Thixotrope Flüssigkeiten

Gestern war ja Fronleichnam. Ein Feiertag bei dem Prozessionen durch die Straßen getragen werden. Da muss ich immer an das Blutwunder des Janarius denken, bei dem eine Ampulle sich auf geheimnisvolle Weise verflüssigt, ich zitiere mal den Absatz aus der Wikipedia:

„Die Ampullen werden an den Festtagen nach einer feierlichen Prozession im Dom in die Nähe des Altars gebracht. Eine Ampulle befindet sich in einer ringförmigen Halterung, die sich zwischen zwei Griffen befindet. Der Erzbischof nimmt die Reliquie an den beiden Griffen und dreht sie mehrfach, was von Gebeten der Gläubigen begleitet wird. Die Bestätigung der Verflüssigung erhalten die Gläubigen durch einen Laienbeobachter, der sich direkt neben dem Bischof aufstellt und bei Verflüssigung mit einem Taschentuch winkt. Am Tag darauf werden den Gläubigen die Ampullen mit der Flüssigkeit in einer Eucharistiefeier zum Kuss gereicht, die sie dabei aus der Nähe betrachten können.

Wenn sie das einem Fachmann sagen wird er etwas von „thixotrope Flüssigkeit“ in den Bart murmeln und damit ist das ganze gegessen: Sachbegriff genannt, jeder mit der Thematik vertraute, weiß was drunter zu verstehen ist und damit ist es erklärt. Das gibt es auch in anderen Bereichen. In der Raumfahrt gibt es z.B. bei Fehlstarts keine „Accidents“ oder „Failures“, sondern die USAF nennt das „mishap“ und SpaceX „Anomaly“, was ja schon zu dem Joke führte, wenn Apollo 13 von SpaceX durchgeführt worden wäre, würde es „Houston we had an Anomaly“ heißen.

Doch was ist eine Thixotrope Flüssigkeit. Es ist eigentlich etwas sehr profanes. Es ist eine Flüssigkeit die ihre Viskosität (wieder so ein Fachbegriff: sprich Zähflüssigkeit) verändert, wenn sie bewegt wird. Jeder kennt solche Flüssigkeiten im Alltag. Die bekannteste ist Ketschup. Wenn man Ketschup schüttelt wird er dünnflüssig. Nach einiger Zeit wird jede thixotrope Flüssigkeit wieder so zähflüssig wie am Anfang. Kleiner Tipp für Ketschupliebhaber: Einfacher als das Schütteln ist das Rotieren lassen der Flache (z.B. mit dem Arm schwingen). Dann aber aufpassen, dass der Deckel gut sitzt, sonst gibt das eine Mordschweinerei.

Es gibt viele thixotrope Flüssigkeiten. Stärkelösungen können je nach Konzentration unterschiedliche Thixotropie aufweisen. Sehr konzentrierte Stärke/Wasserlösung sind an sich schwerflüssig, können aber bei abrupt einwirkenden Kräften steinhart werden (Viskosität nimmt ab). Das ist dann gut für Tricks, z.B. eine Bahn mit einer Stärkelösung füllen. Steigt jemand vorne herein, so sieht das Publikum wie er einsinkt, läuft er aber schnell über die Bahn, so tut er das nicht. Nicht so konzentrierte Lösungen werden dagegen dünnflüssiger wenn man rührt oder schüttelt. In beiden Fällen liegt es an den Amylose/Amylopektinmolekülen, also den Bausteinen der Stärke. Sie bilden Wasserstoffbrückenbindungen zu den Wassermolekülen die zwischen den Ketten sind. Bei viel Wasser sind viele Moleküle nicht direkt an den Molekülketten gebunden und beweglich und durch die Bewegung der Ketten können auch leicht die Wassermoleküle die dort angebunden sind sich bewegen. Bei wenig Wasser und viel stärke sind sie fest gebunden und können einer Bewegung gar nicht so schnell folgen, die Stärke hat keine Möglichkeit schnell der Bewegung nachzugeben und verhält sich wie ein Feststoff.

Auch technisch sind solche Flüssigkeiten wichtig, z.B. bei Farben, die im Eimer fest sind und beim Streichen sich verflüssigen. Zurück zu dem obigen Wunder. Dort soll es sich um eine Mischung von Eisenn(III)chlorid, Kalk und Wasser handeln. Eisensalze sind rötlichbraun, wenn etwas Rhodanid (Eisen(III)thiocyanat) darunter ist sogar blutrot und zusammen mit dem Kalk soll dann eine thixotrope Flüssigkeit resultieren. Die Zeremonie des Drehens spricht dafür dass man die Ursache des Wunders auch kennt. Denn warum benötigt ein himmlisches Wunder einen Bischof, der dreht? Ich wette das funktioniert mit jedem der dreht und nicht nur an den Feiertagen (außer die Temperatur stimmt nicht, was die Ursache für das ab und an vorkommende Ausbleiben sein kann).

3 thoughts on “Thixotrope Flüssigkeiten

  1. Ich sage ja nicht das man das erfunden hat, wie oben beschrieben heißt es auch bei der Air Force nur „mishap“ report, was allerdings die Suche nach Unterlagen enorm vereinfacht. Bei SpaceX heißt aber alles „anomaly“, selbst wenn beim zweiten Testflug der Falcon 1 die Rakete einen glatten Fehlstart hinlegt. Anomaly heißt es auch dann wenn die Mission zum größten teil glückt wie z.B. bei der letzten der Ausfall der Thruster. Das man ein und dasselbe Wort für alle möglichen Vorkomnisse von leicht bis schwer nutzt ist schon recht SpaceX-spezifisch.

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