Wie kann man den Mond um 60.000 km verfehlen?

Da ich gerade mal das Ranger Programm ausgegraben habe, einige Erinnerungen an einige Mondvorbeiflüge bzw. geplante Aufschläge auf dem Mond zu Beginn der Raumfahrt:

  • Luna 1 sollte auf dem Mond aufschlagen, verfehlte ihn aber um 5.955 km
  • Pioneer 4 verfehlte den Mond um 59.455 km anstatt ihn in 32.000 km Distanz zu passieren
  • Ranger 3 sollte auf dem Mond aufschlagen und verfehlte ihn um 36.785 km
  • Ranger 5 sollte auf dem Mond aufschlagen und verfehlte ihn um 720 km

Nun ist der Mond in etwa 376.000 km von der Erdoberfläche entfernt und hat einen Durchmesser von 3476 km. Vergleicht man Größe und Distanz so ist das wie wenn ein Schütze oder Jäger ein 1,5 m bis 2 großes Objekt in weniger als 200 m Distanz nicht nur verfehlt, sondern bis zu 20 m daneben schießt. Für einen Jäger wäre das ein erbärmliches Resultat, warum kann das bei einem technischen Apparat der Millionen kostet und in Jahren vorbereitet wurde passieren?

Nun auch wenn solche Vergleiche gerne von der NASA benutzt werden „A hole in one over 300 yards….“ sind sie doch falsch, denn das Geschoss des Jägers braucht nicht zwei bis drei Tage um den Hirsch zu treffen und dieser bewegt sich nicht mit einem Kilometer pro Sekunde. Wäre dem so, es würde vor Wild in unseren Wäldern nur so wimmeln.

Das ganze ist das Paradebeispiel eines kleinen Effektes mit großer Wirkung. Rechnen wir es mal nach. Nehmen wir zuerst einmal an, eine Raumsonde sollte auf eine Bahn zum Mond geschickt werden. Die energieärmste, die man sich denken kann wäre eine die bis in die Mondeinflusssphäre führt, doch damals bevorzugte man etwas schnellere Bahnen, die nur wenig mehr Geschwindigkeit erfordern. Doch für die Berechnung eigenen sich solche Ellipsenbahnen sehr gut. Eine Bahn von 200 x 400.000 km Entfernung würde den Mondorbit sicher schneiden. Eine solche erfordert einen Geschwindigkeitsaufwand von 10.921.2 m/s. Für eine 200 km Bahn beträgt die Fluchtgeschwindigkeit 11.009,3 m/s, das zeigt, das die Bahn schon nahe an dieser ist, das bedeutet auch, relativ kleine Geschwindigkeitsänderungen führen zu einer Verschiebung des Apogäums, denn das liegt bei einer Fluchtbahn im Unendlichen.

Die Abweichungen kamen dadurch zustande das die Raumsonden zu schnell waren. Heute ist die Einhaltung der Geschwindigkeit auf etwa 5 m/s kein großes Problem, das korrespondiert in erdnahen Umlaufbahnen mit einer Abweichung der Bahnhöhe von 8-9 km. Viele Launch Service Provider erreichen die Bahn sogar auf weniger als 1 km genau. Doch 5 m/s addiert zu 10921,2 m/s ergibt eine Bahn mit einem Apogäum in 425.000 km Entfernung, wenn sich das Perigäum nicht ändert. Also ganzen 25.000 km mehr. Das entscheidende ist aber das sich die Flugzeit geändert hat.

Die alte Bahn hat eine Umlaufszeit von 10 Tagen 19 Stunden und 21 Minuten, etwas weniger als die Hälfte davon ist die Flugzeit zum Mond.  Die neue Bahn erreicht eine Distanz von 400.000 km schon nach 4 Tagen und 3 Stunden, also 30,5 Stunden früher. Das ist der wesentliche Effekt. Wenn man auf einen bestimmten Punkt im All „gezielt“ hat, dann natürlich unter Annahme das der Mond bei der Ankunft dort ist. Es macht keinen Sinn dorthin zu zielen, wo der Mond gerade ist, denn bis man an diesem Punkt ist ist der Mond schon weitergezogen. Das bedeutet, bei dem Einschuss muss man schon die Reisezeit kennen. Wenn diese aber um 30,5 Stunden abweicht, dann hat das Folgen.

Der Mond umkreist die Erde mit einer mittleren Geschwindigkeit von 1,023 km/s. Er bewegt sich auf einer Kreisbahn, doch wenn wir nur mal als grobe Näherung annehmen, es wäre eine lineare Bewegung so wird er sich in 30,5 Stunden um rund 31.200 km weiterbewegen. Das bedeutet wenn die Raumsonde um so viel früher ankommt ist der Mond noch 31.200 km von ihr entfernt und man verpasst ihn um diese Distanz.

In der Praxis wird es noch etwas komplizierter, weil die Bewegung eine Kreisbewegung ist und so die Distanz geringer, auf der anderen Seite ist die Ellipsenform bei der exzentrischeren Umlaufbahn schmäler und der Schnittpunkt mit der Mondbahn ein anderer, was ebenfalls die Distanz verkleinert. Trotzdem sieht man den Effekt – eine kleine Abweichung bei der Startgeschwindigkeit ergibt eine große bei der Ankunft.

Die Lösung ist es die Bahn zu korrigieren, was die Ranger Raumsonden auch konnten, leider reichte der Treibstoff nicht immer aus, oder es gab andere Probleme, so verlief die Kurskorrektur bei Ranger 3 z.B. in die Falsche Richtung – anstatt die Distanz zu verkleinern vergrößerte sie den Abstand um 5.500 km. Bei Apollo stand nicht nur eines sondern sogar mehrere Kurskorrekturmanöver auf dem Plan. Da man um so mehr korrigieren muss je näher man dem Mond ist, wird man erst grpb die Bahn anpassen und dann wenn man näher ist feiner, das die Düsen nur einen bestimmten festgelegten Minimalimpuls haben. Zudem hat man mehr Meßwerte von der Bahn, kennt sie also besser.

Analog geht man heute bei Planetensonden vor. Nach dem Start meistens wenige Wochen danach gibt es ein größeres Korrekturmanöver das die Bahn grob festlegt. Erst kurz vor der Ankunft folgen dann weitere, mit immer kleineren Geschwindigkeitsänderungen welche den Zielpunkt immer genauer festlegen. Die folgende Tabelle enthält die für Curiosity vorgesehenen TCM:

TCM Nomineller Zeitpunkt Zweck
TCM-1 Start + 15 Tagen Korrektur von Einschussfehlern. Beseitigen der Verschiebung der Bahn für den Schutz des Mars vor Verunreinigung mit irdischen Organismen
TCM-2 Start + 120 Tagen Korrektur von TCM-1 Fehlern. Beseitigen der Verschiebung der Bahn für den Schutz des Mars vor Verunreinigung mit irdischen Organismen
TCM-3 Eintritt – 60 Tage Korrektur von TCM-2 Fehlern. Verschieben des Eintrittspunktes auf das Zielgebiet
TCM-4 Eintritt – 8 Tage Korrektur von TCM-3 Fehlern.
TCM-5 Eintritt – 2 Tage Korrektur von TCM-4 Fehlern.
TCM-5x Eintritt – 1 Tag Ausweichmanöver, wenn TCM-5 scheitert.
TCM-6 Eintritt – 9 Stunden Ausweichmanöver, wenn TCM-5x scheitert. Letzte Gelegenheit zur Feineinstellung des Landortes.
und dies waren die tatsächlich durchgeführten:

Manöver Datum Geschwindigkeitsänderung Kursänderung
TCM-1 12.01.12 7,5 m/s 40.000 km
TCM-2 26.03.12 1 m/s 5000 km
TCM-3 27.06.12 0,05 m/s 200 km
TCM-4 29.07.12 0,01 m/s 21 km

3 thoughts on “Wie kann man den Mond um 60.000 km verfehlen?

  1. Sehr interessant, aber das hier am Ende ist mir nicht so recht klar:

    > Beseitigen der Verschiebung der Bahn für den Schutz des
    > Mars vor Verunreinigung mit irdischen Organismen

    Also da wird eine Bahnkorrektur durchgeführt um den Mars vor verunreinigungen durch die irdische Organismen zu schützen? Das klingt so, als ob jemand seine Schuhe zum Schuster bringt damit die Küche sauber bleibt. Das ergibt irgendwie keinen Sinn.
    Und ein besonderes Flugmanöver, das evtl. noch vorhandene Keime abtötet? – Das kann ich mir nur so vorstellen, dass das durch dichtere Schichten der Hochatmosphäre führt und dabei Reibungshitze ensteht. Aber das ergibt auch keinen Sinn, weil dadurch Sensoren und der Hitzeschild beschädigt werden können. Ausserdem hat man dadurch keine Garantie, das Teile, die die Hitze nicht vertragen nicht auch zerstört werden. Oder Keime töten durch Bestrahlung von der Sonne? Geht auch nur für die Aussenhülle. Also irgendwie… – der 1. April ist doch erst in 13 Tagen.

  2. Der Trick ist eigentlich ganz einfach: Man legt die Flugbahn so, daß die Sonde erstmal am Mars vorbeifliegen würde. So ist garantiert, daß die letzte Stufe der Trägerrakete nicht zum Mars kommt. (Sonst müßte man auch die desinfizieren.) Erst durch Kurskorrekturen der Sonde wird die Bahn so verändert, daß sie zum Mars führt.

  3. Ach so ist das gedacht. Ja okay, das klingt einleuchtend. Dann fliegt die letzte Stufe der Rakete sonstwohin, verabschiedet sich also in die Tiefen des Sonnensystems, und ward nicht mehr gesehen…

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