Alles wird vergänglicher (2)

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So, ich schließe an den ersten teil von gestern an. Es gab auch tolle und den Blog gut ergänzende Kommentare und in der Tat kann man das Thema noch viel weiter ziehen, auch heute hätte ich noch einiges mehr zu schreiben, aber ich setze auf die profunde Kenntnis meiner Blogleser, aber wer weiß, vielleicht gibt es ja mal Teil 3.

Dokumente

Seit es die Menschheit gibt, will sie Dinge festhalten. Das geht los mit Malereien in Höhlen und endet mit Tweeds. Die Malereien in Höhlen bestehen aus Naturpigmenten, wahrscheinlich noch mit einem Bindemittel vermischt. Die Pigmente sind genauso lange haltbar wie die Mineralien in der Natur. Die Bindemittel sind inzwischen längst vergangen aber die Malerei hält heute noch durch Adhäsionskräfte.

Bei Dokumenten gilt es zu unterscheiden zwischen vergänglichem und nicht vergänglichem Inhalt. Vergänglich meint nun längere Zeiträume, auch Mitschriebe an der Schule oder Uni sind in dem Sinne vergänglich, viele verbrennen sie als Ritual zum Abschluss der Schule / Uni. Nicht vergänglich ist etwas, was Jahrzehnte überdauern soll.

Die Menschheit machte schon immer diese Unterscheide. In Mesopotamien wurde vergängliches auf kleinen Lehmplatten in Keilschrift eingraviert. Mischte man den Lehm wieder mit Wasser so konnte er erneut benutzt werden, ansonsten war der Inhalt, wenn er trocknete für einige Jahre sicher. In Ägypten legte man Papyrusstengel längs nebeneinander und quer, dann klopfte man das ganze platt, die Fasern gaben dem Papyrus die Struktur, der Pflanzensaft mit Stärke bildete den Kleister. Andere „vergängliche“ Schreibmaterialien waren Wachstafeln oder Schiefertafeln.

Beide Kulturen meiselten Wichtiges aber in Stein, das älteste ägyptische Dokument zeigt auf einer Stele die Vereinigung von Ober- und Unterägypten zu einer Nation unter König Menes, die bekannteste Stele im Zweistromland ist die Gesetzessammlung von Hammerabi, etwa 1.870 v. Chr. Entstanden. Für das Bewahren von Wissen war Stein aber nicht sinnvoll: zu schwer, zu teuer. So legte man Bibliotheken doch in den vergänglichen Materialien an. Während die Gravuren und Malereien in alten Gebäuden wie Tempeln oder Gräbern bis heute erhalten sind, gingen so aber die angelegten Bibliotheken verloren. Die berühmte Bibliothek von Alexandria ging bei einem Brand verloren. Etwas besser erging es der Bibliothek von Assurbanibal: Sie bestand aus Tontafeln. Sie wurde bei der Zerstörung von Assur in Brand gesetzt, aber dadurch wurden die Lehmziegel gebrannt, und so dauerhaft erhalten. Sie zerbrachen aber in viele Teile, die bis heute zusammengesetzt werden.

Bei uns wurde zuerst auf Pergament, gespaltener Tierhaut geschrieben, dann Papier aus Lumpen hergestellt. So hergestellte Dokumente überdauern bei guter Lagerung unter kontrollierten Bedingungen Jahrhunderte. Dann kam aber die industrielle Papierherstellung auf.

Papier besteht aus sehr feinen und vor allem kurzen Pflanzenfasern, die übereinander liegen und eine dünne Schicht bilden. Nach dem Trocknen und Druck hält Papier alleine durch die Kräfte zwischen den Pflanzenfasern und ihrer Oberflächenrauigkeit. Das klappt, weil die Fasern extrem klein sind, so wird anders als bei Papyrus kein Bindemittel verwendet. Früher stellte man Papier aus Abfällen wie Lumpen her, die zerkleinert wurden und oft auch fermentiert. Aus der Suspension wurde dann mit einem Sieb ein Vließ abgeschöpft, das Wasser ausgepresst und getrocknet.

Mit der industriellen Papierherstellung änderte sich dies. Heute wird Papier aus Holz hergestellt. Holz enthält Lignin, das die Pflanzenfasern verbindet und verhindert, dass sie, selbst wenn man es zerkleinert zu einem Faserbrei werden. Dass Lignin wird mit schwefeliger Säure zu Ligninsäure oxidiert, die wasserlöslich ist. Dieses Sulfitverfahren war lange Zeit das wichtigste Verfahren für die Papierherstellung. Es hat einen Nachteil: es bleiben Reste der schwefeligen Säure im Papier zurück. Die schwefelige Säure oxidiert zu Schwefelssäure und Schwefelsäure hat zwei unangenehme Eigenschaften: sie hat einen hohen Siedepunkt, verdampft so nicht aus dem Papier und sie entzieht der Umgebung Wasser – auch chemisch gebundenes Wasser. Damit zerstört es die Cellulosefasern, Papier wird brüchig und hält nicht mehr Jahrhunderte, sondern nur Jahrzehnte. Immerhin: man hat das Problem erkannt und heute wird in der BRD zu 85 Prozent säurefreies Papier verkauft, das nützt einem aber nichts bei Drucken, die vor Jahrzehnten hergestellt wurden.

Analog / Digital

Heute wird zwar immer noch viel gedruckt, aber noch viel mehr wird digital erstellt. Nicht nur Dokumente, sondern auch kürzere Dinge wie Emails oder Tweeds. Bei denen kommt keiner auf die Idee, die noch auszudrucken.

Der Übergang von Analogen zu digitalen Medien hat viele Aspekte der Vergänglichkeit. Er hat aber auch Chancen. Ich komme zuerst mal auf die negativen Aspekte. Information aber auch Medien werden durch die Digitalisierung deutlich vergänglicher und zwar auf mehreren Ebenen:

Formate: Jedes Programm hat ein Dateiformat, in dem es die Daten speichert, Betriebssysteme haben auch Formate, in der PC-Geschichte gab es zum Beispiel als Dateisysteme FAT12, FAT16,FAT32, NTFS und ExFat. Verschwindet ein Programm, wird es nicht weiter entwickelt oder wechselt man schlicht und einfach die Plattform, so sind die Dateien, die man damit erstellt hat, unlesbar. Ich bekomme regelmäßig Mails von Leuten die eine Turbo Pascal Anwendung seit Jahrzehnten laufen haben, den Quellcode nicht mehr oder nie hatten und mich bitten die binären Daten doch zu konvertieren – ohne das man deren Struktur weiß, ist das extrem aufwendig.

Medien: Auch Medien vergehen. Auch hier muss ich nicht die ganze Computergeschichte aufschlüsseln, wenn ich mich nur auf die IBM PC Geschichte beziehen, gibt es schon etliche Wechsel: da hatten wir 5,25 und 3,5 Zoll Disketten, 5,25 Zoll, 3,5 Zoll und 2,5 Zoll Festplatten und SSD, CD-ROM, DVD, und nun M2-Platinen (auch in mehreren Formaten). Innerhalb der Serie gab es dann noch Wechsel der Schnittstelle wie bei Festplatten von MFM auf IDE, SCSI und SATA um nur die gebräuchlichsten zu nennen. Eine 3,5 Zoll MFM Platte passt vielleicht noch in den Laufwerkskäfig, aber es gibt keine Anschlüsse mehr für den Standard. Gerade erst hat Sony angekündigt die Produktion von DVD einzustellen.

Qualität: Als ich noch jung war, wurde als Hauptvorteil von Digital genannt, dass es eine 1:1 Kopie ist und sie nicht mit jeder Kopie schlechter wird. Das stimmt auch, geht aber ein bisschen an der Realität vorbei. Wer damals Kassetten kopierte, nahm für die nächste Kopie ja wieder das Originalband und wer einen Text kopierte, machte das ja auch immer vom Original und nicht der Kopie. So gab es einen Qualitätsverlust, aber nur den, den es bei der ersten Kopie gab.

Heute weiß ich das Digitale Kopien einen entscheidenden Nachteil haben: Verschlechtert sich die Qualität eines analogen Signals, egal ob dies Audio, Video oder Druck ist, so wird es undeutlicher aber noch erkennbar. Fernsehen hatte bei schlechtem Empfang ein Gerieseln, Radio Rauschen oder Pfeifgeräusche und bei Texten waren Punkte auch im weißen Teil des Blatts zu sehen. Bei Digital kann heute dank Fehlerkorrekturinformationen ein kleiner Fehler meist korrigiert werden, wenn es aber zu viele sind, dann hat man völligen Verlust. Mein DAB+ Radio wird stumm, wenn ich ins Neckartal jogge und die Hügel den Empfang verschlechtern, der DVB-T2 Empfänger zeigt kein Bild mehr an, wenn das Siganl zu schwach ist und bei Dateien meldet oft das Programm, es könne sie nicht mehr lesen. Auch ist digital nicht unbedingt immer besser. Fußball konnte man bei 25 Hz (50 Halbbilder/Sekunde) flüssig analog anschauen, ebenso die Abspanne mit Laufschrift. Auf einem digitalen Fernseher mit derselben Bildwiederholrate ziehen Bälle aber einen Schweif und verschmieren die Laufschriften von Abspannen. Klar, erhöht man die Bildrate (empfohlen derzeit: 120 Hz) so wird das besser, aber ich wage zu behaupten, das analoge Signal wäre auch besser geworden wenn es die fünfache Bandbreite (=Datenrate) zur Verfügung gehabt hätte.

Aktualität: Gerade zur Fussball-EM, wenn Tore fallen fällt es dem einen oder anderen auf: der Nachbar jubelt früher. Bei Analog bestimmte der Übertragungsweg die Verzögerung. Ging ein Signal über einen Satelliten so hinkte es eben nachm weil elektromagnetische Wellen sich nur mit begrenzter Geschwindigkeit ausbreiten. Aber das lag unter einer Sekunde und war überall gleich. Heute muss das Videosignal erst kodiert werden, dann als IP-Pakete verschickt werden und am Empfänger wieder dekodiert werden. Nach einer Übersicht der ct’ dauert das mindestens 10 Sekunden, kann aber auch bis zu 120 Sekunden dauern. Das langsame Medium ist IP-Fernsehen.

Aber natürlich haben digitale Medien auch Chancen. Zum einen muss es ja nicht so kommen, das man mit Medien nichts mehr anfangen kann. So richtig kam das bei mir nur in meiner Computerfrühzeit vor. Als ich von dem CPC 464, einem CP/M Rechner auf DOS wechselte konnte der mit den Disketten nichts anfangen, obwohl sie den gleichen Formfaktor hatten. Ich habe mit einem Diskeditor dann die Dateien, die mir wichtig waren kopiert, also sektorweise ausgelesen. (Es gibt natürlich Programme für so was, doch die waren mir in Vor-Internet-Zeiten einfach nicht bekannt). Seitdem war es so das wenn es einen neuen Standard gab, es mindestens eine Generation lang noch den alten als Controller/Anschluss auf den Mainboards oder als Einbaulösung gab und wer heute im Internet sucht wird auch noch Lösungen für IDE-Platten und Karten oder Anschlüsse an den LPT- oder COM-Port zum Einbau finden. Programme können Fremdformate lesen und konvertieren. So kann Information erhalten werden. Das älteste Dokument, das ich selbst erstellt habe, entstand ursprünglich unter DOS Word 2.03 und den ältesten Quelltext der zumindest in Teilen heute noch verwendet wird, ist noch älter, von 1987.

Die Gefahr ist heute eher eine andere: das man keinen Zugriff mehr hat. Vor einigen Tagen fielen durch einen Fehler im Cloudservice von Microsoft/eines anderen Herstellers dutzenden von Krankenhäusern aus, weil sie nicht mehr an die Patientendaten kamen. Meine Spiele installiere ich nicht mehr von CD oder als Download, sondern über Steam. Wenn Steam mich aussperrt oder ihren Service einstellt, kann man sie nicht mehr spielen. Analoges gilt bei DRM geschützten Kopien, für die man eine Internetverbindung zur Prüfung braucht.

Auch die reine Haltbarkeit von digitalen Medien ist kürzer als die von Papier. Die besten Medien kommen bei guten Lagerbedingungen auf einige Jahrzehnte in denen man sie fehlerfrei auslesen kann, aber Papier hält eben Jahrhunderte.

Moden

Das vergänglichste überhaupt ist die Mode, wobei ich „Mode“ als Oberbegriff für einen bestimmten Stil meine. Wir haben das überall. Jeder denkt sofort an die Kleidung, doch das gilt auch für Bauwerke und Einrichtung. Ich fange mal mit Bauwerken an. In der griechisch-römischen Kultur hat man Tempel als Gegenstück für unsere Kirchen lange Zeit mit Säulenhallen entworfen. Das ging über Jahrhunderte so, auch wenn es Details im Bau gab. Mit dem Christentum kam das geschlossene Kirchenschiff in Kreuzform auf. Das wurde dann ebenfalls über Jahrhunderte lang in romanischer Form, also relativ massiv gebaut, dann folgte die Gotik, luftiger, verzierter und ohne äußeres Stützgerüst nicht stabil, ebenfalls über Jahrhunderte, dann wechselten sich Stile in immer schnellerer Folge ab. Heute erkennt man neu gebaute Kirchen nur noch am Turm und den haben auch nicht mehr alle. Andere Religionen sind da konservativer: Regelmäßig gibt es bei uns Auseinandersetzungen, weil Moscheen so aussehen müssen wie in arabischen Ländern und sich Anwohner über den „Fremdkörper“ beschweren.

Bei der Einrichtung kann jeder, der etwas älter ist sich nur mal in seine Jugend versetzen. Denke ich an die 70-er, so fallen mir bunte Tapeten mit Mustern, Ohrensessel und vor allem viel Kunststoff bei den Möbeln ein.

Bei der Mode ist es ja heute so, das die Sachen vom letzten Jahr schon out sind. Man sollte sie aber aufheben, denn weil es gar nicht so viel gibt was man verändern kann kommt alles wieder. Die Siebziger und Achtziger waren zwar vom Stil her fürchterlich, aber wenigstens konstant. Wellen wie VokuHila, neonfarbene Kleidung, Fönfrisuren, Schulterpolster, Schlaghosen, Minirock und Plateauschuhe hielten sich wenigstens über einige Jahre.

Auch hier hat sich die Spirale schneller gedreht. In der Antike war die Kleidung kulturell geprägt und zeigte noch Jahrhunderte später den gesellschaftlichen Status an. Römer kleideten sich jahrhundertelang in Tunika und Toga und wer die zahlreichen Büsten von römischen Kaisern sieht wird kaum Unterschiede über die Jahrhunderte bei der Kleidung erkennen, wohl aber bei der Haartracht. Ähnlich war es auch bei de germanischen Kultur, wobei die männlichen Germanen wie die Kelten relativ modern gekleidet waren: mit legerer Hose und Pulli würden sie heute weniger auffallen als ein Römer mit Tunika und Toga.

So ab der Renaissance begann das was wir heute „Mode“ nennen – Kleidungsstile wandelten sich schon vorher. Im Spätmittelalter zog man sich anders an als im Frühmittelalter. Aber nun kamen Trends, auf die meist ein Herrscher setzte und die dann nachgeahmt wurden – zumindest von den Adeligen die das Geld hatten. Ludwig der XIV (der Erbauer von Versailles) hatte eine Glatze und trug daher eine Perücke – der Trend wurde von seinen Höflingen übernommen und dann weil Frankreich als „Chic“ galt in Resteuropa. Schon damals war es aber so, dass bei Frauen die Modeuhr schneller tickte. Männer konnten immerhin ein Jahrhundert lang in Frack und Zylinder herumlaufen und selbst heute ist der Anzug der ja auch schon fast 200 Jahre alt ist noch gebräuchlich.

Es gäbe sicher mehr zu dem Thema Vergänglichkeit zu sagen, aber der Blog lebt ja vom Mitmachen – also was fällt euch noch ein und was habe ich vergessen?

3 thoughts on “Alles wird vergänglicher (2)

  1. Die Vergänglichkeit von Daten wird noch verstärkt durch Kopierschutz. Das verhintert recht drastisch dass rechtzeitig bevor ein Datenträger nicht mehr lesbar wird eine Sicherheitskopie erstellt werden kann. Die Auswirkungen könnten schlimmer sein als Bilderstürmerei. Historiker kommender Generationen wird das wohl recht stark zum Fluchen bringen.

  2. Durch die unglaubliche Datenmenge die heute produziert wird, ist es auch ein Thema der Filterung. Vergänglichkeit entsteht hier, indem Wichtiges einfach in der Masse untergeht.
    Als Musiker bin ich viel mit Vergänglichkeit konfrontiert. Sofern kein Aufnahmegerät mitläuft ist sie per se vergänglich und sie hinterlässt keinerlei Artefakte.

  3. @Ulrich:

    Leicht satirischer / humoristischer Kommentar zum Kommentar:

    „Sofern kein Aufnahmegerät mitläuft ist sie per se vergänglich und sie hinterlässt keinerlei Artefakte.“

    Nur bedingt richtig, bei richtiger und langer Anwendung von z.B. Heavy Metal hinterläßt Musik durchaus Artefakte (Klingeln, Schwerhörigkeit….) 🙂

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