Placebos und Nocebos

Loading

Auf mein heutiges Thema kam ich durch einen Anruf meiner Schwester. Sie hat mich gestern Abend angerufen, ob ich nicht ein Magnesiumpräparat für Sie hätte. Sie hätte seit einigen Tagen Wadenkrämpfe und – wörtliches Zitat: „das Magnesium vom Aldi wirkt nicht“.

Meine Schwester weiß, dass ich Vine-Tester bin, weil ich ihr schon mal ein Nahrungsergänzungsmittel geschenkt habe, das ich bei Vine zum Testen erhielt, als im Herbst die Erkältungssaison sich näherte und sie meinte, sie müsste nun etwas für ihr Immunsystem nehmen. Sie fragte, ob ich ihr nicht ein Magnesiumpräparat bei Vine bestellen könne.

Ich meinte, das wäre egal. Magnesium sei Magnesium, egal ob es vom Aldi kommt oder ich ein teures Nahrungsergänzungsmittel bestelle. Aber meine Schwester vertraut eben einer hübsch aufgemachten Packung mehr als einer einfachen Brausetablettenbox. Inzwischen habe ich auch bei Vine ein Präparat bestellt, das ich weiter unten noch besprechen werde. Ich habe meine Schwester aber auch darauf hingewiesen, das Wadenkrämpfe viele verschiedene Ursachen haben können, nicht nur einen Magnesiummangel. Darauf entgegnete sie, dass ihr der Arzt mal „Magnesium diasporal“ verschrieben habe und dieses Magnesiumpräparat helfe. Da meinte ich, dass das wohl eine Placebowirkung sei, denn das sei das gleiche, wie wenn man Aspirin von Bayer kauft oder ASS von Ratiopharm – es ist derselbe Wirkstoff in beiden Tabletten. Wenn Magnesium von Diasporal bei meiner Schwester besser wirkt als eine Magnesiumbrausetablette von Aldi, dann ist das der Placeboeffekt.

Ich glaube jeder von Euch hat mal von dem Placeboeffekt gehört. Das bedeutet, dass eine Wirkung eines Medikaments oder einer medizinischen Maßnahme nur dadurch zustande kommt, dass man meint das etwas wirkt. Das hat sehr viele Aspekte. Manche sind relativ leicht erklärbar wie der Effekt, wenn ein Arzt etwas verordnet, bei meiner Schwester. Wenn der Arzt das verordnet und noch ein Rezept ausstellt, dann muss das doch wirken. Alleine die Aufmerksamkeit wirkt schon heilend. Das ist auch der Hauptgrund, dass Heiler jeder Art oder Homöopathie als komplette Philosophie wirken.

Manche Aspekte des Placebeoeffekts sind selbst für mich schwer zu verstehen, aber durch die Forschung abgesichert, so z.B. dies Personen, die meinten sie würden operiert werden, aber nur oberflächliche Schnitte bekamen, danach in einem fast genauso hohen Prozentsatz beschwerdefrei waren wie eine Kontrollgruppe, bei der die Operation tatsächlich durchgeführt wurde. Bei solchen Operationen in den Studien handelt es sich dann nicht um wirklich lebensnotwendige Operationen, sondern um Operationen an Verschleißteilen wie Knien, wo eine Operation auch nicht das Knie wieder in Ordnung bringt, sondern nur die Beschwerden lindert.

Niemand ist von dem Placebo-Effekt sicher. Nicht einmal, wenn man in der Materie drin ist. Ich leide seit Jahrzehnten unter einer Pollenallergie. Beim ersten Haut- und Lungentest war ich gegen sechs Baumarten allergisch, vier wurden davon behandelt, die beiden anderen, meint der Hautarzt wären Kreuzallergien. Drei Jahre lang wurde ich hypersensibilisiert, das war von 2009 bis 2012. Danach war es besser, wenngleich ich nie beschwerdefrei wurde. In den letzten Jahren wurde die Allergie dann immer stärker und letztes Jahr kam noch ein sehr störender Reizhusten hinzu, der vor allem beim Einschlafens störte. So habe ich dieses Jahr meinen Hautarzt nach einem Medikament gefragt und ein Rezept bekommen. Den Wirkstoff Levocetrizin kannte ich nicht, aber die Medikamente mit Cetirizin, die ich vor der Hyposensibilisierung nahm, waren recht preiswert. Beim neuen Wirkstoff sollte nun eine 50 Stück Packung 29 Euro kosten. So viel hatte ich gar nicht dabei, als das Medikament in der Apotheke kaufen wollte. Ich habe es dann im Internet von einem anderen Hersteller für 9 Euro in einer Versandapotheke bekommen.

Der neue Wirkstoff wirkt viel besser als die Medikamente, die ich früher nahm. Ich bin manchmal komplett beschwerdefrei, bis auf eine dauernd laufende Nase, aber keine Nießattaken, kein Reizhusten, keine tränenden Augen. Vielleicht ist der Wirkstoff besser als der alte, obwohl er nur das wirksame Enantiomer ist, aber ich tippe auch auf die Umstände, die einen deutlichen Placeboeffekt haben – Rezept vom Arzt und teureres Medikament (was teurer ist, muss ja besser sein).

Bei Medikamenten ist der Placeboeffekt am besten untersucht und verschiedene Studien zeigen, dass zwischen einem Drittel bis zur Hälfte der Patienten bei Placebogaben eine Verbesserung oder einen Effekt beobachten. Daher werden heute auch „verblindete Studien“ durchgeführt, also weder Studienteilnehmer noch das Personal, dass die Studie durchführt weiß ob ein Teilnehmer ein Placebo erhält oder nicht. Weiß man das man dafür empfänglich ist, so kann man den Placeboeffekt sogar für einen selbst ausnutzen.

Das Gegenteil davon ist der Noceboeffekt, man meint also das etwas gar nicht wirken kann, obwohl es tatsächlich eine Wirkung hat. Erstaunlicherweise habe ich mit dem Noceboeffekt schon vor dem Placeboeffekt meine Erfahrungen gemacht. Das war 1989. In meinem Organikgrundpraktikum musste ich Acetylsalicylsäure synthetisieren, Acetylsalicylsäure – die meisten Nichtchemiker können den Namen nicht aussprechen und kürzen es zu ASS ab – ist der Wirkstoff in Aspirin und vielen Kopfschmerztabletten. Die Synthese war wirklich einfach. Man musste nur Salicylsäure, Essigsäure und ein Salz das Wasser, das bei der Reaktion frei wird, bindet, in einen Kolben geben und erhitzen. Ass ist auch eines der ältesten synthetisch hergestellten Medikamente. Erste Präparate kamen schon vor 1900 auf den Markt, als die chemische Forschung noch einen anderen technischen und wissenschaftlichen Stand hatte.

„Wie kann ein so einfaches Molekül, das so leicht herzustellen ist in so etwas komplexes wie die Nervenleitung eingreifen?“ So etwas dachte ich mir. Seitdem wirkten Tabletten mit Ass einige Jahre lang nicht mehr bei mir und ich stieg auf Paraacetamol um, obwohl diese Substanz mehr Nebenwirkungen hat. Die Änderung, das ASS wieder wirkt, kam dann als man entdeckte, dass Acetylsalicylsäure in geringen Dosen auch bei bestimmten Herzerkranungen hilft. Nach der neueren Forschung hat ASS zahlreiche Wirkungen, die weit über die Schmerzlinderung hinausgehen.

Zurück zum Aufhänger. Ich habe meiner Schwester dann ein Magnesiumpräparat bestellt, und zwar dieses von Wild Nutrition. Ich denke, es wird bei meiner Schwester vor allem durch den Placeboeffekt wirken: Es kommt in einer dunkeln Flasche, hübsch aufgemacht. Einige Wirkungen sind auf der Flasche aufgedruckt und noch „wissenschaftlich untersucht“ steht da.

Praktisch enthält eine Tablette nur 60 mg Magnesium, der Tagesbedarf beträgt bei Erwachsenen je nach Geschlecht 300 bis 350 mg. Ich hätte erwartet, dass eine Tablette einen guten Teil des Tagesbedarfs abdeckt, wie das bei einfachen Brausetabletten der Fall ist. Bei Tabletten, die man schlucken muss, ist das problematischer als bei Brausetabletten, aber auch hier haben viele der Präparate mindestens den halben Tagesbedarf. So enthalten diese 60 Tabletten für über 20 Euro weniger Magnesium als die Brausetabletten vom Aldi für 2 Euro. Ich hätte es für mich nicht bestellt, aber es war das einzige Magnesumpräparat, bei Vine, das es aktuell zum Testen gab.

Was mich ärgert ist, dass zumindest auf der Amazon-Beschreibung keinerlei Angaben über das Magnesiumsalz gemacht wird. Bei Magnesium (aber auch anderen Mineralstoffen wie Eisen oder Zink) erhöhen organische Salze wie Magnesiumcitrat die Resorption. Man kann aber auch hier viel falsch machen. Vor etlichen Jahren habe ich mal ein Magnesiumpräparat untersucht, bei dem ich die Tabletten nahezu unverändert im Kot wiederfand. Die Resorption von Magnesium aus diesem Multinorm Magnesium war also gleich Null. Sie bestanden aus Magnesiumoxid. Das Magnesiumoxid gibt es in zwei Formen, einer wasserunlöslichen Form, die man als Magnesia auch im Sport nimmt um Schweiß von den Händen zu binden und einer wasserlöslichen Form. Offenbar hatte der Hersteller da die falsche Form verwendet.

In Brausetabletten ist vor allem Magnesiumcarbonat enthalten, da dieses sich in Wasser auflöst. Damit dies schneller geht, ist meist noch eine organische Särue wie Zitronensäure enthalten, die zur Spaltung des Carbonats in Kohlendioxid und Wasser führt. Das Magnesium wird nicht so gut aufgenommen wie organisch gebundenes Magnesium, es wird meist auch nicht vollständig gelöst (es bleibt immer ein Bodensatz), aber es ist eben eine preiswerte Möglichkeit ein Magnesiumpräparat herzustellen. Andere Hersteller setzen Substanzen zu, die die Aufnahme erhöhen sollen, wie z.B. Tetesept.

Diese Tabletten sind wirklich etwas Besonderes. Die Magnesumquelle ist das Bakterium Lactobacillus Delbrueckii subspezies Bulgaricus. Dieses Bakterium kann bei entsprechender Steuerung der Fermentationsbedingungen auch Magnesium aus dem Substrat anreichern. Lactobazillus Bulgaricus wird aber im Normalfall nicht für die Magnesiumgewinnung eingesetzt, sondern um Milchprodukte zu fermentieren. Das erklärt dann auch den geringen Gehalt an Magnesium, denn das nützt dem Bakterium ja nichts.

Ich vermute, diese umständliche Prozedur wird gemacht, weil man das Produkt als „vegan“ bewerben will. Aber es bringt dem Anwender keine Vorteile. Anders als Magnesium in Form eines organischen oder anorganischen Salzes – es wird bei Amazon damit geworben das kein Zitrat, Oxid oder Glycinat eingesetzt wird – muss es erst aus der organischen Matrix freigesetzt werden. Im Allgemeinen ist es so, dass Mineralstoffe aus Lebensmitteln nur zu einem kleinen Teil resorbiert werden, weil sie erst aus der organischen Matrix herausgelöst werden müssen. Dieser Effekt ist bei den Empfehlungen schon berücksichtigt. So sind diese einfach herzustellenden Magnesiumsalze aber effektiver für de Aufnahme als diese Form des in Bakterien gebundenen Magnesiums. Zudem sind auch diese Salze vegan, wenngleich synthetisch hergestellt. Aber sie sind wahrscheinlich nicht koscher, auch damit wird geworben.

Aber bei dem Preis der Tabletten den diese Tabletten haben, wäre es einfacher sich gesund zu ernähren. Magnesium kommt in vielen Nahrungsmitteln vor, sowohl tierischen wie Fleisch und Fischen. Reich sind auch Vollkornprodukte und selbst normales Mischbrot. Aber die energieärmste Möglichkeit sich zu versorgen sind Obst und Gemüse. Als Bestandteil des Blattfarbstoffes Chlorophyll gibt es einen einfachen Merksatz: je grüner ein Lebensmittel ist, desto mehr Magnesium enthält es. Spitzenreiter sind Spinat und Brokkoli, aber reich sind auch Kohlsorten und grüne Erbsen. Blattsalat enthält relativ wenig Magnesium, ist aber sehr energiearm. Es kommt aber auch in vielen Obstsorten vor wie Bahnen, Kirschen, Himbeeren, Brombeeren. Eine große Banane enthält in etwa so viel Magnesium wie eine dieser Tabletten und daneben auch andere wichtige Stoffe wie Vitamin B6. Wer Mineralwasser trinkt, sollte mal einen Blick auf das Etikett werfen – es gibt auch magnesiumreiche Mineralwässer.

Meier Schwester werde ich diese Erkenntnis natürlich nicht verraten, wenn am Samstag die Tabletten kommen, sonst wirken die Tabletten ja nicht mehr durch den Placebo-Effekt …

3 thoughts on “Placebos und Nocebos

  1. Mann sollte einfach mehr auf das Verlangen des Körpers (Appetit) hören. Ich bevorzuge
    Getreideprodukte aus Vollkorn, habe hin und wieder Heisshunger auf Bitterschokolade und verachte auch keine Hülsenfrüchte. Alles Nahrungsmittel welche eines hohen Magnesium Gehalts nicht unverdächtig sind.

  2. “ Seitdem wirkten Tabletten mit Ass einige Jahre lang nicht mehr bei mir und ich stieg auf Paraacetamol um, obwohl diese Substanz mehr Nebenwirkungen hat.“

    ASS ist heute eigentlich zuerst ein Blutverdünner, weniger ein Schmerzmittel.

    Bezüglich des „organisch“ gebundenen Magnesiums wäre noch zu bedenken daß Magnesium in vielen unterschiedlichen Ecken des Körpers benötigt wird. Es kann gut sein daß physiologisch gesehen speziell chelatisiertes Magnesium in Muskelgewebe anders verstoffwechselt wird als z. B. im Verdauungstrakt. Da spielen sicherlich auch die gewaltigen Unterscheide der pH Werte im Körper eine Rolle. Die Geschwindigkeit der Primäraufnahme im Magen, bei pH 1-2, dürfte unabhängig von der Darreichungsform sein. Da wird Magnesium, wenn es nicht als Dolomit oder Chelat-Komplex eingenommen wird, immer als freies Kation vorliegen. Spannend wird es aber wenn das Magnesium dann in den unterschiedlichen Körperteilen verstoffwechselt wird. Und da macht es schon einen Unterschied ob es in der Form vorliegt wie es die Muskeln z. B. benötigen, oder ob der Körper aus dem freien Magnesium die benötigte „Form“ erst neu „anlegen“ muß.

    So würde ich es jedenfalls meinen Kunden erzählen müßte ich denn das Zeug verkaufen.

  3. Bestes beispiel für Placebo ist doch das „Pusten“ wenn Kindern sich „verletzen“.

    Auf jeden fall ist der Placebo Effekt wirkungsvoller als viele Medizinen. sonst wäre die Untersuchung neuer Medikamente auf Wirksamkeit auch nicht so aufwendig.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.