Durchgerechnet: Das Raptor Triebwerk – der spezifische Impuls

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Ich schließe an meinen letzten Beitrag über das Raptor und den Schub an. Etwas komplizierter ist es mit dem spezifischen Impuls, denn kann man als Laie nicht selbst berechnen, doch es gibt Tools dazu.

Der spezifische Impuls – egal ob man ihn im SI-System oder dem imperialen System, das auf historischen Einheiten, die sich teilweise noch auf Körperlängen von englischen Königen zurückgeht – definiert. gibt an, wie viel Energie man aus einem Treibstoff herausholt.

Es gibt eine Reihe von Einflussfaktoren für den spezifischen Impuls. Dazu später. In der Raumfahrt ist es oft leichter den spezifischen Impuls zu vergleichen als andere Parameter eines Raketentriebwerks. Triebwerke, die einen höheren spezifischen Impuls als andere Triebwerke ähnlicher Bauweise haben, gelten daher als besser.

Mit dem spezifischen Impuls hat auch mein Misstrauen in Angaben von SpaceX begonnen, genauer gesagt Elon Musk, denn von SpaceX gibt es ja eigentlich kaum Informationen über technische Aspekte. Bei der Falcon 9 reklamierte Musk hervorragende Angaben: Der Strukturfaktor der Erststufe läge bei 30, das der zweite Stufe nahe bei 25, das Merlin 1D habe einen Schub-/Gewichtskoeffizienten von 180 und die Vakuumversion erreiche einen spezifischen Impuls von 348 s. Das sind im SI-System 3.413 m/s.

Auf die Angaben zu den Stufen und Triebwerk kann man nur entgegen, dass diese zu gut sind um real zu sein, aber man kann natürlich nicht sagen, dass es unmöglich ist. Aber die 3.413 m/s war eine viel zu gute nachprüfbare Angabe. Bisher hielten russische Hochdrucktriebwerke hier den Rekord und die waren etwa 100 m/s schlechter. Dabei steigt der spezifische Impuls bei höherem Brennkammerdruck an und noch bedeutender: das Merlin ist anders als die russischen Triebwerke ein Nebenstromtriebwerk, das etwa 4 Prozent des Treibstoffs nicht für Antriebszwecke nutzt. So gesehen wäre ein Hauptstrom-Merlin 1D sogar noch besser, mit einem rechnerischen spezifischen Impuls von 3.555 m/s,

Nun waren aber die Treibwerksdaten bekannt und wenn man mit FCEA2 eine Simulation macht, so kommt heraus, dass dieses Triebwerk nicht dies erreichen kann, zumindest nicht, wenn es mit verkürzter Düse 3.060 m/s erreicht. Das ist physikalisch unmöglich. Seitdem prüfe ich alle Angaben von Musk nach.

Die Berechnung des spezifischen Impulses

Für den Laien ist die Berechnung des spezifischen Impulses per Hand praktisch nicht möglich. Das liegt nicht nur an den Formeln, man benötigt auch zahlreiche Konstanten, wie z.B. die freigesetzte Energie der Reaktion, thermodynamische Eigenschaftswerte der Gase, sodass dies schon lange mit Computerhilfe geschieht.

Der Standard seit Jahrzehnten ist das unter Experten nur „Bride-Programm“ genannte Program Chemical Equilibrium with Applications (CEA). Früher war es bei der NASA downloadbar, das geht heute leider nicht mehr. Man muss es nun anfordern. Es gibt stattdessen ein Web-Frontend, das ist aber noch schwerer bedienbar als das ursprüngliche Programm, das in Fortran geschrieben ist und eine Inputdatei entgegennimmt und Ausgabedateien schreibt. Die NASA hat ein Java GUI darübergelegt, aber die hat auch ihre Tücken.

Neuerer ist das Programm Rocket-Propulsion Analysis (RPA), das in der Light-Version kostenlos ist. Ich glaube aber es setzt auch auf CEA, denn die Ausgaben gleichen sich doch sehr. Es kann nicht so viel wie CEA, aber geht in einigen Bereichen weiter, indem es z.B. reale Performanceparameter abschätzt.

Ich habe mal eine kurze Anleitung für CEA geschrieben, auf die ich hier verweise, sie erklärt etwas mehr als dieser Artikel in dem es ja nur um die Ergebnisse geht. CEA liefert immer zwei Ausgaben und zwar die von zwei Extremen: im einen Extrem können die Komponenten immer miteinander reagieren, es herrscht immer und an jeder Stelle eine chemisches Gleichgewicht. Das liefert die höchsten möglichen Werte. Das zweite ist, dass das Gleichgewicht nach Passage des Düsenenghals eingefroren ist. Das liefert die schlechtesten Werte. Reale Treibstoffe liegen dazwischen. Kerosin/LOX liegt nahe am Wert für ein freies Gleichgewicht, LH2/LOX ungefähr in der Mitte zwischen beiden Werten. Das Extrem sind feste Treibstoffe, bei denen Aluminiumoxid auskondensiert, da liefert CEA unter der Kondensationstemperatur aus diesem Grund gar keine Ausgaben beim eingefroren Gleichgewicht mehr.

Die Eingabedatei für CEA für das Raptor 1 wäre diese:

prob

o/f=3.6 rocket equilibrium frozen nfz=1 tcest,k=3800 p,bar=250 sup,ae/at=34.34,115

react

fuel=CH4(L) wt=100 t,k=111

oxid=O2(L) wt=100 t,k=90

output

siunits

plot aeat ivac o/f ivacfz

end

In Fett sind die Werte markiert, die sich bei den anderen Raptors ändern.

Für das Raptor 2 wurde nicht nur der Brennkammerdruck von 250 auf 300 Bar erhöht, sondern auch der Düsenenghals erweitert. Nach Musk hat die längere Düse nun nur noch ein Flächenverhältnis von 80 bis 90, ich habe 80 genommen, und das Flächenverhältnis für die kleinere Düse berechnet, für sie gilt ja dasselbe. Beim Raptor 3 wurde dann nur noch der Druck auf 350 Bar erhöht, das Flächenverhältnis ändert sich nicht mehr.

Raptor 1 kurze Düse Raptor 1 lange Düse Raptor 2 kurze Düse Raptor 2 lange Düse Raptor 3 kurze Düse Raptor 3 lange Düse
Flächenverhältnis 34,34 115 24 80 24 80
Brennkammerdruck 250 bar 250 bar 300 bar 300 bar 350 bar 350 bar
Spez. Impuls SL max 3.402 3.667 3.311 3.600 3.315 3.603
Spez. Impuls Vac max 3.605 3.814 3.532 3.761 3.536 3.763
Spez. Impuls SL min 3.284 3.533 3.168 3.390 3.175 3.398
Spez. Impuls Vac min 3.384 3.402 3.336 3.505 3.344 3.513
Space X Angabe SL 3.237 3.207
Vac 3.492 3.678 3.561* 3.698 3.727

Alle Impulse in m/s.

Die Werte von CEA für den optimalen Fall liegen oberhalb der veröffentlichten Daten, aber das ist normal. CEA berechnet nicht die Performance eines Raketentriebwerks. Es berechnet welche Eigenschaften die Gase haben, wenn es keine Wechselwirkungen mit der Rakete gibt.

Das ist aber nicht der Fall. Die erste große Einschränkung gibt es schon vor dem Erreichen der Brennkammer. Dieser Druck von 250 bis 250 Bar muss ja erst aufgebaut werden. Alle größeren Raketentriebwerke verbrennen dafür einen Teil des Treibstoffs, leiten das heiße Gas durch eine Turbine, die dann eine Pumpe antreibt. Beim Nebenstromverfahren (wie z. B. beim Merlin) ist das gut angebbar, wie viel Treibstoff so verloren geht, da dieser Anteil dann nicht mehr genutzt sind. Das sind beim Merlin etwa 4 Prozent, das heißt man muss den spezifischen Impuls um etwa 4 Prozent absenken. Bei Hauptstromverfahren wie dem Raptor geht das so nicht, aber man kann sich an den Leistungen orientieren. Die beiden Turbopumpen haben nach diesem Dokument eine Leistung von 30 bzw. 37 MW, die Turbine und Pumpe haben jeweils Wirkungsgrade um die 85 %, sodass insgesamt etwa 93 MW an Leistung für beide Pumpen zusammen generiert werden muss. Verbrennt man Methan vollständig, so müsste man dafür rund 9,4 kg/s Treibstoff (Methan und Sauerstoff) verbrennen, das sind 1,34 Prozent des Gesamt-Treibstoffdurchsatzes von 690 kg/s. Um diese 1,34 Prozent muss man mindestens die spezifischen Impulse senken. Des weiteren steigt dieser Anteil natürlich an, je höher der Druck in der Brennkammer ist denn dann steigt auch die Förderleistung der Pumpe an.

Weiterhin gibt das Gas Energie ab an die Brennkammer und Düse. Auch diese Energie kann nicht vollständig genutzt werden. Durch die Kühlung wird ein Teil zurückgewonnen.

RPA ist hier etwas besser und gibt die geschätzte Performance mit Wirkungsgraden an, leider schweigt sich das Programm aus, wie diese Werte zustande kommen. Ich habe hier ein gewisses Misstrauen, da die spezifischen Impulse für Meereshöhe zu hoch sind, höher als bei optimaler Expansion und fast an den Vakuumwerten. Daher verwende ich von den Ausgaben von RPA nur mal die geschätzte Performance des Triebwerks und die liegt bei 96,5 Prozent, als Vakuumwert für das Raptor 2 mit langer Düse werden mit dem Wirkungsgrad des Triebwerks 3.660 m/s errechnet (CEA: 3.761 m/s, aber ohne Wirkungsgrad) und das ist nahe an Musks Angabe von 3.698 m/s für das Raptor 2 (377 s).

Diskussion

Ein Wert in der Tabelle von SpaceX (mit einem Stern markiert) ist höher als selbst bei der idealen Simulation von CEA2. Weiterhin nimmt bei CEA aufgrund der Düsenhalserweiterung vom Raptor 1 zum 2 um 5 Prozent und damit absinkenden Flächenverhältnis der Vakuumwert ab, während er bei den SpaceX Angaben komischerweise ansteigt, das ist physikalisch nicht begründbar und erst recht nicht verständlich, weil alleine durch den höheren Treibstoffverbrauch (den CEA ja nicht berücksichtigt) pro 50 Bar Druckererhöhung der reale spezifische Impuls bei Beibehaltung der Düse um etwa 8 – 9 m/s absinken sollte. (In CEA sieht man dies nicht, aber der Wirkungsgrad nimmt ab).

Die Abnahme des spezifischen Impulses beim Raptor.

Als Musk das Triebwerk ankündigte, sollte es bei 300 Bar Druck und einer Expansionsdüse mit einem Flächenverhältnis von 150 einen spezifischen Impuls von 382 s erreichen.

Realistisch ist dies nicht zu erreichen. Etwas später wurde dann von Musk auf 380 s reduziert und bei Vorstellung des Raptor 2 erreicht dieses 377 s, die 380 wären nun ein „inspirierendes Ziel“. Oder anders gesagt: ohne Umkonstruktion des Starships, dass Triebwerke mit größeren Düsen verwendet werden können, nicht erreichbar.

Der spezifische Impuls nimmt bei der Vakuumversion aber auch so ab, wenn SpaceX wie bisher den Schub steigert, indem sie den Düsenhals aufweiten. Das Raptor 1 hatte ein Flächenverhältnis von 34,34 bei der kleinen Düse und 115 bei der großen Düse. Das ist beim Raptor 2 schon auf 80 gesunken. Dadurch sinkt der spezifische Impuls im Vakuum um rund 50 m/s. Der Grund: beim alten Raptor hatte das Gas beim Verlassen noch einen Restdruck von 0,17 bar. Der hat sich nun auf 0,32 Bar erhöht, fast eine Verdoppelung. Diese Restenergie kann aber nicht ausgenutzt werden. Ein weiteres Erhöhen des Brennkammerdrucks wird bei der gleichen Düse dann den spezifischen Impuls nicht mehr signifikant steigern, das sieht man schon in der Tabelle bei den Werten von Raptor 2/3 im Vergleich. Maximal 8 m/s, meist nur 4 m/s werden an Zugewinn erreicht, dafür werden weitere 0,23 Prozent des Treibstoffs für die Druckerhöhung verbrannt, was in der Summe dann den spezifischen Impuls weiter absinken lässt.

Mit einer Düse mit einem Flächenverhältnis von 150 wie angekündigt wären in der Tat bessere Werte möglich, aber eine so lange Düse passt nicht in den Stufenadapter.

Abschätzung aus Flug 2

Man kann den mittleren spezifischen Impuls – also gemittelt über die Betriebszeit und beim Starship über zwei unterschiedliche Triebwerke – berechnen, wenn man die Treibstoffanzeige beim zweiten Testflug nimmt. Bei einem Schub von 2.256 kN im Vakuum und 2.110 kN auf Meereshöhe, 11 % Resttreibstoff bei der SuperHeavy nach 159 Sekunden (3.400 t Zuladung) und 7 % Resttriebstoff beim Starship nach 324 s (1.200 t Zuladung) komme ich auf rekordverdächtige 3.929 m/s beim Starship und 3.501 (SL) / 3.574 m/s (Vac) bei der Super Heavy. Die Werte liegen höher als alle SpaceX Angaben und theoretisch möglichen. Erklärungen? Es kann nun diese Videoanzeige nicht maßstäblich sein. Bei der Superheavy wird auch Treibstoff verbraucht bis diese abhebt, das ist bei der Brennzeit nicht berücksichtigt. Der einfachere Erklärungsversuch, der sich auch mit den Geschwindigkeiten deckt, ist aber der, dass die Triebwerke nicht diesen Schub haben. Wenn sie mit etwa 90 bis 92 Prozent Schub laufen (Brennkammerdruck dann etwa 270 bis 275 Bar), dann rutschen die Werte auf realistische 3.526 m/s (Starship) und 3.150 m/s bzw. 3.312 m/s bei der Superheavy.

2 thoughts on “Durchgerechnet: Das Raptor Triebwerk – der spezifische Impuls

  1. Zu ihrem Artikel „Intel 86x versus Motorola 68k“. Darin schreiben Sie, dass es beim 386er ab Windows 3.0 weitere 11 Jahre gedauert hätte, bis das ganze Betriebssystem 32 bittig war. Das ist natürlich falsch, denn Windows NT 3.1 erschien 1993 und war ein vollständiges reines 32 Bit Betriebssystem. Man musste nicht auf Windows XP warten, um in den Genuss eines vollwertigen 32 Bit Betriebssystem zu gelangen. Die Entwicklung des Linux Kernels begann 1991/1992. Minix und BSD war ebenfalls verfügbar. Und OS/2 3.0 Warp war auch 32 bittig.

    1. Nein das ist richtig, weil – wie wie sie erkannt haben die Aussage sich auf Windows 3.0, das Konsumer-Windows bezieht. Das ist für die breite Masse relevant und nicht Windows NT oder Linux.

      Es gibt übrigens ein modernes Medium namens Email in der man mich direkt kontaktieren kann. Wenn sie unbedingt hier antworten müssen, warum suchen sie über die Suchfunktion nicht einen Artikel raus, der wenigstens fachlich zu ihrem Einwand passt?

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