Vor 78 Jahren – der erste Mensch erreicht den Weltraum
Die Raumfahrt begann ja bekannterweise in Deutschland. Am 3.10.1942 erreichte eine A-4 (von der Nazipropaganda Goebbels als V-2 „Vergeltungswaffe 2“ bezeichnet) zum ersten Mal den Weltraum. Neuere Forschungen belegen nun auch, das der erste Mensch der die Grenze zum Weltraum erreichte, ein Deutscher war.
Aber zuerst einmal eine kleine Einführung das wir alle auf demselben Stand sind. Wernher von Braun stellte seine Fähigkeiten als Ingenieur in die Dienste der Wehrmacht, genauer gesagt des Heeres, um Raketen zu entwickeln, auch wenn sein langfristiges Ziel es immer war den Weltraum zu erobern. Er wurde weil er darüber einmal in einer Kneipe sich zu sehr ausließ einige Tage lang inhaftiert bis General Dornberger ihn durch persönliche Fürsprache wieder befreien konnte. Wernher von Braun musste die A-4 perfektionieren, aber er plante weitere Raketen, die ihn auch seinem Ziel den Weltraum zu erobern, näher brachten. So plante er die A9/A10, im wesentlichen eine A-4 auf einer sechsmal größeren Unterstufe. Diese Rakete hätte von Frankreich aus die Ostküste der USA erreichen konnte. Doch die Wehrmacht wollte die Rakete nicht, mit konventionellen Bomben war sie einfach nicht ökonomisch genug und Heisenbergs „Uranbombe“ lag in einer fernen Zukunft.. Zudem gab es Zweifel, das die Rakete während des Kriegs überhaupt noch fertig würde. Von Braun propagierte dann eine kleinere Version, bei der die Unterstufe mit fünf A-4 Triebwerken auskam, also Triebwerken die es schon gab. Deren Reichweite war geringer, sodass U-Boote die Rakete in einem Container auf den Atlantik ziehen sollten, dort jenseits der Schaffahrtrouten sie startfähig machen und starten sollten. Dagegen sprach noch mehr. Während dieser Zeit war das U-Boot sehr verwundbar und es gab berechtigte Zweifel ob dies bei Seegang überhaupt möglich war.
In Peenemünde wurde ab 1944 nur noch entwickelt, was schnell umsetzbar war, das waren im Wesentlichen zwei Projekte. Zum einen die Luftabwehrrakete „Wasserfall“ eine verkleinerte Version der A-4 mit lagerfähigen Treibstoffen, die auch vor Kriegsende die ersten Testflüge unternahm. Die Wasserfall war so fortschrittlich, dass die ersten Boden-Luft Raketen der USA und UDSSR Kopien der Wasserfall waren.
Das zweite Projekt war es die Reichweite der A-4 zu steigern. Dies geschah schon in kleinerem Maße durch Verbesserungen der Triebwerke während der Entwicklung. Mit dem Rückzug der Wehrmacht aus Frankreich rückten immer mehr Ziele aus der Reichweite der A-4. Eine Verdoppelung der Reichweite versprach die A-4B „Bastard“. Das war eine A-4 mit Flügeln. Die Flügel nutzen die enorme kinetische Energie der Rakete aus um die Reichweite durch einen Gleitflug zu erhöhen, schließlich näherte sich die A-4B dem Ziel mit fünffacher Schallgeschwindigkeit.
Der Erstflug der A-4B fand am 27.12.1944 statt, die ersten Testflüge scheiterten aber allesamt. Zuerst waren die Flügel der Belastung beim Wiedereintritt nicht gewachsen. Als man deren Form und Konfiguration mehrfach änderte, überstanden sie den Wiedereintritt und die Raketen erreichten auch die Zielreichweite von 600 km. Aber die A-4B waren empfindlich. Die einfache analoge Steuerung konnte Abweichungen von der Sollbahn kaum kompensieren. Die A-4 hatte eine einfache Steuerung: Die Bodenmannschaft musste die Rakete mit einer Flosse genau auf das Ziel ausrichten, das legte die Richtung fest, in der die Rakete flog. Danach wurde vor dem Start genau eingestellt wie schnell eine Kreiselplattform geneigt wurde. Nach einer kurzen vertikalen Strecke neigte sich die Kreiselplattform, sie gab dann ein Moment ab, weil die Achse aus der ursprünglichen Drehrichtung verschoben wurde. Dieses Moment wurde in einen elektrischen Strom umgewandelt, verstärkt und drehte so die Strahlruder in den Triebwerken die dann den Abgasstrahl zur Seite ablenkten und damit die Rakete langsam drehten. Für die A-4B wurde nach Brennschluss die Kreiselplattform gestoppt, neu ausgerichtet in einem festen Winkel zur Erdoberfläche und erneut gestartet. Sie gab nun ein Moment ab wenn auf die Rakete Kräfte wie durch die Atmosphäre einwirkten und sie sollte im Idealfall einen festen Winkel zur Oberfläche einhalten, in dem der Gleitflug bis zur Zieldistanz führte.
In der Praxis versagte das Konzept wenn die A-4B zu steil oder zu flach eintrat, daneben war es nur eine Stabilisierung um eine Achse. Alle Kräfte die quer dazu wirken, konnte die Steuerung nicht ausgleichen. Seit langem gab es daher das Gerücht, das eine A-4B mit einem Piloten geplant war, doch mehr als ein Gerücht war es nicht. Der Pilot sollte vor Erreichen des Ziels mit einem Fallschirm abspringen. Angesichts des damaligen Standes der Raketentechnik wäre das aber sehr riskant gewesen. Doch solche „Kamikaze-Einsätze“ wurden bei der Luftwaffe angedacht wie das Stürzen auf Bomber oder bemannte Gleitbomben gegen Kriegsschiffe. Es gab aber bisher keinen Hinweis, das die A-4B jemals bemannt eingesetzt worden wäre.
Das hat sich im letzten Jahr geändert. Viel verdanken wir William Knobel. William Knobel ist der Enkel von Johannes Knobel. Johannes Knobel, geboren 1926, gestorben 2008 wurde 1944 als Flakhelfer zur Wehrmacht eingezogen. Er diente dann am Flugplatz Achmer, auf diesem Flugplatz war das Kampfgeschwader 51 und ab Januar 1945 auch das Kampfgeschwader 76 stationiert. Beide Geschwader waren Ziele von alliierten Bombern, da das KG 51 mit Me 262 Düsenjägern und das KG76 mit Arado 234 Düsenbombern ausgerüstet war.
1948 emigrierte Johannes Knobel in die USA wo er sich ein neues Leben aufbaute. Von seiner Vergangenheit in Nazi-Deutschland erzählte er wenig, sein Sohn und sein Enkel meinen, dass der Krieg in ihm wohl ein Trauma hinterließ. Damit könnte das Thema beendet sein, hätte nicht sein Enkel William Knobel, der bei der Patrick Air Force Base als Mechaniker Helikopter wartet 2018/19 seine eigene Erfahrung mit dem Krieg gemacht. William Knobel war nicht in Kampfeinsätze verwickelt, aber er sah die Folgen von Selbstmordanschlägen und die psychischen Auswirkungen von Kampfeinsätzen auf die Piloten und Soldaten. Das einzige was Johannes Knobel von seiner Habe aus Deutschland bis zu seinem Tod aufbewahrte, war sein Kriegstagebuch das er vom 26. Oktober 1944 bis zum 3. Juni 1946 führte und das seine Zeit als Flakhelfer und ab dem 8.4.1945 in amerikanischer Gefangenschaft abdeckt. Mit den eigenen Erfahrungen eines Krieges versuchte William Knobel das Tagebuch zu lesen, doch da er nicht deutsch spricht und es in altdeutscher Schrift verfasst ist scheiterte dies, bis 2022 eine KI-App auf den Markt kam, die diese Schrift lesen kann und die der NDR auch für das Entziffern der Hitler-Tagebücher nutzte.
Johannes Knobel beschäftigte vor allem ein Ereignis, das sich kurz vor Kriegsende am 1.4.1945 ereignete. Es näherte sich dem Feldflughafen ein unidentifiziertes Flugzeug, dass von der Flak abgeschossen wurde. Als man sich dem Wrack näherte sah man deutsche Hoheitszeichen, der Pilot konnte nur noch tot geborgen werden. Das er dazu beitrug ein eigenes Flugzeug abzuschießen traf Knobel sehr. Einen Tag später war geklärt, dass dies ein Versuchsflug von Peenemünde nach Achmer war. Er war dem Kommandanten bekannt, doch da es Alarm wegen eines Abfangens von US-Verbänden gab ,unterblieb die Unterrichtung der Flak dass sich ein Versuchsflugzeug näherte, und man erst nach eindeutiger Identifizierung der Nation schießen sollte.
Ein Versuchsflugzeug von Peenemünde nach Achmer? Das klang mysteriös und so forschte Knobel nach. Als Angestellter der USAF war er mit den Militärarchiven vertraut die inzwischen auch was die Dokumente angeht, vollständig in den USA digitalisiert sind, anders als bei uns. Er hatte Glück. Als Flugplatz von Düsenflugzeugen transportierten die Amerikaner von Achmer alles ab was sie bei der Einnahme vorfanden und was irgendwie nach Technologie aussah die sie nicht beherrschten. Darunter auch das Wrack der Maschine die eine Woche vorher geborgen wurde, und von Spezialisten von Peenemünde untersucht werden sollte. Die Einnahme von Achmer verhinderte dies. In Peenemünde gab es auch keine Aufzeichnungen über den Flug. Genauer gesagt, es gab sie, aber auch Peenemünde wurde kurz darauf geräumt und nur die wichtigsten Unterlagen wurden in einem Transport von Karl Heinz Huzel in Sicherheit gebracht. Die Unterlagen für einen nicht erfolgreichen Test einer noch nicht ausgereiften Waffe gehörten nicht zu den wichtigsten Dokumenten. Die Unterlagen fielen später den Sowjets in die Hände, was aus ihnen wurde was man nicht.
Bei dem Flugzeug handelte es sich nach den Unterlagen des US-Militärarchivs um eine A-4B, also eine geflügelte A-4. Sie war mit einer Druckkabine und Gleitkufen ausgerüstet, um landen zu können. Das ging aus der Untersuchung des Wracks hervor. Der Name des Piloten stand in Knobels Kriegstagesbuch, da er in Ehren bestattet wurde, es war Major Anton Gundelfinger. William Knobel wollte eine Frage klären die seinen Großvater nach seinem Tagebuch lange Zeit beschäftigt hatte nämlich ob der Pilot erst beim Absturz starb oder schon vorher, die A-4B hatte ja einen einfachen Autopiloten. Die Trümmer der A-4B wunden schon 1946 verschrottet, aber in den Archiven fanden sich fünf Papiermessstreifen die Messdaten aufzeichnen. Aufgrund der Distanz von 446 km zum Startort kam eine Funkübertagung wohl nicht in Frage. Mit etwas Hilfe aus dem Internet konnte Knobel klären, dass diese fünf Streifen die Beschleunigung in den drei Raumachsen, die Temperatur und den Druck aufzeichneten.
Aber was verrieten sie? Druck und Temperatur geben relativ genau wieder in welcher Höhe das Flugzeug sich befand. Man konnte deutlich erkennen wie es zuerst aufstieg, dann den Weltraum durchflog und dann wieder in der Atmosphäre eintrat und dort verblieb. Die Beschleunigungsmessstreifen zeigten die Wirkung der Raketentriebwerke aber auch die Abbremsung beim Wiedereintritt. Bei genauerer Betrachtung fielen hier bei zwei der Streifen Veränderungen auf. Es gab immer wider kurze Beschleunigungen die vom allgemeinen Trend abwichen. Diese kommen vor, wenn ein Ruder betätigt wird und die Maschine sich hebt oder neigt. Doch das konnte auch von einem Autopiloten geschehen, damit konnte man nicht klären ob der Pilot ohnmächtig oder gar tot war. Doch es gab 50 Sekunden vor dem Abreissen beim Abschuss eine sehr charakteristische Abweichung. Es war eine kurze negative Beschleunigungsspitze, gefolgt von einer langsam ansteigenden positiven Beschleunigung die dann wieder zück genommen wurde. So etwas erwartet man, wenn die Maschine plötzlich absackt, z.B. weil sei ein Luftloch durchfliegt und ein Pilot von Hand vorsichtig nachkorrigiert bis die Ursprungshöhe wieder erreicht ist. Anton Gundelfinger musste zu diesem Zeitpunkt also noch gelebt haben und wäre wohl weich mit der A-4B gelandet, wäre er nicht kurz vor Erreichen des Flugplatzes von den eigenen Leuten abgeschossen worden. Das war in der chaotischen Endphase des Kriegs nicht außergewöhnlich. Auch in der Ardennenoffensive wurden Maschinen von der eigenen Flak abgeschossen. Die Wikipedia schreibt dazu. „Die deutsche Flak war nicht informiert und feuerte vielfach bei der Rückkehr auf die eigenen Flugzeuge.“.
So konnte William Knobel die Frage beantworten ,die seinen Großvater so intensiv beschäftigt hatte. Doch nun war sein Interesse geweckt? Konnte man aus den Streifen nicht den Flug rekonstruieren? Er konnte. Die A-4B startete von Peenemünde aus, hatte in 28 km Höhe Brennschluss und bewegte sich auf einer Wurfparabel um 274 km von Peenemünde wieder in die Atmosphäre einzutreten. Nun ging sie in einen sechs Minuten dauernden Gleitflug über, bei dem die Höhe von 24 auf unter 1 km abnahm. Ganz genau ist das bei einem Papierstreifen nicht ohne Fehler rekonstruierbar, da man durch Integration der Fläche unter der Kurve die Geschwindigkeit erhält und bei Integration der Geschwindigkeit über die Zeit die zurückgelegte Strecke, das ist bei einem Graph natürlich mit Fehlern behaftet. Am Schluss muss die Maschine noch etwa 300 km/h schnell gewesen sein. Als Nebeneffekt bestimmte William Knobel auch die Spitzenhöhe: 96 km mit einem 2-Sigma Fehler von etwa 8 km. Das heißt, selbst unter Berücksichtigung des Fehlers durch das ungenaue Medium hat Anton Gundelfinger als erster Mensch die niedrigste international akzeptierte Grenze für die Bezeichnung „Astronaut“ überquert (über deren Höhe gibt es seit es Suborbitaltourismus gibt, ja eine Diskussion). Es gibt eine Chance von 42 Prozent, das er sogar die 100 km Marke überquert hat, zumindest wenn man der Statistik glauben kann.
Damit gibt es einen neuen Eintrag in der Geschichte der Raumfahrt:
1-ter April 1945, erster Mensch erreicht die Grenze zum Weltraum: Major Anton Gundelfinger
Man kann nun debattieren, ob man den Flug als erfolgreich oder nicht ansieht. Das Gundelfinger abgeschossen wurde, ist ja nicht seine Schuld, andererseits hätte auch noch die Landung scheitern können.
netter Aprilscherz. Der Startbetrieb in Peenemünde wurde am 21.2.1945 eingestellt.
Schön erzähltes Märchen! 🙂
Oh jetzt wirds kompliziert das wir gleich zwei Dirks hier haben 😉
Ersten Buchstabe vom Nachnamen hinzunehmen.
Aber ich kenne den Nacgnamen von dem anderen Dirk nicht …
Du bist doch sonst so sorgfältig beim Auflisten Deiner Quelle; da hättest Du unbedingt das bekannte Geschichtswerk von Dr. Lirpa zitieren müssen! tsk tsk tsk.