Der Orbit von Sensorsat
Derzeit laufen die Startvorbereitungen für den ersten Start einer Minotaur vom Cape aus. Bisher fanden die Starts alle von Wallops Island aus statt. Eine Minotaur 4 wird gerade zusammengebaut. Die Nutzlast ist der militärische Satellit Sensorsat. Die Mission hat auch die offizielle Bezeichnung ORS-5 (Operationally Responsive Space 5).
Über Sensorsat weiß man wenig. Als Ziel wird genannt, das er aus einem niedrigen Erdorbit aus Weltraumschrott im GEO erfassen und verfolgen soll. Es handelt sich um eine Technologiemission, wie sie das Militär recht oft startet. Ursprünglich als ORS-5 betitelt, dient sie dazu Sensoren zu erproben, die man dann später in größeren Satelliten einsetzen will und der Müll dient nur als Ersatz für die echten Ziele, das sind Objekte, die sich anderen Satelliten der USA nähern, um sie auszuspionieren oder vielleicht beschädigen. 2015 manövrierte sich ein russischer Satellit bis auf 10 km an zwei Intelsat Satelliten heran.
Was mich zuerst wunderte, war das man für den nur 80 bis 110 kg schweren Satelliten mit einer Minotaur 4 in einen 600 km hohen Orbit startet. Eine Minotaur 4 hat eine Nutzlast von 1,7 t in den Leo, immerhin noch 1,1 t in einen 740 km hohen SSO. Sie ist also überdimensioniert. Sie ist ein militärischer Nachfolger der Taurus XL. Eine Pegasus oder Minotaur I würden mit 450 bzw. 570 kg Nutzlast mehr als ausreichen, um einen nur 110 kg schweren Satelliten zu starten.
Die Lösung: Sensorsat oder ORS-5 soll in einen äquatorialen Orbit von 600 km Höhe gelangen. Da war mir klar, warum der Start vom Cape aus stattfindet und warum man so eine große Trägerrakete braucht und ich dachte mir: „Bernd, das ist doch eine tolle Gelegenheit mal Grundlagen zu erklären“.
Also fangen wir an
Jede Satellitenbahn kreuzt den Äquator, daraus ergibt sich als einfache Folgerung, da man den Startort in jedem Falle wieder passieren muss (es ist ja eine Kreisbahn), das die minimale Bahnneigung zum Äquator (Inklination) dem Breitengrad des Startortes entspricht. Nun ja fast. Weil die Rakete, wenn sie direkt nach Osten startet, durch die Erdrotation sich nach Süden wendet, findet die Brennphase auf einem niedrigeren Breitengrad statt. Wenn man nun über die Bahn integriert, kommt man auf eine leicht geringere Bahnneigung. Beim Start von Cape Canaveral je nach Raketentyp etwa 27 bis 28 anstatt 28,8 Grad. (Je höher die Brennzeit desto niedriger).
Eine höhere Inklination ist dagegen kein Problem, man muss dann nur den Startazimut nicht nach Osten, sondern Süden oder Norden legen. Während man beim Start maximal die Erdrotationsgeschwindigkeit am lokalen Breitengrad (beim Cape rund 407 m/a) verliert, sind Orbitänderungen in der Umlaufbahn viel energieaufwendiger, denn es gilt:
Δv = 2× sin(Winkel ÷ 2) × v
v: Geschwindigkeit, deren Richtung geändert wird
Winkel: Winkelunterschied zwischen neuer und alter Inklination
Nehmen wir an, die Minotaur 4 hat Sensorsat in einen Anfangsorbit von 27 Grad Bahnneigung gebracht, er wäre schon in 600 km Höhe angekommen (7560 m/s Kreisbahngeschwindigkeit), dann kommt man nach obiger Formel auf ein Δv von 3528 m/s. Das ist eine Menge. Das ist, wenn man noch den zusätzlichen Geschwindigkeitsbedarf für die 600 km Bahnhöhe dazurechnet, genauso viel wie man für einen GEO braucht.
In der Praxis schätze ich, wird man ein anderes Regime einschlagen. Sensorsat ist so leicht, das er zusammen mit einer Stufe, einem Orion 38 einen Orbit erreicht. Nach dem Spacenews Artikel hat man sogar eine zweite Orion 38 Stufe addiert, was ungewöhnlich ist, denn es gibt auch die Minotaur 5, die anders als die Minotaur V fünfstufig ist und die fünfte Stufe, ein Star 37FM hat eine höhere Performance – die Minotaur V könnte zwischen 490 und 640 kg in einen GTO transportieren, das bedeutet dass diese Rakete Sensorsat gleich in den GEO bringen könnte, wo er Müll direkt beobachten könnte, doch ich vermute das war gar nicht so geplant, denn es geht weniger um den Müll als den Sensorentest.
Die etwas bessere Lösung ist es nicht einen 600 km hohen Orbit anzustreben, sondern einen 200 x 600 km Orbit und dann beim Überqueren des Äquators die Inklinationsänderung und Bahnanhebung durchzuführen.
Dies ist aus zwei Gründen günstiger:
Die Minotaur hat durch reine Feststoffraketen keine Möglichkeit einen Hohmann-Übergang zu erreichen. Das bedeutet die Aufstiegsbahn muss eine Maximalhöhe von 600 km haben und dann gibt es lange Freiflugphasen, bis man diese Höhe erreicht hat. Beides impliziert hohe Gravitationsverluste. Daher sinkt die Nutzlast der Minotaur auch so stark ab bei höheren Bahnen. Beides kann man vermeiden, wenn man eine elliptische Bahn von 200 x 600 km einschlägt. Mit der Inklinationsänderung mus man dann noch etwas Geschwindigkeit addieren, um die Bahn zu zirkularisieren. Doch da dies eine Vektoraddition ist, ist der Aufwand klein. Im Gegenteil: da nach obiger Formel der Aufwand von der Startgeschwindigkeit abhängt, kann man dann sogar Energie einsparen dem im Apogäum einer 200 x 600 km Bahn ist die Geschwindigkeit auf 7446 m/s gesunken, also rund 120 m/s weniger als bei einer Kreisbahn.
Für gleichzeitige Geschwindigkeits- und Inklinationsänderungen gilt folgende Formel:
Δv = √(vs² + ve² – 2*ve*vs*cos(Winkel))
Δv = Geschwindigkeitsänderung
vs: Startgeschwindigkeit
ve: Zielgeschwindigkeit
Setzt man das für 27 Grad und 7446 m/s vs und 7590 m/s Ve an, so kommt man auf 3504 m/s. Das ist weniger, als wenn man erst einen 600-km-Orbit anstreben würde. Dazu kommen noch die Gravitationsverluste, die eingespart werden. Allerdings ist dieser Orbit von Sensorsat eine wirkliche Ausnahme. So große Inklinationsänderungen bei hoher Geschwindigkeit sind sehr unüblich. Man hat um die Performance zu erhöhen extra den Start von Wallops Island (Breitengrad 38) zum Cape (Breitengrad 28) verschoben. Die bahntechnisch einfachere Möglichkeit wäre es eine Pegasus von einem äquatorialen Punkt aus zu starten (z.B. Hawaii). Da Orbital für den Abschluss nur 23,6 Millionen Dollar erhält, die ersten drei Stufen stammen von einer Peacekeeper MX Rakete – ist die Minotaur 4 trotzdem billiger als eine Pegasus die durch Auslaufen der Produktion beim letzten Start 40 Millionen Dollar kostete. Regulär (z.B. für die NASA) kostet eine Minotaur aber über 50 Millionen Dollar.
Man sieht: Die Änderung der Bahnneigung ist energieaufwendig. Das ist auch der wesentliche Grund für supersynchrone Umlaufbahnen – in 66.000 km Höhe beträgt die Geschwindigkeit in einen SSGTO noch 971 m/s anstatt 1478 m/s und in 80.000 km sind es 808 m/s. Entsprechend kleiner ist das Δv für die Inklinationsänderung, zumal man hier ebenfalls mit das Perigäum anhebt von 200 auf 36000 km Höhe. Man muss dann noch das Apogäum absenken, aber in der Summe gibt es für den Satelliten einen Gewinn: 1626 m/s anstatt 1803 m/s (für 27 Grad) bei 65.000 km Höhe und 1574 m/s bei 80.000 km Höhe. Allerdings nur für den Satelliten. Die Rakete selbst muss mehr leisten und addiert man beide Posten so ist es in der Gesamtbetrachtung ein Verlustgeschäft, wie das Diagramm zeigt. Da aber die Masse des Satelliten fix ist und die Nutzlast der Rakete ebenso, bietet es sich an, eine Überschusskapazität der Rakete zu nutzen. Der Gewinn wird immer kleiner, wenn man Mondentfernung anstrebt, so reduziert sich das Δv nur um weitere 100 m/s. Doch dann kann man etwas anderes nutzen. Nämlich den Mond.
Bisher nur einmal vorgekommen bei einem Satelliten, Asiasat 3A, bei dem die Block-DM einer Proton ein Brennmanöver nicht mehr ausführte. Man kann leicht errechnen, dass es sich dann lohnt, wenn der Startplatz weit nördlich ist. Beim Asiasat 3A betrug das gesamt Δv, wenn man alle Bahnphasen zusammenrechnet, 1920 m/s. Zusätzlich zu einem Standard-GTO von 365 x 36000 km x 51,7 Grad. Da der Mond die Inklination stark absinken kann, dort ist der Satellit ja nur noch wenige Hundert Meter pro Sekunde schnell, spielt die Anfangsinklination der Bahn keine Rolle. Man kann dies mit dem Geschwindigkeitsbedarf des Übergangs von einem Standard-GTO mit x Grad auf einen GEO mit 0 Graf vergleichen und kommt auf 32,45 Grad. Das bedeutet, der Umweg über den Mond würde sich schon bei Starts von Baikonur aus lohnen. Man macht es in der Praxis nicht, weil dies natürlich voraussetzt, dass die Bodenkontrolle mit dem Satelliten in noch 10-facher Normentfernung kommunizieren kann. Alternativ müsste man die Aufgabe der Oberstufe übertragen (die dann auch die Absenkung des Apogäums von Monddistanz auf GEO übernehmen würde). Doch auch hier gibt es neben der Distanz Hindernisse, so der Betrieb der Stufe zumindest über einige Tage, eher Wochen. Bei Asisat dauerte es fast sieben Wochen, bis er den Endorbit erreicht hatte.
Daraus ist deutlich das ein äquatorialer Startplatz so günstig ist – er ermöglicht schon beim Start jede beliebige Bahnneigung während die eines Startplatzes in höheren Breiten nie viel kleiner als der Breitengrad sein kann. Theoretisch, weil es natürlich andere Einschränkungen geben kann, wie das man beim Aufstieg nicht Land überfliegen will oder darf oder Stufen nach dem Ausbrennen nicht auf Land niedergehen dürfen. Diese Einschränkungen hat z.B. auch das CSG, das ansonsten fast ideal liegt. Ideal wäre so ein Weltraumhafen auf einer Insel, z.B. Hawaii. Von dort wurde ja die SPARK gestartet, leider nicht erfolgreich. Sie wäre sonst geeignet, Sensorsat zu viel geringeren Kosten zu starten.
Schon für den normalen GEO ausgehend vom Cape ist trotz der geringen Geschwindigkeit im Apogäum von nur noch 1,5 km/s der Nachteil offensichtlich. Eine Atlas V 551 transportiert z. B 8,9 t in einen GTO mit 28 Grad Neigung, aber nur 6,9 t in einen GTO mit 0 Grad Neigung. Führt der Satellit die Bahnangleichung durch, so kostet ihn das rund 10% seiner Startmasse, dazu kommt noch das Gewicht, das die größeren Tanks haben. Ein Faktor, der beim Nutzlastvergleich gerne vergessen wird.
Knapp 40 Jahre nach Jungfernflug der Ariane 1 ist der Starts vom CSG aus aber heute die Normvorgabe. Andere Träger streben daher „geschwindigkeitskompatible“ Bahnen an. Die Atlas V oder Falcon 9 vor allem supersynchrone Umlaufbahnen. Bei der hohen Startinklination des Kosmodroms Baikonur sind supersynchrone Umlaufbahnen die Ausnahme, weil man nur mit ihnen nicht auf die 1500 m/s eines „Ariane-kompatiblen“ Orbits kommt. Man muss im Apogäum zusätzlich die Bahnneigung anpassen. ILS bietet diese trotzdem an, seit die Breeze-M für einen noch längeren Betrieb (nun über 1 Tag, bis die Nutzlast abgesetzt wird) qualifiziert ist. Der Normalfall ist aber das die Breeze M in mehreren Zündungen das Perigäum erhöht und gleichzeitig die Inklination absenkt. Beim Start von Baikonur aus (52 Grad nördliche Breite) ist die Nutzlasteinbuße schon gravierend – vom Äquator aus gestartet würde eine Proton M 9 anstatt 6,3 t in den GTO bringen.