Die iterative Entwicklung bei SpaceX (1)

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Da sich in der letzten Zeit sehr viele Vorkommnisse bei SpaceX häufen, habe ich mich für diesen Artikel einmal mit ihrer Entwicklung beschäftigt. Ich habe einen Aufsatz geschrieben, um mir alle Raketenstarts des Starships zu vergegenwärtigen und zusammenzufassen und kam dabei auf interessante Fakten. So sind nur 19 der 34 Starships jemals irgendwo eingesetzt worden, und das Starship brauchte vom Jungfernflug bis zum Flug 6 mehr Zeit wie die Saturn 5 vom Jungfernflug bis zur Landung von Apollo 11. Der Artikel ist relativ lang geworden, sodass ich ihn wie üblich in 2 Teile aufgeteilt habe. Heute beginne ich mit dem ersten Teil, morgen folgt der zweite Teil, der auch einen Blick mehr auf die politische Situation in den USA wirft.

Erst einmal eine grundsätzliche Einführung, wie die Entwicklung im Raketenbau funktioniert. Sie unterscheidet sich im Wesentlichen nicht von der Entwicklung in anderen Industriebereichen. Nachdem ein Design steht, beginnt man auf der kleinsten Ebene, das heißt, man stellt Bauteile her und fängt hier schon an mit den Prüfungen, ob diese den Belastungen standhalten. Beim Versagen schon an dieser Stelle kann man dann nachbessern. Man hat dann Bauteile die zumindest alleine den erwartenden Belastungen standhalten. Das Testen ist deswegen wichtig, weil man bei dem Nutzlastanteil im einstelligen Prozentbereich sich nicht Sicherheit erkaufen kann, indem man einfach mehr Material verbaut, also zum Beispiel einfach die Wandstärke von Leitungen verdoppelt. Üblich sind nur Aufschläge von 25 Prozent zur Nennbelastung. Dann geht es höher zu den Komponenten. Ein Raketen-Triebwerk besteht zum Beispiel aus den Komponenten Gasgenerator / Preburner, Turbopumpe (die wiederum aus zahlreichen Einzelteilen bestellt), Injektor, Brennkammer und Düse. Auf dieser Komponentenebene werden die Tests fortgeführt. Wobei man die Komponenten einzelnen testet. Zum Beispiel kann man ein Injektor testen, ohne eine funktionierende Turbopumpe zu haben, indem man den Treibstoff mit Druck einsprüht. Jedes dieser Teile wird stufenweise immer größeren Belastungen ausgesetzt. Zuerst nur kurz und weit unter den Spezifikationen, dann arbeitet man sich zu normalen Bedingungen hinauf und zum Schluss kommen Tests unter kritischen Bedingungen wie gezielt herbeigeführten Problemen.. Man fängt mit kurzen Tests an und dehnt diese später weit über die zu erwartende Betriebsdauer aus. So leben Raketen-Triebwerke meist sehr viel länger, als ihre Betriebsdauer im Einsatz beträgt. Typische Werte sind die zehnfache Einsatzdauer. Zuletzt wird dann das ganze Raketentriebwerk getestet. Auch hier wiederholt sich dies zuerst mit sehr kurzen Zündungen mit einem geringen Schub, man arbeitet sich hoch bis zum Nennschub, dehnt die Betriebsdauer immer weiter aus. Inspiziert nach jedem Test die Triebwerke, um nach Beschädigungen oder Veränderungen zu suchen. Ein Triebwerk kann so auf Hunderte von Tests kommen. Das Gleiche findet auch bei anderen Teilen wie den Tanks, der Pyrotechnik, Strukturen statt.

All dies kann SpaceX natürlich genauso durchführen wie andere Firmen auch. SpaceX hat die Möglichkeit, komplette Raptor Triebwerke selbst zu testen, weiterhin gibt es eine Abmachung mit der NASA, wonach sie die Triebwerke im Stennis-Testcenter der NASA testen können. Die nächsthöhere Ebene sind dann komplette Stufen. Bis heute ist es üblich, eine komplette Stufe In einem Teststand unter den zu erwartenden Bedingungen zu zu testen. Dies kann sie aufwendig sein, zum Beispiel bei einer Oberstufe, die im Vakuum betreten wird, weil man dann die gesamten Verbrennungsgase aus dem Teststand abziehen muss. Solche Vakuumtestände sind sehr kostspielig und für den Schub des Raptor Vacuums existieren sie nicht. An dieser Stelle kann SpaceX Nicht mehr die Tests selber durchführen. Die NASA hätte noch Teststände bei den ein Starship unter vollem Schub getestet werden könnte, aber es gibt keinerlei Hinweise, dass diese von SpaceX benutzt werden. . Für die Superheavy sind aber alle Teststände der USA viel zu klein. Das unterscheidet SpaceX von anderen Firmen, die ihre Stufen komplett testen können. Dies geht bei der NASA sogar mit den Feststoffboosten, die einen ähnlichen Schub wie die Superheavy erreichen, allerdings werden diese horizontal und nicht vertikal getestet. Diese Problematik ist nicht neu, schon bei der sowjetischen N1 war dem so, dass keine Teststände für die Tests kompletter Stufen gebaut wurden. Damals geschah dies aus finanziellen Gründen, wie auch unter dem Zeitdruck. Bei der N1 wurde nicht nur auf das Testen von ganzen Stufen verzichtet, obwohl dies bei den Oberstufen mit geringerem Schub durchaus möglich gewesen wäre, sondern man reduzierte auch die Tests der Triebwerke auf ein Minimum. Während zum Beispiel beim amerikanischen Gegenstück der Saturn 5 vor dem Start ein Triebwerk zuerst alleine und dann in der Stufe mehrmals getestet wurde – selbst bei der ersten Stufe mit 40.000 kN Vakuumschub, begnügte man sich in der Sowjetunion damit von 6 Triebwerken willkürlich 2 Stück herauszunehmen, diese zu testen und wenn diese den Test bestanden, wurden alle 6 Triebwerke verbaut, bestanden diesen Test nicht, so wurden alle 6 Triebwerke verschrottet.

Auch die Tests von Raketen kann man inkrementell durchführen. Alle Militärraketen der USA wurden zuerst in inkrementell getestet, dass bedeutet, dass zuerst die erste Stufe allein getestet wurde mit Ballast als Oberstufe , dann erste und zweite Stufe, und erst zuletzt auch das Steuerungssystem. So verfuhr man bei der Atlas und der Titan . Auch Trägerraketen wurden inkrementell entwickelt. Die Saturn 1 und Europa wurden so entwickelt. Zuerst die erste Stufe alleine, dann mit zweiter Stufe , und bei der Europa auch mit dritter Stufe.SpaceX bezeichnet seine Starts als integrated flight-test (IFT). Das bedeutet, dass alle Stufen gleichzeitig aktiv sind, das ist heute allerdings der Normalfall.

Mit dieser Vorgehensweise hat die iterative Entwicklung aber nichts zu tun. Denn egal ob Inkrementell entwickelt wird, oder alle Stufen gleichzeitig beim Testflügen aktiv sind. Im Vorfeld durchlaufen alle Einzelteile, Komponenten, Triebwerke, Stufen extensive Tests, in denen Sie auf Herz und Nieren geprüft werden. Dabei wird natürlich auch das gesamte Konzept validiert. Sehr oft muss etwas revidiert werden und es kommt zu Verzögerungen, die den Start dann um Jahre nach hinten schieben können. SpaceX hat eine andere Motivation. Es wird etwas ausgedacht, und erst während des Fluges zeigt es sich, ob die Überlegung, die dahinter steckte, eine richtige war. Ein Beispiel ist die Stufentrennungsmethode, die bei Flug 1 offensichtlich nicht funktionierte , und die dann geändert wurde. Schon bei den Tests des Starstips alleine gab es solche Versuche. So wurde Helium eingesetzt, um der Schwappen des Treibstoffs zu verringern, wenn das Starship vom horizontalen in den vertikalen Flug übergeht. Das funktionierte nicht, dass Helium gelangte, in das Triebwerk und dieses ging aus. Später zeigte sich, dass die Triebwerke alleine nicht ausreichen, um eine stabile Landung zu ermöglichen, und es wurde ein zusätzliches RCS eingebaut. Diese Tradition ist nicht neu. Es gab sich schon bei der Falcon 1 auch hier meinte man, zuerst ohne Prallbleche auszukommen. wie sie im Raketenbau üblich sind, um das Treibstoffschwappen zu reduzieren. Es ging aber nicht ohne. Also wurden sie später hinzugekommen. Ebenso meinte SpaceX, dass Federn alleine ausreichen, um erste und zweite Stufe zu trennen, bis die erste Stufe mit der zweiten kollidierte, weil sie noch ein Restschub hatte. Bei der Falcon 1 reduzierten alle diese Maßnahmen, die nachträglich erforderlich waren die Nutzlast von 670 auf 420 Kilogramm. Bei der Falcon 9 gibt es sehr wenige Angaben, was geändert wurde, man kann die Auswirkungen allerdings daran erkennen, dass auf der Website nach wie vor eine illusorisch hohe Nutzlast steht, dass auch hier die Nachbesserungen mehrere Tonnen Nutzlast gekostet haben (max. Nutzlast in einen LEO 17 anstatt 22,2 t).

Was SpaceX beim Starship durchführt, ist mehr oder weniger eine Arbeit nach dem Trial and error Prinzip, das heißt, man entwickelt nicht etwas Ingenieurmäßig, testet es aus, probiert aus, ob es funktioniert, verändert es, sondern baut es erst einmal ein und wenn es funktioniert, dann ist es gut, wenn nicht, fliegt die Rakete in die Luft. Bei einer so komplexen Rakete wie in dem Starship gibt es so unzählige Fehlermöglichkeiten. Das weiß man bei SpaceX. So sind einige bestimmte Konstruktionsdetails anders nicht zu erklären. Beispielsweise die Verwendung von Edelstahl als Wirkstoff. Natürlich ist er leichter zu verarbeiten, aber vor allem ist er berechenbarer in seinem Verhalten bei höheren Temperaturen oder Druckbeanspruchung als Aluminium oder gar Kohlefaserverbundwerkstoff. Der Nachteil ist, dass man so beim Starship etwa 40 Tonnen Nutzlast weniger hat, als bei einer entsprechenden Konstruktion mit einem modernen Werkstoff.

Ebenso deutet der hohe Schubüberschuss der Triebwerke darauf hin, dass man damit rechnet, dass sie ausfallen. Normal ist für eine Rakete mit flüssigen Treibstoffen, dass es etwa 25% Schubüberschuss hat. Mehr Schubüberschuss ist nicht nützlich, denn stattdessen könnte man auch die Tanks verlängern, mehr Treibstoff und dadurch eine höhere Nutzlast transportieren. Der Schubüberschuss der Starships beträgt 50%. Und wie wir bei den Flügen gesehen haben, fallen auch Triebwerke aus, selbst bei den beiden letzten Flügen, wenn es auch deutlich weniger sind als bei den ersten beiden Flügen. Das ist von besonderer Bedeutung weil, bei einer normalen Rakete ein Triebwerk nur einmal zündet, eventuell zweimal bei einer Oberstufe. Bei der Superheavy gibt es bei 13 Triebwerken nicht weniger als drei Zündungen und bei dem Starship ebenfalls mindestens zwei. Das heißt, dass ein Triebwerk eigentlich zuverlässiger sein muss, als ein normales Triebwerk. Das ist es aber nicht. bei den letzten 8 Starts gab es im Mittel 8,2 % Ausfälle bei den Zündungen. Bei anderen Raketen wird ein Triebwerk auf eine Zuverlässigkeit von 99,5 + Prozent also weniger als 0,5% Ausfallwahrscheinlichkeit ausgelegt. Eigentlich müsste. ein Triebwerk für ein wiederverwendbares Raumfahrzeug erheblich zuverlässiger sein als eines für ein nicht wiederverwendbares Raumfahrzeug. Denn sonst muss man es dauernd ausbauen, reparieren wieder Einbauen oder durch ein neues Triebwerk ersetzen. So waren auch die Space Shuttle Triebwerke erheblich zuverlässiger und für längeren Betrieb ausgelegt als andere Triebwerke dieser Zeit.

7 thoughts on “Die iterative Entwicklung bei SpaceX (1)

  1. Ich sehe das Starship Entwicklungsprogramm ja auch ziemlich kritisch, sehe aber die Probleme eher woanders. „Sie unterscheidet sich im Wesentlichen nicht von der Entwicklung in anderen Industriebereichen. Nachdem ein Design steht, beginnt man auf der kleinsten Ebene, “ genau da ist es meiner Meinung nach gescheitert. Das Design stand nicht bzw. war/ist nicht genau genug durchgerechnet. Das sorgt ständig dafür das man Dinge die man getestest hat und gut funktionieren wieder wegschmeißen muß und man mit dem Testen wieder von vorne anfängt. Das klappt bei der Softwareentwicklung relativ gut, im Maschinenbau ist das teuer…

    Zwei Ergänzungen/Korrekturen noch.
    Auch SpaceX hat testete die Stufen hintereinander. Allerdings in umgekehrter Reihenfolge. Erst die Oberstufe (SN5 bis SN15) und danch erst die komplette Rakete. Man kann aber natürlich darüber streiten wie viel die damals verwenden Starships noch mit dem heutigem zu tun haben…

    Bei der Landung des Starships werden nicht alle drei Zentralen Treibwerke benötigt. Es reicht eins. Man zündet nur alle drei um auf Nummer sicher zu gehen, zwei davon schaltet man dann schnell wieder ab. (Das war zumindest eines der sachen die sich bei den SN Testflügen gelernt haben). Ich halte die Triebwerksprobleme allgemein auch nicht ganz so groß. Die meisten der Ausfälle waren Folgefehler. Entweder wegen Trümmern durch Triebwerksexplosionen oder Bränden. Die Zuverlässigkeit der Triebwerke an sich reicht um grundsätzlich auch Nutzlasten zu Transportieren, 10 Flüge mit Datenauswertung und die Triebwerke sind genau so zuverlässig wie Merlin oder auch RS-25. Dummerweise wechselt man ja noch zum Raptor 3, das bedeutet dann wieder start praktisch von Vorne…

    1. Wie bei SpaceX entwickelt wird wissen wir nicht, ich denke du hast recht und bezeichne die Firma daher auch gerne als MurksX. Ein sauber durch konstruiertes System das bis auf die letzte Ebene getestet ist hätte eben Probleme die es erst beim Einsatz gibt und nicht die die auftreten, denn ob Triebwerke ausfallen kann man auch bei Bodentests überprüfen.

      Man braucht alle drei für die Drehung und Geschwindigkeitsreduktion, dann werden zwei abgeschaltet. Das war bei den Tests so wie auch bei den Flügen des starships 2019-2021.

  2. Guten Abend,

    „… zum Beispiel bei einer Oberstufe, die im Vakuum betreten wird, weil man dann die gesamten Verbrennungsgase aus dem Teststand abziehen muss….“

    Gibts es da irgendwo nähere Infos wie so ein Teststand aussieht und wie das genauer funktioniert?

  3. Einer der Prüfstände (P4x) in Lampoldshausen macht so etwas (da wurde z.B. das Vinci getestet). Evtl findet sich auf der DLR Seite eine kurze Beschreibung?

    Im Prinzip funktioniert es wie eine Wasserstrahlpumpe. Wenn ich mich recht erinnere: Man bläst mit hoher Geschwindigkeit Dampf in den Abgaskanal (der natürlich rimgsrum geschlossen ist), das saugt die Luft und die Verbrennungsgase weg.

      1. Danke für die Tipps und die Rückmeldung.

        Bis auf ein zweiseitiges PDF zum Teststand P4, in dem nicht wirklich auf die Funktionsweise eingegangen wird, hab ich auch nichts weiteres auf der DLR-Seite gefunden.

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