Warum gibt es so wenige Triebwerke die nach dem Hauptstromverfahren arbeiten?

… zumindest im Westen, denn in Russland gibt es viele. Zeit für einen Beitrag über die Grundlagen. Im Prinzip kann man das ja auch alles auf der Website nachlesen, doch wer macht das schon?

Fangen wir mal erst mal mit was Grundlegendem an: wie kommt der Treibstoff in die Brennkammer. Jedes Triebwerk das flüssige Treibstoffe einsetzt, muss diese (Treibstoff soll hier eine Sammelbezeichnung für Verbrennungsträger und Oxydator sein) gegen den Brennkammerdruck einspritzen. Dieser entsteht durch die Verbrennung des Treibstoffs, wenn aus Flüssigkeiten Gase werden.

Die einfachste Möglichkeit ist die Druckgasförderung, Dabei stehen die Treibstofftanks selbst unter Druck. Dieser Druck presst den Treibstoff in die Brennkammer. Mit vertretbarem Gewicht für dick Tanks beträgt bei Satelliten so der Tanndruck 20 bar, der Brennkammerdruck muss geringer sein, sonst klappt das Einspritzen nicht. Druckgas geförderte Triebwerk arbeiten daher mit niedrigem Brennkammerdruck typisch 8 bis 12 bar. Damit kann man sie kaum am Erdboden einsetzen, da hier schon der Außendruck 1 bar beträgt und die Brennkammer ist relativ groß, verglichen mit höheren Bremnnkammerdrücken bei gleichem Schub.

Die Lösung ist es den Treibstoff aktiv gegen den Brennkammerdruck zu fördern, das heißt einen Druck durch eine Maschine aufzubauen. Das älteste Verfahren ist das Nebenstromverfahren im englischen „Gas Generator Cycle“ was auch die praktische Umsetzung beschreibt. Ein Gasgenerator (eine Brennkammer ohne Düse) erzeugt ein Arbeitsgas. Das Arbeitsgas treibt eine Gasturbine an, die über eine Welle eine Pumpe antreibt, das ganze ist meist ein Komplex und wird als Turbopumpe bezeichnet. Das Arbeitsgas wurde früher (A4, Redstone) extra erzeugt. Dazu wurde Wasserstoffperoxid katalytisch zersetzt, Gas also „generiert“, woraus die Bezeichnung des Verfahrens herkommt. Heute üblich ist das Abzweigen eines Teils des Treibstoffs aus dem Fluss zum Triebwerk und Verbrennen im Überschuss einer Komponente, damit die Gastemperaturen in für Metalle ohne Kühlung erträglichen Maßen bleiben. Er kann beim Nebenstromverfahren dann aber nicht nochmal verbrannt werden.

Der Nachteil ist, das je höher der Brennkammerdruck ist (und er sollte zur Erhöhung des Wirkungsgrades hoch sein) man immer mehr Gas braucht. Das Arbeitsgas steht aber nicht mehr zur Verbrennung zur Verfügung. Irgendwann ist der Gewinn durch einen höheren Brennkammerdruck geringer als der Verlust an Treibstoff für den Antrieb. Das Optimum für Gasgeneratortriebwerke liegt bei etwa 90 bis 100 bar Brennkammerdruck.

Die Lösung für das Dilemma ist es diesen Gasstrom auch in das Triebwerk zu lenken. Da nun der Nebenstrom wegfällt nennt man dies das Hauptstromverfahren. Dabei gibt es zwei Verfahren. Das am Gasgeneratorverfahren angelehnte ist das Staged Combustion Verfahren, gestufte oder gestaffelte Verbrennung. Dabei wird ein Teil des Treibstoffs verbrannt, dieses Gas treibt die Turbopumpe an und wird mit geförderten Treibstoff eingespritzt. So kann man sehr hohe Brennkammerdrücke (170 bis 250 bar) erreichen. Das ganze klingt wie eine supertolle Lösung, doch die Anforderungen an die Technik sind gewaltig. Da die Gase beim Passieren der Turbopumpe an Druck verlieren arbeiten die Turbopumpen mit sehr hohen Drücken. Beim RS-25 treten Drücke von bis zu 423 Bar auf. Die Drehzahlen sind ebenso sehr hoch. Problematischer bei der Konstruktion ist, dass die Einzelteile mit einander verzahnt sind. Bei einem Nebenstromtriebwerk kann man Brennkammer, Turbopumpe und andere Subsysteme separat entwickeln und auch austauschen. Änderungen wirken sich selten auf das Gesamtsystem aus. So hat man beim J-2X die Turbopumpe des J-2S durch die des Aerospike Triebwerks ersetzt. Beim Hauptstromtriebwerk geht dies nicht und die Probleme beginnen schon beim Anlassen. Bei einem herkömmlichen Triebwerk startet man den Gasgenerator entweder durch ein Startgas oder eine Gas bildende Kartusche (z.B. Feststofftreibstoff) und öffnet die Treibstoffventile, der langsam auf Turen kommende Gasgenerator fördert den Treibstoff, und baut den Brennkammerdruck auf, er wird dann konstant gehalten weil ein konstanter Teil des Treibstoffs durch den Gasgenerator strömt und dieser so einen konstanten Gegendruck erzeugt und eine konstante Treibstoffmenge fördert.

Bei dem Hauptstromtriebwerk erzeugt ein Vorbrenner das Arbeitsgas, dass nun die Turbine auf hohe Drehzahlen bringt. Sie kommt innerhalb eines Sekundenbruchteils auf ihre Nenndrehzahl weil der Vorbrenner nur mit Tankdruck arbeitet, also von Anfang an schon die immer gleiche Treibstoffmenge fördert und nicht erst langsam hochläuft, doch es gibt noch kennen Gegendruck von der Brennkammer. Die muss nun einen Sekundenbruchteil (beim SSME: 0,1 s) später zünden, sonst würde die Rotationsgeschwindigkeit der Blätter zu hoch werden und sich die Turbine zerlegen. Zündet sie zu früh, so ist die Turbopumpe noch nicht hochgelaufen und der Gegendruck treibt heißes Verbrennungsgas in sie und sie schmilzt. Beim SSME dauerte es Monate nur um die ersten 3 s der 4,7 s langen Startsequenz bei den Tests zu erreichen.

Das zweite Verfahren, das Expander Cycle oder Bootstrap Cycle. Es ist vom Aufbau her das einfachste Verfahren: Eine Komponente des Treibstoffs, die mit dem niedrigeren Siedepunkt wird zum Teil zuerst durch die Brennkammerwand geleitet, verdampft dort und erzeugt das Arbeitsgas für die Turbopumpe, die nun die zweite Komponente und den Rest des Treibstoffs fördert. Das klingt einfach und ist es im stationären Zustand auch. Das Problem ist auch hier das Anlassen. Dann hat die Brennkammerwand noch nicht die hohen Temperaturen. Dazu gibt es verschiedene Lösung z.B. einen Tank mit Startgas der zuerst die Turbopumpe antreibt damit diese anläuft und die Brennkammer gezündet werden kann. Erzeugt diese erst mal Hitze, dann reicht das erzeugte Arbeitsgas für den Betrieb aus. Da das Gas erst die Turbopumpen erreicht wenn es schon vorher die Brennkammerwand durchlaufen hat, baut sich der Druck langsam auf. Um Kavitation zu unterdrücken, war es bei den ersten Konstruktionen üblich eine Vorpumpe direkt nach dem Tank zu schalten die die Leitungen auf einen höheren Druck setzte. Diese wurde mit einem Gasgenerator angetrieben. Bei modernen Konstruktionen reicht der Tankdruck alleine aus. Die Grenzen des Expander Cycle liegen in zwei Limitationen: Der Treibstoff muss leicht verdampfbar sein und sich nicht zersetzten. In der Praxis wird es nur mit Wasserstoff eingesetzt. Das zweite ist, das der Treibstoff muss genügend Energie aufnehmen muss, um zu verdampfen und genügend Druck für die Turbinen zu bilden. Da je größer ein Triebwerk wird, seine Oberfläche im Verhältnis zum Schub abnimmt, eignet sich das Verfahren nur für kleine bis mittelgroße Triebwerke.

Es gibt noch ein drittes Verfahren, das aber soweit ich weis in keinem eingesetzten Triebwerk genutzt wird: Es ist das Topping oder Bleeding verfahren. Dabei wird aus den heißen Gasen der Brennkammer ein Teil abgezapft und für den Antrieb der Turbine genutzt.

Gibt es nun das optimale Verfahren? Das Expander Cylce Verfahren eignet sich wegen des geringen Schubs nur für Oberstufen, ebenso die Druckförderung, Gasgenerator oder Staged Compustion Verfahren eignen sich auch für Erststufen. Zumindest bei Wasserstoff als Treibstoff sind wegen der hohen Fördervolumina die Anforderungen beim staged Compustion Verfahren deutlich höher als beim Gasgeneratorverfahren. Das zeigte sich sowohl bei der Entwicklung entsprechender Triebwerke in Russland wie den USA. Dagegen baut Russland seit Mitte der sechziger Jahre vorwiegend Triebwerke mit lagerfähigen Treibstoffen und dem Staged Combustion Prinzip während man im Westen meistens das Gasgeneratorverfahren nutzt. Allerdings sind hier durch die höhere Dichte die Anforderungen auch geringer als bei der Verwendung von Wasserstoff und die Entwicklung der LOX/LH2 Triebwerke für die Energija (RD-0120) gestaltete sich in Russland genauso aufwendig wie die SSME.

 

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