Die Lösung für ein überflüssiges Problem: schnell zu Merkur

Merkur ist der innerste der Planeten. Anders als alle anderen inneren Planeten hat er aber selten Besuch bekommen. 1974/75 besuchte ihn dreimal die Raumsonde Mariner 10. Dies war eine Vorbeiflugmission. Es folgte 2004 Messenger. Sie schwenkte im März 2011 in einen Orbit ein. Es soll noch BepiColombo folgen, ebenfalls eine Orbitermission, diesmal aber mit zwei Orbitern. Ursprünglich war auch ein Lander geplant, doch er fiel Budgetrestriktionen zum Opfer. Auch BepiColombo wird sieben Jahre brauchen, um Merkur zu erreichen. Demgegenüber schaffte Mariner 10 den Weg in weniger als fünf Monaten. Da bin ich beim heutigen Blogthema: schnell zu Merkur. Wie schnell geht es?

Nun um die Frage kurz zu beantworten: Natürlich geht es schnell. Doch der Preis ist, dass man ein hohes ΔV zur Merkur-Umlaufbahn bei der Ankunft hat. Das muss man abbauen und das kostet Treibstoff. Ich will den Artikel nicht mit Berechnungen vollstopfen. Es sind ohnehin nur zwei Formeln nötig: Die Geschwindigkeit eines Körpers um einen anderen erhält man mit der Vis-Viva Gleichung, wenn man die Bahnparameter und momentanen Abstand kennt. Die Geschwindigkeit, die man braucht, um von einer Sonnenumlaufbahn in eine Planetenumlaufbahn zu gelangen (und umgekehrt) erhält man mit dem hyperbolischen Exzess. Beides ist in meinen Grundlagenartikeln erläutert.

Klassische Hohmann-Transferbahn

Die energieärmste Bahn zu Merkur resultiert dann, wenn Merkur am sonnenfernsten Punkt ist. Merkurs Umlaufbahn ist stark elliptisch und der sonnenfernste Punkt erstreckt sich über 69 Millionen km von der Sonne entfernt. Beim sonnennächsten Punkt sind es nur noch 46 Millionen km. Die Geschwindigkeitsdifferenz ist um so größer, je weiter die Bahnextreme auseinander liegen. Da die Erdbahn nahezu kreisförmig ist, kann man nur bei Merkur Einfluss nehmen. Für eine klassische Hohmannbahn sieht dies für Merkurs Aphel so aus:

Benötigte Solare Geschwindigkeit in der Transferbahn: 23668,6 m/s

Differenz zur Geschwindigkeit in der Bahn der Erd : -6119,8 m/s

Inklinationsänderung: 1698,3 m/s

Hypoberlische Exzessgeschwindigkeit: 12613,7 m/s

Geschwindigkeit des Planeten 39440,1 m/s

Geschwindigkeit in der Transferbahn beim Planeten 51316,3 m/s

Zum einen muss die Raumsonde schon die solare Geschwindigkeit beim Start um 6,2 km/s ändern. Das drückt sich in der hohen Startgeschwindigkeit (relativ zu einer 186-km-Kreisbahn) aus. Bei Merkur angekommen ist sie immer noch 12 km/s zu schnell. (51,3 zu 39,4 km/s)

Für das Perihel von Merkur sieht dieselbe Rechnung so aus:

Benötigte Solare Geschwindigkeit in der Transferbahn: 20430,0 m/s

Differenz zur Geschwindigkeit in der Bahn der Erde: -9358,5 m/s

Inklinationsänderung: 2826,3 m/s

Hypoberlische Exzessgeschwindigkeit: 14465,0 m/s

Geschwindigkeit des Planeten 58987,3 m/s

Geschwindigkeit in der Transferbahn beim Planeten 66441,8 m/s

Hier ist die Sonde „nur“ noch 7,5 km/s zu schnell. Um mit diesen Überschussgeschwindigkeiten in einen 500 km hohen Otrbit einzuschwenken, muss die Sonde dann um 9,9 km/s (Annäherung im Aphel) und 5,7 km/s (Annäherung im Perihel abbremsen). Zusammen mit der Startgeschwindigkeit von 12,6 und 14,5 km/s ergeben sich so Gesamtgeschwindigkeitsänderungen von 22,5 und 20,2 km/s. Die Annäherung im Perihel ist also energetisch günstiger. Der Widerspruch erklärt sich durch den hyperbolischen Exzess. Es gibt dabei zwei. Einen beim Abflug von der Erde und einen bei Merkur. Er senkt den Geschwindigkeitsbedarf enorm ab. Ohne ihn wären es 29-42 km/s Geschwindigkeitsänderung. Bei der Annäherung im Perihel ist der größere Betrag beim Start fällig. Dieser findet im Gravitationsfeld der Erde statt, wobei der hyperbolische Exzess wegen der größeren Gravitationskraft der Erde naturgemäß höher ist.

Trotzdem: 20-22 km/s sind enorm viel. Die beim Start schnellste Raumsonde war bisher New Horizons mit einer Startgeschwindigkeit unter 17 km/s. Dabei wog diese nicht mal 500 kg. Schon auf die niedrigere Geschwindigkeit von 20 km/s könnte man gerade mal 100-200 kg mit einer Atlas V in einen Merkurobrit bringen.

Schneller mit Venus Fly-By

Schon Mariner 10 nutzte die Venus als Sprungbrett. Die Venus kann das Perihel einer Bahn soweit absenken, dass aus einer Venus-Transferbahn eine Bahn wird, deren sonnennächster Punkt beim Perihel von Merkur liegt. Das geht schon bei Bahnen die sonst ihr Perihel in der Entfernung der Venus haben. Eine Überschussgeschwindigkeit wirkt sich kaum auf das Aphel aus. Das Perihel sinkt dagegen deutlich ab, wie folgende Tabelle zeigt. Die Vorbeiflughöhe an der Venus wurde dabei konstant bei 500 km gehalten und die Startgeschwindigkeit von der Erde bezieht sich auf eine Fluchtgeschwindigkeit von 11 km/s, die man typisch in einem erdnahen Orbit hat.

Startgeschwindigkeit Solar Startgeschwindigkeit Erde Startbahn

[Mill. km]

Endbahn
[Mill. km]
Geschwindigkeitsdifferenz zu Merkur am Perihel
24.000 m/s 12.430 m/s 71,9 x 149,6 46,6 x 120,7 5761 m/s
25.000 m/s 11.998 m/s 81,3 x 149,6 51,4 x 117,1 6088 m/s
26.000 m/s 11.634 m/s 92,1 x 149,6 57,2 x 113,1 6853 m/s
27.000 m/s 11.349 m/s 104,3 x 149,6 70 x 109,3 9221 m/s

Ich habe die größeren Startgeschwindigkeiten hinzugenommen, weil wie oben gezeigt, man so die Differenz zur Geschwindigkeit Merkurs minimieren kann.

Für die erste Bahn errechnet sich so eine abzubremsende Geschwindigkeit in einen 500-km-Orbit von 4203 m/s und für die Zweite eine von 4476 m/s. Die beiden anderen Bahnen sind nicht mehr günstiger. Zusammen mit der Startgeschwindigkeit ist man so bei 16.633 m/s und 16.475 m/s. Das ist zwar fast 4 km/s besser als ohne Vorbeiflug, aber klar ist, dass so die Nutzlast minimal ist: Eine Atlas V könnte so noch etwa 500 kg in einen Orbit um Merkur bringen. Elliptische Orbits sind etwas günstiger, doch angesichts der kleinen Schwerkraft von Merkur nicht viel. Bei Messenger machte dies rund 850 m/s aus.

Wie kommt man möglichst schnell mit mehreren Vorbeiflügen zu Merkur?

Es geht, das zeigte Messenger. Doch die Raumsonde brauchte fast sieben Jahre vom Start bis zur Ankunft in dem Endorbit. Dabei machte sie sechs Swing-Bys: Einen an der Erde, zwei an der Venus und drei an Merkur.

Doch müssen es 7 Jahre Flugzeit sein? Im Prinzip nicht. Man muss nur dafür sorgen, dass die neue Umlaufszeit, und Merkurs Umlaufszeit von 88 Tagen, eine möglichst kleine gemeinsame Periode haben. Das Vorbild ist hier Mariner 10. Ihre Bahn, die nach der Merkurpassage stark der letzten Bahn in der Tabelle ähnelte, hatte eine Umlaufszeit von 176 Tagen. Das sind zwei Merkurjahre. Merkur könnte sie mit nur 2604 m/s Geschwindigkeitsänderung in eine von 69 x 84 Millionen km ändern. Diese hat dann 1,5 Merkurjahre Umlaufdauer – nach 3 Merkurumläufen oder 264 Tagen passiert man Merkur erneut. Das Problem: Die Periode nimmt nun rasch zu. Das nächste geradzahlige Vielfache wäre 4/3 mit 4 x 88 = 352 Tagen nach dem man sich erneut begegnet. Kurzum: Wenn man wie bei Messenger nur noch 900 m/s abbremsen möchte, braucht man sehr viele Begegnungen und sehr lange Zeit. Immerhin, für den Fall, dass man die günstige der obigen Startbahnen nimmt, ergäben sich folgende Zwischenbahnen:

Startbahn Nach Vorbeiflug Differenz zu 500 km Kreisbahn Neue Umlaufsdauer Gesamtdauer
51,4 x 117,1 Mill. Km 51,4 x 100,5 Mill. Km 3476 m/s 132 Tage 105 Tage
51,4 x 100,5 Mill. Km 51,4 x 88,7 Mill. Km 2541 m/s 117 Tage 369 Tage
51,4 x 88,7 Mill. Km 51,4 x 83,1 Mill. Km 2086 m/s 110 Tage 720 Tage

Relativ schnell deutlich wird, dass man für einen immer kleiner werdenden Geschwindigkeitsgewinn immer länger werdende Perioden zwischen zwei Begegnungen mit Merkur erreicht. Nach der letzten Bahn müsste man nun 440 Tage warten (gesamt also 1160 Tage oder mehr als 3 Jahre) bis man mit rund 2,1 km/s einschwenken könnte. Dabei liegt diese Geschwindigkeit immer noch über der, die Messenger aufwenden musste.

Das Ganze wird etwas dadurch entschärft, das die Raumsonde den Kurs zwischen zwei Begegnungen leicht korrigieren kann. Doch das kostet wiederum weiteren Treibstoff. Messenger brauchte noch länger, weil die Sonde schon mit geringer Geschwindigkeit startete. So brauchte sie erst mehrere Vorbeiflüge, um überhaupt das Perihel in Merkurs Entfernung zu bekommen. Bei obiger Sonde wäre die Venus nach 43 Tagen erreicht worden, Messenger passierte sie erst nach 26 Monaten. Die erste Merkurbegegnung erfolgte nach über 4 Jahren anstatt nach einem halben Jahr. Danach ist die Mission mit der obigen Tabelle vergleichbar.

Wie immer erkauft man sich Treibstoffverbrauch mit verlängerter Mission. Für den Fall, dass man nach einer Merkurbegegnung in eine Umlaufbahn eingeschwenkt wäre, sähe die Bilanz so aus:

Schneller Weg Messenger
Zeit vom Start bis zum Einschwenken: 369 Tage 2387 Tage
Startgeschwindigkeit: 11.988 m/s 11.722 m/s
Einbremsen in Merkur-Orbit (500 x 15.200 km) 2629 m/s 860 m/s
Interplanetare Manöver 100 m/s 1047 m/s
Gesamt ΔV über Fluchtgeschwindigkeit (11 km/s) 3717 m/s 2629 m/s

Die Betrachtung berücksichtigt auch, dass Messenger wegen insgesamt 6 Fly-Bys zahlreiche Anpassungen der Bahn benötigte (mindestens sechsmal gab es größere Bahnänderungen) und dafür ebenfalls Treibstoff verbrauchte. Dagegen kommt man bei zwei Passagen noch ohne aus, wie das Beispiel Mariner 10 zeigte.

MESSENGER wog beim Start 1107 kg. Für die rund 1100 m/s Korrekturvermögen würde sich ein Startgewicht von 1715 kg geben. Das wäre für eine Delta II als Träger zu schwer. Man hätte eine Atlas V nehmen müssen, die damals etwa 50 Millionen Dollar teurer war. Messenger war schon an der Nutzlastgrenze der Delta 2. Man setzte eigenes eine Delta 7924H mit vergrößerten GEM-Boostern ein. Hätte man mehr Performance gehabt, sicher hätte man die Sonde direkt zur Venus geschickt, die sie dann zu Merkur umgelenkt hätte. So gab es aber erst einen Erdvorbeiflug nach einem Jahr, der sie auf Venuskurs brachte und zwei Venus-Flybys mussten dann das Perihel auf Merkurs Umlaufbahn absenken und das anfängliche zu hohe Perihel wieder abbauten. Das alleine kostete schon viel Zeit.

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