Raketenentwicklung inkrementell

Bei der Softwareerstellung gibt es eine Reihe von Vorgehensweisen: Sie tragen so phantasievolle Namen wie Wasserfall-Modell, V-Modell oder Extreme Programming (XP). Eines davon ist das Spiralmodell. Ziel ist es recht bald eine erste Version der Software zu haben, die dann geprüft und erweitert werden kann. Da man iterativ und inkrementell sich an die Endversion heranarbeitet. Anders als bei anderen Modellen verbessert man inkrementell die Software, was vor allem das Scheitern eines Softwareprojektes senken soll.

Das Modell wurde zwar nicht von Microsoft erfunden, aber von Microsoft angewandt und wer denkt da nicht an die "inkrementell verbesserte Software" von Microsoft auf seinem Rechner, die per Update Bug fixes bekam. Vielleicht sollte man aber eher an die inkrementell verbesserten Office Pakete oder das inkrementell verbesserte Windows 95 (letzte Version: Windows ME) denken.

Das Software mit vielen Bugs ausgeliefert wird und dann nach gebessert wird ist normal. Die erste Firma die damit sehr negativ in die Schlagzeilen kam war ATARI, die bei ihren ersten Atari ST Computer massenweise ROM Chips und auch Zusatzprozessoren auswechseln musste. Damals wurde der Begriff "Bananensoftware" geprägt: Software die beim Kunden reift.

Die Nachbesserung im laufenden Betrieb ist eine Besonderheit die nur bei Software möglich und auch nur bei nicht lebenswichtigen Funktionen. In praktisch allen anderen technischen Bereichen ist es nicht oder nur mit hohem Kostenaufwand möglich. Wenn Mercedes Benz einen Fehler in der A-Klasse korrigieren muss und Zigtausende Wagen in die Werkstatt zurück müssen kostet das Millionen und der Ruf der Firma ist hin.

In der Raketenentwicklung ist nichts wichtiger als Erfahrung. Erfahrungen die man mit früheren Trägersysteme gesammelt hat. Erfahrungen die Ingenieure in ihrem Berufsalltag angesammelt haben. Als die USA nach Ende der Saturn Entwicklung die meisten Mitarbeiter entließen mussten aufgrund gesetzlicher Vorschriften die zuerst gehen, die am längsten an dem Projekt gearbeitet haben und die meiste Erfahrung vorweisen konnten. Die Folgen bei der Triebwerkentwicklung beim Space Shuttle sind bekannt: Sie dauerte Jahre länger und war erheblich teurer als vorgesehen.

Die zweite Säule sind Tests. Ein normales Raketentriebwerk für eine Rakete die niemals Menschen befördern soll hat bevor der Jungfernflug stattfindet ungefähr 100 Flüge absolviert – Nicht ein Triebwerk, aber das ist ungefähr die Größenordnung aller Tests zusammen. Manche Triebwerke wurde auch sehr oft getestet schon alleine um zu sehen, wann Probleme auftreten können. Normal ist, dass ein Triebwerk in Tests 10 mal länger in Betrieb ist als später in der Rakete. Trotzdem kann man nicht alles simulieren und Fehler zeigen sich erst im Flug. Das bei dem Vulcain 2 die Kühlung nicht ausreichend dimensioniert war, zeigte sich erst im Flug – Am Boden kühlt die Luft um die Rakete, die durch das Triebwerk zur Zirkulation gebracht wird natürlich auch noch mit. Andere Dinge sind nur im Flug feststellbar wie die berühmten POGO Effekte durch die Turbopumpen.

Ein Bericht über den Entwicklungsfortschritt der Falcon 9 hat mich an die Softwarevorgehensweise erinnert: Nach drei Versuchen mit 15 Sekunden Dauer. Folgen soll dann ein 30 Sekunden Test und ein 170 Sekunden Test (die Brenndauer der Stufe). Danach sollen Tests mit verschiedenen Fehlermodi starten, schließlich soll die Falcon 9 ja noch ihre Mission erfüllen, wenn ein Triebwerk ausfällt. Ob man gerade dies auf dem Bodenteststand wird ermitteln können ist zweifelhaft. Wichtig ist sicher das Abschalten des Triebwerks ohne andere zu beschädigen und die neue Verteilung des Treibstoff viel wichtiger ist aber den asymmetrischen Schub abzufangen und auszugleichen und wie sieht es mit den Treibstoffvorräten aus? Viel Zeit hat man in keinem Fall, denn schon 2009 soll die Falcon starten. Das erinnert an das Vorgehen bei der Falcon 9 und die inkrementelle Verbesserung der Falcon bis man alle Fehler abgestellt hat. Elon Musk kommt von der Softwaretechnik und bei seinen bisherigen Softwareprojekten hat der Kunde nicht mal das Update gemerkt – die liegt auf Servern und der Kunde kommunizierte nur über gängige Internetprotokolle mit ihr.

Passend dazu ist auch der typische SpaceX Ingenieur gerade mal 30 Jahre alt. Gerade bei Softwarefirmen ist der Jugendwahn ja sehr ausgeprägt. Sicher bleibt man im fortgeschrittenen Alter gerne bei dem was man gut kann und will sich nicht mehr so gerne in vollkommen neues einarbeiten auch wenn es langfristig vielleicht effektiver ist. Nur: Raketenentwicklung ist keine Softwareentwicklung. Dort gibt es nicht alle paar Jahre eine neue Programmiersprache die neues Möglich macht wofür man in der alten viele Verrenkungen gemacht hat. Die letzte bahnbrechende Entwicklung in der Triebwerksentwicklung war das "staged Combustion" Verfahren nach dem auch die Space Shuttle Triebwerke arbeiten. Das ist 40 Jahre her. In der Raketenentwicklung ist es nicht so, dass neue Gesichter alles per se besser können: Sie verfügen zumindest nicht die Erfahrung der Alten. Neue Ideen bringen Schwung. Aber wenn ein Unternehmen praktisch nur aus Ingenieuren mit kaum Berufserfahrung besteht was passiert dann?

Ganz einfach: Die Firma entwickelt Raketen wie Software, also Raketenentwicklung inkrementell.

Zuletzt noch ein paar persönliche Dinge. Mir fehlen derzeit so ein bisschen die Themen für den Blog. Die nun dunkel werdende Jahreszeit wirkt sich auch nicht gerade positiv auf meine Motivation aus (ich leider ist 20 Jahren unter Winterdepression) aber immerhin scheint eine Leuchte für den Zweck etwas zu helfen. Vor allem aber habe ich wohl die Aufgabe ein gutes Buch über Zusatzstoffe und das Lesen von Zutatenverzeichnissen zu schreiben unterschätzt. Bislang sind es 70 Seiten. Aber seit ich aufgehört als Lebensmittelchemiker zu arbeiten, vor etwa 9 Jahren sind etliche Zusatzstoffe hinzu gekommen. Aus dem übersichtlichen Haufen sind 305 Stück geworden. Die alle zu beschrieben wird aufwendig. Vor allem merke ich dass ich eigentlich noch ein Kapitel über die Grundbestandteile der Nahrung einschieben muss, den die meisten Zusatzstoffe bestehen aus Molekülen die auch in der Natur vorkommen. Da werden Fettsäuren mit Zuckermolekülen verestert. Dazu muss man noch mehr erklären. Dass macht das Buch noch länger, so dass ich wohl mit meinen projektierten 150 Seiten kaum hinkommen werde. Vor allem wirds aber dann auch immer aufwendiger zu redigieren. Mal sehen ob es damit noch dieses Jahr was wird.

2 thoughts on “Raketenentwicklung inkrementell

  1. Das Software inkrementell entwickelt wird ist in sofern blöd, wenn man dafür auch noch Geld bezahlen muß. Was ja gerade bei M$ der Fall ist.
    Ein sehr gutes Modell der Softwareentwicklung hat das debian Projekt:
    Von Debian werden zu jedem Zeitpunkt vier Varianten (Releases) parallel angeboten: oldstable, stable, testing und unstable. Wobei die Stable für den praktischen Einsatz gedacht ist. Wer aktuellere Software benötigt kann Testing benutzen. Muß es immer die neueste sein nimmt man unstable. Bei letzterer muß man halt damit rechnen, dass es hier noch ein paar bugs gibt.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Debian#Ver.C3.B6ffentlichungen_.28Releases.29

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