Am deutschen Raketenwesen kann die Welt genesen – UdSSR
So heute geht es weiter mit dem Einfluss der Peenemünder auf die Raketenentwicklung. Der Beitrag schließt an den ersten Teil von gestern an.
Schon vor dem Ende des zweiten Weltkriegs suchten die USA und UdSSR nach den Entwicklern der A-4. Das Entwicklungszentrum in Peenemünde, das Versuchsgelände Kummersdorf bei Berlin und die Serienfertigung der A-4 im KZ Mittelbau Dora bei Nordhausen lagen alle in der sowjetischen Besatzungszone, sodass die UdSSR eigentlich im Vorteil war. Jedoch beschloss Wernher von Braun, dass er sich den Amerikanern anschloss und mit ihm gingen etliche der Führungskräfte der US-Army entgegen und trafen die Spezialisten, die nach ihnen suchten schließlich in Bayern. Doch nicht alle waren zu diesem Schritt bereit. Der ranghöchste Vertreter dieser Gruppe war Helmut Gröttrup (1916-1981). Gröttrup war nicht bereit seine Familie zu verlassen. Er blieb daher in Deutschland, das galt auch für andere Spezialisten. Wie sich später zeigte dürften die Raketenwissenschaftler die die USA im Rahmen der „Operation Paperclip“ zuerst in Deutschland, dann in Fort Bliss in den USA Internierten, bald ihre Familien nachholen, doch das war bei Kriegsende nicht abzusehen. Gröttrup ging davon aus, da alle Fertigungs- und Erprobungsanlagen in Deutschland lagen, das er weiter in Deutschland arbeiten dürfte, was zuerst auch so war.
Da die US-Army Thüringen vor der Roten Armee erobert hatte, war sie bis zum 1.7.1945 Besatzungsmacht. Sie nutzte diese Zeit und transportierte etwa 100 schon fertiggestellte A-4 in 341 Güterwagen nach Westen und dann in die USA. Ebenso hatte Wernher von Braun das Versteck der wichtigsten Konstruktionsunterlagen verraten, die in zwei Lastwagen in einen verlassenen Bergbaustollen in Thüringen deponiert waren. Als die Rote Armee am 1.7.1945 im Mittelbau Dora einmarschierte waren noch Bauteile für etwa 40 A-4 vorhanden, die nun zusammengebaut wurden. Gröttrup konnte rund 4.000 Mitarbeiter rekrutieren, welche die Konstruktionszeichnungen auf Basis der vorhandenen Bauteile neu erstellten. Im Juli 1946 versuchten der amerikanische und britische Geheimdienst Gröttrup anzuwerben, was aber vom russischen Geheimdienst NKWD aufgedeckt wurde. Schon am 13.5.1946 beschloss Russland die deutschen Spezialisten in die Sowjetunion zu überführen, diese Operation wurde nun beschleunigt und in einer Nacht- und Nebelaktion wurden am 22.10.1946 insgesamt 160 Ingenieure mit ihren Familien in die Sowjetunion verschleppt. Es folgten später weitere. Russland hatte mit Helmut Gröttrup, dem Spezialisten für Aerodynamik, Werner Albring, dem Ingenieur für Steuerungs- und Messtechnik Heinrich Wilhelmi und dem Experten für Kreiselsysteme Kurt Magnus vor allem die Personen, die bei der A-4 für die Steuer- und Regelungstechnik verantwortlich waren, während die USA die Experten für die Konstruktion und Triebwerksentwicklung zur Mitarbeit gewinnen konnten. Die USA hatten sicherlich mehr vom Spitzenpersonal gewonnen, dies glich die Sowjetunion durch Masse aus. In weitere Transporten dürften die 160 zuerst deportieren nicht nur ihren Hausstand nach Russland transferieren, sondern es wurden nach und nach immer mehr Personen verschleppt, genaue Zahlen gibt es nicht, aber es wird von bis zu 3.500 Personen gesprochen, diese hohe Zahl beinhaltet wahrscheinlich aber auch alle Familienangehörige.
Die folgenden Entwicklungen unterscheiden sich dann nicht in West und Ost: Beide Siegermächte starteten zuerst die erbeuteten A-4 um sich mit der Rakete vertraut zu machen. Zwei Starts fanden sogar noch gemeinsam von Cuxhaven aus statt. Russland nannte die Rakete R-1. Das Kürzel „R“ steht für „Raketa“ also Rakete. Damit sind militärisch genutzte Raketen gemeint. Koroljow wollte mit der N-1 (N für Nositjel = Träger) eine zivile Linie etablieren, doch mit seinem Tod blieb es bei diesem Versuch.
Auf die R-1, die nachgebaute A-4, folgte die R-2. Die R-2 ähnelte selbst im Aussehen der R-1, war aber rund 50 Prozent schwerer. Dies wurde durch eine Verlängerung des Rumpfes um 3 m erreicht. Durch die Erhöhung des Brennkammerdrucks des A-4 Triebwerks und des Einsatzes von reinem Alkohol, anstatt dem 80 prozentigen Alkohol in der A-4 konnte das Zusatzgewicht auch gestemmt werden. Die Expertise der Deutschen für Steuerungstechnik zeigte sich vor allem in einer viel genaueren Steuerung der R-2 mit der die Rakete als Atomwaffenträger erst sinnvoll war, denn die A-4 hatten eine Streuung von mehreren Kilometern, das war auch für eine Atombombe zu viel. Weitere Verbesserungen waren der Verzicht auf einen Container und selbsttragende Tanks welche die Rumpfmasse reduzierte. Die A-4 war relativ einfach zu verbessern, weil sie sehr massiv gebaut war, schließlich sollte die ganze Rakete den Wiedereintritt bei sechsfacher Schallgeschwindigkeit überleben. Ging man von Tanks in einer tragenden Struktur auf selbsttragende Tanks über, so konnte das Gewicht deutlich gesenkt werden, wurde der Sprengkopf vorher abgetrennt wie bei der Redstone so war noch mehr Gewicht einzusparen.
Von 1949 bis 1951 fanden Teststarts der R-2 statt. Die Sowjetunion stationiere sie 1951 und behielt sich bis 1962 im Arsenal, als sie eigentlich längst veraltet war. In den USA wurde als Gegenstück – ebenfalls eine verbesserte A-4 die Redstone entwickelt, ebenfalls unter deutscher Leitung, Sei flog aber wesentlich später, erst 1953 zum ersten Mal.
Die R-2 ist noch von anderer Bedeutung. Von 1957 baute China die Rakete in Lizenz unter der Bezeichnung Ding Feng 1 (DF-1) nach, zusammen mit den Erkenntnissen, die der Vater der chinesischen Raketentechnik Qian Xuesen gewann, erlaubte dies die Konstruktion eigener Raketen durch China. Qian Xuesen studierte in den USA, verhörte als Mitglied der Organisation „Paper Clip“ Wernher von Braun und war im frühen amerikanischen Weltraumprogramm involviert, wurde aber des Kommunismus beschuldigt und verhaftet und dann im Austausch gegen Kriegsgefangene nach China abgeschoben.
Weiterhin wurde eine angepasste Version der R-2, die R-2A oder R-2W als Höhenforschungsrakete von Russland genutzt. Sie konnte über 200 km Höhe erreichen und mit ihr wurden Hunde gestartet, die erproben sollten ob ein Start für einen Menschen gefährlich sein kann, damit spielte sie auch eine Rolle im Wostok-Raumfahrtprogramm
Über die Bedeutung der Deutschen im weiteren Programm gibt es unterschiedliche Versionen. Die russische Verlautbarung, prominent von Koroljow vorgetragen war, dass man das Wissen der Deutschen abschöpfte und sie dann „zurück nach Hause schickte“. Zumindest dieses Datum der Rücksendung ist klar. Ab Juni 1952 kehrten die ersten Familien wieder nach Deutschland zurück, Helmut Gröttrup war der letzte am 22. November 1953. Er floh danach über Berlin in den Westen, wurde verhört und warnte vor der russischen Raupenentwicklung. Das die Deutschen aber wenig taten stimmt nicht, den Gröttrup hatte ein eigenes Designbüro mit 214 Mitarbeitern das fünf Entwürfe für Raketen konstruierte:
Rakete | Russisch | Reichweite | Masse | Bemerkung |
G-1 | R-4 | 600 km | 18,4 t | Verbesserte A-4 |
G-2 | R-6 | 2.500 km | 50 t | Zweistufig, vier A-4 Triebwerke als erste, eines als zweite Stufe |
G-3 | R-8, R-13 | 3.000 km | 25 t | Verbesserte A-4 mit einer überschallschnellen Cruise Missle Nutzlast |
G-4 | R-10,R-14 | 3.000 km | 66,6 t | Einstufige Rakete mit neu entwickeltem 1.000 kN Triebwerk |
G-5 | R-15 | 8.000 km | 170 t | Entwurf einer Bündelrakete, von Koroljow als R-7 kopiert. |
Heute weiß man, das Russland auf die deutschen Experten angewiesen war. Sie griffen sogar auf deren Entwürfe zurück, so ist die R-7 eine sehr genaue Kopie des Entwurfs der Großrakete 5 (G-5) von Gröttrup aus dem Jahre 1949. die Deutschen bekamen aber nie wie ihre Pendants in den USA Leitungsfunktionen, sondern wurden mit Teilaufgaben beauftragt, vor allem dem Bereich wo sie die meisten Experten hatten – der Steuerung und Regelung. Wann immer es Probleme bei der Entwicklung gab wurden sie hinzugezogen. Den Einfluss der „Beutedeutschen“ sieht man auch an der danach einsetzenden langsamen Entwicklung, vor allem in der Steuerungstechnik. Noch zur Jahrtausendwende arbeiteten russische Raketen mit analogen Steuerungen wie sie in den Fünfziger Jahren üblich waren. Gegen die geringe Bedeutung spricht auch die enorm hohe Zahl an Deutschen die für die Sowjetunion arbeiteten. Waren von den USA knapp über 100 Experten rekrutiert worden, so umfasste die deutsche Siedlung auf der Insel Gorodomlja (heute Siedlung Solnetschny) im Seligersee, ca. 380 km nordwestlich von Moskau, mehrere Tausend Personen.
Was Russland einen Vorsprung bescherte, war dass die USA nach Kriegsende zwar die A-4 studierten, aber keinen Nachfolger planten. Dies änderte sich erst als 1949/50 die Sowjetunion ihre erste Atombombe zündete, China kommunistisch wurde und der Koreakrieg ausbrach. Nun sahen sich die USA bedroht und begann die Raketenentwicklung. Sie hatten einige Jahre ungenutzt verstreichen lassen.
Die erste eigene Entwicklung war die R-5 von Jangel. Danach wurden die Deutschen nur noch bei Detailproblemen hinzugezogen und nach Hause geschickt.
Schon von Anfang an gab es eine Rivalität zwischen Gröttrup und Koroljow, bzw. den deutschen Raketenforschern und den Ingenieuren des OKB-456. Beide machten Vorschläge für A-4 Nachfolger. Im April 1947 bekam Koroljows OKB-456 den ersten Auftrag für eine in der Reichweite gesteigerte A-4. Die Rakete sollte 600 km Reichweite haben. Dann besann sich die Führung auf die deutschen Raketenforscher. Am 22.5.1947 bekam Gröttrup und sein Designbüro mit 234 Angestellten ebenfalls den Auftrag einen A-4 Nachfolger mit 600 km Reichweite zu entwickeln. 1948 lagen beide Entwürfe vor und der deutsche G-1 Entwurf (von Russland dann R-4 getauft) war der bessere:
Parameter | Koroljow R-2 | Gröttrup G-1 / R-4 |
Nutzlast für 3.000 km Distanz | 508 kg | 1.000 kg |
Startmasse: | 19.632 kg | 18.400 kg |
Leermasse: | 4.523 kg | 1.870 kg |
Startschub: | 364,9 kN | 313 kN |
Zielgenauigkeit: | 8 x 4 km | 3 x 2 km |
Doch dazu durchzuringen, den deutschen Entwurf umzusetzen, konnte sich die Kommission nicht. Die R-2 wurde nach Koroljows Entwurf entwickelt, war aber nicht die Lösung, die gesucht wurde. Ihre Nutzlast war zu erging, die Treffgenauigkeit schlecht. So holte die Führung noch während die Entwicklung der R-2 lief, die Entwürfe für eine Rakete mit 2.500 bis 3.000 km Distanz ein. Erneut dürfte Koroljow zuerst ran. Er bekam zeitgleich zur R-2 im April 1947 den Auftrag, erst 1948 folgte Gröttrup. Die Vorschläge lagen 1949 vor und erneut war Koroljow unterlegen:
Parameter | Koroljow R-3 | Gröttrup G-4/R-6 |
Nutzlast für 3.000 km Distanz | 3.000 kg | 3.400 kg |
Startmasse: | 71.000 kg | 70.000 kg |
Leermasse: | 8.480 kg | 7.100 kg |
Endgeschwindigkeit: | 4.700 m/s | 4.500 m/s |
Spezifischer Impuls Vakuum: | 2.825 m/s | 2.442 m/s |
Spezifischer Impuls Meereshöhe | 2.354 m/s | 2.295 m/s |
Koroljow hatte eine einstufige Rakete entwickelt, mit der neuen Treibstoffkombination Flüssiger Sauerstoff/Kerosin, welche eine höhere Energieausbeute als de bisher verwendet Alkohol liefert. Gröttrup dagegen eine zweistufige Rakete, in der Antriebstechnologie mehr auf der A-4 basierend, dafür konnte er die Leermasse bedeutend senken und erreichte so die Anforderungen.
Diesmal konnte sich die Kommission nicht durchringen, Koroljow die Rakete bauen zu lassen, aber einen Deutschen wollte man sie auch nicht bauen lassen. Man beschloss die Technologien beider Ansätze weiter zu verfolgen. Die R-3 und R-6 blieben Studien.
Koroljow hatte hinzugelernt. Hatten russische Ingenieure bisher schon viel Erfahrungswissen von den Deutschen abgeschöpft, so war es doch eine andere Sache eine Rakete nachzubauen, als ihre Funktion zu verstehen oder eine selbst zu konstruieren. Als Koroljow nun den Auftrag bekam, die R-7 zu bauen, erinnerte er sich an einen weiteren Plan von Gröttrup, den für die G-5. Gröttrup hatte 1950 schon eine Rakete konstruiert die 3.000 kg über interkontinentale Distanzen bringen konnte, dabei aber nur Triebwerke der Schubklasse der A-4 (rund 300 kN Schub) benötigte. Dies erreichte er durch das Clustern von Triebwerken. In vier kegelförmigen Außenblöcken gab es je ein Triebwerk, in der Zentralstufe weitere zwei Triebwerke.
Koroljow kopierte den Entwurf, wandelte ihn aber ab. Anstatt vier Triebwerke sah er ein Triebwerk mit vier Hauptbrennkammern und zwei bzw. vier Nebenbrennkammern an einer gemeinsamen Turbopumpe vor. Turbopumpen waren zu dem Zeitpunkt schon ausgereift, sie basierten auf Kreiselpumpen, welche die Feuerwehr in Deutschland seit den Dreißiger Jahren einsetzte, dagegen waren Brennkammern noch schwer, das Kühlkonzept wurde seit dem zweiten Weltkrieg laufend verbessert. So war es sinnvoll, die Brennkammer nicht größer als die der A-4 zu machen, dafür leichter. Die zusätzlichen Steuertriebwerke wurden benötigt weil die Triebwerke, anders als in Gröttrups Konzept von 1950, nicht schwenkbar waren. Eine Leistungssteigerung war durch den Übergang von Alkohol auf Kerosin möglich. Viele andere Designprinzipien der A-4 wurden dagegen beibehalten, so der separate Gasgenerator, der Kaliumpermanganat mit Wasserstoffperoxid umsetzte, um Heißdampf zu gewinnen. Anders als bei der R-2 stammte diesmal aber nur der Plan von den Deutschen, die Rakete selbst wurde nun komplett von Russland entwickelt.
Die R-7 war die letzte russische Rakete an deren Entwicklung Deutsche beteiligt waren, aber sie wurde auch zu der weltweit am häufigsten eingesetzten Rakete.
Im nächsten Teil geht es dann um den Einfluss der „Beutedeutschen“ auf die Raumfahrtprogramme Englands, Frankreichs, Chinas, Indiens, Nordkoreas und des Iran.
„Er floh danach über Berlin in den Westen, wurde verhört und warnte vor der russischen Raupenentwicklung.“ Ahh kommen da die Rakentewürmer aus „Tremors – Im Land der Raketenwürmer“? 😉
Es ist doch schön zu sehen wenn Leser außer Rechtschreibfehlern nichts beizutragen haben. Denn dann muss der Blog ja sonst richtig sein und ein Thema abschließend behandeln.
Aber Du mußt zugeben dass der Film wirklich nett (und amüsant) ist! 🙂
Ach das war ein Film? Kenn ich nicht.
Dabei ist das mindestens ein alternativer Klassiker.