Die Bedeutung des spezifischen Impulses – ein Beispiel
Ein Kennzeichen unserer PISA Generation ist ja, dass es mit Mathe nicht so weit her gehen. Es ist ja auch so in der Schule das unbeliebteste Fach. Und der Standardspruch ist natürlich immer: „wofür brauch ich das mal später im Leben?“ Na zum Beispiel, wenn man sich für Raumfahrt interessiert, dass man nicht alles glauben muss was man liest und selbst nachprüfen kann. Das ist nämlich bei vielen Dingen recht einfach und dazu braucht man nicht mal Excel. Ein Taschenrechner mit der ln/exp Funktion reicht völlig aus.
Also die Endgeschwindigkeit einer Stufe ist berechenbar nach:
Ausströmgeschwindigkeit der Gase * ln (Masse bei der Zündung / Masse bei Brennschluss)
Die Ausströmgeschwindigkeit der Gase ist auch eine der möglichen Definitionen des spezifischen Impulses. Wenn man mehrere Stufen hat, so setzt man die Rechnung für jede Stufe an, wobei man dann die Endgeschwindigkeiten addiert. Zwar erhöhen die Stufen die Masse bei Brennschluss, womit der Teiler in der ln-Funktion kleiner wird, aber aufgrund der Eigenschaft der Ln-Funktion immer langsamer anzusteigen wird es in der Summe trotzdem ein Gewinn.
Ich will das heute mal bei einem sehr einfachen Beispiel demonstrieren, wie verschiedene spezifische Impulse sich auswirken. Wir nehmen mal an, wir sitzen bei der ESA und sollen eine neue Trägerrakete konstruieren. Die Aufgabe: Sie soll 4 t in einen niedrigen Erdorbit bringen. Gegeben ist das wir die H10 Oberstufe der Ariane 4 als Oberstufe nehmen. Die erste Stufe müssen wir neu konstruieren. Danach haben wir folgende Angaben:
- die Nutzlast: 4.000 kg
- die Endgeschwindigkeit: 9.400 m/s (enthält auch den Energiebedarf für den Aufstieg soweie andere Dinge)
die letzte Stufe: verwendet wird die H-10 mit folgenden Daten:
- Startgewicht: 13.660 kg
- Gewicht bei Brennschluss: 1.760 kg
- Ausströmgeschwindigkeit der Gase: 4365 m/s
Diese Daten enthalten auch das Gewicht der VEB, die mit in den Orbit gebracht wird. Damit kann man schon mal die Leistung dieser Stufe berechnen:
v2 = 4365 m/s * ln (4000 + 13660 / 4000 + 1760)
v2 = 4890 m/s
Das bedeutet diese Stufe bringt schon mehr als die Hälfte der Geschwindigkeit auf. Es verbleiben:
v1 = v – v2
v1 = 9400 – 4890 m/s
v1 = 4510 m/s
Die Unterstufe sollen wir nun aus drei Möglichkeiten wählen:
- Treibstoff Wasserstoff/Sauerstoff. Ausströmgeschwindigkeit 4250 m/s. Erreichbare Strukturmassenverhältnisse: 10:1
- Treibstoff Kerosin/Sauerstoff. Ausströmgeschwindigkeit 3200 m/s. Erreichbare Strukturmassenverhältnisse: 20:1
- Treibstoff Feststoff. Ausströmgeschwindigkeit 2800 m/s. Erreichbare Strukturmassenverhältnisse 13:1
Das Strukturmassenverhältnis ist der obige Teiler, also das Verhältnis von Startmasse zur Masse bei Brennschluss, allerdings nur für diese Stufe, ohne Berücksichtigung dass sie noch die obige Stufe mit Nutzlast tragen muss.
Setzt man x als die gesuchte Größe (Stufenmasse beim Start), c als das gegebene Strukturverhältnis und berücksichtigt man die schon bekannte Masse der Oberstufe mit Nutzlast, plus weiterer 1000 kg für eine Nutzlastverkleidung und den Stufenadapter so kann man die Formel auch so schreiben:
v1 = vgas * ln ( x + 13660 + 4000 + 1000 / (x/c) + 13660 + 4000 + 1000)
v1 = vgas * ln (x + 18660 / (x/c)+18660)
Da X sowohl in Zähler wie Nenner enthalten ist, ist es nicht möglich x auf eine Seite zu bringen. Was man machen kann ist, einfach mal mit einem einem Gewicht die Berechnung anfangen und sehen was rauskommt. Ist die Geschwindigkeit höher als die 4510 m/s, so kann man es erniedrigen, ist es kleiner so muss man erhöhen. Heute in Zeiten von Excel kann man das auch automatisieren.
LOX/LH2 | LOX/Kerosin | Feststoff | |
Vollmasse | 50000 | 73000 | 122000 |
Strukturverhältnis | 10 | 20 | 13 |
Leermasse | 5000 | 3650 | 9384,62 |
Oberstufe und Nutzlast | 18660 | 18660 | 18660 |
Zielgeschwindigkeit | 4510 | 4510 | 4510 |
Ausströmgeschwindigkeit | 4250 | 3200 | 2800 |
Reale Geschwindigkeit | 4527,87 | 4521,76 | 4515,14 |
Wenn man das macht, so kommt man darauf, dass die Unterstufe bei LOX/LH2 ungefähr 50 t wiegt, bei LOX/Kerosin etwa 73 t und bei Feststoff 122 t. Das LOX/Kerosin so nahe am Wasserstoff liegt, hat neben dem niedrigen spezifischen Impuls natürlich auch mit der kleineren Leermasse zu tun. Trotzdem kann das doppelt so gute Strukturmasseverhältnis nicht den nur um 30% kleineren spezifischen Impuls kompensieren. Ist er um rund 50% kleiner, wie bei Feststoff und auch das Strukturmassenverhältnis nicht viel besser, so wird die Stufe schon zweieinhalbmal so groß.
Die Situation wird extremer, wenn die Geschwindigkeitsanforderung höher wird. Nehmen wir dieselbe Oberstufe, diesmal aber nur 1 t auf einen Fluchtkurs in den GTO Orbit. (v12.60 m/s). Die Oberstufe bringt dabei 7320 m/s auf. 5280 bleiben für die erste Stufe. Obwohl also die unteres Stufe weitaus weniger zusätzlich leisten muss als die Oberstufe, sieht das Ergebnis ganz anders aus:
LOX/LH2 | LOX/Kerosin | Feststoff | |
Vollmasse | 71000 | 107000 | 215000 |
Strukturverhältnis | 10 | 20 | 13 |
Leermasse | 7100 | 5350 | 16538,46 |
Oberstufe und Nutzlast | 18660 | 18660 | 18660 |
Zielgeschwindigkeit | 4510 | 4510 | 4510 |
Ausströmgeschwindigkeit | 4250 | 3200 | 2800 |
Reale Geschwindigkeit | 5300,61 | 5296,35 | 5300,02 |
Nun ist die Feststoffstufe schon dreimal so schwer bei nur rund 800 m/s mehr Geschwindigkeitsanforderung. Die Lösung in der Praxis ist es dann nicht eine stufe einzusetzen, sondern eben zwei.
Die Verhältnisse sind noch extremer, wenn man zwei Stufen mit demselben Treibstoff einsetzt. Hier ebenfalls die Raketen für 4 t Nutzlast bei reinen LOX/LH2, Kerosin und Feststoffantrieben. Die zweiten Stufen haben dabei die höchsten spezifischen Impulse die heute in gebauten Triebwerken vorhanden sind:
erste Stufe | 40000 | 81000 | 220000 |
Strukturverhältnis | 10 | 20 | 13 |
Leermasse | 4000 | 4050 | 16923,08 |
zweite Stufe | 11500 | 20000 | 30000 |
Leermasse | 1150 | 1000 | 2307,69 |
Zielgeschwindigkeit | 9400 | 9400 | 9400 |
Ausströmgeschwindigkeit | 4250 | 3200 | 2800 |
Ausstromgeschwindigkeit 2 | 4500 | 3300 | 2900 |
Reale Geschwindigkeit 1 | 4445,37 | 4223,91 | 4499,65 |
Reale Geschwindigkeit 1 | 4958,29 | 5176,43 | 4885,31 |
Endgeschwindigkeit | 9403,66 | 9400,34 | 9384,96 |
Startmasse Rakete | 55500 | 105000 | 254000 |
Die LOX/Kerosinlösung ist nun doppelt so schwer, die reine Feststoffrakete sogar fast fünfmal so schwer. Da der spezifische Impuls aber auch eine so starke Bedeutung hat, macht es einem auch recht einfach die Daten unbemannter Träger abzuschätzen. Kleine Fehler bei der Schätzung von Leer- und Startmasse schlagen nicht so stark durch. Hauptsache, die Ausströmgeschwindigkeit ist bekannt. Wenn man zwei Nutzlastangaben für verschiedene Bahnen hat, die sich am besten etwas unterscheiden (z.B. GTO/LEO), dann kann man sogar recht genau die Trockenmasse der letzten Stufe bestimmen, auch wenn man viel probieren muss. Zumindest, bei Firmen, bei denen die Angaben „echt“ sind. Ich hatte ja schon mal die Angaben von SpaceX bezweifelt. Neben dem vergleich mit existierenden Trägern derselben Technologie kommt man auch aus physikalischen Überlegungen zu diesem Ergebnis. So gab SpaceX bis zum April dieses Jahres 10,45 t LEO und 4,5 t GTO Nutzlast an. 40% GTO Nutzlast ist aber physikalisch bei dem speifischen Impuls nicht möglich (beziehungsweise nur, wenn die Oberstufe praktisch nichts (<900 kg) wiegt). Nun gibt es ja eine neue Falcon, die ist um 50% größer (480 t anstatt 330 t Startgewicht), die GTO Nutzlast ist aber gleich geblieben. Vorhersagen konnte ich das schon vor Jahren….
Erstsemesterzeit?! 🙂
Könntest Du erläutern was Du damit meinst?
Auch auf die Gefahr, als Streber dazustehen – Mathe war eins meiner Lieblingsfächer. Ungeachtet meiner eingerosteten Kenntnisse hat diese Aussage meinen Ehrgeiz geweckt:
„Da X sowohl in Zähler wie Nenner enthalten ist, ist es nicht möglich x auf eine Seite zu bringen.“
Ich habe versucht die Gleichung umzustellen und bin auf folgendes Ergebnis gekommen:
x = 18660*(1-e^(v1/v_gas)) / (e^(v1/v_gas)/c – 1)
Damit komme ich bei der ersten Beispielrechnung auf eine Vollmasse von 49595kg.
Falls ich keinen Fehler gemacht habe, erspart Dir das ja vielleicht ein wenig Ausprobieren.
@ Arne: ja, die Umformung passt, zumindest habe ich das auch rausbekommen 🙂
@ Bernd: Man kann prinzipiell alle Gleichungen mit einer Unbekannten so umformen, dass man ein Ergebnis bekommt (zumindest sind mir gerade keine anderen Gleichungen bekannt). Es ist halt teilweise ein bisschen Arbeit (so wie oben bei der Ziolkowski-Raketengleichung), aber machbar. 😉
Führt das nicht zu einer quadratischen Gleichung?
v1 = vg*ln(x 18660/(x/c) 18660)
v1/vg = ln(x 18660*c/x 18660)
e^(v1/vg) = x 18660*c/x 18660
-x e^(v1/vg) – 18660 = 18660*c/x
-x^2 x*(e^(v1/vg) – 18660) = 18660*c
0 = x^2 x*(18660 – e^(v1/vg)) 18660*c
Nun nimmt man die p-q-Formel oder die Mitternachsformel und hat das Ergebniss.
Hm irgendwie nimmt die Blogsoftware scheinbar bestimmte Zeichen raus. Mnache Minuse und Pluse fehlen.
In der ersten Zeile fehlen Klammern, deshalb kommst Du zu einer quadratischen Gleichung. Bei Bernd standen sie zwar auch nicht, aber wenn man die Raketengrundgleichung im Kopf hat, weiß man wie es sein soll:
ln ( (x 13660 4000 1000) / ((x/c) 13660 4000 1000) )
Wenn Du das jetzt umbaust, solltest Du zum selben Ergebnis kommen wie Tobi und ich.
Ich bin schneller beim Eintippen in den Taschenrechner als beim Gleichungen umformen. Ich muss zugeben ich mache mir da nicht die Mühe und habe die Gleichung nur bei Wolfram eingegeben und das System konnte sie nicht nach x auflösen. Also habe ich es gelassen.
Bei euren und – solltet ihr aufpassen dass sie nicht bei den Klammern stehen und als Emoticons aufgefasst werden…. Das glílt auch für Zahlen so wird aus 8 ) 8) also ein paar Leerzeichen einstreuen.
Was ähnliches kann auch mit spitzen Klammern passieren (html)
Ok mit den richtigen Klammern passt das dann.