Die „Acht-Acht“

Ich will heute mal an ein Geschütz erinnern, das in seiner eigentlichen Rolle nicht so erfolgreich war wie in einer anderen. Es war eine Flugabwehrkanone. Im Zweiten Weltkrieg gab es zwei Arten von Flugabwehrkanonen. Die einen mit kleinem Kalber – in Deutschland 20 bis 40 mm wurden zum direkten Schutz eingesetzt um anfliegende Flugzeuge, z.B. auf Schiffen Torpedo- oder Sturzkampfbomber abzuschießen, an Land als Schutz gegen Tieffliegerangriffe durch Erdkampflugzeuge und Jagdbomber. Diese Geschütze hatten eine hohe Schussfolge von theoretisch bis über 800 Schuss/Minuten (in der Praxis durch das Nachladen eines Munitionsstreifens etwa halb so viel) und wurden auch oft in Gruppen als Zweierflak oder Vierlingsflak zusammengefasst. Zum Kriegsende wurden auch Flugabwehrpanzer entworfen, die jedoch in begrenzter Stückzahl zum Einsatz kamen.

Wie bei den Bordwaffen der Flugzeuge gab es den Trend zum größeren Kaliber. Das lag daran das die Flugzeuge im Laufe des Krieges gepanzert wurden, zumindest die wichtigen Teile wie Motor und Pilotenkanzel. So wurden auch bei Jagdflugzeugen die Bordwaffen immer größer. Hatten Jagdmaschinen anfangs nur normale Maschinengewehre im Kalber 7,62 mm, so gab es bald Bordkanonen mit dem Kalber 20 mm und zu Kriegsende auch 30 mm Kanonen. Gegen gepanzerte Erdkampfflugzeuge konnte man mit Maschinengewehren, die ja in ausreichender Zahl bei der Infanterie zur Verfügung standen wenig ausreichten.

Es gab aber auch eine zweite Sorte von Flugabwehrkanonen, zur Abwehr von in großer Höhe fliegenden Maschinen, meistens Bombern im Formationsflug. Diese hatten ein sehr großes Kaliber. Um eine dieser Kanonen geht es in diesem Blog, die Flak 18, meist nur als „acht-acht“ nach dem Kaliber 88 mm abgekürzt. Wer das Kaliber von gängigen Waffen der Zeit kennt, wundert sich: 88 mm zur Abwehr von Flugzeugen? In der Tat existierte die Flugabwehrkanone schon beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, die Zahl „18“ gibt an, dass sie auf einen Entwurf zurückging, der noch im Ersten Weltkrieg entworfen wurde. Das ist allerdings nicht bei allen Waffen, die es vor und in der Anfangszeit des Dritten Reiches gab, so. Oft wurde „18“ als Tarnung genommen um eine nach dem Versailler Vertrag verbotene Waffenentwicklung zu verschleiern. Aber diesmal stimmte es, denn schon zu Ende des Ersten Weltkrieges flogen Flugzeuge immer höher und waren mit den existierenden Kanonen nicht mehr abfangbar. Das Problem war nicht, dass man das Kaliber benötigte um die Panzerung zu durchschlagen, sondern überhaupt die Flughöhe zu erreichen. Wie ich mal in einem Blog vorgerechnet habe fliegt eine 7,62-mm-Kugel, also die eines MG typisch etwa 2500 m hoch. Damit erreicht man nicht B17 Bomber, die eine typische Flughöhe von 7620 m hatten. Der Grund ist die Abbremsung durch den Luftwiderstand. Man benötigte das Kaliber, damit die Granate die Flughöhe eines Bombers erreichte und zwar noch mit einer gewissen Geschwindigkeit, denn die Maschinen flogen mit 400 bis 500 km/h. Damit man dies auch noch beim schrägen Schuss erreicht, schlussendlich tun einem die Bomber nicht den Gefallen genau über einem zu fliegen, musste die Gipfelhöhe deutlich über der Flughöhe der Bomber liegen. Die maximale Flughöhe einer Granate betrug bei der acht-acht 10.600 m. Die Gipfelhöhe sank auf die normale Flughöhe der US-Bomber, wenn der Winkel auf 60 Grad sank.

Doch bekannter wurde das Geschütz in einer anderen Rolle. Als der Zweite Weltkrieg begann, war die deutsche Panzerwaffe noch im Aufbau. Den Großteil machten die veralteten Panzer II mit einer 20-mm-Kanone aus, der Hauptpanzer war der Panzer III mit einer 37 mm Kanone und in kleinen Stückzahlen gab es den Panzer IV mit einer 75-mm-Kanone, aber einem kurzen Lauf und niedriger Mündungsgeschwindigkeit. Er war als Artillerieunterstützung gegen Infanterie oder ungepanzerte Ziele gedacht. Die deutsche Panzerwaffe setzte auf Beweglichkeit, weniger als auf Feuerkraft und Panzerung. Das verwundete auch die Sowjets, mit denen man noch zusammenarbeitete und die schon den T-34 mit wesentlich stärkerer Panzerung und 75 mm Kanone entwickelt hatten. Doch der Erfolg im Polenfeldzug gab der Auslegung der Panzerwaffe recht. Es kam zum Blitzkrieg. Die Panzer waren so beweglich und kamen schnell vorwärts. Allerdings hatte Polen auch keine modernen Panzer.

Anders war das im Frankreich-Feldzug. Frankreich hatte das genaue gegenteilige Konzept verfolgt. Ihre Panzer waren langsam, schwer gepanzert und hatten starke Geschütze. Auch ein britischer Panzer, die Mathilda war schwer gepanzert, allerdings nur mit MG bewaffnet und damit keine Gefahr für deutsche Panzer. Deutsche Panzer stellten bald fest, das ihre Kanonen die Panzerung eines Char B1 oder Mathilda nur durchdringen konnte, wenn man auf eine verwundbare Stelle zielen konnte, wie die Rückseite. Als Notbehelf richtete man die 88 mm Flugabwehrkanone auf die Panzer. Mit einem Kalber 88 wogen ihre Geschosse zehnmal mehr als die der 37-mm-Kanone. Als positiver Nebeneffekt konnte eine Flak 18 den Panzer noch in einer Entfernung ausschalten, in der dieser noch nicht das Feuer erwidern konnte. Man versuchte mit ihnen auch Forts der Maginotlinie auszuschalten, doch an deren Panzerung scheiterte auch die acht-acht. Gegen massive Panzeransammlungen nutzen die wenigen Flugabwehrkanonen natürlich wenig. Da musste die Luftwaffe aushelfen, was auch gut klappte und zu einem – übertriebenen Ruf – der Ju 87 „Stuka“ beitrug. Dies wiederholte sich im Russland-Feldzug. Zuerst lief alles nach Plan. Die meisten russischen Panzer waren nicht so modern wie die der Wehrmacht. Die wenigen stark gepanzerten KW-1 mussten mit der acht-acht bekämpft werden. Da sie nur langsam waren, waren sie keine echte Bedrohung. Doch mit der Gegenoffensive setzten die Sowjets erstmals den T-34 ein, mit einer starken Kanone, wendig und schnell und trotzdem gut, wenngleich nicht so stark wie der KW-1 gepanzert. Er konnte zwar mit einer acht-acht bekämpft werden, aber es zeigten sich ihre Grenzen. Die Kanone war relativ schwer, saß auf einer festen Lafette, konnte mal nicht schnell versetzt werden und war so eher für defensive Abwehr gedacht als der Unterstützung von Panzerangriffen. Zudem war sie verwundbar – ohne eigene Panzerung nicht nur gegen das Feuer von Panzern, sondern auch Luft- und Artillerieangriffe, sie konnte ja nicht schnell die Stellung wechseln.

Optimal einsetzen konnte man sie nur dort, wo ihre Vorteile zum Tragen kamen, das war im Afrika-Feldzug. Beide Gegner hangelten sich bei Offensiven von Küstenstadt zu Küstenstadt, um jeweils den nächsten Hafen einzunehmen, um die Versorgungsstrecke für Nachschub zu verkürzen. Kämpfe in der Wüste gab es, wenn man den Gegner einkreisen oder abschneiden wollte. Dann aber konnte er durch strategisch positionierte Geschütze gut aufgehalten werden, vor allem wenn sie in erhöhter Stellung waren. Die britische Gegenoffensive „Battleaxe“ scheiterte im November 1941 auch daran, das es nicht gelang den von nur 900 Verteidigern gehaltenen Halfaya-Pass einzunehmen. Durch die eingegrabenen acht-acht erlitten die Angreifer bei den Panzern große Verluste trotz mehrmaliger Angriffe. Wo, wie in Europa das Gelände nicht so eben und ohne Deckung war, verschwand der Vorteil der acht-acht.

Die Wehrmacht lernte aus der mangelnden Durchschlagskraft. Die Kaliber in den schon existierenden Panzern III und IV wurden größer. Der Panzer III erhielt eine 50-mm-Kanone, später die kurze 75 mm Kanone, die der Panzer IV ursprünglich hatte. Beim Panzer IV wurde diese verlängert von 24 auf 43, dann 48 Kaliberlängen, sodass die Granate das Rohr mit einer höheren Geschwindigkeit verlies und mehr Durchschlagskraft hatte. Der neue Panther (Panzer V) erhielt sogar eine 75 mm Kanone mit 70 Kaliberlängen. In den damals in der Entwicklung befindlichen Tiger wurde gleich die acht-acht eingebaut, in den verbesserten Tiger II dann die Flak 41 mit noch längerem Rohr und 30 % höheren Mündungsgeschwindigkeit.

Denn auch bei der Flak 18 gab es Verbesserungen. Das Nachfolgemodell Flak 41 hatte ein längeres Rohr, erreichte eine höhere Mündungsgeschwindigkeit und Gipfelhöhe. Denn als Flugabwehrkanone war die acht-acht relativ ineffektiv. Es dauerte rund 30 Sekunden, bis die Granate die Höhe der Bomber erreichte. In dieser Zeit waren diese über 3 km weiter geflogen. Man versuchte die Bewegung auszurechnen, indem man Radardaten in einen analogen Rechner einspeiste, der dann den Vorhaltewinkel ausgab. Aber bedingt durch die Ungenauigkeit der Radarmessungen mit einem Fehler von über 100 m und dem damaligen Stand der Technik war ein Treffer eine Glücksache, zumal die Granate gegen die Bomber nur in einem Umkreis von 10 m effektiv war. Die Taktik einer Batterie aus zehn Geschützen war es so einen Teppich um ein Ziel herum zu legen in der Hoffnung eine Granate trifft. Für einen Abschuss musste man mehrere Tausend Granaten abfeuern. Die Erhöhung der Mündungsgeschwindigkeit senkte die Flugdauer ab, erhöhte so die Treffergenauigkeit und zudem war die Reichweite höher.

So verwundert es nicht, dass die Wehrmacht noch größere Flugabwehrkanonen mit dem Kaliber 105 und 128 mm baute, diese hatten ein größeres Kaliber als die stärksten Geschütze von Panzern! Das größere Kaliber führte zu einer höheren Reichweite (Einsatzradius) aber auch kürzerer Flugzeit und somit größerer Treffergenauigkeit. Die größere Sprengstoffmenge erhöhte zudem den Radius, wo ein Flugzeug beschädigt werden konnte. Die 128-mm-Kanone schaffte denn auch noch eine zweite Karriere als Hauptwaffe des Jagdtigers. Allerdings wurde hierfür nicht die Flugabwehrkanone eingesetzt, sondern eine Adaption dieser. Denn die Granaten hatten ein Gewicht von bis zu 47 kg, die Granaten für die Panzerabwehrkanonen mussten in der Enge unter einem Schutzschild oder im Panzerturm geladen werden. Es gab in der Regel nur eine Person, welche die Granate heben konnte. Weshalb man bei den Panzerabwehrkanonen die Granate in Treibladung und Projektil aufteilte und so das Gewicht auf maximal 27 kg reduzierte. Das ist auch bis heute der Grund, warum kein Kampfpanzer bisher das Kaliber 128 mm übertroffen hat (der Leopard II und M1 Abrahams haben jeweils eine 120 mm Kanone. Selbst der neue T-14 hat „nur“ das Kaliber 125 mm. Alle Pläne für eine 140-mm-Kanone für den Nachfolger des Leopard II verliefen bisher im Sande. Dabei hat Russland, das anders als die NATO, Panzer mit Laderobotern baut, nicht das Problem der begrenzten Muskelkraft der Besatzung. Wie die 128-mm-Flak wurde auch die 88-mm-Flak als Panzerabwehrkanone (für die Infantrie) neu konzipiert, ebenfalls auf die spezifischen Anforderungen dieses Einsatzes optimiert. Sie kam so auch auf zahlreichen improvisierten Lösungen zum Einsatz um veraltete Fahrgestelle weiter einsetzen zu können, so im Jagdpanther oder der Hornisse (auch Nashorn genannt). Daneben war eine Kanone dieses Kalibers, aber nicht von der acht-acht abstammend während der ersten Hälfte des Zweiten Weltkriegs auf Ubooten als Bordwaffe installiert. Diese sollten Handelskrieg führen und gemäß den internationalen Gepflogenheiten tauchten die U-Boote auf, wenn sie nur ein Handelschiff sahen, forderten die Besatzung auf es zu verlassen und versenkten es danach. Dazu musste man aber keinen Torpedo opfern, das ging auch mit einem Schuss aus der Bordkanone. Mit der Einführung von Geleitzügen und Begleitung derer durch Korvetten und Zerstörer hatte sich dies aber erledigt und ab 1942 wurde diese Kanone durch kleinere 2 cm Flak im Turm ersetzt.

Die Flak 18 zeigt auch das man die Bedeutung des Heimatschutzes stark unterschätzte, obwohl man ja 1940 meinte, England sturmreif bombardieren zu können. Mit den Flak konnte man nicht Städte oder auch nur Industrieanlagen schützen, obwohl über 10.000 produziert wurden und es alleine 200.000 Flakhelfer in der Wehrmacht gab. Jagdflugzuge zur Abwehr gab es zu wenige. Als diese Tatsache offensichtlich war, versuchte man mit undurchdachten Lösungen gegenzuhalten wie dem Me 163 Raketenjäger oder der Bachem Natter. Stattdessen hätte man mehr der Jagdflugzeuge benötigt. Interessanterweise hatte man eine Lösung aber lange Zeit übersehen. Während man in Peenemünde eine große Rakete, die A-4, entwickelte, um England zu bombardieren hätte man mit einer kleineren Rakete durchaus die Bomberverbände effektiv angreifen können. Die Rakete hat den Vorteil, dass sie nach dem Abschuss noch lenkbar ist, entweder über Sicht oder Radardaten. Die Möglichkeit der Eigensteuerung über Infrarotannäherung wie wenige Jahre nach dem Krieg bei der AIM-9 Sidewinder war technisch zumindest möglich. Daneben hat sie eine viel größere Nutzlast, sodass sie mehr Sprengstoff mit Schrapnells versetzt transportieren könnte und ihr Zerstörungsradius viel größer wäre. Doch begann man aus der A-4 eine entsprechende verkleinerte Version, die „Wasserfall“ erst zu entwickeln, als es zu spät war. Die Rakete befand sich zu Kriegsende erst in der Flugerprobung war aber schon so ausgereift das sowohl Amerikaner wie Russen aus ihr ihre ersten Flugabwehrraketen konstruierten.

In ihrer Rolle als Panzerabwehrkanone war die Flak 18 so erheblich erfolgreicher als in ihrer eigentlichen Konzeption als Flugabwehrkanone. Es gelang sogar, einmal einen Zerstörer, die HMS Sikh mit einer Flak 18 zu versenken.

4 thoughts on “Die „Acht-Acht“

  1. Ein weiteres Problem bestand darin, dass die Zeitzünder nicht präzise genug eingestellt werden konnten, sodass viele Granaten zu früh oder zu spät explodierten, teilweise, nachdem sie den Bomber durchschlagen hatten.

    Auf deutscher Seite versuchte man ab Frühjahr das Problem mit Doppelzündern, die sowohl nach der eingestellten Zeit, als auch beim Aufschlag zündeten. Dadurch konnte die Abschussrate angeblich verdreifacht werden, was allerdings aufgrund der späten Einführung keinen großen Einfluss mehr hatte.

    Die USA dagegen entwickelten einen Abstandszünder, der auf Basis des Radar-Dopplereffektes funktionierte. Auch dieser konnte die Abschussrate deutlich steigern.

      1. Ich beziehe mich auf eine echte Kanone für den Einsatz gegen Panzer. Die M81 des Sheridan ist ein Mehrzweckgeschütz und der Panzer selbst ein Aufklärungspanzer. 155 mm Haubitzen auf Selbstfahrlafetten gab es schon im zweiten Weltkrieg. Sie schießen aber nicht auf andere Panzer sondern sind mobile Artillerie.

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