Die geldgierige ESA
Ich schaue im Fernsehen gerne Wissenschaftsdokus, meist auf ZDF-Info wo die Auswahl sehr verschieden ist. Neben US-Formaten die ziemlich reißerisch aber mit wenig Information daherkommen findet man auch gute Dokumentationen der BBC oder deutsche Eigenproduktionen wie Terra-X. Am Samstag schaute ich mal bei Arte dabei und sah den Film „Achtung Weltraumschott“. Dabei fiel mir eine Passage auf, die ich hier mal als Textauszug wiedergebe:
„Das imposanteste Stück Weltraumschrott ist Envisat, ein 2002 von der ESA gestarteter Umweltsatellit, so groß wie ein Bus. Diesen unberechenbaren Riesen verdanken wir der Geldgier der Satellitenbetreiber. Rüdiger Jehn distanziert sich heute von seinem Vorgänger. „Es ging nur ums Geld. Er lief bis zum letzten Tropfen Treibstoff, sodass er nicht zurückgeholt werden konnte. Das ist das Problem“. Seinerzeit war Envisat der größte jemals gebaute Erdbeobachtungssatellit. Nach seiner geplanten Lebensdauer von 5 Jahren und mehr als 29.000 Erdumrundungen hätte er zum Absturz gebracht werden müssen, als seine Mission zu Ende ging. Aber die Verantwortlichen entschieden ihn weiterzubetreiben. Dann am 8. April 2012, zehn Jahre nach dem Start verlor die europäische Weltraumorganisation jegliche Kontrolle über Envisat. Seither kreuzt er als tickende Zeitbombe täglich die Bahn etlicher Satelliten. Die Lage ist derart brisant, dass die ESA ein ehrgeiziges Programm finanziert hat, das Envisat aus seiner Umlaufbahn holen soll.
(beginnt bei 45:35).
Mit Ausrücken wie „unberechenbarer Riese“ oder „Geldgier“ halte ich das nicht für neutral geschrieben. Daher mal einige Korrekturen:
1: Bei einem Umweltsatelliten, der kein Geld einbringt, sondern den Zustand der Umwelt dokumentiert kann man kaum von „Geldgier“ sprechen.
2: Rüdiger Jehn ist nicht Nachfolger des Missionsdirektors von Envisat, sondern „Mission and Space Debris Analyst; now Head of the Planetary Defence Office“
3: Envisat ist nicht nur damals, sondern auch heute noch der größte Umwelt-/Erdbeobachtungssatellit, weil man inzwischen die Politik geändert hat und mehr dafür kleinere Satelliten baut.
4: In der Tat sollte Envisat nach zehn Jahren aus dem Service genommen werden, man verlängerte die Mission trotz wenig Treibstoffs um drei weitere Jahre, indem er in einen Treibstoff sparenden Orbit versetzt wurde.
5: Der Ausfall hatte nichts mit dem Treibstoff zu tun und ist bis heute ungeklärt
6: Der Treibstoff – es waren anfangs 319 kg Monomethylhydrazin – war nie dafür gedacht, den Satelliten zu deobritieren, dafür hätte er bei 8.100 kg Startmasse nie gereicht. Selbst wenn man den ganzen Treibstoff direkt nach dem Start dafür genommen hätte, wäre es unmöglich gewesen in dem später verabschiedeten Rahmen einen Satelliten nach 25 Jahren zu deorbitieren (Quelle).
7: Es ist normal Satelliten weiterzubetreiben, selbst wenn sie ihre Solllebensdauer überschritten haben, solange sie funktionieren. Man wirft im täglichen Leben ja auch nichts weg nur, weil die Garantiezeit vorbei ist. Erdbeobachtungssatelliten kann man lange betrieben. Die Vorgänger von Envisat ERS 1+2 wurden zehn bzw. 16 Jahre lang betrieben, bei einer Sollbetriebsdauer von 3 Jahren. Derzeit ist noch Landsat 7 aktiv, der schon 1999 startete.
8: Es gab kein Programm um Envisat zu deorbitieren, vielmehr lieferte der Ausfall den Startschuss sich mit der Strategie eines aktiven Deorbits bei der ESA zu beschäftigen, das Programm e.Deorbit.
Der ganze Abschnitt ist hochgradig irreführend. Zum einen verweisen offizielle Seiten darauf das Envisat auch nach de Verlängerung der Mission um drei Jahre noch genügend Reserven für Ausweichmanöver gehabt hat. Zum anderen – das erwähnt die Doku an anderer Stelle – können Satelliten jederzeit ausfallen und das war auch bei Envisat der Fall. Was wäre denn die Alternative gewesen anstatt ihn weiterzubetreiben? Wenn man ihn ganz abschaltet, ist er erst recht eine Gefahr, da nicht mehr kontrollierbar. Genügend Treibstoff zum Deorbitieren hatte er nicht mal beim Start. Das einzige, was man machen konnte, war ihn weiterzubetreiben, irgendwann aber mal einzustellen, das man die Bahn anpasst um Störungen auszugleichen und dann mit dem Resttreibstoff eben anderen Satelliten auszuweichen. Doch selbst dann wäre durch den Ausfall Envisat heute ein Stück Weltraumschrott, eben weil dieser Ausfall nichts mit dem Treibstoffvorrat zu tun hat.
Die meiner Meinung nach beste Strategie ist es, dass jeder Satellit ein System an Bord hat, das unabhängig von der Bordelektronik für das Deorbitieren zuständig ist und daher auch bei einem Ausfall des Satelliten funktioniert. Auf den Treibstoff kann man sich dabei nicht verlassen. Denn ein Ausfall kann ja auch eine unkontrollierte Bewegung nach sich ziehen und betätigt man dann die Triebwerke, so kann man auch in einen höheren Orbit gelangen wo das Kollisionsrisiko noch größer ist.
Ich meine das eine einfache Schaltung die beim Ablaufen eines Zeitgebers eine „Bremse“ ausfährt, die beste Lösung ist. Eine solche Bremse ist vor allem eine große Fläche die den Widerstand erhöht und so für mehr Abbremsung sorgt. Die DLR setzt so was schon ein und nimmt dazu Sonnensegel, ich würde, weil es mechanisch noch einfacher ist, einen Ballon wie bei den Echo 1+2 Satelliten aufblasen. Für einen 1.000 kg schweren Satelliten der in 800 km Höhe umkreist würde man damit dies in 25 Jahren geschieht eine abbremsende Oberfläche von etwa 200 – 250 m² benötigen.
So was würde aber auch nur in Bahnen klappen, die nicht zu weit weg sind. 800 km Höhe sind da schon hoch, Onewebs Satelliten umkreisen die Erde in 1.200 km Distanz und SpaceX will auch 2.825 ihrer Starlink Satelliten zwischen 1.115 und 1.325 km Höhe stationieren. Da ist die Luftreibung so gering, dass ein Abbremssegel riesig sein müsste – ob man es dann noch entfalten kann. ist offen, vor allem ist die Deorbitlösung dann schon relativ schwer und nimmt einen beachtlichen Teil der Satellitenmasse ein und bei noch höheren Orbits wie für Navigations- und Telekommunikationssatelliten bleibt nur als Lösung sie bei Erreichen kritischer Treibstoffreserven oder planmäßigem Außer-Dienstnehmen in einen leicht höheren „Friedhofsorbit“ abzuschieben.
Besonders pikant. Während Envisat so niedergemacht wird, darf in dem Beitrag Greg Wyler Werbung für OneWeb machen und es wird nicht kritisch berichtet „Dabei versichern die Träger dieser Projekte alle nötigen Vorkehrungen zu Treffen, gefolgt von Äußerungen Wylers (52:44). Kein Wort davon, dass seine 882 Satelliten sich in 1.200 km Höhe befinden, einer Höhe in der sie niemals natürlich in 25 Jahren verglühen und es bisher keinen Deorbitplan gibt, noch eine Nachfrage was Oneweb bei ausgefallenen Satelliten tut um sie zu deorbitieren.
Arte, das war kein Ruhmesblatt.
Hallo Bernd,
ich habe leider nur die letzte Viertelstunde gesehen, diese Aussage hat mich auch gewundert:
Bei einem Forschungssatelliten?
Bei Nachrichten-, Mitlitär- oder Rohstoffsuchendem Satelliten möglich.
Aber die Frage ist: Große Objekte anfliegen, greifen oder ankuppeln und dann deorbitieren ok.
Mittlere Objekte vielleicht.
Aber die ganz kleinen unter einem Kubikzentimeter? Und das sind die meisten oh.oh…
Da wäre vielleicht ein Trichter gut, Durchmesser bsp. 10*10 Meter, gegen die übliche Flugrichtung gestartet und wenn ein Sammelsystem voll ist, dieses deorbitieren und im „Windschatten“ ein neues Sammelmodul einhängen, und weitergehts. Theorie ist grau…
Meint Ralf mit Z
Das man sich auf große Körper beschränkt ist relativ einfach. Aus einem großen Körper können bei einer Kollision (auch mit einem kleinen Bruchstück) viele kleine Bruchstücke entstehen und die Kolissionswahrscheinlichkeit nimmt natürlich mit der Größe zu – ein 1 m² großer Satellit bietet eben 10.000 mal mehr Fläche als ein 1 cm² großes Bruchstück.
Daneben gibt es auch praktische Gründe. Man muss im Vorfeld die Bahn genau genug bestimmen und man muss dann auch im All das Objekt finden – beides geht bei großen Objekten viel einfacher als bei kleinen.
Hallo Bernd,
das mit der Harpune ist auch sowas, trifft sie dann könnten trotzdem noch Bruchstücke entstehen und die sind weiter gefährlich.
Da wäre etwas nach der Methode Fliegenfänger besser, klebrige Seile oder Netze.
Auch ein Trichter als „Geisterfahrer“ im Orbit könnte was helfen.
Ich bin kein Physiker, aber da fliegen die Teile halt in den Trichter und der Trichter nicht den Teilen hinterher.
Aber wie gesagt so stellt sich halt ein StarTrek (Starwars 4-6) Fan die Raumfahrt vor.
😉
Ralf mit Z
Also ich halte die Lösung mit den Tentakeln als die beste. Damit kann man auch vorsichtig einen rotierenden Satelliten abbremsen, der Einfangsatellit muss natürlich dagegenhalten. Vor allem ist diese Lösung wieder einfach lösbar, sodass ein Satellit mehrmals eingesetzt werden kann, was Kosten spart.
Wer den Beitrag nochmals ansehen will:
https://www.arte.tv/de/videos/061656-000-A/achtung-weltraumschrott/