Wernher von Braun würde im Grabe rotieren …
… Wüsste er um Deutschlands Raketenentwicklung in den letzten 40 Jahren. Die Beteiligung begann mit der Europarakete, wo Deutschland die kleinste Stufe baute. Das ist zwar der kleinste Teil an der Rakete (wenn man nur die Massen der Stufen betrachtet), aber da es die Letzte ist auch der anspruchsvolle in der Hinsicht auf die Maximierung der Nutzlast. Die dritte Stufe war auf der Höhe der Zeit, ein Mix von Neuerungen wie der Explosionsverformung von Tanks und konservativen Bauformen wie separaten Steuertriebwerken und einem fest eingebauten Haupttriebwerk. Ob die Stufe funktioniert hätte, weiß man nicht. Zweimal zerlegte es sie bei der Zündung, einmal arbeitete sie, hatte aber einen Performanceabfall und der Satellit erreichte keinen Orbit, auch weil die Nutzlastverkleidung sich nicht löste.
Bei der Entwicklung von Ariane 1 änderte sich die politische Haltung. Bei der Europa war man mit einem eigenen System beteiligt, die finanzielle Beteiligung stieg sogar von 18,9 auf 45,6% an. Deutschland hielt an der Rakete fest, während England und Italien aus dem Projekt ausstiegen. Bei der Ariane 1 bekam Frankreich, das den größten Teil des Projektes, trug auch die Systemführerschaft. Frankreich verteilte nur Unteraufträge verteilte. Frankreich begann eine Politik, welche die Nation bis heute beibehält: bei den neuen Trägern darauf zu achten, dass aus Frankreich die technischen Neuerungen kommen, selbst wenn man wie bei der Vega nicht der Hauptfinanzier ist. Deutschland begann zum gleichen Zeitpunkt eine Fehlentwicklung, die bis heute anhält: Unsummen in die bemannte Raumfahrt zu finanzieren. Es begann mit dem Spacelab, setzte sich über eigene Spacelabmissionen fort und das endete mit Columbus.
Bei Ariane 1 war Deutschland zu 20% beteiligt, fertigte Schubgerüst und Wassertank der ersten Stufen, Treibstofftank der zweiten Stufe, integrierte diese und baute die Brennkammer der dritten Stufe. Dazu kamen die Gasgeneratoren und Turbopumpen für die Viking Triebwerke. Bei Ariane 4 wuchs die Beteiligung noch, man integrierte nun auch die Flüssigbooster und baute deren Strukturen. Was Deutschland bei Ariane 1-4 jedoch nicht entwickelte, war eine ganze Stufe alleine, oder zumindest das Kernstück: ein ganzes Triebwerk.
Als der Bau von Ariane 5 endgültig beschlossen wurde, war schon der Erfolg von Ariane abzusehen. Arianespace hatte ein volles Backlog, auch wenn zu diesem Zeitpunkt Ariane 4 noch nicht geflogen war. Es gab durchaus Offerten seitens Frankreich Deutschland mehr abzutreten, so die von SNECMA das Vulcain zusammen mit MBB zu entwickeln. Doch Deutschland wollte wieder nur Juniorpartner sein, sonst könnte man sich ja nicht eine Woche D-2 Mission im All leisten! Was bekam man? Deutschland dürfte eine Stufe komplett bauen, die technisch uninteressante EPS, die technologisch nicht weiter entwickelt ist, als die dritte Stufe der Europa 1 – nur eben 25 Jahre nach deren Entwicklung. Dann dürfte man noch die Boosterhülsen bauen, das bedeutet im wesentlichen: Stahl auf genau 8 mm Breite zu walzen sowie einige andere Strukturen wie Tankabschlussdome, die Struktur der VEB und die Speltra, die nur bei den Testflügen zum Einsatz kam. Dazu einige Hydraulikanlagen und kleine Lagereglungstriebwerke für die VEB – das war es bei einer Beteiligung in der Höhe von über 1 Milliarde Euro.
Frankreich entwickelte, nachdem man bei der Ariane 1 mit dem H10 das erste Triebwerk mit kryogenen Treibstoffen baute, nun das 16-mal schubstärkere Vulcain, mit dem höchsten spezifischen Impuls aller Gasgeneratortriebwerke, die leichtgewichtige EPC und bei den Boostern das Kernstück – die beweglichen Düsen, das Einzige technologisch interessante an den Boostern.
Weitere 15 Jahre später standen neue Entscheidungen an. Über den Ausbau der Ariane 5 und die Neuentwicklung der Vega. Die Vega hielt das DLR für überflüssig, es gab doch die ausgemusterten russischen Träger, die auch von deutschen Firmen vermarktet werden. Zugegebenerweise gab es auch in anderen Ländern Vorbehalte gegen die Vega. Italien wurde Systemführer und konnte Frankreich überzeugen, indem man die Konzeption der ersten Stufe von gekürzten Ariane 5 Boostern auf die Filamenttechnologie umstellte, welche auch die oberen Stufen einsetzten. Frankreich beteiligte sich an der ersten Stufe. Warum? Vielleicht weil man wie bisher sich neue Technologien aneignen will? Erst als die Vega flog, die russischen Träger nicht mehr billig waren und es nicht mehr viele der seit dreißig Jahren nicht mehr produzierten Raketen gibt, ist man beim DLR aufgewacht und vergab Studien für eine deutsche Oberstufe. Angesichts des technologischen Rückstandes, den Deutschland inzwischen aufwies, hätte eine deutsche Oberstufe obwohl mit flüssigen anstatt festen Treibstoffen die Nutzlast der Vega abgesenkt anstatt gesteigert.
Gleichzeitig stand der Ausbau der Ariane 5 an. Der wichtigste Teil, neben kleineren Verbesserungen, war die Einführung von zwei Stufen. Die ESC-A welche Teile der Ariane 4 einsetzte ergänzt durch einen neuen Wasserstofftank und die ESC-B mit einem neuen schubkräftigen Triebwerk mit dem Expander Cycle, dem Ersten in Europa und wieder einen Weltrekord für Schub und spezifischen Impuls in dieser Klasse setzend. Wer entwickelt das Vinci? Natürlich Frankreich. Wer macht den uninteressanten Teil, die Strukturen? Natürlich Deutschland! Schlimmer noch, durch die Tatsache, dass man Jahrzehnte lang in Bremen nur kleine Stufen mit lagerfähigen Treibstoffen und Druckförderung baute, scheint es bei Astrium Bremen, Nachfolgefirma von ERNO, welche die dritte Stufe der Europa und die EPS entwickelte, es nicht möglich zu sein, die leichtgewichtige Stufe zu produzieren die eine LOX/LH2 Stufe wegen des großen Wasserstofftanks erfordert. Beide Stufen setzen daher Rekordmassen beim Trockengewicht und kosten mindestens 1,5 t (ESC-A) bis > 2 t Nutzlast (ESC-B).
Nun steht die Ariane 6 an und zum ersten Mal knistert es nicht nur zwischen CNES und DLR, sondern die Interessen laufen auseinander. Das DLR will die Ariane 5 ME, weil Deutschland an dieser Rakete einen Anteil von 29% hat. Allerdings fertigt man nichts Anspruchsvolles. Insbesondere ist das Neue an der Ariane 5 ME die Oberstufe, die in Bremen integriert wird und von der die Strukturen von Astrium Bremen stammen. Systemintegration, also das Zusammenbauen ist ein lukrativer Job, aber man eignet sich keine neuen Technologien an. Bisher war nur wichtig, wie viel Deutschland von den Aufträgen bekommt, aber nicht was man macht. Das rächt sich nun nach einigen Jahrzehnten.
Frankreich will die Ariane 6 mit der Feststofftechnologie der Vega bauen und dem Vinci Triebwerk. Da die Nutzlast kleiner ist und die Oberstufe stärker beschleunigen muss, schließlich sitzt sie nicht auf einer EPC, sondern einer Feststoffbooster mit schlechteren Performancewerten muss man dort die leichten Strukturen einsetzen, die Air Liquide beherrscht, aber eben nicht Astrium Bremen. Deutschland könnte nichts zur Ariane 6 beitragen, denn selbst zaghafte Versuche die Edelstahlbooster der Ariane 6 mit der neuen Filament-CFK-Technologie zu verbinden seitens MT Aerospace wurden nicht gefördert. Deutschland könnte nur die Performance der Ariane 6 senken und ist für das Projekt so wichtig, wie der Hersteller von Bleigewichten für einen Rennwagen.
So verwundert es nicht, dass man gegen die neue Rakete ist, dafür will Frankreich nicht mehr die ISS nach 2020 mittragen. Dort ist Deutschland am stärksten von allen ESA-Mitgliedern beteiligt.
Das Fazit nach 50 Jahren Raketenentwicklung in Deutschland ist ernüchternd. Man hat mindestens 4 Milliarden Euro für die Programme ausgegeben. Dafür hat man als schubstärksten Antrieb das Aestus entwickelt, mit ganzen 28,7 kN Schub! Selbst die Einfachmodule der privat finanzierten OTRAG-Rakete waren da schubstärker.
Wüsste Wernher von Braun, dass siebzig Jahre nach dem Erstflug der A-4 ihr Antrieb noch immer zehnmal schubstärker ist, als alles was man seitdem in Deutschland entwickelt hat, er würde wohl im Grab rotieren.
Im Vergleich dazu hat SpaceX mit einem Bruchteil des Geldes gleich mehrere komplette Trägerraketen entwickelt. Da muß man sich wirklich Mühe geben, mit so viel Geld so wenig zu erreichen.