ESAs Beitrag zur ISS ab 2020

Ich bekam gestern ein vorläufiges MoU (Memorandum of Understanding) zwischen der NASA und ESA von einem DLR-Mitarbeiter zugeschickt mit der Frage, ob mich das interessieren würde und ich vielleicht mein Buch zum ATV neu auflegen wöllte. Das noch nicht öffentliche Dokument skizziert eine Übereinkunft zwischen der NASA und ESA, wie man die Finanzierung der ISS durch die ESA seit 2020 umsetzen könnte.

Bei der ISS funktioniert alles auf der Basis von Gegenleistung und Kompensationen. Das heißt die ESA bezahlt nicht für die Betriebskosten, sondern bringt Sachleistungen ein. Das waren für die zehn Jahre von 2006 bis 2016 die ATV Flüge. Von 2017 bis 2020 baut man die Servicemodule der Orion. Nun steht eben aus, wie es danach weitergeht. Beschlossen ist der Betrieb bis 2028. Dafür gab es lange Zeit keine Lösung. Die ESA hätte gerne weitere Servicemodule für die Orion gestellt, doch angesichts des unterfinanzierten Explorationprogramms, bei dem schon das erste Servicemodul erst 2024 starten soll, war die NASA da nicht so begeistert von dem Vorschlag. Der Ausfall der Sojus hat nun die Entwicklung beschleunigt.

So richtig zufrieden war man bei der NASA nicht, das man auf die Russen für die Transporte angewiesen war. Die Zusammenarbeit mit Russland war nie unproblematisch. Als die Verträge 1993 abgeschlossen wurden, plante Russland neben Sarja und Swesda zwei weitere Labormodule und ein kombiniertes Modul mit Solarzellen. Damit war auf dem Papier der russische Teil in etwa genauso leistungsfähig wie der westliche Teil. Entsprechend wurde die Station in einen russischen und westlichen Teil aufgeteilt mit Gleichberechtigung sowohl was die Versorgung wie auch Kontrollzentren und Mannschaft betrifft. Nur blieb vom russischen Teil nur die ersten beiden Module, die von MIR-2 stammten die als Nachfolger von Mir geplant wurde aber nie fertiggestellt wurde.

Russland hat schon die NASA verärgert als sie, bis die Station 2009 voll ausgebaut war, Touristen mitführte. Das hat Russland auch für die Zukunft angekündigt, wenn die Sitze für die NASA-Astronauten wegfallen. Nur waren alle anderen Nationen auf Russland angewiesen. Wegen des Mannschaftstransports, aber seit dem letzten ATV auch wegen der Progress die seitdem als einziger Transporter die Station anheben können.

In den letzten Jahren gab es immer mehr Probleme. Zweimal ging eine Progress bei Fehlstarts verloren, die neuen Sojusraumschiffe haben Probleme wie zu spät ausgelöste Bremsraketen, Alterung der Oberfläche. In diesem Jahr ist es jedoch schlimmer geworden. Erst das Leck in der Sojus die Gerst zur Station brachte und das bei der Montage entstand und nur geflickt wurde, nun der Fehlstart durch einen falsch eingebauten Sensor. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion kämpft Russland mit Fertigungsproblemen sowohl bei Raketen wie auch Raumschiffen (Phobos-Grunt). Davon war bisher das bemannte Programm verschont. Das scheint nun aber auch betroffen zu sein.

Die NASA hat der ESA einen Vorschlag gemacht, wie diese die Jahre 2021 bis 2024 kompensieren kann und auch einen Vorschlag für eine zweite Verlängerung bis 2028, die bis vor einigen Monaten ja auch von US-Seite aus feststand. Inzwischen hat Trump das Datum wieder infrage gestellt. Die ESA soll für die Periode 2021 bis 2024 zwei ATV bauen. Anders als die bisherigen sollen diese aber keinerlei Fracht unter Druck transportieren, dafür haben die USA ja selbst drei Systeme. Stattdessen soll der Vorrat an Reboost-Treibstoff erhöht werden und ebenso die Mitnahme von Refülltreibstoff und Gasen. Beides wäre nach einem vorläufigen Gutachten möglich. Man würde in das Servicemodul einen weiteren Ring mit Treibstoff/Gastanks einziehen und ebenso im Druckbehälter einen zweiten Ring mit Luft, Wasser und Treibstofftanks. Dafür wird der Druckbehälter gekürzt und endet nach dieser Sektion gleich im Koppeladapter, während das Servicemodul verlängert wird. Gefordert wird auch eine Betriebszeit der ATV von zwei Jahren an der ISS. Für die Periode von 2025 bis 2028 werden dagegen zwei Servicemodule als Kompensation gefordert. Eines ist für eine Explorationsmission geplant, das zweite soll an die ISS ankoppeln und sie mit dem Antrieb deorbitieren. Demnach wäre der erste ATV-Start für 2022 geplant. Er würde bis 2024 an der ISS bleiben. Ein weiteres Jahr lang würde die Station mit dem Refülltreibstoff auskommen. 2025 folgt das zweite ATV, das bis 2027 an der Station bleibt. 2028/29 dann das Servicemodul der Orion, das ja auch auf dem des ATV basiert und das die Station dann deorbitiert.

Der Vorschlag wird nun von der ESA geprüft, man stehe ihm von der DLR als größtem Nettozahler für die ISS positiv gegenüber. Für Europa wäre es eine gute Möglichkeit der Kompensation und die NASA wäre damit unabhängig von Russlands Transportdiensten, wenngleich mann immer noch die Module braucht, da das ATV nur in der Längsachse der Station ankoppeln kann.

Doch auch letzteres, also die russischen Module, scheinen zur Diskussion zu stehen, denn die Beziehung der NASA zu Roskosmos sind bestenfalls ambivalent. Das fing schon vor dem ersten Modul an, das ja gerade seinen zwanzigsten Geburtstag feierte. Als der Vertrag zwischen Roskosmos und NASA unterzeichnet wurde, war eine Station geplant, die aus einem westlichen und russischen Teil bestand – mit gleichberechtigten Partnern. (Siehe oben) Der russische Teil wäre genauso groß wie der westliche Teil gewesen, hätte sogar seine eigene Stromversorgung gehabt. Schon vor dem Start von Sarja reduzierte Russland das auf ein Modul Nauka. Ein weiteres Modul wurde durch Rasswet ersetzt, das nichts anderes als eine Verlängerung des Ankopplungspunktes ist, damit bei weiteren umgebenden Modulen noch eine problemlose Ankopplung an Swesda möglich ist, ohne das diese den Zugang behindern. Rasswet musste schon mit einem Space Shuttle ins All gebracht werden, da Russland nicht mal das Geld für die Trägerrakete hatte. Bei Swesda, als russisches Kernmodul finanzierte die NASA sogar den Bau mit. Nauka als letztes Modul ist immer noch nicht im Orbit – als ich die erste Auflage meines ISS Buchs schrieb war von 2011 die Rede, bei der zweiten Auflage schon von 2017 und inzwischen redet man von 2020. Geplant war übrigens mal ein Start für 2006 …

Dann folgten die Beförderungen von Weltraumtouristen zur ISS während der Ausbauphase. In der Zeit reichten die Ressourcen nur für einen Daueraufenthalt von zwei Personen. Eine Sojus konnte aber drei Personen. So wurde zum Teil ein Astronaut mitgeführt, der dann nach etwa einer Woche mit der alten Besatzung zurückkehrte. Russland startete aber auch Weltraumtouristen. Mit dem Vollausbau, wo die Ressourcen dann für sechs Personen reichen, musste Roskosmos dies einstellen. Trotzdem ist eines geblieben: Die Verträge gelten nach wie vor. Obwohl Russland also nur ein Modul selbst finanziert hat, hat es Anrecht auf 50 % aller Astronauten. Die restlichen 50 Prozent muss sich die NASA dann noch mit der ESA und JAXA teilen, zusammen mit einem kleinen Anteil der CSA machen die 25 % des westlichen Teils aus. Entsprechend haben ESA und JAXA im Mittel jeweils einen Astronauten alle zwei Jahre für 6 Monate auf der Station.

Nun gab es in den letzten Jahren auch zusätzliche Probleme bei den russischen Services. Zuerst bei Progress-Raumkapseln, von denen zwei verloren gingen, nun auch bei der Sojus TMA. Bisher blieb das bemannte russische Raumfahrtprogramm von den Problemen, die Russlands Raumfahrt hat, verschont, wahrscheinlich, weil man hier immer noch mehr kontrollierte und vielleicht auch besser bezahlte. Nun scheint die Dauerkrise, die Russland eigentlich seit zwei Jahrzehnten hat auch die bemannte Raumfahrt erreicht zu haben.

Dazu kommen noch die allgemeinen politischen Probleme, die es zwischen den USA und Russland gibt – Stichwort Ukraine-Annektion und Einmischung in den US-Wahlkampf – und Ankündigungen Roskosmos die bestenfalls irritierend sind, wie das man die ISS-Module abkoppeln würde, um eine eigene Station aufzubauen. Daran glaubt niemand, wahrscheinlich nicht mal in Russland, angesichts dessen das man schon Probleme hat, Nauka in den Orbit zu bekommen. Ernster zu nehmen ist die Ankündigung erneut Weltraumtouristen zur ISS mitzunehmen, wenn die USA mit ihren CRS-Raumschiffen starten, denn dann werden „eineinhalb“ Sitzplätze (drei pro zwei Starts) frei. Das würde es erlauben, bei jedem Start einen Touristen mitzuführen. Die NASA kann dies nicht verhindern, ist Roskosmos doch frei in der Wahl, wen sie ins All schicken. Die NASA muss ja schon für ihre Flüge bezahlen, weil die Kompensation Russland in den Progress.-Frachttransporten besteht.

Nun taucht in dem Papier eine Passage auf, in der die Forderung steht, dass die neuen ATV fähig sein sollen, einen IDA-Adapter als Kopolungsmöglichkeit zu integrieren um an einem „US-Replacement for Zwesda“ anzukoppeln. Was da also implizit steht, ist, das man erwägt, die beiden russischen Module durch US-Module zu ersetzen. Eine Ankopplung an die schon vorhandenen US-Kopplungen wäre mit dem IDA-Adapter zwar auch möglich, doch der Hauptzweck der neuen ATV-Transporter ist ja die Station anzuheben oder einem Stück Weltraummüll auszuweichen, wofür die ISS auch ihre Bahn ändern muss. Das geht nur in der Achse in der Sarja und Swesda liegen, da diese durch den Schwerpunkt der Station geht. Dafür müsste die NASA also die beiden Module ersetzen, oder zumindest eines der beiden. Dann wäre natürlich auch Roskosmos aus der Station raus, was aber unproblematisch ist, da 2016 die Zehnjahresfrist des Pflichtbetriebs nach Vollausbau ablief.

Vielleicht hofft die NASA ja auf eine Finanzspritze, wenn sie damit werben kann, dass es dann eine Station unter ihrer alleinigen Kontrolle ist – die Juniorpartner haben zwar Ansprüche, aber können anders als Russland nicht mitbestimmen. Mit Starliner und Dragon 2 sollen jeweils bis zu sieben Astronauten befördert werden – das reicht nicht nur für die jetzige Stammbesatzung von sechs, sondern sogar für einen Astronauten mehr. Sie haben auch Module die zumindest im Rohzustand sind. Das von der JAXA gefertigte Zentrifugenmodul, das derzeit ein Ausstellungsstück, das eigene zweite Labor, das für Drucktests genutzt wird und noch zwei MPLM, die man zu Labormodulen umbauen kann – ein Drittes wurde ja schon umgebaut und als Permanent Module an der ISS angebracht. Daneben gibt es natürlich noch US-Firmen, die schon lange auf Aufträge für Stationshardware warten, an der Spitze Bigelow.

Da die neuen ATV bzw. das Deorbitmodul durch die Umbauarbeiten weitere Kosten aufwerfen, bietet die NASA der ESA schon eine Kompensation an: einen permanenten Platz an Bord der ISS, bisher war ein ESA-Astronaut nur während eines Viertels der Zeit aktiv. Bei sieben Plätzen an Bord eines US-Raumschiffs ist das problemlos möglich und ich denke ähnliche Zusagen wird es auch an die JAXA geben für mehr Fracht – das HTV liefert mehr als die doppelte Fracht einer Dragon und wenn Russlands Progress wegfallen, gibt es natürlich eine Lücke. Trotzdem hätten die USA mit vier bis fünf Astronauten immer noch doppelt so viele Besatzungsmitglieder wie vorher.

Mal sehen, ob was draus wird. Angesichts der Äußerungen von Trump, der Puttin ja verteidigt, rechne ich aber nicht, damit das dieser Plan umgesetzt wird, bevor ein neuer Präsident ins weiße Haus einzieht. Obwohl bei Trump weiß man nicht, wie schnell er seine Meinung ändert…

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