Die rosarote Brille

Seit einiger Zeit tausche ich E-Mails mit jemanden aus der halb so alt ist wie ich. Irgendwie hat es sich ergeben, dass wir uns auch so von dem schreiben was uns innerlich bewegt. Das bringt mich dazu sich in den anderen hereinzuversetzen und sich an die Zeit zu erinnern, als man so alt war wie er. (Der umgekehrte Weg ist wahrscheinlich etwas schwieriger).

Jeder von uns kennt den Effekt, das die Vergangenheit gerne positiver gesehen wird als sie es war. Manche ältere Menschen reden gerne von der „guten , alten Zeit“. Nicht nur im Fernsehen, sondern auch in Programmkinos wird der Heinz Rühmann Klassiker „Die Feuerzangenbowle“ gerne wiederholt, weil die meisten von uns sich gerne an die Schule erinnern. Im Vergleich zu Studium oder Beruf ist es doch so viel angenehmer gewesen. Keine Chefs, keine echten Verpflichtungen, viel Freizeit, lange Ferien, kaum Verantwortung die man tragen muss. Das gilt auch für andere Dinge. Irgendwie erscheint mir mein Chemiestudium heute viel positiver als früher. Vergessen, die Zeit in der ich wochenlang von 8-18 Uhr im Labor stand, ohne eine Pause zu machen und abends noch den Stoff der Vorlesungen aufgearbeitet habe.

Ich habe durch die E-Mails wieder eine etwas „klarere“ Brille bekommen. Vieles ist mir wieder eingefallen. Das Chaos der Gefühle in der Pubertät, der Schmerz der ersten unerfüllten Liebe. Langweilige Schulstunden mit Themen die mich überhaupt nicht interessierten. Das „textile Werken“, das ich belegen musste als ich eine zweijährige Berufsfachschule mit Fachrichtung Ernährung und Hauswirtschaft absolvierte und das ich so gehasst habe.

Ich habe das alles nie vergessen, aber wohl einfach nicht mehr sehen wollen. Wie habe ich es ausgegraben ? Ich weis es komischerweise nicht. Ich lese von Kummer und plötzlich ist der Kummer denn man mit 16,17 hatte wieder da. Die Kassette mit U2 Lieder die ich immer wieder angehört habe. Weil die doch auch so traurig sind. Ich habe versucht was tröstliches zu finden indem ich mich erinnert habe, was ich damals gemacht habe um mich aufzubauen und das Gefühlschaos dieser Zeiten war wieder präsent.

Die alte Zeit war nicht immer gut. Sie war auch stellenweise echt beschissen. Im Prinzip ist sie nicht viel anders als heute. Nur die Probleme, die Herausforderungen und Aufgaben wandeln sich. Vor allem hat man sich geändert. Ich bin heute nicht derselbe wie vor 20,25 Jahren. Ich habe auch heute schlechte Phasen und Probleme, aber ich kann damit besser umgehen als früher, ich bin vielleicht etwas lebenserfahrener geworden ?

Das denke ich ist die Faszination der Feuerzangenbowle. Der Grundgedanke ist doch, dass Pfeiffer, schon erfolgreicher Buchautor mit abgeschlossenem Studium auf die Schule geht. Das sollte eigentlich ein Heidenspaß werden. Er ist emotional gereift und kann das alles genießen, ohne sich mit pubertären Scherzen zu blamieren und unsterblich in jemanden zu verlieben, wie man es in der Intensität wohl nur bei der ersten Liebe kann. Er kann im Prinzip durch alle Fächer fallen ohne bei der Zeugnisausgabe mit seinem Abizeugnis wedeln, das er schon seit Jahren hat. Natürlich verläuft der Film anders. Pfeiffer entwickelt sich zurück zum Schüler, ärgert die Lehrer und verliebt sich in Eva. Klar, sonst wäre es keine Komödie. Aber den Gedanken hat glaube ich jeder mal gehabt, wenn die Schule einige Jahre zurück liegt. Als ich so 23-28 war habe ich mir mal vorgestellt wie es wäre noch mal im Chemieunterricht zu hocken – Nachdem ich schon einige Jahre Chemiestudium hinter mir hatte und mir genüsslich ausgemalt den Lehrer zu korrigieren oder durch gemeine Fragen zu blamieren. Keine Ahnung wie ich in den anderen Fächern abgeschnitten hätte.. Ich glaube der Schluss des Romans von Heinrich Spoerl ist auch hier ein guter Schluss „Wahr sind auch die Erinnerungen, die wir mit uns tragen; die Träume, die wir spinnen und die Sehnsüchte, die uns treiben. Damit wollen wir uns bescheiden.“