze Nachrichten, doch zu einer Begegnung zwischen den beiden kam es nicht.

Inzwischen ist Popolow fast drei Jahre im All, und sein Gesundheitszustand hat sich in den letzten Monaten verschlechtert. Gerade die lange Dauer spricht nun aber dafür, dass Russland ihn doch offiziell zurückholen will. Denn Popolow ist nun so lange im All, wie eine Marsexpedition normalerweise dauern würde: 33 bis 36 Monate. Das ist nicht nur ein neuer Rekord – Roskosmos plant offenbar, dies als bewusstes Experiment für den Langzeitaufenthalt im All zu verkaufen. Damit will man das bisherige Schweigen rechtfertigen: Man habe das Experiment nicht gefährden wollen. Demnach soll Popolow absichtlich mit Sojus MS-23 zur ISS gebracht worden sein.

Am 27. November 2025 soll Sojus MS-27 mit den Kosmonauten Sergei Kud-Swertschkow und Sergei Mikaew starten. Der US-Astronaut Christopher Williams wurde dagegen von der Besatzungsliste gestrichen. Für Russland bedeutet das keinen Verlust, da keiner ihrer eigenen Kosmonauten auf einen Platz verzichten muss. Noch ist dies nicht offiziell, aber man erwartet in den nächsten Tagen eine entsprechende Erklärung von Bakanow.

Spannend wird sein, in welchem Zustand Popolow zurückkehrt – und ob er die Strapazen beim Wiedereintritt überhaupt übersteht. Er hat enorm viel Muskelmasse verloren, und auch die Knochendichte soll kritisch sein. Sollte er die Rückkehr überstehen, erwartet ihn ein Empfang durch Putin persönlich, der ihm einen Orden verleihen will.

One thought on “Der neue Rekordhalter bei der bemannten Raumfahrt

  1. Sehr lustig. Und Du hast mal gemeint, dass Du keine Fantasie hättest. Vielleicht solltest Du tatsächlich mal Dein Portfolio um Romane erweitern? Ich fand diese Geschichte durchaus witzig und amüsant, auch wenn schnell klar wurde, dass es Fiktion ist.

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