Rocket Science: That don‘t impress me much
Der eine oder andere wird wohl fragen, warum ich eine Woche lang keinen Blog verfasst habe. Dafür gibt es schon Gründe. Zum einen habe ich – wie angekündigt – mehr Zeit in die Fertigstellung meiner Bücher gesteckt und ein Kapitel über Grafik geschrieben und fange nun an die Hardwareentwicklung der x86 Serie als Beispiel für die Techniken die heute in einem Prozessor zum Einsatz kommen nochmals durchzulesen. Zum Zweiten hat die Freibadsaison begonnen und wie letztes Jahr gehe ich täglich eineinhalb Stunden Schwimmen. Mit Hin- und Rückfahrt und einer Erholungspause nach dem Schwimmen sind dann schon mal dreieinhalb Stunden des Tages verplant. Der Hauptgrund aber war, dass ich im Dashboard sah, das dieser Blog der 3.000-ste von mir werden würde. Und der sollte eigentlich daher auch ein Besonderes sein. Das Dumme nur: Mir fiel nichts ein. Klar Ideen für gute Blogeinträge hätte ich schon, doch dann würde es sicher gleich eine Serie werden. So meine Vorstellungen von einer finanzierbaren bemannten Marsmission. Seit Langem, vor allem seit der Islamismus so schreckliche Züge angenommen hat, habe ich die Idee mal die Prinzipien einer Lebensanschauung zu formulieren für alle, die nicht religiös sind und nicht an ein Leben nach dem Tod glauben. Auch wer nicht religiös ist, sucht nach einem Sinn seines Lebens. Ein Zweck einer Religion ist es (meiner Ansicht nach) die Frage zu beantworten und Werte für eine Gesellschaft zu stellen die über die Gesetze hinausgehen. So was spukt mir schon lange im Kopf rum, aber ich als Stifter einer Glaubensrichtung? Da würden mich wohl alle auslachen und wahrscheinlich denke ich auch zu rational dazu. Anders als bei Bibel und Koran würde es mir schon schwerfallen nur einige Seiten mit Glaubenssätzen zu füllen. Zudem haben alle die das ernsthaft machen sich wohl lange mit dem Thema beschäftigt. Daher lasse ich es.
Auf das heutige Thema kam ich, als im Radio Shania Twain gespielt wird. Als ich 2003 in den Semesterferien bei Daimler PC’s betreute, arbeitete ich im EMV-Labor und durch die Metallabschirmung konnte man nur einen Radiosender gut empfangen – Antenne 1. Auf dem liefen den ganzen Tag immer die gleichen Lieder, und damals war das Lied „That impress me much“ in den Hitparaden. So kann ich den Text fast auswendig und da kommt eine Zeile vor:
„Okay, so you’re a rocket scientist, That don’t impress me much“
Rocket Science?
Und das ist der Aufhänger für meinen heutigen Blog. Schon das Wort „Rocket Science“ klingt toll. Viel besser als „Food Science“ das ich mal studiert habe. Dabei ist Food Science auch wirklich Wissenschaft. Rocket Science ist keine Wissenschaft, es ist das, was man im Amerikanischen „Engineering“ nennt, im Deutschen vielleicht am besten mit dem sperrigen Word Ingenieurstechnik zu umschreiben. Der Unterschied: Wissenschaft ist Forschung, mit dem Ziel die Natur zu verstehen und Gesetzmäßigkeiten zu entdecken, die man idealerweise in eine Formel gießen kann, die dann dazu genutzt werden kann, Vorhersagen zu treffen. Diese werden von der Technik genutzt, um Dinge zu konstruieren. Ein typisches Beispiel für den Unterschied ist die Verbrennungsinstabilität. Diese kam früher in vielen Raketentriebwerken vor. Sie entsteht durch Rückkopplung verursacht durch die Vibrationen und Druckschwankungen die Schwankungen des Brennkammerdrucks verursachen. Das kann sich dann aufschaukeln, bis ein Triebwerk explodiert. Bei der Entwicklung der Saturn vergab man wissenschaftliche Arbeiten, um die Verbrennungsinstabilität zu untersuchen. Bis heute ist das Phänomen aber durch die Forschung nicht verstanden. Zumindest nicht in dem Sinne, als dass es Gleichungen gibt, nach denen man den Hang eines Triebwerks instabil zu werden berechnen könnte. Stattdessen ist es Ingenieurswissen. Man hat Techniken erkannt, die helfen das Phänomen zu vermeiden und es gibt „Bomb-Tests“, mit denen man es künstlich erzeugen kann. Was man dann noch tut ist schlicht und einfach testen. Gibt es eine Instabilität, so verändert man ein Detail, meistens am Injektor, solange bis ein Triebwerk die Bomb-Tests besteht.
Doch nach diesem kleinen Abschweifer: Rocket Science, Raketenwissenschaft hatte einen guten Ruf. Ich glaube es hat viel von dem verloren. Dafür gibt es sicher mehrere Gründe. Das eine ist, das Raumfahrt nicht mehr so präsent ist. Raumfahrt ist zwar heute viel wichtiger für das tägliche Leben als früher – ohne GPS kein Navi, ohne Wettersatelliten nur eine Eintages-Wettervorhersage etc. – aber sie ist nicht mehr so in den Medien präsent. Sie ist mehr oder weniger auch „normal“ geworden. Ich erinnere mich noch an Joachim Bublath, der jahrzehntelang die ZDF-Sendungen „Aus Forschung und Technik“ und „Abenteuer Forschung“ moderierte. Da kam irgendwo in (gefühlt) fast jeder Sendung der Satz „Das Ergebnis der modernen Weltraumforschung …“ vor. Das würde heute irgendwie komisch wirken. Denn modern erscheint die Raketenwissenschaft nicht. Machen wir einen Blick zurück in die ersten beiden Jahrzehnte der Raumfahrt. Damals musste man die Technik der Raumflugkörper erst entwickeln. Raketen musste man verbessern, um die Nutzlast zu steigern und dann kam das Apolloprogramm mit Anforderungen an die Technik, wie sie es nie zuvor gab. Das Raumfahrtprogramm war der erste Einsatz der Solarzelle. Die gab es schon, doch sie war viel zu teuer um sie zur Energiegewinnung auf der Erde zu nutzen. Sie trieb die Miniaturisierung voran. So gab es auf den ersten US-Satelliten schon miniaturisierte Bandlaufwerke um Daten (analog) zu speichern. Ein Jahrzehnt vor Erfindung der Kompaktkassette. Vor allem aber trieb man die Technikentwicklung voran, wenn eine Technologie Erleichterungen oder Vorteile versprach. Brennstoffzellen wurden während des Gemini- und Apolloprogramms zur Einsatzreife gebracht. 50 Jahre später sieht sich die deutsche Automobilindustrie als „fortschrittlich“ wenn sie Autos mit Brennstoffzellen produzieren will. Das Apolloprogramm zusammen mit dem Poseidon und Trident-Programm für neue Atomraketen generierte die Nachfrage nach der integrierten Schaltung in den Sechzigern. Sie war schon erfunden, wurde aber von den Computerbauern wegen der hohen Kosten nicht eingesetzt. So wurde das klassische Henne-Ei Problem gelöst: Die ersten Schaltungen nahmen nur wenige Bauteile auf und waren so nicht viel leistungsfähiger als eine Schaltung aus direkten Bauteilen. Sie waren aber teuer. So gab es seitens der Industrie zuerst keine Nachfrage. Ohne Nachfrage gibt es aber keine Profite, mit denen man die Weiterentwicklung finanzieren kann, die dann die Schaltung billiger machen und die Integration erhöhen.
Im Apolloprogramm wurde ein Großteil der heute üblichen Projektmanagementtechniken eingeführt und erfolgreich eingesetzt. Man war damals experimentierfreudiger. Beide Raumfahrtnationen experimentierten mit heute exotischen Treibstoffen. Zum einen mit Kombinationen der schon eingesetzten Oxidatoren- und Treibstoffe wie LOX/UDMH oder NTO/Kerosin, zum anderen auch anderen Kombinationen wie Ammoniak, Borhydrid und Fluor. Interessanterweise hat man die Kombination LOX/Methan die heute so „en vogue“ ist damals nicht getestet. Bei chemischen Treibstoffen ist man heute sicher bei dem Optimum. Alles, was leistungsfähiger ist, hat andere Nachteile wie höhere Kosten oder hohe Toxizität. Bei den Triebwerken wird es auch schwer die Effizienz noch zu steigern und das kann man auch berechnen. Für weitere Steigerungen der Effizienz muss man den Druck unverhältnismäßig steigern oder die Expansionsdüsen enorm groß bauen, beides raubt dann einen Großteil der zusätzlichen Performance. Man hat in den Sechzigern aber auch Alternativen getestet. Die ersten Ionentriebwerke wurden damals getestet. Dazu Kernreaktoren als Stromlieferant.
50 weitere Jahre – wenig Fortschritt
50 Jahre später ist man nur wenig weiter. Nach wie vor arbeiten die meisten Satelliten mit chemischem Treibstoff. Ionentriebwerke werden vereinzelt zur Lageregelung eingesetzt. Einige Satelliten, die sie zum Übergang vom GTO in den Geo nutzen wurden, gestartet. Die Forschung bei den Raumfahrtagenturen ist weiter. Dort wurden Ionentriebwerke schon als primärer Antrieb genutzt. Die Raumfahrtindustrie ist zumindest im privaten Sektor inzwischen extrem konservativ geworden, manchmal noch konservativer als die deutsche Automobilindustrie und das will was heißen. Doch auch bei der vom Staat finanzierten Forschung, wo man bereit ist, mehr Risiken einzugehen, ist man ungleich konservativer als noch vor Jahrzehnten. Nehmen wie die Computer in der Raumfahrt. Im Apolloprogramm wurden nicht nur erstmals Computer nur aus integrierten Schaltungen entwickelt. Es war auch der erste Einsatz eines „Mikrocontrollers“ der die gesamten Operationen steuerte und dies bei einem System, von dem das Leben der Besatzung abhing. Beim nachfolgenden Space Shuttle waren Computer noch wichtiger. Anders als bei Apollo war eine Steuerung durch den Menschen unmöglich. Die Computer im Space Shuttle waren nicht nur untereinander vernetzt und führten Mehrheitsentscheidungen durch, sondern sie nutzten auch ein Netzwerk, da die direkte Verdrahtung viel zu schwer gewesen wäre. Das zu einer Zeit, wo Netzwerke keineswegs zuverlässig funktionierten.
Als das Space Shuttle startete, hatte sie einen 32-Bit-Minicomputer an Bord, dessen Leistung ein PC erst nach einigen Jahren einholte, obwohl die Technik von 1972 stammte. Heute basiert der derzeit schnellste Rechner im Weltraum, der RAD 5500 immer noch auf dem Power PC der Mitte der Neunziger erschien. Er leistet in der Spitze rund 3,7 Gflops. Ich habe den Intel Linpack Benchmark auf meinem drei Jahre alten Rechner laufen lassen. Der erreicht etwa 70% der Peakleistung und der kommt auf 170 Gflops, selbst wenn nebenher noch an dem Text geschrieben wird. (theoretisch: 224 Gflops). Er ist also 30-mal schneller. Von einem Spitzenprozessor wie einem Xeon oder Rechenbeschleunigern wie Grafikkarten oder Xeon Phi würde man noch mehr Leistung erwarten. Vor allem steigt bei Computern seit Jahrzehnten die Leistung kaum noch an. Der RAD 5500 ist nach 10 Jahren der erste neue Prozessor von BAE, mit einer Leistungssteigerung gegenüber dem RAD 750 um den Faktor 18. Der Vorsprung beruht vor allem auf Taktsteigerung, denn der RAD 750 arbeitete bei maximal 200 MHz. Heute macht SpaceX Bergung von Raketenstufen Schlagzeilen. Doch das Space Shuttle kehrte sogar aus dem Orbit zurück. Dabei konnte es kein GPS nutzen. Es wurde noch am Zeichentisch entworfen, nicht durch Computersimulationen optimiert, setzte leichtgewichtige neuartige Hitzeschutzschildkacheln ein. Die technische Leistung ist viel höher zu bewerten. Es wurde fast direkt nach Ende des Apolloprogramms entwickelt, das war der nächste Schritt einer damals noch rapide verlaufenden Entwicklung, eben Rocket Science.
Und ja, es war zu teurer im Betrieb, doch das ist meist bei den ersten Exemplaren so. Die SLS wird auch bedeutend billiger als die Saturn V sein. Hinterher ist man immer schlauer, wie man es günstiger machen kann und seitdem sind auch 45 Jahre vergangen. Darum geht es nicht. Es geht darum, das in der technischen Herausforderung vor allem beim damaligen Stand der Technik das Space Shuttle eine viel größere Leistung war, als es heute die Bergung der Falcon Erststufe ist. Aber es gibt eben fast nichts mehr in der Raumfahrt das einem heute ein Wow-Erlebnis gibt.
Rocket Science heute
Manchmal habe ich sogar das Gefühl, die Entwicklung geht rückwärts. Man hat sich daran gewöhnt, dass die Zuverlässigkeit neuer Raketen höher ist, weil man heute vieles simulieren kann. Früher war man froh, wenn die Hälfte der ersten vier Flüge glückte und vertraute auf die Regel, dass man immer mehr Fehler findet und die Rakete im Laufe der Zeit immer zuverlässiger werden. Doch die Fehlstarts der Delta 3, die Probleme Indiens mit ihrer GSLV aber auch andere gescheiterte Raketenstarts wie der SS-520 oder Super-Strypie zeigen, das dem noch immer noch nicht so ist. Selbst nach den ersten Starts scheinen mehr Fehlstarts heute immer noch normal zu sein, wie die beiden Totalverluste von SpaceX in den letzten beiden Jahren zeigen. Dabei hat die Firma sicher bei der Entwicklung ihre Lehren aus der Falcon 1 gezogen. Wäre Rocket Science eine Wissenschaft, dann könnte man heute Raketen sicher bauen und vielleicht sogar preiswert. Gerade das Herumprobieren, die Unwägbarkeiten, gegen die man sich absichern muss, kosten ja Nutzlast und verteuern das System. Irgendwie hat durch die Rückschläge, man könnte auch noch zahlreiche Fehlstarts bei den Russen wie der Verlust von zwei Progressschiffen, Phobos Grunt oder zahlreiche Fehlstarts am Image gekratzt. Vor allem aber vermisse ich und auch die Öffentlichkeit den Fortschritt. Neue Expeditionen, die müssen ja nicht mal bemannt sein, neue Ziele, nicht die x-te Marsmission. Wo sind die geblieben? Mir fällt nur New Horizons in den letzten Jahren ein, mit den faszinierenden Plutoaufnahmen.
Kurzum: Rocket-Science als Synonym für Fortschritt oder eine Wissenschaft, die nur die eingeweihten verstehen – das war mal. Das hat inzwischen selbst Shania Twain erkannt.
Gratulation zu Nr. 3000
Das erinnert mich an das:
https://www.youtube.com/watch?v=lVPsBmhgjTk
🙂
Tja kann ich verstehen. Theoretischer Physiker ist noch mal eine Latte höher