Die Wasserfallrakete – Teil 1
Ich habe gerade begonnen etwas über die erste U-Boot gestützte Rakete der UdSSR zu recherchieren und diese basiert auf der R-11FM „Scud A“. Diese ist wiederum aus der deutschen Wasserfall-Rakete entwickelt worden. Daher stieß ich auf die Wasserfall und habe mich etwas mit ihr beschäftigt. Der Artikel ist dann doch etwas länger geworden und wandert auch noch auf die Website, hier im Blog gibt es ihn in drei Teilen. Morgen also der zweite Teil mit dem Rest zur Wasserfall und dann übermorgen noch einen Teil 3 der sich mit einem hypothetischen Einsatz beschäftigt.
Die „Wasserfall“ ist eines dieser typischen Projekte des Dritten Reichs – nebenbei, eine Bezeichnung die nach 1939 nicht mehr offiziell verwendet wurde – in der Endphase des Krieges. Man zersplitterte die Ressourcen auf viele Entwicklungen, anstatt einige wenige vielversprechende zur Serienreife zu bekommen. Die Entwicklung der Wasserfall wurde denn auch später zugunsten der V-2 eingestellt, weil dieser weiter in der Entwicklung war, obwohl sicher die Wasserfall kriegswichtiger war.
Die Wasserfall entstand nach der V-2, relativ spät als Antwort auf die Bombardierung Deutschlands durch alliierte Bomberflotten. Sie war eines von verschiedenen Projekten von Luftabwehrraketen. Daneben wurde noch die Taifun als ungelenkte Rakete und die Enzian als radargelenkte Rakete entwickelt. Alle drei Projekte kamen nie zur Serienreife.
Die Grundform des Rumpfes war Anfang 1943 ausgearbeitet und entsprach im Wesentlichen der Form der größeren Rakete A-4 (V-2). Dr. Thiel, der den Raketenmotor der A-4 entwickelt hatte, entwarf auch den Antrieb der Wasserfall, und frühe Testmodelle davon waren im März 1943 einsatzbereit, eine weiterentwickelte Version wurde später im Juli 1943 getestet. Unglücklicherweise für das Programm kam Dr. Thiel während der britischen Bombardierung von Peenemünde am 12. August 1943 ums Leben. Innerhalb von Peenemünde war die Wasserfall ein eigenes Projekt, sie wurde nicht zusammen mit der A4 entwickelt. Sie entstand in Peenemünde-West wo auch die V-1 entwickelt wurde. Die A-4 wurde in Peenemünde-Ost entwickelt.
Es gibt drei Versionen genannt Wasserfall W-1, W-5 und W-10. Da insgesamt nur 25 Starts erfolgten ist es wahrscheinlich, dass die Zahlen für die Seriennummern der ersten Raketen der Version stehen. Die W-1 hatte je vier aerodynamische Flossen am Heck und vier breite Tragflächen, da man meinte, man benötige sie für die Steuerung, wenn der Raketenmotor abgeschaltet ist. Flossen am Heck und Flügel waren um 45 Grad versetzt, sodass sie von oben acht Flügel/Fins hatte. Versuche im Windkanal ergaben, dass der Versatz nicht nötig war und die Fläche kleiner sein konnte, so hatte das nächste Modell W-5 verkleinerte Flossen und verkleinerte und stärker gepfeilte Flügel, die nun auch direkt über den unteren Finnen im 90 Grad Winkel zueinander angeordnet waren. Das letzte Modell W-10 ähnelte dem W-5 in den relativen Abmessungen, war aber um 27 Prozent kleiner. Hier eine Übersicht der Daten nach einer Quelle. Ich habe sie etwas ergänzt, halte aber nur die Daten über Abmessungen für vetrauenswürdig.
Version | Länge | Spannweite | Durchmesser | Gewicht | Spitzengeschwindigkeit | Gipfelhöhe | Reichweite | Ausströmgeschwindigkeit | Schub |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
W-1 | 7,45 m | 2,85 m | 0,87 m | 3.500 kg | 756 m/s | ||||
W-5 | 7,67 m | 1,94 m | 0,87 m | 3.810 kg | 760 m/s | 18,3 km | 26,4 km | 1.900 m/s | 78,5 kN |
W-10 | 6,13 m | 1,58 m | 0,72 m | 3.702 kg | 794 m/s | 1.756 m/s | 77,9 kN |
Die Wasserfall sollte anfangs unabhängig von einer externen Steuerung arbeiten, dazu wurde die Steuerungstechnologie der A-4 übernommen, aber andere Gerätschaften eingesetzt. Vor dem Start wurde der Endwinkel in die Steuerung einprogrammiert. Der Start erfolgte immer senkrecht. Die Rakete neigte sich dann nach einer senkrechten Aufstiegsphase programmgesteuert bis zum Endwinkel. Gestartet wurde sie, wenn sich die Bahnen der Rakete und die der Bomber überschnitten, dazu gab es damals schon analoge Rechenanlagen die dies vorausberechneten. Bei Erreichen der Bomber sollte eine Änderung des Magnetfelds durch die metallenen Flugzeuge den Sprengkropf zünden. Dies war eine Luftmine, die man auch von Abfangjägern damals abwarf. Sie zersplitterte in zahlreiche Schrapnelle, welche die umliegenden Flugzüge schwer beschädigen sollten. Das erwieß sich als relativ ineffizient, auch bei dem Einsatz von Flugzeugen aus. Die Zündung musste in der richtigen Höhe erfolgen und es zeigte sich das die gegnerischen Flugzeuge relativ viel aushielten. Frühzeitig wurde daher die Größe der Luftmine von 100 auf 306 kg erhöht. Doch das reichte nicht aus, um einen Abschuss wahrscheinlich zu machen.
So experimentierte man mit einer Steuerung vom Boden aus, wo ein Soldat mit einem Fernrohr die Rakete verfolgte und einer Art Steuerknüppel nachjustieren konnte. Die Rakete hatte Gyroskope an Bord, die sie ohne Aktion des Steuerknüppels in den drei Raumachsen stabil hielten, sie fing also nicht an sich zu drehen oder neigen. Mit dem Steuerknüppel konnte man, solange das Triebwerk lief, Strahlruder betätigen, die den Schub zur Seite ablenkten. Später setzte man dazu die Flossen an, die wie Luftruder funktionierten. Ein FuG-23 betrug die Signale zu der Rakete. Das funktionierte recht gut. 24 von 25 gestarteten Wasserfall hatten eine solche Steuerung.
Technik
Das Raketentriebwerk stammte von Walther, die schon die Raketentreibwerke für die ME-163 entwickelt hatten. Anders als bei diesen Triebwerken wurde aber ein neuer Treibstoff eingesetzt. Die Walther Triebwerke des Raktenjägers Me-163 basierten auf Wasserstoffperoxid als Oxidator und einer Mischung aus Hydrazinhydrat und Methanol als Treibstoff. Wasserstoffperoxid ist nicht lange lagerbar, es zersetzt sich, wobei es zu Verpuffungen kommen kann. Das Hydrazinhydrat griff Gummidichtungen an. Der Treibstoff sollte aber wochenlang in den Tanks verbleiben können, die Raketen sollten startbereit auf den Lafetten verbleiben.
Das Triebwerk hatte den vierfachen Schub des WK 109-509, das in der ME-163 eingesetzt wurde. Viel mehr gibt es sonst nicht über das Triebwerk an Informationen. Es ist ein druckgefördertes Triebwerk, das war neu, denn die bedien schon im Einsatz befindlichen Triebwerke der A-4 und Me-163 hatten einen eigenen Gasgenerator, der die Turbopumpe antrieb. Für den nötigen Tankdruck befand sich eine Druckgasflasche mit einem Anfangsdruck von 250 Atmosphären für die Tanks an Bord. Nicht zuletzt spricht das relativ hohe Leergewicht von etwa 50 Prozent des Startgewichts (A-4: nur etwa 25 Prozent) für recht schwere Tanks und das Zusatzgewicht der Druckgasflasche.
Druckgeförderte Triebwerke sind robuster als Triebwerke mit aktiver Förderung da ein komplexes System, der Gasgenerator entfällt. Mit knapp 80 kN Schub hatte es einen für diese Triebwerksklasse recht hohen Schub. Heute wechselt man ab 40 kN Schub zur Turbopumpenförderung. Anders als die A-4 setzte die Wasserfall erstmals eine Brennkammer mit einem Injektor ein, die A-4 hatte 18 Vorzerstäubungskammern, welche das Triebwerk schwer machten.
Der eigentliche Rumpf entspricht einer verkleinerten A-4. Er gibt der Rakete ein aerodynamisches , „schnittiges“ Aussehen. Da die Rakete in der unteren Atmosphäre Brennschluss hat, gibt es relativ große Seitenflächen zur Stabilisierung. Die Steuerung soll aus einem einfacheren Kursrechner bestanden haben, der auch für Torpedos eingesetzt wurde. Er kompensiert durch die Flügel eingehende Störkräfte. Die Stabilisierung erfolgte durch Gyroskope, die bei Störkräften ein Drehmoment abgaben, das elektrisch verstärkt an die Strahlruder bzw. Luftruder weitergegeben wurde. Der Bodenoperator konnte den Azimut und die Neigung zur Horizontalen durch Betätigung der Ruder im Gas der Brennkammer verändern. Bei hohen Geschwindigkeiten konnten auch aerodynamische Ruder in den unteren Finnen zum Einsatz kommen. Nach Brennschluss waren Sie die einzige Steuermöglichkeit. Allerdings hatte die Rakete Brennschluss erst nach etwa 12 bis 15 km Flugstrecke, sodass dies wahrscheinlich in der Praxis keine Rolle spielte
In das Startverfahren wurden mehrere Sicherheitsfunktionen integriert. Eine davon war, dass die Berstscheibe in der Oxidatiorleitung niedriger angebracht war, als die in der Kraftstoffleitung, um sicherzustellen, dass sich zunächst ein Überschuss an Oxidationsmittel in der Brennkammer befand, wodurch eine brennstoffreiche Explosion verhindert wurde. Ein weiteres Sicherheitsmerkmal war, dass im unter Druck stehenden Stickstofftank ein Sprengstartventil eingebaut war, das durch eine Explosion geschlossen wurde, um den Stickstoff in die Atmosphäre entweichen zu lassen, falls beim Zünden keine Verbrennung stattfand. Dann blieb der Treibstofffluss aus und die Verbrennung erlosch, bzw. bei Atmosphärendruck würde der Durchsatz auf ein 25-stel der normalen Menge zurückgehen.
Es gab auch den Vorschlag eines Radarkontrollsystems namens „Rheinland“ , das aus einem Radargerät, einem Peilgerät, einem Vergleichscomputer und einem Steuersender bestand. Das Radargerät sollte die Ziele verfolgen und dann einen Transponder an Bord der Wasserfallrakete anpeilen. Das Signal des Transponders würde dann vom Peilgerät empfangen und so Azimut und Höhe der Rakete festgelegt werden. Die Informationen würden dann in den analogen Vergleichscomputer eingespeist und dort mit den vom Radar erhaltenen Zielinformationen verglichen werden. An diesem Punkt wurden die notwendigen Korrekturen berechnet und dann an den Steuersender übermittelt, um die Rakete in den Radarstrahl zu bringen. Sobald sie im Strahl war, würde die Wasserfall-Rakete auf diesem zum Ziel gleiten. Diese Beschreibung, die ich übernommen habe, entspricht einer bodengebundenen Anlage, die die Bomber anpeilt. Der Regelkreis sorgt dafür das die Rakete in der Mitte dieses Strahls bleibt. Dieser Peilstrahl steuert sie in zwei Richtungen (Winkel zur Horizontalen und Vertikalen) zum Ziel.
Eine andere vorgeschlagene Methode bestand darin, zwei Radargeräte mit rotierenden Dipolen zu verwenden, die kegelförmige Abtastungen erzeugten, sodass die Rakete, falls sie vom Kurs abkam, ein moduliertes Signal erhielt, um sie wieder auf das Ziel zu bringen. Dieses Verfahren ähnelt dem bei der A-4 erprobten Funkleitverfahren, bei dem zwei Sender mit einem kleinen Versatz und unterschiedlicher Frequenz zwei Funkkegel aufspannen. In der Mitte beider Kegel ist die Signalstärke beider Sender gleich groß und auf diesen Punkt wird geregelt. Bei der A-4 gelang es bei Kriegsende nicht das Verfahren operativ zu bekommen, obwohl man lange an ihm experimentierte. Die Dämpfung der Signale durch die ionisierten Abgase des Antriebs und die hohe Geschwindigkeit der Rakete die eine schnelle Reaktion bei Abweichungen nötig machen, erwiesen sich als die beiden Hauptprobleme. Diese Radiolenkung war erst rund 10 Jahre nach Kriegsende in den USA soweit weiter entwickelt worden, das sie einsatzbereit war.
Man war der Ansicht, dass beide Radarsysteme wegen der Überschallgeschwindigkeit der Wasserfall-Rakete nicht ausreichen würden, um die Rakete zu steuern, wenn sie sich dem Ziel bis auf wenige Meilen näherte. Daher sollte gegen Ende des Fluges ein Annäherungs- oder Infrarot-Zielsuchsystem übernehmen.
Entwicklung
Das dritte Reich wusste trotz Propaganda, dass die vorhandene Luftverteidigung nicht ausreichte um deutsche Städte vor britischen und später auch US-Bomberverbänden zu schützen. So entwickelte man schon vor der Wasserfall bodengestützte Luftabwehrraketen. Die erste war die Henschel HS-117, deren Entwicklung schon 1941 begann. Man stellte das Programm jedoch wie die Wasserfall (und alle anderen Raketenprogramme außer der V-2) im Januar 1945 ein. Von 59 Startversuchen scheiterten 34. Es folgte die Rheintochter die in mehreren Versionen ab März 1942 entwickelt wurde. Deutlich größer als diese beiden Raketen, die rund 300 bis 500 kg wogen war die Konrad Enzian die zeitgleich mit der Wasserfall entwickelt wurde und die ein verkleinerter Me-163 Abfangjäger war. Sie hatte ihren Erstflug im August 1944 und wog 1,8 t.
Wir sehen eine Verlagerung der Entwicklung: HS-177 und Rheintochter waren feststoffgetriebene Raketen, die man nicht zur Serienreife brachte und die hohe Ausfallraten bei den Tests hatten. Daneben zeigte sich, dass diese Raketen wohl zu wenig Sprengstoff mitführen konnten und die Enzian und Wasserfall als Nachfolgemuster wogen 1,8 bzw. 3,6 t um einen wesentlich schwereren Sprengkopf zu transportieren. Parallel, aber noch später in der Entwicklung, untersuchte man leichte, ungelenkte Raketen mit der Taifun. Man sieht an der Vielzahl der Projekte das man sich der Bedrohung klar war, aber in der kurzen Zeit und dem Stand der Raketentechnik, deren wissenschaftliche Erforschung erst vor wenigen Jahren begonnen hatte, keine Lösung hatte, die vor Kriegsende einsatzbereit war. Die beiden vielversprechendsten Projekte waren die Taifun und Wasserfall. Die Taifun war ungelenkt, flüssigkeitsangetrieben, mit einer extrem hohen Beschleunigung, sodass sie in weniger als 10 Sekunden die Höhe erreichte, in der die Bomber flogen. Sie hatte aber einen Kontaktzünder, explodierte also nur bei einem direkten Treffer. Um die Trefferwahrscheinlichkeit zu erhöhen, sollten sie in Massen (48 Stück pro Lafette) gestartet werden. Meine Beurteilung, dass es die beiden besten Projekten – obwohl keines der Projekte je zum Einsatz kam – waren, orientiert sich an der Nachkriegsgeschichte: Die Siegermächte evaluierten die Technologie des dritten Reichs und bauten auf ihr auf bzw. Geräte sogar nach. Das geschah bei der Taifun aus der die US-Rakete Loki hervorgehen sollte, deren Weiterentwicklung schließlich die Oberstufen der Jupiter-C stellte, die den ersten US-Satelliten ins All brachte. Die Wasserfall wurde in noch mehr Versionen von vier Nationen nachgebaut.
Der erste Start einer Wasserfall fand am 28.2.1944 statt. Die Rakete erreichte nur eine Höhe von 7 km. Andere Quellen sprechen von einer Explosion auf dem Startgelände. Der zweite Start, der senkrecht erfolgte, erreichte eine Spitzengeschwindigkeit von 770 m/s. Bis zur Einstellung im Februar 1945 wurden 25 Raketen gestartet, davon 24 mit Radiolenkung. Es scheiterten 10 Starts, eine für die damalige Zeit durchaus typische Zahl. Gebaut wurden bis zum Februar 1945 insgesamt 40 Prototypen. Danach wurde das Projekt wie alle anderen Raketenentwicklungen zugunsten der A-4 (V-2) eingestellt.
Kleiner Tipp, deutsche Flugzeugnamen (zur zeit 3. Reich). Mit Leertaste statt Bindestrich ist die offizielle Schreibweise.
Bei Raketen scheint es so zu sein das man ohne Trennzeichen geschrieben hat.
Also A4, V2, Fi 103, Bf 109, Bf 110, Me 210…
Bei USA, Russland und UDSSRS hingegen bei Flugzeugnamen immer mit Bindestrich. Also P-51, F-16, MiG-29, Su-27, LaGG-3