Europäische Trägerraketenentwicklung

Zeit für einen neuen Artikel, der ein Thema mal allgemein beleuchtet. Wer es genauer will: es gibt auch zwei Bücher mit über 600 Seiten zu dem Thema von mir.

Die europäische Trägerraketenentwicklung musste nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend bei Null anfangen. Alle Spezialisten waren von den USA und der UdSSR gecatcht worden. Den Anfang machte Frankreich, wo im August 1961 die Entscheidung fiel, eine eigene Trägerrakete zu entwickeln. Triebkraft war vor allem die mögliche militärische Nutzung. Frankreich hatte den Aufbau einer eigenen nuklear bestückten Waffengattung beschlossen, und dafür benötigte man auch Raketen. Die zweite Stufe wurde so entwickelt, dass sie militärisch genutzt werden konnte. Frankreich ging das Vorhaben sehr systematisch an. Der Trägerrakete Diamant gingen vier Erprobungstypen, Topaze, Rubis, Emeraude und Saphire, die sogenannte Edelsteinserie voraus, die eine oder zwei Stufen hatten um die Stufen oder das Steuersystem zu testen. Mit dem Start von Asterix (sic!) dem ersten französischen Satelliten am 26.11.1965 wurde Frankreich zur dritten Nation die einen eigenen Satelliten startete. Die Diamant wurde dann noch zweimal leicht in der Leistung gesteigert, lief aber aus, als man die Ariane beschlossen hatte.

Ganz anders verlief die Entwicklung in England. England hatte die bessere Ausgangsbasis: england hatte die Blue Streak entwickelt, eine Mittelstreckenrakete auf Basis der US-Atlas Technologie. Man hätte sie leicht zu einem Träger umrüsten können. Doch das war zu teuer. In England wechselte die Zuständigkeit für die Trägerraketen von Regierung zu Regierung und landete (das ist kein Witz) beim Schifffahrtsministerium. Offizielle Begründung: es handelt sich um Space-Ships. Erst 1963 gab es einen Alternativvorschlag zur Blue Streak. Doch diese war mit knapp 11 Millionen Pfund Entwicklungskosten zu teuer. Erst im September 1964 fand man einen Weg: Aus der Höhenforschungsrakete Black Knight wurde die Black Arrow. Dafür wurde die Black Knight für die zweite Stufe im Schub halbiert, verwandte nur zwei anstatt vier Triebwerke und in der ersten Stufe waren es dann doppelt so viele. Ein neu entwickelter Feststoffantrieb war eigentlich das leistungsfähigste an der Rakete, da die exotische Mischung Kerosin/Wasserstoffperoxid eine sehr schlechte Energieausbeute hatte.

Noch während der Entwicklung der Rakete wurde ihre Einstellung beschlossen. Nach zwei suborbitalen Testflügen scheiterte der erste orbitale Start. Es gelang noch Geld für einen zweiten Start zu bewilligen, doch das war’s dann auch. Glücklicherweise klappte dieser. Bedingt durch die zögerliche Haltung dauerte die Entwicklung nicht nur doppelt so lange wie Frankreich für seine Diamant brauchte (sechs Jahre), sondern sie war auch erheblich teurer als geplant. England beschloss den Ausstieg aus der Trägerraketenentwicklung und ist auch bei allen folgenden Programmen (Ariane) nicht dabei. Das gilt auch für große andere Teile des Raumfahrtprogrammes. Innerhalb der ESA ist England vor allem beteiligt, wenn es um Anwendungssatelliten geht.

Ein sehr trauriges Kapitel ist der erste europäische, nicht nationale Versuch eine Trägerrakete zu schaffen. Anfangs sah es ganz gut aus. England suchte nach einer Verwendung für die Blue Streak, die Triebwerke basierend auf den Atlas Booster Triebwerken und auch eine ähnliche Technologie verwendete. Sie war für ein nationales Programm zu leistungsfähig. Schnell fand man in Frankreich einen Partner für die zweite Stufe und Deutschland wollte die Dritte entwickeln, nachdem man in Bonn zuerst den Lizenznachbau von Thor-Delta erwog und Eugen Sänger ganz gegen Raketen war, weil sie völlig veraltet seien und man doch gleich an einen Raumgleiter gehen sollte….

Das Grundproblem der neu geschaffenen ELDO war, das sie im wesentlichen ein zahnloser Tiger war. Formal zuständig für die Entwicklung war sie einerseits Spielball der sich ändernden politischen Interessen und zum anderen, das in Wirklichkeit die einzelnen Firmen vor sich hin werkelten. Technisch wurde das Letztere zum Verhängnis. Man glaubt es kaum: Jede Nation entwickelte ihre eigene Stufe, man baute dann das Ganze zusammen und hoffte es würde funktionieren. Benutzerhandbücher waren jeweils in der nationalen Sprache, Beschriftungen ebenso und auch bei den Sprachen gab es Verständigungsprobleme. So gibt es für die Fehlschläge durchaus auch andere Erklärungen. Bei F7 und F8 wurde nach Zündung der dritten Stufe ihr Selbstzerstörungssystem ausgelöst. Offiziell wegen einer elektrischen Entladung durch ionisierte Partikel. Inoffiziell wegen unterschiedlicher Signalbelegung der Stecker auf französischer und deutscher Seite und bei F9 löste sich die Nutzlastverkleidung nicht ab und die Nutzlast war so angeblich zu schwer. Aber es gab auch einen Abfall der Leistung der Drittstufe und dies dürfte wesentlicher gewesen sein, da die Nutzlast 300 kg leichter war (selbst mit Nutzlasthülle) als die offizielle Nutzlast für diesen Orbit. Als die Europa II beim ersten Start auch fehlschlug (auch hier Erdungsfehler die zu einer elektrischen Aufladung und Ausfall des Bordrechners führten) stellte man das Programm ein.

Die Europa war auch charakterisiert, dass sich die Interessen der beteiligten Länder verschoben. Von England ging anfangs die Initiative aus. Ab 1966 zog sich England immer weiter zurück sowohl finanziell wie auch in Verantwortung. Offenbar meinte man dort es wurde reichen, wenn die restlichen Länder die Blue Streak kaufen und man müsste selbst nichts mehr investieren. Genau die gegenteilige Meinung hatte Frankreich. Dort betrachtete man die Europa I nur als erstes Entwicklungsmuster, dass durch ein leistungsfähigeres (ohne englische Stufe) abgelöst werden sollte. Erst als einige Jahre später klar war, das England nicht mehr von der Partie sein würde, konnte Frankreich seine Vorstellungen durchsetzen. Es begannen die Entwicklungsarbeiten an der Europa III mit nur zwei Stufen aus Frankreich und Deutschland.

Der Fehlstart der leicht verbesserten Europa II von Kourou aus, führte dazu, dass nun auch Frankreich und Deutschland aus dem Programm aussteigen wollten. Allerdings wollte Deutschland auch nicht nochmals viel Geld in die Europa II investieren und so wurde 1972 die Europa-Entwicklung eingestellt. Die Europa-Entwicklung war teuer, teurer als die nachfolgende Ariane, aber kein einziger Satellit wurde gestartet.

Frankreich präsentierte, nachdem als Folge sowohl ELDO  wie auch ESRO aufgelöst wurden, einen neuen Vorschlag. Er basierte auf der Europa III, sollte jedoch entscheidend billiger sein. Anstatt einer sehr leistungsfähigen zweiten Stufe mit einem 196 kN LOX/LH2 Triebwerk mit dem Expander Cycle (also so was wie heute als Vinci entwickelt wird), sollte sie eine viel kleinere Stufe mit einem viel weniger leistungsfähigen Triebwerk einsetzen. Den Einbruch in der Performance sollte eine zusätzliche zweite Stufe auffangen, die nur eines anstatt vier Triebwerke der ersten Stufe einsetzte. Damit war das Projekt substanziell billiger und Deutschland konnte gewonnen werden. Die anderen europäischen Länder beteiligten sich auch, doch Frankreich würde über 60% der Investitionen tragen.

Ariane 1 war in vielen Aspekten sehr konventionell, doch sie entstand aus dem Wunsch heraus unabhängig von US-Trägern zu sein, da diese den Start zweier nationaler Kommunikationssatelliten nur durchführen wollten, wenn diese nur Versuchsprogramme durchführen würden. Ariane 1 hatte daher nicht durch Zufall in etwa die gleiche Nutzlast wie die zu Entwicklungsbeginn verfügbare Atlas Centaur D. Damit gab es erstmals eine Alternative zu den US-Trägern und Arianespace als erste Firma, die Raketen startete, bekam bald Aufträge aus Drittländern. (heute würde man vor Firma ja noch „private“ setzen, weil das ja was so besonderes ist….) Ariane 2 nutzte Performancereserven aus und schloss so in der Nutzlast zur Aktuellen Atlas Centaur G auf und Ariane 3 mit zwei zusätzlichen Feststoffboostern hatte die Fähigkeit zwei Satelliten der Delta 3925 Klasse gleichzeitig zu starten, was den kommerziellen Durchbruch brachte. Schon vorher war die Entwicklung einer noch leistungsfähigeren Version der Ariane 4 beschlossen. Durch Boostern mit den Erststufentriebwerken und eine verlängerte Erststufe wurde bei sonst kaum veränderter Konzeption die Nutzlast nochmals fast verdoppelt. Arianespace erreichte bald einen Nutzlastanteil von über 50% bei den kommerziellen Starts. Bis zu 12-mal pro Jahr hob die Rakete ab, öfter als der direkte Konkurrenz Atlas.

Schon vor dem Erstflug der Ariane 4 wurde die Entwicklung einer komplett neuen Rakete, der Ariane 5 beschlossen. Sie war eng verknüpft mit dem zeitgleich beschlossenen Raumgleiter Hermes. Diese Verknüpfung sollte sich noch nachteilig auswirken. Zum einen hätte man ohne Hermes sicher nicht die Ariane 5 bewilligt bekommen, deren Entwicklung vier bis fünfmal teurer als die der Ariane 1 sein sollte. Zum anderen wurde die Rakete auf ihn optimiert. Während einiger Jahre der Optimierung folgte die Rakete sogar dem immer schwerer werdenden Hermes. Die Stufen wurden immer größer. Allerdings gab es zwei verhängnisvolle Fehler, die bei der Optimierung auf Hermes begangen wurden. Das eine war, das man für Hermes in einem LEO Orbit keine Oberstufe brauchte. Man konstruierte für GTO-Transporte nur eine kleine Oberstufe mit lagerfähigen Treibstoffen, die man in die VEB einhängen konnte – das war eine praktische Möglichkeit, man verzichtet so aber auf ein Drittel der Nutzlast die eine kryogene Oberstufe gebracht hätte. Diese war projektiert, aber um Kosten zu sparen, wurde sie nicht entwickelt. Das zweite war, dass man zwar die Stufen vergrößerte, nicht jedoch den Schub des Erststufentriebwerks steigerte, das sodass dieses zu wenig Schub hatte, wenn man die Rakete erweitern wollte.

Die Entwicklung der Ariane 5 wurde teurer als geplant, auch wegen des gescheiterten Erstflugs. Deutlich teurer wurde aufgrund der Versäumnisse auch der Ausbau. Es musste wegen des niedrigen Schubs ein neues Triebwerk her. Nur mit einem Upgrade, wie man anfangs dachte, war es nicht getan. Die neue kryogene Oberstufe wurde 2002 genehmigt, aber schon 2003 gestoppt um Gelder freizubekommen, nachdem auch der Erstflug der Evolution Variante scheiterte. Bei den beiden folgenden ESA Konzilen hat man versäumt die Entwicklung wieder aufzunehmen und erst 2012 konnte man sich einigen, weiter zu entwickeln. Zehn Jahre hat man dadurch verloren.

Inzwischen will die ESA ja eine neue Trägerrakete, die Ariane 6. Offiziell, weil es günstiger wäre, Einzelstarts durchzuführen, inoffiziell vor allem, weil es für die ESA teurer ist, die keine GTO-Nutzlasten hat und so immer für Einzelstarts eine Ariane 5 buchen muss. Doch deswegen eine neue Rakete zu bauen, ist wie wenn man für einige Fahrten pro Jahr sich ein Auto anschafft. Man mag pro Fahrt Geld sparen, doch das Auto selbst ist nicht gerade preisgünstig…

Der jüngste Träger, die Vega, ist eine Rakete, bei der erstmals die Antriebskraft von Italien ausging und es ist der Erste an dem Deutschland nicht beteiligt ist, weil man sich bei der DLR drauf verlassen hat, das russische Raketen immer verfügbar und preiswert sein sollten. Erst als das nicht mehr gegeben war, hat man sich besonnen, doch zu spät, wie die DLR in eigenen Stufen feststellte, könnten deutsche Firmen wohl kaum was am Vega Konzept ändern, um sie billiger oder leistungsfähiger zu machen. Die Vega hat gerade ihren zweiten Flug absolviert, nun erstmals mit einem Doppelstart in unterschiedliche Umlaufbahnen. Sie ist nicht so preiswert wie erhofft, doch 50% billiger als die etablierte US Konkurrenz und sie erreicht auch die Umlaufbahn ohne taumelnde dritte Stufe oder Triebwerksausfall wie die Billigkonkurrenz. Wichtig ist eine hohe Startrate, eine Forderung vor allem an Deutschland die ja am liebsten in Russland starten lassen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.