Phobos Grunt – die Nachlese

Nun ist der Untersuchungsbericht raus, genauer gesagt, schon seit fast zwei Monaten. Doch da er nur in russsich herauskam habe ich mal abgewartet was andere über ihn schreiben und wie sie ihn beurteilen, auch weil die Nomenklatur der Kürzel es fast unmöglich macht mit einer einfachen Übersetzung zu arbeiten. Zeit also den Fehlschlag zu analysieren. Der Bericht der Untersuchungskommission, der schon im Februar vorlag, führt als primäre Ursache den simultanen Reboot von zwei „Arbeitskanälen“ (Elektronikmodulen) des Bordcomputers aus. Verantwortlich für den Reboot waren aber Ausfälle von Elektronikkomponenten durch kosmische Strahlung, die wiederum nur möglich waren, weil nicht weltraumtaugliche Teile verwendet wurden. Es handelte sich im Detail um 512 K x 32 Bit SRAM-Chips des Typs WS512K32V20G2TM, die in beiden Platinen des Bordcomputers verbaut waren. Diese Chips sind nach  Steven McClure vom JPL, Schirmherr der Radiation Effects Group nicht strahlengehärtet. Es handelt sich um Chips mit höheren Grenzwerten gegenüber Temperatur und anderen Umgebungseinflüssen. Sie genügen der „Militärspezifikation“ für den Einsatz in Flugzeugen oder Lenkwaffen. Das bedeutet sie sind robuster als die herkömmlichen Exemplare, da sie auch bei sehr hohen und sehr tiefen Temperaturen funktionieren müssen. Sie sind auch etwas strahlentoleranter, da Flugzeuge in der Stratosphäre einer höheren Strahlenbelastung ausgesetzt sind. Sie sind allerdings nicht strahlengehärtet, also für den dauerhaften Einsatz im Weltraum vorgesehen. Der Einsatz wäre nach  Steven McClure noch tolerierbar für Kurzzeitmissionen von einigen Tagen Dauer, nicht jedoch für eine mehrjährige Marsmission.
Zehn Tage lang, so führt der Bericht aus, war die Raumsonde unter Kontrolle des Autopiloten. Er hielt die Ausrichtung auf die Sonne und zündete dazu regelmäßig die Lageregelungsdüsen. Dadurch kamen die Anhebungen der Bahn während der ersten Tage zustande. Erst danach gelang eine Kommunikation. Dabei wurde bei einem der kurzen Überflüge das Kommunikationssystem nicht abgeschaltet, die Batterien entluden sich und die Ausrichtung auf die Sonne ging verloren. Nun war die Raumsonde verloren.
Wenn der Ausfall der Speicherchips die primäre Ursache war, dann wäre die Mission aber in jedem Falle gescheitert, denn im Parkorbit befand sie sich noch unter den irdischen Strahlungsgürteln. Sie war damit in einer Region, wo sie vor den meisten kosmischen Strahlen durch das Erdmagnetfeld geschützt war. Der Roskomos Chef Popowkin machte dafür den Moskauer Hersteller NPO Lawotschkin verantwortlich. Dieser hätte damit rechnen müssen, dass die Strahlung den Betrieb der Sonde stört. Die Verantwortlichen würden bestraft, kündigte Popowkin an.
Inoffizielle Kommentare von Ingenieuren gaben an, dass ein Großteil der 90.000 Chips weder auf Weltraumtauglichkeit geprüft wurde, noch dafür qualifiziert waren. Weiterhin sei die Software schlampig programmiert worden und viele westliche Experten halten Softwarefehler für die wahrscheinlichere Ursache. Dass nicht weltraumtaugliche Hardware ausfallen kann, wäre möglich, aber das dies schon weniger als zwei Stunden nach dem Start erfolgt, ist dann doch „äußerst unwahrscheinlich“. Wie schon gesagt sind die 512 KByte SRAM Chips zwar nicht geeignet für lange Missionen, aber dass sich so schnell ein Ausfall ereignet, wäre doch extrem viel Pech. Das dies nun bei beiden Bordcomputern gleichzeitig passiert und sie beide in einen Rebootzyklus geraten, ist dann noch unwahrscheinlicher und spricht vielmehr für einen systematischen Fehler, wahrscheinlich in der Software. Wäre dies nur bei einem der Computer vorgekommen, so wäre die Sonde nicht blockiert gewesen.
Unbestritten ist, dass es grundlegende Designmängel gab, die nicht im Bericht genannt wurden. So fällt die Tatsache auf, dass russische Bodenstationen in den ersten Stunden nach dem Start gar keine Möglichkeit hatten, Phobos Grunt zu kontaktieren, solange sie sich in einer Erdumlaufbahn befand.

In vielem wird der Kenner der russischen Raumfahrt an frühere Fehlschläge erinnert. Phobos 1+2 gingen verloren, weil die Raumsonden keine Software an Bord hatten, die sie bei Problemen in einen „sicheren Modus“ bringen. Derartige Systeme waren schon damals bei der NASA und ESA Standard. Sie tun nichts anderes, als die Raumsonde so zur Sonne auszurichten, dass ihre Energieversorgung gewährleistet ist. Alle nicht notwendigen Systeme werden deaktiviert und die Sonde versucht die Erde zu kontaktieren.

Mars 96 ging verloren, weil die Oberstufe die Raumsonde auf einer falschen Umlaufbahn entließ, nachdem sie kurz nach der Zündung ihren Betrieb einstellte. Die Raumsonde spulte ihr vorgegebenes Programm ab. Sie verschlimmerte damit die Situation noch mehr, da sie nach der Zündung eine Umlaufbahn hatte, die sie beim ersten Durchlaufen des erdnächsten Punktes zerstören würde.

Es zeigen sich hier Unterschiede in Kulturen. Nicht umsonst heißen die Raumsonden offiziell „automatische Raumsonde“. Der Start von Phobos Grunt, wie auch von Mars 96, verliefen nach einem festen Zeitplan. Er sah keinerlei Beeinflussung von Außen, sowohl vom Boden, wie auch durch äußere Ereignisse vor. Wie bei Mars 96 war es unmöglich, das Problem zu untersuchen und eventuell vom Boden aus eine erneute Zündung zu unternehmen. Phobos Grunt sollte ihre beiden Triebwerkszündungen autonom durchführen. Schlimmer noch, es war niemals geplant, in dieser Phase überhaupt einzugreifen, weswegen die Bodenkontrolle auch nicht Phobos Grunt aktivieren konnte.

Bei den Raumsonden des JPL gibt es vom Start an einen stetigen Datenstrom zur Erde, selbst wenn die Sonde nichts tut und nur passiver Passagier ist. Das ist keine Komfortfunktion, sondern wie der Fall von Phobos Grunt zeigt, notwendig, um selbst wenn eine Mission scheitert, überhaupt zu wissen, was schief geht. Das allerdings auch die NASA Fehler machte, zeigt der Verlust des Mars Polar Landers, bei dem kein Funkkontakt während der letzten Viertelstunde – der eigentlichen Landung – möglich war. Wäre der nächste Lander nicht weitgehend baugleich gewesen, man hätte die Ursache der gescheiterten Landung wohl nie gefunden.

Auch das der Untersuchungsbericht nur in Russisch veröffentlicht wurde ist ein Rückfall in die Sowjetära. Es gibt auch keine Website in Englisch mehr zu Phobos Grunt und selbst in russisch von offizieller Seite nur rudimentäre Informationen. Das man so schnell nach Schuldigen sucht – erst im Ausland, nun wohl bei Lawotschkin und eine Bestrafung ankündigt, zeugt auch nicht von einem souveränen Umgang mit der Situation. Vielmehr sollte man sich fragen, warum nicht weltraumqualifizierte Hardware eingesetzt wurde und wahrscheinlich auch die Software nicht ausgereift war. Passend dazu vergab Roskosmos auch Chancen. Erst 12 Tage nach dem Start wurde die ESA um Hilfe gebeten. NASA und ESA verfügen anders als Russland über zahlreiche Bodenstationen auf dem Flugpfad den Phobos Grunt während der ersten Umläufe folgt. Sie hätten die Telemetrie der Raumsonde empfangen können.

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