Der nationale Erkundungssatellit

Ich will heute mal an einem fiktiven Beispiel zeigen wo die Probleme eines Aufklärungssatelliten liegen. Nehmen wir mal an, die deutsche Regierung wöllte einen täglichen Überblick haben was so in Deutschland los ist – wo es Staus gibt, wo Umweltsünder am Werke sind etc. Dafür soll ein Satellit angeschafft werden der nur Deutschland aufnimmt, dafür in hoher Auflösung und möglichst oft. Was sind die Anforderungen an ein solches System?

Nun: Zuerst zu „möglichst oft“: Der Orbit eines Satelliten bleibt raumfest, während sich die Erde unter ihm dreht. Das minimale Intervall bei dem ein Gebiet erneut besucht werden kann ist ein Tag. Doch dann muss der Satellit auch an der richtigen Stelle sein. Nehmen wir einen Orbit von 100 Minuten Umlaufszeit. Nach einem Tag (1440 Minuten) hat der Satellit 14,4 Orbits dann durchlaufen – die 0,4 Orbits zuviel entsprechen einer Winkelstrecke von 144 Grad, das heißt er dürfte sich dann nahe des Südpols sein. Wenn er nach 0,6 Umläufen wieder über dem Breitengrad von Deutschland ist, hat sich die Erde schon um 1070 km weiter gedreht, er würde also Spanien überfliegen.

Daraus ergibt sich als Forderung, dass die Bahn eine Umlaufszeit hat die einem geradzahligen Bruchteil der Tagesdauer beträgt. Denkbar wären 90 Minuten (16 Umläufe pro Tag), 96 Minuten (15 Umläufe) oder 102,8 Minuten (14 Umläufe pro Tag).. Nun 90 Minuten Umlaufszeit scheiden aus – die Bahn liegt in nur 280 km Höhe, der Satellit würde zu viel Treibstoff brauchen um diese Bahnhöhe zu halten. 96 Minuten Umlaufszeit führen zu rund 570 km Höhe – eine passende Höhe und bei 14 Umläufen sind es 890 km Höhe – ebenfalls ein passabler Wert.

Sofern es sich nicht mit der Auflösung „beisst“ ist eine höhere Bahn vorzuziehen, weil so mehr Gebiet verzerrungsfrei gesehen wird und die Zeitdauer für eine Funkverbindung länger ist. Um diese zu maximieren sollte die Umlaufbahn polar sein, dann kann eine in Polnähe stationierte Empfangsstation (z.B. auf Nordnorwegen) bei den meisten Umläufen einen Funkkontakt herstellen.

Das führt uns zum nächsten Punkt: Der Datenmenge die übertragen werden kann. Berechenbar ist die Zeit die ein Satellit braucht um bei einer Empfangsstation von Horizont zu Horizont zu ziehen, wenn er sie direkt überfliegt:

Bahnhöhe Kontaktzeit
570 km 12,46 Minuten
890 km 16,36 Minuten

Diese Zeit kann nicht voll genutzt werden. Nahe des Horizonts kann die Landschaft stören und es gibt Störungen durch Reflektionen an der Erdoberfläche. Zudem ist die Empfangsstation nicht genau am Nordpol, wenn auch in hohen polaren Breiten. Angenommen 60 % der Zeit wäre nutzbar, so erhält man 112 und 127 Minuten Kontaktzeit pro Tag.

Bei der Datenrate orientiert man sich am besten an vorliegenden Satelliten – TerraSAR-X überträgt 300 MBit/s zum Boden und Worldview 800 MBit/s. Nimmt man nur die kleinere der beiden Datenraten, so kommt man auf 2,106 und 2,286 TeraBits (Millionen Millionen Bits) pro Tag.

Diese Datenmenge verteilt sich nun auf die abgebildete Fläche. Deutschland hat eine maximale Breite von 640 km und eine Länge von 876 km. Geht man also von einer Fläche von 700 x 1000 km aus um etwas Luft für Verschiebungen zu haben so entfallen auf einen Quadratkilometer jeweils etwa 3 MBit. Bei 12 Bits pro Bildpunkt (keine Kompression) sind dies rund 250.000-270.000 Bildpunkte pro Quadratkilometer, oder eine Auflösung von rund 2 m pro Bildpunkt.

Eine solche Auflösung ist technisch kein Problem. Selbst aus der höheren Umlaufbahn von 890 km Höhe reicht dazu ein Teleskop von 25 cm Durchmesser. Das ist kein sehr großes Instrument. Das Problem liegt auf einer anderen Ebene:

Bei einer Auflösung von 2 m pro Bildpunkt braucht man für einen 700 km breiten Streifen eine Scanzeile von 350.000 Punkten. Diese kann nicht aus einem Detektor gefertigt werden. Doch selbst wenn diese aus mehreren Detektoren gefertigt wird, wie dies beim MRO geschieht, so gibt es das Problem, dass jedes Teleskop nur ein beschränktes Bildfeld aufweist. Dabei nimmt die Bildfeldkrümmung mit zunehmenden Abstand vom Mittelpunkt ab. Der MRO nutzt ein Bildfeld von 243 mm Breite bei 650 mm Öffnung. Damit wäre bei einem 25 cm Teleskop eine Scanzeile von 97 mm Breite nutzbar. Bei dem Aufbau des Detektors aus einem Standard Fairchild TDI 10121 sind dies nur 22,2 km Breite.

Das zeigt das Problem: Will man einen Staat überwachen, der nicht gerade sehr lang oder klein ist (wie Argentinien oder Chile) so scheiden hohe Auflösung und komplette Flächenabdeckung sich aus. Selbst wenn fünf Kameras in Reihe geschaltet werden, wären es bei Deutschland nur 110 km Breite mit 2 m Auflösung. Für eine komplette Abdeckung muss man also mit der Auflösung heruntergehen, auf 12-13 m.

Das erlaubt es immerhin als Ausgleich mehrere Spektralkanäle nämlich über 30 zu nutzen. Das ist bei TDI Arrays recht einfach, wenn Zeilen mit Filtern versehen werden.

Die nächste Frage ist, ist diese Datenmenge speicherbar? Es gibt hier zwei Einschränkungen: Die Ausleserate des Chips und die Datenrate von Massenspeichern. 2 TBit kann nicht in DDR-RAM gespeichert werden, aber es sind nur 256 GByte, eine Kapazität die schnelle SSD aus Flash Bausteinen schon aufweisen. Die schnellsten Exemplare übertragen rund 200 MByte/s. Reicht dies nicht, so können mehrere SSD kombiniert werden zu einem RAID-Array.

Das TDI CCD 10121 liefert maximal 160 MHZ. Die Bitzahl pro Pixel ist unbekannt. Setze ich 12 an, so reichen zwei SSD für die Datenspeicherung. (Datenrate 240 MByte/s) Wird nur ein Spektralkanal benutzt so resultiert eine Datenrate von rund 1,2 MHz. Technisch möglich wäre also das gleichzeitige Auslesen von 128 Spektralkanälen, also mehr als zum Boden übertragen werden können.

In der Praxis wird ein solcher Satellit daher wahrscheinlich eine Kombination sein: einige Spektralkanäle mit niedriger Auflösung und einer kleineren Optik und einige mit hoher Auflösung.

Eine Alternative ist es nicht das in Erderkundungssatelliten übliche lineare CCD einzusetzen, sondern ein CCD Array. Von Fairchild gibt es z.B. das CCD 595 mit 9,2 x 9,2 KPixel. Dann wird ein Shutter benötigt und man kann die Kamera schwenken und so eine größere Fläche absetzen. Bei 2 m Auflösung pro Pixel dauert es 2,7 Sekunden bis die Szene die Längsrichtung des CCD durchlaufen hat. Während dieser Zeit kann man die Kamera quer zur Flugrichtung schwenken und mehrere Aufnahmen machen die zusammen die Breite Deutschlands abdecken. So haben schon die ersten KH-1-4 Satelliten ihre Aufnahmen gemacht. Die Belichtungszeit muss nur kurz genug sein um die Bewegungsunruhe durch Bewegung der Kamera und Schwenken einzufrieren. Ohne genaue Angaben des CCD kann man dies nicht berechnen. Doch ich habe mir erlaubt mal eine Hochrechnung von den Daten meiner Digitalkamera mit 2,1 µm großen Pixeln auf ein Teleskop mit 3900 mm Brennweite und 254 mm Öffnung (passend für das CCD) zu extrapolieren: Bei Blende 8 zeigt mir die Kamera eine Belichtungszeit von 1/100 s an. So extrapoliert auf Blende 15,3 und 8,75 mm großen Pixels komme ich auf 1/500 s Belichtungszeit. Das ist deutlich zu langsam (In 1/500 s bewegt sich alleine die Erde gegenüber dem Satelliten um 14 m).Auch wenn die Angabe nur eine Hausnummer sein kann (echte CCD sind empfindlicher als die in einer billigen Digitalkamera, im All herrscht mehr Licht, da die Atmosphäre Licht schluckt und ich habe die Messung heute gemacht – ein Sommertag wäre wohl passender gewesen) Das bedeutet, dass eine aufwendige Mechanik mit Bewegungskompensation während der Aufnahme erforderlich ist (in zwei Richtungen) und sofort danach schneller beschleunigt werden muss um die Kamera in die neue Aufnahmeposition zu bringen – praktisch wohl kaum machbar und zu anfällig gegenüber Defekten. Erst wenn die Belichtungszeit deutlich kleiner als die Bewegunsgrichtung ist wird diese nicht benötigt: Will man aber 700 km Breite in 2,7 s Sekunden abfahren so müsste die Belichtungszeit bei 2,7 s Zeit kleiner als 1/130.000 s  sein – praktisch nicht möglich.

Die Lösung ist das was die Bundeswehr heute schon betreibt: Den Einsatz von Radar. Radarantennen können elektronisch geschwenkt werden – keine Mechanik nötig. was heute noch nicht möglich ist, ist gelichzeitig hohe Auflösung und große Abdeckungsfläche.

Das Beispiel zeigt, warum es für einen Staat praktisch recht zweckfrei ist nur für eigene Zwecke einen Satelliten zu starten – man kann ihn nicht vollständig ausnutzen. Selbst wenn es die Möglichkeiten heute gibt die Daten für eine hohe Auflösung zu gewinnen und zu speichern und zum Boden zu übertragen, so wird man immer nur einen kleinen Streifen abdecken (außer man installiert eine ganze Batterie von Teleskopen, die genau zueinander justiert sein müssen). Will man eine Fläche die einem Staat entspricht bei einem Umlauf abdecken so muss die Auflösung niedrig gewählt werden und dann kann der Satellit genauso gut größere Teile der Erde ablichten. (Unser Satellit z.B. in 5 Tagen die ganze Erde)

Das ist auch ein Grund warum Erdbeobachtungssatelliten üblicherweise keine Bahnen haben die ein Gebiet jeden Tag überfliegen, sondern je nach System alle 7-18 Tage – in der Zwischenzeit können sie bei höherer Auflösung größere Gebiete der Erde abdecken.

2 thoughts on “Der nationale Erkundungssatellit

  1. Bezüglich CCDs mal anschauen, was beim ESA-Projekt Gaia gerade implementiert wird: Der Satellit verwendet flächige CCDs, sonst würde er viel zu wenig des einfallenden Lichts nutzen. Er verwendet diese flächigen CCDs aber im „Scan-Betrieb“: Der Satellit rotiert, und somit verschiebt sich das Bild auf dem CCD langsam. Und genau mit der Rotationsrate schieben die Register auf dem CCD die bereits akkumulierte Ladung weiter.

    Das könnte man für die im Artikel angedachte Überwachungskamera auch nutzen. Denkbar wäre z.B., fünf bis zehn Kameras samt Objektiven auf einem Rad zu montieren und dieses mit der nötigen Drehzahl zu versehen, damit alle ein bis zwei Sekunden eine dieser Kameras einen Streifen von Deutschland aufnimmt. Statt drehbarem Rad kann man natürlich auch gleich den ganzen Satelliten drehen lassen.

    In Drehrichtung der Kameras kommen dann natürlich die schon erwähnten synchronisierten CCDs wie auf Gaia zum Einsatz. Indem die Drehachse leicht gegen die Flugrichtung versetzt ist, wird der Vorwärtsflug des Satelliten (weitgehend) korrigiert: Zum Beginn des Scans schaut die Kamera z.B. 350 km nach links und 4 km nach vorne. Gut 1 Sekunde später sind es dann 350 km nach rechts und 4 km nach hinten.

    Wie schon erwähnt, sollen am Schluss 350000 Pixel in der Breite aufgelöst werden. Bei 3500 Pixel pro „Bild“ (dank des kontinuierlichem Betriebs gibt es ja nicht wirklich Bilder) entspricht das 100 Bildern pro Sekunde. Bleibt die Frage, ob das Objektiv lichtstark genug sein kann für diese Bildrate: Immerhin wird ja ein Ausschnitt von lediglich ca. 7 x 10 km aus 890 km Höhe erfasst. Entsprechend beträgt die nötige Brennweite das ca. 100-fache der Sensor-Breite!

    Kai

  2. Bei dem angesprochenen 10121 CCD handelt es sich auch um ein TDI CCD, wie bei Gaia. Das Problem liegt bei einer Bewegung darin, dass TDI nur in einer Richtung möglich ist – man kann so das Schwenken des Teleskop kompensieren, hat aber immer dann noch mit der Bewegungsunschärfe durch die Bahnbewegung zu kämpfen.

    TDI Sensoren sind an sich nichts neues. Alle Erdbeobachtungssatelliten setzen sie ein.

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