Die Wiederverwendung – eine nochmalige Betrachtung
Das Thema ist nicht neu, ich habe darüber schon vor vielen Jahren geschrieben, eine kleine Suche ergibt diesen Blog zur Ariane 5, oder diesen nicht ganz ernst gemeinten Blog. Oder mal die Nutzlastabnahme betrachtet, oder relativ neu, das erste wiederverwendete Raumschiff. Bestimmt gibt es noch viel mehr Artikel, leider ist es beim Blog relativ schwierig einen bestimmten Artikel nur anhand eines Schlüsselworts zu finden. Ich nutze dazu übrigens nicht die Blog-Suchmaschine sondern Google weil ich da mehr Ergebnisse bekomme und einen Textschnipsel. Bei DuckDuckGo geht das übrigens auch.
Um es kurz zu machen: Meine Meinung zur Wiederverwendung hat sich nicht geändert, aber mit den vielen Starts der Konstellationen haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Aber ich fange mal fundamental an, nämlich bei den wirtschaftlichen Zusammenhängen. Diese sind nicht so einfach, wie mancher glaubt, der dann sagt: „Ein Flugzeug schmeißt man ja auch nicht weg, wenn man einmal geflogen ist“. Aber benutzt man Einweg-Geschirr mehrmals? Geht doch auch? Schon das zeigt das Problem.
Die Lern- oder Erfahrungskurve
Ein fundamentales Konzept ist die Erfahrungs- und Lernkurve. Sie besagt im Prinzip, dass je mehr Stücke pro Zeiteinheit ich fertige, desto geringer sind die Stückkosten. Um das zu verdeutlichen, nehme ich als Beispiel nicht eine Rakete, sondern etwas Einfaches: Brötchen backen. Das kann jeder selbst. Da rühren Sie die Zutaten zusammen, lassen den Teig gehen (in der Industrie ist übrigens auch Zeit ein Kostenfaktor, selbst wenn da nichts gearbeitet wird wie bei der Teigruhe), formen die Brötchen und backen sie aus.
Beim Bäcker, der das noch als Handwerk betreibt, lohnt sich bei der Teigmenge schon eine Rührmaschine, die einem das Kneten abnimmt. Ein Bäcker formt die Brötchen zwar noch von Hand, ist aber darin viel geübter und schneller und kann sogar mit beiden Händen zwei Brötchen gleichzeitig formen. In den Ofen gehen viel mehr Brötchen rein und er ist dauernd in Betrieb. Kommen die ersten Brötchen raus, so kommen die nächsten rein. Das spart Energie für das Aufheizen.
Bei einer Backfabrik läuft dann alles maschinell ab. Hier ist die Menge so groß, dass sich auch für das Formen Maschinen lohnen und die Brötchen wandern über Förderbänder.
Das Resultat sieht man am Preis. Ein Brötchen von der Backfabrik kostet 19 ct, eines vom Bäcker 80 ct und was die Brötchen kosten würden, wenn man fürs Selbstbacken bezahlt werden würde, wage ich gar nicht erst zu denken.
Zur Abschätzung gibt es sogar eine Formel die lautet:
Kosten = Einzelpreis * Stückzahlx
Die Erfahrungskurve ist also eine Potenzkurve und x und liegt nach Erfahrungswerten zwischen 0,7 und 0,8, also kleiner als 1. Das heißt, je mehr Stücke ich produziere, desto geringer werden die Kosten pro Stück. Nehme ich mal den Faktor 0,75 – so kostet die Produktion von 10 Stücken das 5,6-fache eines Einzelstücks und bei 100 sind es das 31,6-fache. Der Preis pro Stück ist also auf 56 bzw. 32 Prozent gesunken.
Gehen wir zurück zu Raketen und Satelliten. Auch hier haben wir diese Zusammenhänge. Selbst wenn eine Rakete meist manuell zusammengebaut wird, weil Präzision wichtig ist und die Stückzahl gering, so werden die Arbeiter schneller, wenn sie mehr Erfahrungen haben und die Handgriffe „sitzen“. Bei noch höheren Stückzahlen kann man dazu übergehen, die Arbeit aufzuteilen. Jeder Arbeiter macht dann nur noch einen Montageschritt wie beim Zusammenbau eines Autos und zuletzt kann man an Roboter denken. Soweit ist man heute aber noch nicht. Immerhin: Bei Satelliten kann man dieses Gesetz heute schon gut beweisen. Forschungssatelliten entstehen als Einzelexemplare und sind wesentlich teurer als (große) Kommunikationssatelliten die in Kleinserien entstehen. Inzwischen haben wir auch bei Satelliten die Großserie entdeckt, anders sind die Konstellationen gar nicht baubar. SpaceX fertigt nach eigenen Angaben sechs Starlink Satelliten pro Tag. Die Kosten eines solchen Satelliten liegen wahrscheinlich in einem Bereich von 1 bis 3 Millionen Dollar, ein großer Kommunikationssatellit kostet um 100 Millionen Euro und JUICE 800 Millionen Euro.
Sichtbar sind diese Konzepte auch bei der Endintegration, also dem Zusammenbau der Rakete aus Stufen und Boostern und der Nutzlastspitze. Je nach Startzahl pro Jahr gibt es dafür nämlich drei Konzepte. Bei wenigen Starts pro Jahr, typisch um die 4, baut man die Rakete direkt am Startplatz zusammen. Ein Turm für die Zugänge ist ja sowieso vorhanden. So spart man ein Montagegebäude. Das wird so gemacht bei der Vega, wurde so gemacht bei der Ariane 1-3 und der Titan mit Boostern.
Bei mehr Starts braucht man ein eigenes Gebäude, denn bei Methode 1 ist der Startplatz ja dauernd belegt. Dann baut man die Rakete vertikal zusammen. So kommt man an jede Stelle leicht heran, kann Arbeitsbühnen in die Höhe von wichtigen Systemen wie der Stufenverbindung setzen. Eine Rakete braucht so aber ein hohes Gebäude und viel Platz. Die Rakete wird dann vertikal mit dem Starttisch zum Startplatz gefahren. So wurden die Saturn V zusammengebaut, Ariane 5, die Titan 3 ohne Booster (da viel häufigere Startzahl).
Bei noch mehr Starts baut man sie horizontal zusammen. Hier kommt man weitaus weniger gut an jede Stelle heran, aber man muss sehr viel mehr Raketen gleichzeitig zusammenbauen. Die horizontale Integration spart Platz. Man schleppt sie dann mit einer Diesellokomotive oder Ähnlichem zum Startplatz und richtet sie mit einem Kran am Montageturm auf. So arbeitet Russland bei seinen Raketen, SpaceX bei der Falcon (das Starship setzt derzeit noch auf den Zusammenbau am Startplatz).“ So arbeitet Russland bei seinen Raketen, SpaceX bei der Falcon (das Starship setzt derzeit noch auf den Zusammenbau am Startplatz) und das ist für die Ariane 6 geplant.
Es gibt auch Mischformen, so bei Ariane 4 (Vertikalintegration, Nutzlastspitze und Feststoffbooster am Startplatz). Deutlich wurde dies auch bei der Fertigung für Ariane in Bremen. Dort wurde die zweite Stufe und die Flüssigbooster zusammengebaut. Jede Ariane 4 hat eine zweite Stufe, kann aber keinen, zwei oder vier Flüssigbooster haben. In Stückzahlen wurden 144 zweite Stufen und 238 Flüssigbooster gebaut, also in etwa doppelt so viele Booster wie zweite Stufen. Die zweite Stufe wurde vertikal integriert, die Booster dagegen horizontal.
Was hat das mit Wiederverwendung zu tun?
Auf den ersten Blick scheint es keinen Zusammenhang zu geben, aber auf den zweiten Blick schon. Denn wenn ich Raketen wiederverwende, muss ich sie ja nicht mehr produzieren. Die Stückzahl nimmt ab und damit wird nach obiger Formel jede Rakete teurer. Das frisst bis zu einer bestimmten Grenze einen Teil der Kosteneinsparung wieder auf. Das ist aber nur ein Aspekt. Es gibt für jede Fertigung eine Untergrenze, bei der die Formel nicht mehr gilt, nämlich dann, wenn ich keine Mitarbeiter mehr abbauen kann und diese einen Teil oder Großteil der Zeit nichts zu tun haben. Das ist der Grund, warum selbst gemachte Brötchen wahrscheinlich nicht 2 Euro pro Stück sondern eher 5 Euro kosten, denn man wartet ja während der Teigruhe und während des Backens. Man produziert während der Zeit ja keine weiteren Brötchen, die man eh nicht essen kann.
Ich kenne von einigen Raketen diese Untergrenze. Bei der Ariane 1 legte man vier Starts pro Jahr als wirtschaftliche Untergrenze fest. Bekannt ist sie bei der Titan. Die Titan wurde nachdem die Produktion der Titan mit Agena Oberstufe auslief und auch die Starts der größeren Modelle abnahmen erheblich teurer: Eine Titan IIIC/D kostete um die 50 Millionen Dollar, eine Titan 34 schon 126 bis 158 Millionen Dollar, eine Titan 4A dann 300 bis 350 Millionen Dollar und eine Titan 4B bis zu 425 Millionen Dollar. Die Produktionsstraße war eben auf eine andere Stückzahl ausgelegt. Das DoD/NRO bezahlte in vielen Fällen die Firmen beim Bau von Trägern, die sie für die nationale Sicherheit für wichtig hielt, dafür, dass diese nicht Fachpersonal entließen, was sie sonst natürlich getan hätten.
Für Firmen ohne diese Verträge zu staatlichen Organisationen (ähnliches gilt für die NASA bei bemannten Programmen) gilt dies natürlich nicht, da kann man feuern und wieder einstellen. SpaceX hat am Anfang der Firmengeschichte sogar damit angegeben, dass sie einen kleinen Anteil an Akademikern und einen großen von angelernten Arbeitern haben. Für uns in Europa ist dank Kündigungsvorschriften dies sowieso nicht so einfach möglich.
Ich habe mich lange Zeit gefragt, warum die NASA bei den Planungen für das Space Shuttle so viele Flüge ansetzte – nach einer Phase, in der die Startzahl langsam zunahm, waren es 48 bis 60 Starts pro Jahr. Denn schon damals war klar, dass es so viele Starts nicht gab. 1972, dem Jahr als das Space Shuttle endgültig genehmigt wurde, starteten die USA:
Nr. | Trägerfamilie | Nutzlasten | Kontinuierliche Erfolge | Fehlstarts in Folge | Erfolge | Nur Starts | Erfolgreich [%] | Einsatzzeitraum |
0 | Atlas | 6 | 6 | 0 | 6 | 6 | 100,00 | 1972 – 1972 |
1 | Saturn | 2 | 2 | 0 | 2 | 2 | 100,00 | 1972 – 1972 |
2 | Scout | 5 | 5 | 0 | 5 | 5 | 100,00 | 1972 – 1972 |
3 | Thor | 11 | 11 | 0 | 11 | 11 | 100,00 | 1972 – 1972 |
4 | Titan | 9 | 4 | 0 | 7 | 9 | 77,78 | 1972 – 1972 |
Gesamt | Nutzlasten | Erfolge | Erfolgreich [%] | Einsatzzeitraum |
Gesamt | 33 | 31 | 93,94 | 1972 – 1972 |
Es waren 33 Starts, fünf der Scout, deren Nutzlast im Bereich eines „Getaway Special“, also eines kleinen Containers im Nutzlastraum lag, elf der Thor-Delta, davon konnte ein Space-Shuttle-Flug bis zu drei ersetzen, sechs Atlas, je zwei Atlas-Nutzlasten konnten bei einem Start transportiert werden, neun Titan, die jeweils einen Shuttle-Start erforderten und zwei Saturn, die ohne Mondprogramm wegfielen. Also alle Starts des Jahres 1972 hätten 16 Space-Shuttle-Starts abwickeln können.
Erst als ich über das Space Shuttle als Beispiel für Wiederverwendung nachdachte, wurde mir es klar: 50 bis 60 Starts pro Jahr bedeuten, dass man alle zwei Jahre einen neuen Orbiter fertigen muss. Denn der ist für 100 Starts ausgelegt. Die Endeavour als Nachbau benötigte denn auch zweieinhalb Jahre von der Auftragserteilung bis zur Fertigstellung. Das ist also das Aufrechterhalten einer Produktionslinie.
Die Triebwerke sind ein weiterer Faktor. Jedes Shuttle verfügt über drei Haupttriebwerke, die bis zu 55-mal wiederverwendet werden können. Bei einer Startfrequenz von 55 Mal pro Jahr bedeutet das, dass nur drei neue Triebwerke pro Jahr produziert werden müssen, was eine geringe Auslastung der Produktionslinie erfordert. Der Vorteil eines laufenden bemannten Programms ist, dass die Experten auf diesem Gebiet weiterhin beschäftigt bleiben. Als die Zahl der Starts nach dem Challenger-Unglück stark reduziert wurde, zahlte die NASA den Firmen für Wartungsverträge, um jederzeit Zugriff auf Ersatzteile oder Fachwissen zu haben. Am Ende des Programms waren etwa 60 Prozent der jährlichen Kosten von 3,5 bis 4 Milliarden Dollar dafür aufgewendet worden, dass Firmen Personal und Maschinen unterhielten, um Teile herzustellen, die in den Siebzigerjahren entworfen worden waren.
Damit schließe ich diesen ersten Teil des Blogs ab. Morgen werde ich einige bereits ausgearbeitete Konzepte für die Wiederverwendung vorstellen und erklären, warum sich mit den Konstellationen einiges ändert, aber auch warum die Wiederverwendung in Europa aufgrund anderer Rahmenbedingungen problematisch ist.
Ich weiß euch juckt es schon jetzt Kommentare abzugeben, aber wartet bitte damit bis morgen, denn dann kommt der eigentlich wichtige Teil, aber der Beitrag wäre sonst einfach viel zu lang geworden und an dieser Stelle kann man einen guten Bruch machen.
Starship ist eigentlich mehr ein Zwischending zwischen zusammenbaue am Startplatz und Vertikale Integration.
Die größte Teil des Baus/Integration erfolgt ja in den „High Bays“. Danach wird mit Transportfahrzeug zum Startplatz gefahren. Und mit dem im Startturm integrierten Kran der Booster auf den Starttisch gesetzt und dann das Starship auf den Booster. Der Startplatz ist also nur relativ kurz blockiert ohne das man die ganze Rakete an einem Stück Transportieren muß.