Mini Babylon – Teil 2

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Ich habe mich nochmals mit dem Vorhaben beschäftigt, eine Rakete mit einer Kanone zu starten. Diesmal kann ich Zahlen liefern. Für alle, die den ersten Teil nicht gelesen haben:

  • Man kann mit einer Kanone eine Mündungsgeschwindigkeit erreichen die ausreicht eine Gipfelhöhe zu erreichen, die einem niedrigen Orbit entspricht
  • Im Gipfelpunkt angekommen, könnte eine Rakete zünden und die Restgeschwindigkeit aufbringen.
  • Rakete und Nutzlast müssen sehr robust sein, um die Spitzenbeschleunigung beim Schuss zu überstehen.

Es gab Versuche von Gerald Bull in den Sechziger Jahren und er baute eine Kanone „Mini Babylon“ mit 350 mm Durchmesser die in Tests 229 km Reichweite erreichte.

Das Problem das ich im ersten Teil hatte, war das die Wikipedia-Angaben inkonsistent waren und z.B. mit der angegebenen Mündungsgeschwindigkeit nicht mal im Vakuum die angegebene Reichweite erreicht hätte. Ich habe meine Simulation nun um eine des schrägen Wurfs in der Erdatmosphäre erweitert und denke ich komme so zu fundierten Angaben. Das Erste was ich tat war eine Abschätzung der Leistung der Mini Babylon. Dabei habe ich mich an den Angaben von Mündungsgeschwindigkeit 2510 m/s, Gipfelhöhe 62 km und Reichweite 229 km orientiert und mit Masse und cw-Wert des Geschosses gespielt. Hier einige Kombinationen, die dafür in Frage kommen: (alle bei 45 Grad Abschusswinkel)

Masse Cw-Wert Gipfelhöhe Reichweite
390 0,3 61,8 228,5
260 0,2 61,8 228,5
156 0,12 61,8 228,5

Eine normale Granate in diesem Kaliber würde 575 bis 750 kg wiegen (so viel wogen die Granaten bei gebauten Geschützen). Eine Artellengranate hat einen Luftwiderstandsbeiwert von 0,3. Bekannt ist das Bull beim HAPS unterkalibrige Projektile mit geringerem Gewicht und besserer Aerodynamik einsetzte. Bei der Mündungsgeschwindigkeit von 2510 m/s, die man nicht alleine durch Rohrverlängerung erreicht, wird auch diesmal das Projektil leichter gewesen sein, wie es eine Rakete auch sein muss, denn sie besteht ja nicht aus Stahl wie eine Granate. Ich glaube aber nicht das die Rakete unterkalibrig ist, denn damit beschränkt man die Raketengröße unnötig. Man möchte ja einen Satelliten in den Orbit befördern und der hat eine gewisse Mindestgröße. Die 210 kg Masse der Projektile der 40-cm-Geschütze beim HARPS-Projekt würden 141 kg bei 350 mm Durchmesser entsprechen. Die etwas größere Mündungsgeschwindigkeit gegenüber HAPRS kann auf das längere Rohr (88,6 Kaliberlängen vs. 156,8 Kaliberlängen) beruhen. Für mich macht daher das leichteste Projektil am ehesten Sinn. Der cw-Wert von des leichtesten Geschosses von 0,12 entspricht dem eines Flugzeugrumpfes.

Mit diesen Daten habe ich nun errechnet ob man eine Orbit überhaupt erreichen kann – nicht ganz. Beim senkrechten Schuss erreicht man so 164,2 km Höhe. Man spart so die Gravitationsverluste ein, startet aber mit Geschwindigkeit Null und muss den Orbit noch etwas anheben. So wird das eher nichts.

Ich habe daher noch ein zweites Szenario errechnet, und zwar mit normalem Kalibergewicht und einer Mündungsgeschwindigkeit von 2740 m/s. Dieses Szenario beruht auf der Hochrechnung der Mündungsgeschwindigkeit der 120 mm Glattrohrkanone des Leopard 2 von 47 auf die 147,8 Kaliberlängen unter der Annahme das Kaliberlänge und Geschwindigkeit über die 2,2-fache Potenz zusammenhängen. Auf diese Potenz kommt man bei den angegeben Mündungsgeschwindigkeiten von Mini Babylon mit kurzem und langem Rohr. Das Geschoss würde dann 208 kg wiegen, wenn man von der 8,3 kg schweren Patrone des Leo 2 auf dieses Kaliber hochrechnet. Bei einem CW-Wert von 0,12 kommt man auf folgende Daten:

Parameter Wert
Mündungsgeschwindigkeit: 2740,0 m/s
Gipfelhöhe: 180,7 km
Reichweite: 323,3 km
Neigungswinkel: 65,0 °
Auftreffgeschwindigkeit: 2480 m/s
Geschwindigkeit im Gipfelpunkt: 835 m/s
Flugzeit: 390,7 s

Unter einem Winkel von 65 Grad erreicht man 180 km Höhe – Mindesthöhe für einen Orbit und hat noch eine horizontale Restgeschwindigkeit von 835 m/s. Mit diesen Daten habe ich nun eine einfache zweistufige Feststoffrakete konstruiert.

Sie basiert auf einer Geschwindigkeitsdifferenz von 7000 m/s, die beide Stufen zu gleichen Teilen aufbringen müssen. Bei einem spezifischen Impuls von 2850 m/s und einem Voll-/Leermasseverhältnis von 10:1 kommt man ohne Simulation zu folgenden Daten:

Parameter Wert
Stufe 1 : Vollmasse 163,4 kg
Stufe 1: Leermasse 16,34 kg
Stufe 2: Vollmasse 35 kg
Stufe 2: Leermasse 3,5 kg
Nutzlast: 9,5 kg

Diese Rakete könnte nach Simulationen 10,5 kg in einen 172 x 278 km Orbit befördern. Die etwas höhere Nutzlast kommt durch die Erdbeschleunigung (Start bei der Simulation von 39,6 Grad nördlicher Breite) zustande. Nun als Gegenrechnung der Start von der Erde aus. Dazu habe ich die Rakete um eine weitere Stufe erweitert. Diese Stufe ist – bei identischem Voll-/Leermasseverhältnis und gleichen spezifischen Impuls (2850 m/s Vakuum) dann schon 680 kg schwer, also fast 3,3-mal so schwer wie die Rakete bisher. Natürlich würde man in Wirklichkeit dann die Rakete auf einen Bodenstart optimieren, also Brenndauern, Schub, und Massen besser abstimmen, so gibt es bei meiner Simulation recht kurze Brennzeiten von 42 bis 70 s, dafür eine 104 s lange Freiflugphase nach Brennschluss der ersten Stufe.

Kurz: es würde sich lohnen, wenn man es unter dem Aspekt der gesparten Stufe sieht. Die andere Frage ist natürlich ob dies die Nutzlast überlebt, und ob die optimistischen Angaben hinsichtlich Voll-/Leermasse haltbar sind, denn die Beschleunigung wird sicher auch hier dickere Gehäuse und kürzere Düsen nötig machen. 10 kg sind zudem nicht viel. Das ist im Bereich der Cubesats und sie gelangt in einen Orbit mit einem niedrigen Perigäum, den sie selbst anheben muss, sonst verglüht sie innerhalb von Wochen wieder. Eine viel größere Kanone würde ich aber auch nicht bauen. Man kann davon ausgehen, das die Kosten dann in der dritten Dimension des Durchmessers ansteigen. Gleichzeitig nimmt die Lebensdauer der Rohre rapide ab. Bei 400 mm Durchmesser waren es noch 250 bis 300 Schuss, bei 450 mm Durchmesser, den größten Schiffsgeschützen, die gebaut wurden, waren es nur noch 200 bis 250 Schuss. Die deutsche 80 cm Kanone hatte nur 100 Schuss Lebensdauer, zeigte aber nach dem 20 Schuss schon starke Abweichungen vom Aufschlagspunkt. Dabei kostete es 7 Millionen Reichsmark pro Geschütz, umgerechnet heute etwa 25 Millionen Euro, das würde pro Schuss dann schon 250.000 bis 1,25 Millionen € nur an Abschreibungskosten kosten (mal davon abgesehen, ob ein so großes Geschütz mit der Kaliberlänge überhaupt baubar ist).

Nun noch etwas Basiswissen; Es gab in der Vergangenheit mehrere Versuche, Messinstrumente, Raketen oder Satelliten mithilfe von Geschützen in den Weltraum zu befördern. Diese Versuche wurden vor allem in den 1950er und 1960er Jahren durchgeführt, als die Raumfahrttechnologie noch in den Kinderschuhen steckte und alternative Methoden für den Transport von Nutzlasten in den Weltraum gesucht wurden. Im Folgenden sind einige bekannte Beispiele für solche Versuche aufgelistet:

  1. Das HARP-Projekt: Das HARP-Projekt (High Altitude Research Project) war ein von der US-Armee finanziertes Programm, das in den 1960er Jahren in Kanada durchgeführt wurde. Ziel des Projekts war es, wissenschaftliche Instrumente und Sonden mithilfe von riesigen Geschützen in große Höhen zu befördern. Die Geschütze hatten eine Reichweite von bis zu 160 Kilometern und erreichten Geschwindigkeiten von über 3.000 Metern pro Sekunde. Im Rahmen des HARP-Projekts wurden mehrere erfolgreiche Starts durchgeführt, darunter auch der Start einer Sonde, die bis in eine Höhe von über 180 Kilometern aufstieg.
  2. Der Project Babylon: Der irakische Wissenschaftler Gerald Bull entwickelte in den 1980er Jahren im Rahmen des sogenannten „Project Babylon“ eine Reihe von Geschützen, die für militärische Zwecke, aber auch für die Raumfahrt eingesetzt werden sollten. Das größte dieser Geschütze hatte eine Länge von 156 Metern und eine Reichweite von 1.000 Kilometern. Bull hoffte, mit diesen Geschützen eine kostengünstige Alternative zur herkömmlichen Raketenstarts zu schaffen. Das Projekt wurde jedoch nie vollständig realisiert, da Bull im Jahr 1990 ermordet wurde.
  3. Der Satellitenstart von Hiller: Im Jahr 1955 versuchte der deutsche Raketenpionier Eugen Sänger, einen Satelliten mithilfe eines speziell entwickelten Geschützes in den Weltraum zu befördern. Das Geschütz, das von dem deutschen Unternehmen Hiller entwickelt wurde, hatte eine Länge von 150 Metern und eine maximale Reichweite von 250 Kilometern. Der Versuch scheiterte jedoch, da das Geschütz nicht stark genug war, um den Satelliten in den erforderlichen Orbit zu bringen.
  4. Der Start von Raketen durch Kanonen: In den 1960er Jahren führte die US-Armee mehrere Versuche durch, bei denen Raketen mithilfe von speziell entwickelten Kanonen gestartet wurden. Die Kanonen hatten eine Reichweite von bis zu 90 Kilometern und erreichten Geschwindigkeiten von über 3.000 Metern pro Sekunde. Die Versuche waren jedoch sehr riskant und wurden schließlich aufgrund der hohen Verluste eingestellt.

Diese Beispiele zeigen, dass es in der Vergangenheit mehrere Versuche gegeben hat, Messinstrumente, Raketen oder Satelliten mithilfe von Geschützen in den Weltraum zu befördern. Obwohl einige dieser Versuche erfolgreich waren, stellte sich letztendlich heraus, dass der herkömmliche Raketenstart die effektivere Lösung heraus. Das am weitesten gekomme Projekt war das Projekt HARP von Gerard Bull. Zum Schluss arbeite Bull mit mehreren verbunden Rohren von 16 Zoll schiffgesschützen und Anlagen die 200 t wogen.

Bis Ende 1965 hatte das Projekt HARP mehr als hundert Raketen in einer Höhe von über 80 km in die Ionosphäre geschossen. Zu diesem Zeitpunkt begann das Projekt mit der Planung des Starts der Martlet 4, eines Geschosses mit Raketendüsen, die während des Fluges gezündet wurden, um die Rakete in die Umlaufbahn zu schicken.Für dieses Vorhaben entwickelte BRL das Telemetriesystem, das mit Hilfe von Sonnensensoren die Höhe des Geschosses bestimmte. Dieses Telemetriesystem diente als früher Vorläufer des aeroballistischen dynamischen Zünders (DFuze) der US-Armee[  Am 18. November 1966 startete die von BRL auf dem Yuma Proving Ground betriebene HARP-Kanone eine 84-kg-Martlet-2-Rakete auf 2.100 m.

One thought on “Mini Babylon – Teil 2

  1. Vermutlich würde man auf einen Wasserstoff-Sauerstoff gefüllten Lauf, und ein Projektil das im Lauf die Gase komprimiert und hinter dem Projektil verbrennt setzen. Ich habe dazu ein interressants Google Tech Talk gesehen, offenbar gab es im kalten Krieg schon Versuche mit Kanonen für interkontinentalen Beschuss. Siehe https://www.youtube.com/watch?v=1IXYsDdPvbo

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