Impfpflicht oder Sonderrechte?

Kaum beginnt das Impfen, da geht schon wieder die Diskussion los. Soll es eine Impfpflicht geben oder Sonderrechte für die, die schon geimpft sind?

Es gibt bei uns keine Impfpflicht, das folgt aus dem Grundgesetz und dem Recht am eigenen Körper. Man darf mit dem tun was man will, auch wenn man sich dabei schadet. Das hat in anderen Gesetzen zu sehr fragwürdigen Konstruktionen geführt. Man darf aus demselben Grund daher straffrei Drogen konsumieren. Nur hat man die Gesetze dann so gestrickt, dass dies nur straffrei wäre, wenn sie einem in den Mund geflogen wären, denn man darf keine „Drogen“ anbauen, besitzen oder handeln. Das Grundrecht hat auch Grenzen, so darf ein Arzt bei einem Verkehrsteilnehmer der Symptome eines hohen Alkoholkonsums zeigt, eine Blutprobe entnehmen, auch gegen dessen Willen, soweit ich weiß aber dann nur mit richterlichem Beschluss und eine Blutentnahme ist ein durchaus stärkerer Eingriff als eine Impfung.

Die Sache mit den Sonderrechten ist eine andere, man könnte es auch umgekehrt formulieren, soll es Nachteile gehen Nicht-Geimpfte geben. Ist jetzt natürlich völlig an den Haaren vorbeigezogen, weil die meisten nicht geimpft sind und das wird auch mindestens ein halbes Jahr so bleiben, aber an anderer Stelle gibt es diese Auseinandersetzung schon. 2020 hat das Bundesverfassungsgericht Eilanträge gegen die Impfpflicht bei Kitas abgelehnt. Konkret wurde, nachdem schon einmal das BGH wegen einer solchen Impfpflicht, die damals aber noch von den Landesregierungen beschlossen wurde, das Impfgesetz so geändert, das Kitas eine Masernschutzimpfung verlangen können und bei Nichtvorlegen dieser die Aufnahme des Kindes verweigern. Das ist also kein Sonderrecht, sondern eine Benachteiligung gegenüber allen anderen. Gegen diese Noelle des Impfschutzgesetzes klagten zwei Eltern mit Eilanträgen und scheiterten – 2019 hatten Eilanträge gegen die von Behörden verordnete Impfpflicht, aber noch nicht als solche im Gesetz verankert, noch Erfolg. Das BGH entschied, dass das Beibehalten der Impfpflicht weniger Nachteile als ihre vorläufige Abschaffung hat. Die Impfpflicht gegen Masern diene letztlich dem Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit. Und dazu sei der Staat schließlich angehalten. Daher solle das Gesetz im Moment weiterhin Bestand haben. Auch wenn es sich später noch als verfassungswidrig herausstellen sollte, wären die Folgen einer jetzigen Aussetzung des Gesetzes nachteiliger als die Folgen einer jetzigen Beibehaltung der Impfpflicht.

Man sieht also das Thema ist durchaus komplex und kontrovers zu diskutieren. Schlussendlich drehen sich beide Standpunkte um ein Thema: Wie bekommen wir eine Herdenimmunität hin? Es muss in einer Gesellschaft nicht jeder geimpft sein, wenn man so viele immune Menschen hat, das das Virus keine Chance hat sich auszubreiten, weil es einfach zu wenige „Wirte“ mehr gibt. Man kann eine bestimmte Zahl an Nicht-Geimpften, egal ob aus Nachlässigkeit oder renitenter Impfgegner tolerieren, wenn man diese Herdenimmunität erreicht hat. Das diese Diskussion um eine Impfpflicht sich bisher um Masern drehte hat ihren Grund: Das Virus zählt zu den ansteckendsten Viren. Seit Corona kennen wir alle ja die Basisreproduktionszahl R. Sie gibt an, wie viele Menschen ein Virus durchschnittlich ansteckt. Liegt sie über 1, so werden immer mehr Menschen infiziert, liegt sie unter 1 so sinkt die Rate. Man kann diesen Wert als aktuelles Bild der Situation sehen (indem man das 7-Tages-Mittel der Infektionszahlen bildet), aber auch einen Wert bestimmen, der typisch ist, wenn man nichts tut. Masern liegen 12 und 19, Windpocken zwischen 10 und 15. Das bedeutet: Bei einem Wert von 12 müssten 11/12 der Bevölkerung immun sein (87,5 %), damit die Infektion nicht zu einer Epidemie wird. Daher gelten diese Kinderkrankheiten eben als hochansteckend und daher die Impfpflicht, man kann dann nicht mehr viele Impfverweigerer tolerieren, wie dies bei anderen Krankheiten der Fall ist. Bei Korona rechnet man ohne Maßnahmen mit einem R-Wert von etwa 3, das heißt, das etwa 60 bis 70 % der Bevölkerung geimpft sein müssen, damit die Epidemie zurückgeht. Man kann also mit sehr viel mehr Impfgegnern oder einfach Leuten, denen es egal ist, leben.

Die Diskussion ist auch so überflüssig, weil wir derzeit eine völlig andere Situation haben. Es wollen sich viel mehr impfen lassen, als es Dosen gibt. Hier in Baden-Württemberg waren die Termine für die erste Lieferung innerhalb von Stunden vergeben. Am Mittwoch kommt dann die nächste Lieferung. Das wird auch so bleiben, bis die letzte Gruppe dran wird, denn sobald wieder eine Gruppe dran ist, werden sich zuerst alle melden, die sich in dieser Gruppe schon immer impfen lassen wollten. Wenn wir mal bei dem Punkt sind, die Impfzentren leerer werden und der Impfstoff da ist aber niemand mehr kommt, dann können wir über weitere Maßnahmen nachdenken. Ich plädiere dafür zurast mal aktiv auf alle zuzugehen, die sich bisher nicht gemeldet haben – einige Bundesländer setzen ja auf dieses Modell, bei den meisten anderen muss man aber selbst aktiv werden. Ich habe dieses Länderwirwar ja schon in meinem letzen Blog besprochen.

Erreichen wir nicht eine Impfquote, die zur Herdenimmunität reicht, dann bedeutet, dass, das wir alle Einschränkungen die wir heute haben, bis zum Sankt-Nimmerleinstag beibehalten müssen, denn natürlich werden auch die Kinder der Impfgegner nicht geimpft. Dann muss man abwägen – ist eine Beeinträchtigung aller vertretbar, wenn ich ein Teil nicht impfen lassen will, oder ist eine Impfpflicht eine größere persönliche Benachteiligung. Ich glaube angesichts der Letalitätsrate die bei 2 bis 5 % liegt (bei Masern, wo es die Impfpflicht gibt, sind es nur 0,01 bis 0,1 %) würde ich eher auf eine Impfpflicht tippen.

Bei Umfragen geben derzeit 60 bis 70 % der Bevölkerung an, sich impfen zu lassen, man würde also so in die Nähe der Herdenimmunität kommen. Ich plädiere dafür es dann zuerst mal, wenn es nur wenige Prozentpunkte fehlen, es mit Überzeugungsarbeit zu probieren. Die meisten sind ja schlicht und einfach zu faul oder meinen, wenn genügend andere sich impfen lassen, muss man es selbst ja nicht tun. Danach kann man über weitere Maßnahmen nachdenken. Die Impfpflicht bei Masern hat aber auch einen anderen Aspekt. Man benötigt wegen des hohen R-Wertes eine weitestgehend geimpfte Bevölkerung, man kann also nicht so viele Impfgegner wie bei Codiv-19 tolerieren. Bei Corona ist das anders. Man könnte mit einem Drittel Impfgegner in der Bevölkerung leben. Eine Impfpflicht würde also sehr viele zu einer Impfung zwingen, die man nicht für die Herdenimmunität benötigt. Daher wird man wohl eher zu anderen Maßnahmen greifen, und zwar in dem Sinne, dass man Nicht-Geimpften das Leben erschwert. Staaten würden wahrscheinlich zuerst als Bedingung für die Einreise eine Coronaimpfung verlangen, um nicht erneut eine Pandemie im eigenen Land zu verursachen. Das dürfte wahrscheinlich bei vielen, die im Ausland Urlaub machen, schon als Argument ausreichen. Für die Länder ist das einfach, denn es beeinträchtigt die eigenen Bürger ja nicht. Widerstand ist daher nicht zu erwarten. Ähnlich könnten Veranstalter von Ereignissen bei denen viele Menschen zusammenkommen wie Bundesligaspiele, Konzerte, Theater, Kino einen Impfnachweis verlangen um zu verhindern das bei Auftreten eines Falles sie erst mal dichtmachen müssen. Ich glaube, wenn wir die Impfquote nicht erreichen, ist dies das wahrscheinlichere Szenario. Es ist im Prinzip dieselbe Situation wie bei den Kitas und Masern. Eine Bevorzugung ist aber derzeit bei nur wenigen geimpften völlig unangebracht. Sie würde eher ein falsches Signal aussenden, denn wie schon geschrieben gibt es einen Run auf die Impfzentren, die Knappheit des Impfstoffs würde das nur verschärfen.

2 thoughts on “Impfpflicht oder Sonderrechte?

  1. Was für Sonderrechte für geipfte?
    Ich verstehe nicht wiso gerade von Sonderrechten für Geimpfte diskutiert wird wen die Corona Einschränkungen für Geimpfte nicht mehr gelten. Wen die Einschränkungen nicht mehr gelten sind das keine Sonderrechte sondern die Normalität. Es hat immer geheißen wen es einen Impfstoff gibt kann man wieder zur Normalität zurück und jetzt sollen sich Geimpfte auch noch an die Corona Einschränkungen halten nur das es keine Ungleichbehandlung gibt?
    Dan wird es sicher einen Haufen Leute geben die sich denken warum soll ich mich Dan impfen lassen wen es mir im Grunde gar nix bringt. Der Ipmpfbereitschaft ist das sicher nicht förderlich.
    Ganz zu schweigen davon das Grundrechtseinschränkungwn für manche nur das es allen gleich schlecht geht nicht gerade gerecht sind (hat Dan eher was vom realen Sozialismus: Allen geht es scheiße).

  2. Dazu müsste erst mal bewiesen werden. dass geimpfte Personen nicht mehr ansteckend sind. Bislang heißt es ja nur, dass durch die Impfung schwere Verläufe verringert werden. Wenn geimpfte Personen immer noch ansteckend sein können wäre ihre Lage genauso, wie bei den symptomlosen Fällen.

    Ich denke aber, dass viele Menschen mit der Impfung noch warten, bis eine größere Gruppe als Versuchskaninchen gedient hat, und auch eventuell die ersten Langzeitfolgen beobachtet/nicht beobachtet werden konnten. Die Impfstoffentwicklung ist schon ziemlich übers Knie gebrochen worden

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