Wiederverwendung in der Zwickmühle
Am Beispiel der Ariane 5 möchte ich heute mal zeigen wo das grundsätzliche Problem der Wiederverwendung liegt. Dabei will ich mich bewusst nur auf die erste Stufe konzentrieren. Zuerst einmal, warum nur die unterste Stufe? Es gibt mehrere Gründe dafür, technische und finanzielle. Fangen wir mit den Finanziellen an. Bei gleicher Technologie in den Stufen werden diese um so preiswerter, je kleiner sie werden. Der Zusammenhang ist zwar nicht linear, aber in der Regel ist die Oberstufe preiswerter als die Grundstufe (und bei drei Stufen gilt das gleiche). Die Ersparnis wird also immer kleiner.
Technisch ist die Sache sogar noch eindeutiger. Die Nutzlast nimmt bei Wiederverwendung stark ab. Gerät die Stufe in einen Orbit, so benötigt sie Treibstoff um sich selbst zu deorbitieren. Vor allem steigt die thermische Beanspruchung stark ab. Die Stufe benötigt einen Hitzeschutzschild, der bei den großen Tanks für Wasserstoff recht schwer wird und die Nutzlast dann stark reduziert (jedes Kilo das die Stufe mehr wiegt, reduziert die Nutzlast im gleichen Maße).
Bei der ersten Stufe ist die Sache viel einfacher: Sie nimmt den größten Teil der Rakete ein, also bei gleicher Technologie auch den größten Teil der Produktionskosten und die Abtrennung erfolgt bei niedriger Geschwindigkeit, woraus eine niedrige thermische Belastung resultiert. So ist kein oder nur ein geringer Thermalschutz notwendig ist. Ein erhöhtes Trockengewicht schlägt nur gering auf die Nutzlast durch (Typischerweise sinkt diese um 1 kg bei 10-15 kg höherer Trockenmasse).
Ich will nun mal ein konkretes Beispiel nehmen: Die Ariane 5. Die erste Stufe sind zwei Feststoffbooster. Sie ist ein gutes Beispiel für eine schon bei der Entwicklung auf Kosten optimierte Rakete, anders als die früher üblichen aufgemotzten militärischen Typen. Die Feststoffbooster haben mehrere Funktionen. Zuerst einmal sind sie die erste Stufe. Um den GTO Orbit zu erreichen, benötigte Ariane 5 bei der ursprünglichen Konzeption mit der EPS Oberstufe drei Stufen (mit zwei kryogenen Stufen, wie sie heute eingesetzt werden, würden auch zwei Stufen reichen). Der Hauptzweck der Feststoffboostern ist aber das sie Kosten bei der Zentralstufe sparen. Nehmen wir an, es gäbe eine Ariane 5 ohne Booster. Sie würde dann rund 220 t wiegen. Damit sie Abheben könnte benötigt sie drei Vulcain 2 Triebwerke, die am Boden einen Schub von 288 t entwickeln. Da die Feststoffbooster den Schub entwickeln, der für den Start notwendig ist und die Rakete bis zur Abtrennung Treibstoff verbraucht, ist sie bei der Abtrennung leichter und es reicht so ein Triebwerk. Da schon das Vorgängermodell Vulcain 1 in der Fertigung 15 Millionen Euro kostet, bedeutet dies eine Kosteneinsparung von 30 Millionen Euro.
Dabei sind die Booster selbst sehr preiswert. Daher bilden sie auch die erste Stufe: Viel Startmasse – geringe Kosten, Kennzeichen eines auf Kosten optimierten Konzeptes. Die ESA untersuchte eine Bergung und verwarf die Idee, da die Kosten für Bergung, Inspektion und Wiederaufarbeitung die Produktionskosten überschreiten. Es gibt leider keine konkreten Zahlen. Doch MT Aerospace, welche die Boosterhülsen fertigt und dazu noch die Tankdeckel und einige andere Teile hat einen Anteil an 10,5 % des Produktionsvolumens. Dazu kommen dann noch die Kosten für die Düsen, die Integration und Befüllung. So machen die Booster vielleicht 20-25 % der Gesamtkosten der Ariane 5 aus. (Persönliche Schätzung des Autors).
Ein Vorschlag für ein Ariane 5 Upgrade, ist das von der DLR ausgearbeitete Konzept der Liquid Flyback Booster. Das sind vereinfacht Booster auf Basis der Zentralstufe, mit jeweils drei Vulcain Triebwerken, Flügeln und einem Turbofanantrieb um zum Startplatz zurückzukehren. Die Abtrennungsmasse ist dreimal höher als bei den EPC, bedingt durch das Konzept zum Startplatz zurückzukehren, anstatt einfach nur zu wassern (was nur Fallschirme und Schwimmkissen / Airbags benötigt). So werden Flügel, ein Antrieb und Treibstoff für diesen benötigt. Bei einer fast gleichen Startmasse wie die Ariane 5 in der heutigen Form ist so die Trockenmasse jedes Boosters höher als bei den EAP und der Nutzlastgewinn ist gering und liegt nur bei etwa 1,5-2 t.
Wie schlägt dies nun auf die Startkosten durch? Die Booster kosten maximal 25 % der Rakete. Damit müssen nun zwei flüssige Stufen mit sechs Vulcain Triebwerken konkurrieren. Alleine diese haben einen Wert von 90 Millionen Euro, also doppelt so viel wie heute die Booster insgesamt kosten. Dazu kommen noch die Fertigungskosten für die Stufen selbst, die Flügel und der Antrieb. Diese Summe muss durch die Anzahl der Flüge geteilt werden. Dazu kommen weitere Aufwendungen für eine Inspektion, Ersatz nur einmal nutzbarer Systeme, Reperaturen etc. Die DLR rechnet mit sieben Einsätzen pro Boostern.
Es ist natürlich schwer abzuschätzen wie viel billiger dies werden wird. Meine Einschätzung: Nicht viel, vielleicht auch gar nicht, dann bleibt immerhin der Nutzen durch eine Nutzlast von 13 anstatt 11,5 t. Die Kostenfrage ist sicherlich das Problem eines wiederverwendbaren Systems. Beim Space Shuttle war offensichtlich, das die Kalkulation viel zu optimistisch war. Daraus hat man gelernt, aber es gibt trotzdem noch keine Erfahrungen wie teuer ein wiederverwendbares unbemanntes Gefährt wird, einfach weil außer dem Shuttle (bemannt!) keines entwickelt wurde, während es Dutzende von entwickelten Trägerraketen gibt.
In Europa wurden immerhin einige Studien in Angriff genommen wie Hopper. Ein wiederverwendbares Gefährt würde bei den meisten Studien die Transportkosten halbieren, dafür aber doppelt so hohe Entwicklungskosten erfordern. Übertragen wir dies auf Ariane 5: Das bedeutet Entwicklungskosten von 16 anstatt 8 Milliarden Euro und Flugkosten von 70 anstatt 130 Millionen Euro. Würde die ESA alle Raketen selbst nutzen, so wäre der Break-Even Point also nach 130 Trägern erreicht, bei 6 Starts pro Jahr also erst nach über 20 Jahren.
Das zeigt die grundsätzliche Problematik: Wenn Kosteneinsparungen entstehen dann amortisieren sie sich erst nach langer Zeit. Gerade Ariane 5 mit ihren höheren Entwicklungs- und Produktionskosten als geplant, zeigt dass schon eine konventionelle Rakete nicht die Erwartungen erfüllen kann. Bei einer Neuentwicklung ist es noch größer. Für die ESA kommt noch hinzu, dass sie die Entwicklungskosten zahlen muss, von den niedrigeren Startkosten aber vor allem kommerzielle Kunden profitieren. Die ESA führt nur etwa einen Start alle zwei Jahre selbst durch. Bei den USA würde sich ein solches System eher lohnen, da die NASA und Air Force zusammen etwa 10 Starts pro Jahr für eigene Satelliten zusammen bekommen.
Trotzdem halte ich das LFBB Konzept für einen sehr guten Ansatz. Zum einen: Es ist kein neuer Träger, es ist ein Ersatz für ein System eines bestehenden Trägers bei dem viele schon entwickelte Komponenten erneut verwendet werden wie die EPC Tanks und Triebwerke (auch wenn die Studie von einem wiederstartbaren Vulcain 3 ausgeht). Die Entwicklungskosten sind dadurch überschaubar. Selbst wenn nun die Startkosten nicht geringer sind, so gibt es zumindest praktische Erfahrungen mit einem wiederverwendbaren System. Es gibt offensichtliche Synergien mit der Ariane 5 Produktion (mehr benötigte Triebwerke und EPC Stufen – höhere Produktionszahlen und dadurch geringere Stückkosten. Vor allem ist durch den geringeren Schub der Triebwerke auch eine Abwandelung denkbar – eine drei Booster Variante, die dann eine größere Nutzlaststeigerung bei nur geringfügig höheren Startkosten offeriert.
Man sollte es einmal probieren, anstatt an eine Ariane 6 zu denken…..
Ich finde das LFBB Konzept auch gut. Es hat sicher einige politische Rahmendaten, die zu dieser Lösung führten, und dann auch die hohen Kosten bedingen.
Die einzelnen Kritikpunkte sind:
1. Basieren auf noch zu entwickelndem Vulcain 3 Triebwerk => weder die Entwicklungskosten noch die tatsächlichen Produktionskosten sind überschaubar
2. LOX/LH
Bedingt sehr voluminöse Konstruktion (hohes Leergewicht) bei mäßigem Schub. Notwendige Erprobung des Turbotriebwerkes für Wasserstoffbetrieb.
3. Fehlende Rahmendaten für Transport
Bei den bisher geplanten Flugzahlen sind wiederverwendbare Lösungen nur schwer kostendeckend zu gestalten.
Vorschlag eines LFBB auf Basis eines LOX/Kerosin Triebwerkes mit Schub vergleichbar dem der Feststoffbooster.
=> Tankvolumen u. damit Leergewicht sind Faktor 4 kleiner gegenüber LOX/LH und damit werden auch nur geringere Anforderungen an Flügelspannweite und Fahrwerk gestellt. Vorhandene Turbotriebwerke können 1:1 übernommen werden.
1. Triebwerk mit Schub vergleichbar zu den vorhandenen Feststoffboostern => vergleichbar geringe Gravitationsverluste.
2. Ein Triebwerk/Booster ist zuverlässiger und billiger als 3, sowohl in Produktion als auch in Wartung
3. Triebwerk sei im Schub zu drosseln
=> geringere Belastung der Gesamtkonstruktion und der Nutzlast (z.B. Vibrationen) bei verlängerter Brenndauer.
wenn politische Argumente wegfallen, und es nur um Kosten per Raumflug geht, könnten über Lizenzproduktion bzw. Kauf fertiger Triebwerke Entwicklungskosten gespart werden, und die Triebwerke durch Serienproduktion billiger werden. Dasselbe Verfahren findet bei Flugzeugen statt, die auch wahlweise mit Triebwerken von GE oder R&R oder P&W ausgestattet werden. Dabei bleibt das Geld wegen der Lizenzfertigung oder Wartung im Lande.
Ich bin wie der Autor der Meinung, diesen Weg einzuschlagen sei sinnvoller, als über eine Ariane 6 nachzudenken.
1: Es ist leider eine übliche Raumfahrtkrankheit alles neu entwickeln zu wollen. Das Vulcain 1 war qualifiziert für 1000 s Betrieb und lief in der Erprobung bis zu 6.000 s. Ein Hrund für eine Neuentwicklung ist das bei Vulcain der Schub für den Vakuumbetrieb angepasst ist. Aber auch ich sehe hier keine technologische Notwendigkeit – vier vulcain 2 würden auch reichen
2: Die Tanks liefern auch Auftrieb und machen nur ein drittel der Abtrennmasse aus, LOX/Kerosin bringt also nicht so viel, zumal dies bei der ersten Stufe nicht kritisch ist.
3: Gilt für alle wiederwendbare Lösungen, auch bei anderen Treibstoffen
Im Vergleich dazu läuft der Vorschlag auf die Entwicklung eines neuen Triebwerks hinaus, das (bei gleichem Schub wie die EAP) sechsmal schubstärker als ein Vulcain 1. Klingt für mich sehr teuer.
Mehr Triebwerke wirken sich nicht so auf die Produktionskosten aus, da jedes ja mehrmals verwendet wird. Im Effekt wird nur ein neues Triebwerk pro Flug benötigt wenn siebenmal wieder verwendet wird.
Bei Erststufen drosselt man nicht Triebwerke, außer sie arbeiten sehr lange (SSME, RD-180) um die Beschleunigung zu reduzieren. Je höher er Schub und desto geringer die Brennzeit um so besser.