Swing-By Bahnen
Die letzten Tage habe ich weiter an meinem Programm für Raumfahrtberechnungen gearbeitet. Da es so gut mit den hyperbolischen Bahnen und Ionentriebwerken geklappt hat, habe ich mich nun an einem Punkt versucht, den ich schon lange angehen wollte: Swing-By Bahnen.
Swing-By Bahnen sind mathematisch relativ schwierig. Die ersten wurden Anfang der Sechziger Jahre von Michael A. Minovitch am JPL auf einer IBM 7030 „Stretch“, dem damals leistungsfähigsten Computer gerechnet. Sie sind ein typisches „Dreikörperproblem“, das nicht geschlossen mathematisch lösbar ist, sondern nur numerisch. Anders ausgedrückt: Es gibt für Swing-By Manöver einige einfache Gleichungen mit denen man die Abweichung des Minimalabstandes, die Maximalgeschwindigkeit berechnen kann, aber keine, in der man die neuen Bahnparameter berechnen kann. Dafür braucht man eine Simulation.
Erstaunlicherweise ging das recht gut, nachdem ich schon eine Zweikörpersimulation hatte, kam eigentlich nur noch der Planet hinzu. Um den zu treffen, habe ich mir den einfachsten Lösungsansatz genommen: Erst in einer normalen Berechnung die Reisezeit dorthin bestimmen, dann die Anfangsposition von der Endposition um den Winkel verschieben, den der Planet braucht, um dorthin zu kommen. Mein Modell ist dahin gehend vereinfacht, dass ich auf die Z-Komponente verzichte und sich die Planeten auf korrekten Kreisbahnen bewegen. Da ich nur mit Bewegungsvektoren und Geschwindigkeitsvektoren arbeite, wäre es ein leichtes das ganze auf „korrekt“ zu trimmen, nur braucht man dann um den Punkt zu treffen wo sich Sonde und Planet begegnen, auch wirklich die echten Koordinaten im Raum. Die kann man zwar inzwischen bei der NASA nachfragen, aber das war mir dann doch für jede Simulation zu umständlich und in der Zukunft berechnete Daten die sogenannten emphemeriden habe ich nicht und wollte ich auch nicht einbauen. Viel Arbeit habe ich dann noch in die Protokollierung statistischer werte gesteckt und deren Ausgabe.
Ich will heute mal ein paar Ergebnisse vorstellen. Da zig Bahnen möglich sind, habe ich mich mal für die Demonstration auf einige feste Konstanten geeinigt. Wir fliegen von der Erde (150 Mill. Km Entfernung) zu Jupiter (778 Mill. Km Entfernung) mit einer solaren Anfangsgeschwindigkeit von 38700 m/s. Das würde, wenn man Jupiter nicht erreicht, eine Ellipse mit einem Aphel von 825 Mill. Km ergeben. Die Startgeschwindigkeit aus einer 186 km hohen Parkbahn läge bei 14203,2 m/s. Dies wäre die Geschwindigkeit die eine Rakete erreichen müsste.
Swing-By funktioniert eigentlich sehr einfach:
Man kann es zuerst planetozentrisch sehen, also wenn man den Planeten ins Zentrum des Koordinatensystems stellt oder von dort aus alle Positionen notiert.
Die Raumsonde nähert sich dem Planeten und wird durch die Schwerkraft beschleunigt. Er zieht sie an und verschiebt so den Punkt, wo sie ihn passieren würde. Das kann soweit gehen, dass sie mit ihm kollidiert. Passiert das nicht, so entschwindet sie wieder: die Ausgangsbahn ist spiegelbildlich zur Eingangsbahn. Sie verlässt ihn mit derselben Geschwindigkeit mit der sie kam, und einer Position, die rotationssymmetrisch zur Anfangsposition ist.
Von der Sonne aus ist es komplizierter. Nähert sich die Sonde in der Bewegungsrichtung des Planeten, d.h von „hinten“, so addieren sich die Geschwindigkeiten der Sonde und des Planeten. Sie wird beschleunigt. Da der Planet aber sich weiter bewegt während sich die Sonde nähert und sie zu sich anzieht, also ihren Bewegungsvektor dreht, wird der Ausgangsvektor nicht dem Eingangsvektor entsprechen. Solche Bahnen erhöhen die momentane Geschwindigkeit um die Sonne. Bei allen Planeten entspricht dies einer Erhöhung des Aphels, bis hin zu einer Hyperbel (das Aphel wird dann negativ). Umgekehrt: wenn man sich dem Planeten von vorne nähert also einer Position, die er erst noch erreichen muss, subtrahieren sich die Geschwindigkeiten und die Sonde wird abgebremst. Das Perihel sinkt ab. In der Praxis wird das noch etwas komplizierter durch die Anziehung des Planeten, so kann man bei entsprechender Geometrie beide Bahnpunkte Perihel und Aphel gleichzeitig verändern.
Das Ganze klingt kompliziert und ist es auch. Es gibt aber ein anschauliches Beispiel auf dem täglichen Leben: beim Tennis entspricht ein kräftiger Schlag auf den Ball dem ersten Fall – der Ball wird beschleunigt. Ein “Lob“ dagegen der Abbremsung – der Ball „topft“ ab.
Nun ein paar Erkenntnisse. Das erste war für mich die Suche nach einer möglichst nahen Vorbeiflugdistanz ohne das die Sonde auf dem Planeten zerschellt. Ich erhoffte mir dadurch die schnellste Bahn nach außen. Doch dem war nicht so. Derartige Bahnen ergeben bei niedrigen Annäherungsgeschwindigkeit komischerweise kaum eine Geschwindigkeitsänderung, aber eine rapide Bahndrehung. Bild 1 und 2 zeigen das. Bei Bild 1 nähert sich die Sonde bis auf 959 km der Wolkenobergrenze von Jupiter und zwar von hinten. Sie wird beschleunigt und die neue Bahn ist nun tangential zur Jupiterbahn. Da sie aber schneller ist verlässt sie so das Sonnensystem. De Fakto wurde die Bahn um einen Winkel von 90 Grad umgelenkt. Saturn (in 1427 Mill. km Entfernung) würde die Sonde 4 Jahre 327 Tage nach dem Start erreichen – ziemlich lange. Voyager 2 brauchte 4 Jahre dafür und Voyager 1 schaffte es in 3 Jahren 60 Tagen. Wenn man sich nun gegen die Bewegungsrichtung dem Planeten nähert, dann resultiert Abbildung 2: Hier nähert sich die Sonde bis auf 1593 km, aber nun gegen die Bewegungsrichtung. Wieder ist das Ergebnis eine Bahn, die anfänglich tangential zur Jupiterbahn ist, jedoch nun nach innen gekrümmt. Die türkise Ellipse gibt hier die Erdbahn an, allerdings nicht in der korrekten Position. Es resultiert eine Ellipse, deren Perihel nun von 150 auf 671 Millionen km angehoben wurde und deren Aphel in 5270 Millionen km Entfernung liegt. Bedeutender ist, das die Bahn um 180 Grad gedreht wurde – vorher war das Perihel links, das Aphel rechts, nun ist es umgekehrt. Saturn wird so noch passiert, aber erst nach fast 7 Jahren, das heißt um in das äußere Sonnensystem zu gelangen sind beide Bahnen nicht zu gebrauchen.
Ist der Abstand nicht so hoch, so krümmt der Planet die Bahn weniger, beschleunigt sie aber stärker. Bei Bahnen die nach außen führen, wird der Umlenkwinkel kleiner, dafür werden die Bahnen immer hyperbolischer bzw. extrentrische Ellipsen. Nach außen hin gibt es einen sehr weiten Bereich wo die Reisedauer praktisch konstant ist. Zwischen 560.000 und 672.000 km Entfernung wird z.B. Der Saturn nach 1624 Tagen erreicht. Das sind knapp Viereinhalb Jahre. Der Punkt ist aber abhängig von der Distanz des Planeten. Bei Neptunentfernung führt eine Annäherung von 560.000 auf 163.000 km zu einer Reduktion der Reisedauer von 5400 auf 4966 Tagen.
An der Grafik ist das dran zu sehen, dass sie zuerst noch fast parallel zu Jupiter folgt, dann aber abbiegt. Passiert man Jupiter nun gegen die Bewegungsrichtung, so wird man so stark abbremst. Je nach Anfangsgeschwindigkeit und Geometrie erhält man unterschiedliche Ellipsen. Immer möglich sind Ellipsen wie im Beispiel 4: Die rote Endbahn (die cyane ist dieselbe, nur nicht gedreht) verläuft nun zwischen Jupiter und Saturn mit einem Perihel von 319 Mill. km und einem Aphel von 1020 Mill. km. Startet man mit höherer Geschwindigkeit, so ist auch der Geschwindigkeitsgewinn höher. Addiere ich 1000 m/s zu meiner Startgeschwindigkeit (39700 m/s entsprechend 14854 m/s (ungefähr Voyager 1 Startgeschwindigkeit) von der Erde aus) so sind die Effekte dramatisch. Abbildung 5 zeigt ein Beispiel, das man auch als „Sturz in die Sonne“ kennt. Wenn ich mich mit dieser Geschwindigkeit bis auf 956.000 km gegen Jupiters Richtung bewege, so wird man so abbremst, dass das Perihel auf 11,5 Millionen km Entfernung rutscht. Bei höheren Geschwindigkeiten kann es noch niedriger liegen und rutscht es unter 0,7 Millionen km, so hat man den Sonnenrand erreicht. Schon bei 11,5 Millionen km ist der Gewinn deutlich: Würde man von der Erdbahn aus eine 11,5 x 150 Millionen km anstreben, so muss man um 18 km/s abbremsen – das entspricht 21,7 km von der Erde aus. Der Umweg über Jupiter hat also 7 km/s eingespart.
Vor allem aber beschleunigt die zusätzliche Geschwindigkeit die Reise nach außen beträchtlich. Passiert man nun Jupiter in 680.000 km Entfernung, so ist man nach 1152 Tagen bei Saturn – fast eineinhalb Jahre früher. Neptun kann man nach 2657 Tagen erreichen – wenn man sich bis auf 25.265 km nähert. Bleibt man außerhalb des Ringsystems (226.000 km) so dauert es noch 3313 Tage – das sind rund 9 Jahre, verglichen mit 12 die Voyager 2 brauchte. Zuletzt habe ich noch etwas simuliert wo ich die Daten habe: Voyager 1. Die Bahndaten findet man bei der NASA. Die Ausgabe meines Programmes findet man unten. Die Sonde sollte nach 3 Jahren 46 Tagen bei Saturn ankommen. Voyager 1 wurde gestartet am 5.9.1977. 3 Jahre und 46 Tage später ist der 20.10.1980. In der Realität passierte Voyager 1 Saturn am 12.11.980 – das ist 22 Tage später. Aber Voyager hat auch während der Reise mehrmals den Kurs korrigiert. Die Differenz gibt es schon bei Jupiter, den man nach den NASA Bahndaten schon am 18.2. passieren sollte. Ich vermute die Bahndaten beziehen sich auf den 8.9.1977, als die Sonde schon 3 Tage unterwegs war. Wenn ich die Geschwindigkeit etwas reduziere, sodass sie am 5.3.1979 Jupiter erreicht, so komme ich auf eine Reisezeit von 3 Jahren 78 Tagen oder den 21.11.1980 als Passagedatum,
Die Grafik dazu findet Ihr unten.
Zuletzt noch das reizvollste Thema des Ganzen: Man zündet einen Antrieb wenn man den planetennächsten Punkt passiert hat. So was kann man nutzen um in den Orbit abzubremsen. Man kann allerdings auch so beschleunigen. Der Gewinn in beide Richtungen ist um so stärker, je höher die Geschwindigkeit vorher war. Ich habe obige Daten von Voyager 1 nochmals genommen und die Sonde bis auf 12000 km an Jupiter herangeführt. So würde sie in 8 Jahren, 314 Tagen nach dem Start Neptun erreichen (ohne Saturnvorbeiflug). Wenn man in 13.000 km Entfernung 1000 m/s hinzuaddiert, z.B. durch einen kleinen Feststoffantrieb, so sinkt das Perijovium nur um 22 km ab, aber man ist in 51/2 Jahren bei Neptun.
Ursprüngliche Bahn ohne Swing-By
Bahn ist eine Ellipse
Perihel/Perigäum: 150,800 Mill. km
Aphel/Apogäum: 1340,342 Mill. km
Große Halbachse: 745,571 Mill. km
Kleine Halbachse: 449,581 Mill. km
Winkel: 54,8 Grad
Nach der Passage:
Bahn ist eine Hyperbel
Perihel/Perigäum: 760,571 Mill. km
Aphel/Apogaeum: -1865,254 Mill. km
Große Halbachse: -552,341 Mill. km
Minimalentfernung bei Simulationsende: 150,800 Mill. km
Maximalentfernung bei Simulationsende: 1433,501 Mill. km
X-Komponente bei Simulationsende: 1350,731 Mill. km
Y-Komponente bei Simulationsende: -480,057 Mill. km
X-Komponente Geschwindigkeit: 10868,8 m/s
Y-Komponente Geschwindigkeit: -17533,2 m/s
Kreisbahngeschwindigkeit 9623,3 m/s
Kreisbahngeschwindigkeit X-Komponente: 3222,7 m/s
Kreisbahngeschwindigkeit Y-Komponente: 9067,7 m/s
X-Komponente Differenz Kreisbahn: -7646,1 m/s
Y-Komponente Differenz Kreisbahn: -8465,5 m/s
Geschwindigkeitsdifferenz Kreisbahn: 11407,4 m/s
Geschwindigkeit bei Simulationsende: 20628,7 m/s
Winkel: 109,6 Grad
Simulationseinstellungen
Maximale Simulationsdauer: 5 J 175 d
Simulationsdauer 3 J 46 d
Schrittweite: 100 s
Vorgabe Maximalentfernung: 1433,5 Mill. km
Minimaldistanz Annäherung: 278.001,3 km
Differenz zur Fluchtgeschwindigkeit: -2.353,5 m/s
Maximalgeschwindigkeit bei der Annäherung: 35.882,1 m/s
Einflusssphäre: 24.050.000 km