Kaffeesatzlesen mit SpaceX

Hallo. Lange hat es gedauert und ich habe endlich einen Gastartikel zum Thema SpaceX bekommen. Noch nicht der erwartete „Pro SpaceX“ Artikel, aber immerhin ein interessanter Ansatz: kann man die Starts von SpaceX mathematisch modellieren? Beim durchlesen fiel mir so vieles ein, das ich morgen auch zu dem Thema was schreiben werde. Ich hoffe auch mal der Artikel macht anderes Gastautoren Mut und es kommt endlich der so lange erwartete Pro-SpaceX Artikel. Doch nun zum Artikel von Bynaus:


Die amerikanische Firma SpaceX ist ja ein beliebtes Thema auf dieser Seite, nicht zuletzt weil Bernd die Firma und ihren Chief Technology Officer eher kritisch sieht. Elon Musk ist nicht nur ein grandioser Visionär und – zumindest bisher – sehr erfolgreich darin, seine Visionen zu Geld zu machen: er redet auch gern und häufig über seine kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Pläne. Wir werden so-und-so-viele Raketen starten, wir werden diese-und-jene Technologie entwickeln, wir werden eine Stadt auf dem Mars bauen und die Menschheit zu einer multi-planetaren Spezies machen. Dass diese Pläne manchmal mit der Realität kollidieren, ist unbestritten – unbestritten ist aber auch, dass die Firma, im Gegensatz zu unzähligen anderen, durchaus auch Resultate und Erfolge aufzuweisen hat. Man muss nur 10 Jahre zurück schauen, um das zu sehen: damals, als SpaceX noch keine einzige Rakete gestartet hatte, flog SpaceShipOne bereits – und auf dessen kommerzielle Version warten wir noch immer, während SpaceX unterdessen bereits drei Mal eine Dragon zur ISS und zurück geschickt hat.

Ein Punkt, der auf dieser Seite immer wieder Anlass zu Diskussionen gibt, und der auch der Auslöser für meinen Artikel ist, ist das „Launch manifest“ von SpaceX. Dies ist eine Liste der vergangenen und, insbesondere, der noch bevorstehenden Raketenstarts der Firma. Jeder Eintrag enthält den Namen des Kunden, den Startort (im Moment: Cape Canaveral oder Vandenberg) und den Typ der Rakete – und, natürlich, eine Jahrezahl (früher gab es mal eine Zeit, in der noch die Quartale angegeben waren, davon ist man mittlerweile weggekommen). In der Überschrift ist die Jahreszahl mit einem Sternchen versehen: Die Jahreszahl, lässt einen das Sternchen am Fuss der Tabelle wissen, entspreche dem Jahr der Ankunft des „vehicle“ am Startplatz (ob mit dem „vehicle“ die Rakete oder die Nutzlast – oder beides – gemeint ist, bleibt unklar). Mittlerweile hat SpaceX zehn erfolgreiche Starts der Falcon 9 durchgeführt, bei einem Flug ging allerdings die Sekundärnutzlast verloren. Aber das „Launch manifest“ ist auch notorisch schlecht darin, die tatsächliche Entwicklung vorauszusagen, wovon man sich z.B. mit der Hilfe der Internet Wayback Machine überzeugen kann. Wenn ich mal z.B. das Launch manifest am 29. Juli 2009 (vor fünf Jahren) herausgreife, dann hätten mittlerweile mindestens 7 Dragon-Missionen zur ISS stattfinden sollen, und mindestens 17 Falcon 9 Starts. Im aktuellen Launch manifest siehts nicht besser aus: Für 2014, das bereits zur Hälfe um ist, sind noch vierzehn (!) Falcon 9 Starts vorgesehen, und das obwohl es bisher nur deren drei gab. Selbst wenn man akzeptiert, dass das nur dem „arrival of the vehicle at the launch site“ entspricht, ist wohl auch jedem ziemlich klar, dass wir dieses Jahr nicht noch vierzehn weitere Starts sehen werden. Das Launch manifest ist also eine eher schlechte Grundlage, um die künftigen Starts bei SpaceX vorherzusagen – und darum geht es hier („Kaffeesatzlesen“).

Aber was wäre dann besser? Besser ist sicher, sich die tatsächliche Entwicklung der Starts anzusehen. Wann, und in welchen Abständen, hat SpaceX tatsächlich Raketen gestartet? Ich beschränke mich hier auf die Falcon 9 und die Falcon 9.1, weil ich mal davon ausgehe, dass die Falcon 1 eher so was wie Demonstrator war, der zeigen sollte, dass sie tatsächlich Raketen bauen können. Die tatsächlichen Zeitabstände zwischen den Starts können uns, im Gegensatz zum Launch manifest, etwas über die inneren Abläufe der Firma sagen, die jenseits aller Wünsche, Träume und Ankündigungen die tatsächlichen Fähigkeiten der Firma bestimmen. Anfang des Jahres hatte ich in einem Kommentar zur einem Artikel von Bernd vorhergesagt, es werde 2014 mit hoher Wahrscheinlichkeit zwischen 4 und 6 Falcon 9 Starts geben, und bisher sieht diese Prognose noch immer sehr gut aus. Wie bin ich darauf gekommen? Ganz einfach: ich hatte die Anzahl Starts pro Jahr für jedes Jahr seit 2002 – dem Jahr der Gründung von SpaceX – mit einer exponentiellen Gleichung nach vorn extrapoliert. Innerhalb von zwei Standardabweichungen kommen dann gerundet 5 plusminus 1 Start raus. Nun könnte man sagen, dass diese Art der Vorhersage eher etwas simpel ist, weil ja klar ist, dass die Anzahl Starts nicht exponentiell wachsen kann – irgendwann stösst man an Grenzen wie Anzahl Startplätze, Anzahl verfügbare Raketen (oder Aufträge) und Mitarbeiter. Deshalb wähle ich hier jetzt einen anderen Ansatz. Ich schaue mir das Datum jedes Starts einer Falcon 9 an, seit dem Erstflug im Jahr 2010. Dann bestimme ich für jeden darauffolgenden Start, wie viel zwischen den beiden Starts verstrichen ist, und schaue mir mal das Zwischenergebnis an. Siehe dazu folgende Tabelle:

Start # Typ Datum Tage Differenz Abweichung

0

Falcon 9

04.06.2010

0

0

1

Falcon 9

08.12.2010

187

187

-156

2

Falcon 9

22.05.2012

718

531

+320

3

Falcon 9

08.10.2012

857

139

-20

4

Falcon 9

01.03.2013

1001

144

+14

5

Falcon 9.1

29.09.2013

1213

212

+101

6

Falcon 9.1

03.12.2013

1278

65

-33

7

Falcon 9.1

06.01.2014

1312

34

-54

8

Falcon 9.1

18.04.2014

1414

102

+22

9

Falcon 9.1

14.07.2014

1501

87

+14

Die ersten drei Spalten sind selbsterklärend, „Tage“ gibt die Anzahl Tage seit dem Jungfernflug der Falcon 9 an, „Differenz“ die Differenz in Tagen zum vorangehenden Flug. Auf „Abweichung“ komme ich gleich unten zu sprechen.

Zunächst einmal kann man sehen, dass SpaceX durchaus grundsätzlich in der Lage ist, zwei Starts im Abstand eines guten Monats durchzuführen, wie zwischen Flügen 6 und 7. Man sieht aber auch, dass es in aller Regel länger dauert: zwei Monate (6/5), drei Monate (9/8), ja manchmal auch über ein Jahr (2/1). Natürlich sind diese Abstände nicht rein zufällig: Flug 2 (der dritte) war der Erstflug der Dragon zur ISS, der mehrfach verzögert wurde, zunächst aus technischen Gründen, dann, weil SpaceX die ersten beiden Dragon-Demoflüge zusammenlegen wollte, und es ziemlich lange gedauert hat, bis die entsprechende Bewilligung von der NASA kam. Interessant ist jedoch, sich die Jahresdurchschnitte anzusehen: Für Starts im 2012 war die mittlere Zeitdifferenz zwischen zwei Starts 335 Tage, also ein knappes Jahr. Im Jahr darauf war diese Zahl auf 140 Tage gefallen. In diesem Jahr (wenn man die extrapolierten Starts noch dazu nimmt, siehe gleich unten) wird sie auf ca. 70 Tage fallen. Die Startdifferenz zwischen zwei SpaceX-Starts hat also sowas wie eine Halbwertszeit von einem Jahr, es braucht jedes Jahr im Schnitt nur noch halb so viel Zeit, um von einem Falcon 9 Start zum nächsten zu kommen. Natürlich heisst das nicht zwingend, dass sie nächstes Jahr jeden Monat, und 2016 jeden halben Monat eine Rakete starten werden. Aber es zeigt, dass die Firma dazulernt und die Falcon 9 langsam in den Griff bekommt. Ein weiterer zeitlicher Ausreisser nach oben ist der Erststart der Falcon 9.1, aber „Routinestarts“ (wie Flüge 6 bis 9) laufen nun deutlich flüssiger.

Nun kommen wir zum Kaffeesatzlesen: Durch die Differenz-Werte lege ich (mit Excel) eine Kurve, die den Zeitabstand zum nächsten Start als eine Funktion der Startnummer vorhersagt (eine Potentialfunktion). Die „Abweichung“ des jeweiligen tatsächlichen Startdatums von dem vorausgesagten Wert, basierend auf der Kurve, ist in der letzten Spalte gegeben. Die mittlere Abweichung der „Routinestarts“ (3,4, 6-9) ist knapp 30 Tage. Jede Voraussage unten muss also als „plusminus ein Monat“ gelesen werden. Gemäss der Voraussagekurve sind die nächsten Starts (10 und 11) 68 und 64 Tage nach ihrem jeweiligen Vorgänger zu erwarten, also am 20. September 2014, und am 22. November 2014 (gemäss dem Launch manifest kommen als nächstes die beiden Asiasat-Flüge dran). Damit wären wir bei fünf Flügen, was ziemlich genau meiner früheren Voraussage aufgrund aller Starts seit 2002 entspricht. Flug 12 (ISS-Versorgungsflug Nummer 4) findet dann am 21. Januar 2015 statt, innerhalb der möglichen Abweichung von 30 Tagen würden also auch 6 Starts im 2014 drin liegen. Etwas, was im Launch manifest nicht enthalten ist, ist der Pad abort Test einer Dragon-2-Kapsel, der gemäss Elon Musk auch noch dieses Jahr stattfinden soll. Mal sehen, ob dem tatsächlich so ist (ich erwähne das weil ein Pad abort Test, der tatsächlich auf einem Startplatz stattfindet, natürlich gleichzeitig die Vorbereitung der nächsten Rakete behindert – insofern könnte es deshalb zu weiteren, in meiner Extrapolation nicht vorgesehenen Verzögerungen kommen).

Nach der Formel finden im Jahr 2015 insgesamt sieben Starts statt, im Januar, März, Mai, Juli, August, Oktober und November (folgt man der Reihenfolge im Launch manifest, alles bis zum Start von Discovr). Der mittlere Abstand zwischen zwei Starts im Jahr 2015 wäre dann etwa 52 Tage. Für 2016 fällt dieser Wert auf 38 Tage, und es finden insgesamt zehn Starts statt, darunter der Demonstrations-Flug der Falcon Heavy sowie vier Versorgungsflüge zur ISS. Bigelow Aerospace muss bis 2017 warten, bis ihr Modul am 3. Januar 2017 gestartet wird (ich hoffe, es wurde mittlerweile klar, dass man diese Daten mit einem ziemlich grossen Salzkorn lesen sollte…). Im selben Jahr gibt’s noch zwölf andere Starts, was den mittleren Zeitabstand auf unter 30 Tagen fallen lässt. Nach weiteren fünf Starts bis Mitte 2018 ist dann das heute bestehende Launch manifest abgearbeitet, und der mittlere Zeitabstand zwischen zwei Starts liegt bei etwa 24 Tagen. Interessant ist allenfalls noch, dass das offizielle Launch manifest ebenfalls im Jahr 2018 aufhört. Die beobachtete Beschleunigung der Startrate lässt also darauf schliessen, dass SpaceX bis in vier Jahren zu einem ganz „normalen“ Startanbieter geworden ist und sein übervolles Launch manifest abgebaut hat (bis dahin werden, besonders wenn die Startrate tatsächlich so stark erhöht wird und die Startkosten durch Wiederverwendung von Stufen möglicherweise etwas gesenkt werden, natürlich noch weitere Aufträge hinzu kommen).

Als Fazit kann man sagen, dass Vorhersagen natürlich immer schwierig sind – aber die stetige Verringerung der Zeitabstände zwischen Starts scheint mir doch darauf hinzudeuten, dass die Zeit der ewigen Verzögerungen bald hinter uns liegen und SpaceX in eine Phase der „Normalität“ eintreten wird. Nur, was die kommerziellen Starts von Satelliten angeht, natürlich. Elon Musk wird seine Pläne für Marsraketen und -kapseln, für wiederverwendbare Unter- und Oberstufen natürlich weiterhin vorantreiben, ankündigen und in Interviews diskutieren. Um das zu wissen, braucht man wahrlich kein Hellseher zu sein… 😉

Bynaus

9 thoughts on “Kaffeesatzlesen mit SpaceX

  1. Sehr interessante Analyse und gut gemacht.
    Schade das man sowas nicht mit andern Projekten vergleichen kann, es würde mich interessieren ob da eine Gesetzmäßigkeit dahinter liegt ob ob man die Parameter von einer sich daraus ergebenden Gleichung modellieren kann.

  2. Schöner, interessanter Artikel. Ich fände noch die Dunktion und die Exceltabelle interessant, es wäre interessant wenn du sie noch ergänzt.
    Viele Grüße
    Niels

  3. Toller Artikel! Er deckt sich auch mit meiner Einschätzung der Lage, und allgemein den Wachstumsgesetzen, die man in der Natur findet. Natürlich wird der Punkt kommen, an dem die Startrate nicht durch die eigenen Fähigkeiten, sondern durch die vorhandenen Aufträge limitiert wird. Ab da flacht die Kurve dann ab.

    Ausnahme: Sollte es SpaceX gelingen, Passagierflüge in den „echten Weltraum“ für unter 1 Mio. $ anzubieten, dann könnte es auch Bedarf für 100 Starts im Jahr oder mehr geben. Nur MUSS man bei einem derart günstigen Preis dann auch so viele Starts absolvieren, um auf einen vernünftigen Umsatz zu kommen. Wiederverwendung ist dann essentiell, denn Passagiere werden einer Rakete, die schon zehnmal gestartet und wieder gelandet ist, mehr vertrauen, als einer neuen Rakete.

    Angesichts der knappen Umsätze im eigentlichen Startgeschäft ist verständlich, dass SpaceX auch Satelliten bauen will (siehe Bernds Artikel). Im Vergleich zu den hochfliegenden Marsplänen klingt der Einstieg ins Geschäft mit Transpondern richtig „bodenständig“.

    Kai

  4. Tja, so schnell kanns gehen (und so sehr kann man daneben liegen 😉 ) : Mit nur 22 Tagen nach dem letzten Start hat SpaceX einen neuen Speed-Rekord aufgestellt. Wenn das so weiter (gleiche Extrapolation wie im Artikel, einfach unter Berücksichtigung des neusten Starts) geht wird das gegenwärtige Launch manifest bis Ende 2016 abgearbeitet sein.

    Der nächste Start ist vor Ende Monat geplant. Es bleibt spannend. So wie die Dinge jetzt liegen, würde es mich nicht gross überraschen, wenn Bernd und ich mit unserem Tipp auf sechs Starts im 2014 hinter der Realität zurück bleiben würden…

  5. Abwarten, oder wie es so schön heißt: es ist erst zu Ende wenn es vorbei ist. Eine hohe Startrate konnte man auch schon Anfang des Jahres mit zwei Starts im Monatsabstand annehmen, und was ist draus geworden?

    SpaceX scheint ürbigens nicht nur Arianesapce zu schaffen machen, sondern auch ILS:
    http://www.spacenews.com/article/launch-report/41480struggling-ils-shedding-25-percent-of-staff
    Dort rechnet man nach den Fehlstarts und dem Rückgang voin russischen Starts aber auch der Konkurrenz nur noch mit 3-4 Starts anstatt 7-8 pro Jahr

  6. Nun muss die Tabelle wohl erweitert werden.
    Tut mir echt leid um die Berufspessimisten, wieder ein erfolgreicher Start.
    Ach ja, es stehen ja noch ein paar auf der Liste von SpaceX.

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