Nachplappern und Nachschlagen

Ich habe mir heute als Thema vorgenommen welche neue Probleme ein Raumfahrtfan heute hat die er in den Zeiten vor dem Internet nicht hatte. Heute gibt es eine Vielzahl von Nachrichtenportalen, auch welche spezialisiert nur auf Weltraumforschung / Raumfahrt, dazu gibt es die Portale der Raumfahrtagenturen und auch die Seiten der Firmen. Als Sekundärquellen gibt es Blogs und Foren, die auch besucht werden. Das macht es schwierig Informationen zu bewerten und zu sieben. Früher war es in dieser Hinsicht viel einfacher: Die Nachrichten wurden von Agenturen verbreitet und Zeitungen entschieden, was wichtig war und was nicht. Natürlich war auch dieses System nicht optimal denn vieles wurde so gar nicht erst publiziert.

Nun gibt es mehr Freiheit, aber auch mehr Verantwortung. Es gilt die Spreu vom Weizen zu trennen. Das muss nun der Leser selbst tun, was in ihm Fachwissen voraussetzt. Das ist nicht leicht, vor allem weil nicht jeder Experte in allen Gebieten sein kann. Schlussendlich hat man es mit Profis zu tun, die bestrebt sind alles gut zu „Verkaufen“ um alles möglichst gut darzustellen. Liest man die Verlautbarungen der ESA, so krempelt Mars Express laufend unser Bild vom Mars um (die Mission rundet es ab, aber die wesentlichen Grundzüge wurden von Mariner 9 und Viking gelegt) oder die ESC-B ist eine ganz tolle Stufe, weil sie wiederzündbar ist.

Das ganze wird dann multipliziert durch Blogs, Nachrichtenagenturen und Foren und die Demokratie des Internets nimmt seinen Lauf: Es wird verbreitet und je mehr es schreiben, desto eher sind Leute bereit es zu glauben, einfach weil sie es mehrfach lesen. Ich will mal zeigen zu was für Blüten das führt.

So wird von der ESA immer betont, dass die ESC-B wiederzündbar ist. Das wird dann als riesiger Vorteil verkauft. Doch ist dem so? Seit 1979 fliegt Ariane 5 mit nicht wiederzündbaren Oberstufen (Ausnahme: EPS, aber bei ihr wird dieses Feature meist nicht genutzt). Wann wird eine solche Oberstufe benötigt? Nun dazu benötigt man Grundlagenwissen, das man nicht von den P&R Abteilungen der ESA/NASA/EADS vermittelt bekommt.

Eine Wiederzündbarkeit ist in zwei Fällen von Vorteil:

  • Bei Bahnen bei denen der niedrigste Bahnpunkt deutlich über 200-300 km Höhe liegt, da die Aufstiegsbahn so gelegt werden muss, dass ein Großteil der Beschleunigung in der späteren Orbithöhe erreicht. Das sind vor allem sonnensynchrone Umlaufbahnen in 600-800 km Höhe und nach den ursprünglichen Planungen die Satelliten im Navstar Orbit.
  • Für Bahnen zum Mond und Planeten ist so eine Freiflugphase möglich, die es erlaubt das Startfenster zu vergrößern. Prinzipiell ist dazu aber keine Wiederzündung notwendig, es geht auch ohne (Mariner 6-9 und alle Surveyor starteten ohne Parkorbit direkt).

Es wird klar, dass dieses Feature für die heutigen GTO Nutzlasten also nutzlos ist. Nun gibt es dann in der Community das Argument: Dann könnte die ESC-B ja im Apogäum nochmals zünden und so die Nutzlast vergrößern. Aufgrund ihrer hohen Leermasse dürfte aber eher das Gegenteil der Fall sein, sie dürfte die Nutzlast verringern. Damit sie die Nutzlast steigert müsste die ESC-B mit VEB maximal 5500 kg wiegen. Die ESA Angaben liegen aber bei 6 t ohne VEB (wahrscheinlich mit Stufenadapter, aber auch ohne sind es dann mit VEB bestimmt keine 5,5 t).

Nun gibt es dann die Aussage, dass die Ariane 5 dann doch einfach noch einen Forschungssatelliten mitführen kann und diesen zuerst aussetzen und danach beschleunigen und die Nutzlast in den GTO Orbit aussetzen könnte. Ich merke dann immer dass die Leute zwar eine Meinung haben, aber kein Basiswissen. Der GTO Orbit hat eine Bahnneigung von 7 Grad. Forschungssatelliten gelangen aber in sonnensynchrone Bahnen mit Bahnneigungen über 90 Grad. Es müsste also die Bahn um 90 Grad gedreht werden, wofür bei rund 8 km/s viel Triebstoff notwendig ist. (Berechnung v = sin(Inklinationsdifferenz/2)*2 – rund 11,3 km/s. Das ist Technisch nicht möglich. Dazu braucht man auch kein Spezialwiossen, es reicht die Alltagserfahrung die einem z.b. sagt, dass ein 200 km/h schnelles Auto ziemlich viel Energie braucht um seinen Kurs um 90 Grad zu ändern, und dies auf 28.800 km/h zu übertragen.

Das einzige was denkbar wäre, aber eine sehr gute Isolation erfordert, wäre zuerst das Aussetzen einer GTO Nutzlast, und nach einem Umlauf die einer planetaren Nutzlast, da diese auf einen Fluchtkurs gelangt und die Anfangsinklination der Bahn nur wenig an der Endgeschwindigkeit ändert. Direkt nach dem GTO Satelliten wäre es auch möglich, aber das würde erheblich mehr Triebstoff kosten, da die Oberstufe nach der ersten Zündung rasch an Höhe gewinnt und dabei immer langsamer wird.

Die Wiederzündung ist also für die Ariane 5 Missionen nicht notwendig. Warum wird es von der ESA immer wieder betont? Weil es etwas neues ist. Wird die Oberstufe extra deswegen entwickelt? Nein, es wird nur wegen der größeren Treibstoffzuladung ein leistungsfähigeres Triebwerk benötigt. Die Technologie des Expander Cycle wird vom Hersteller als kostengünstiger als das Nebenstromverfahren eingestuft und daher der Wechsel auf diese Technologie. Ein Nebeneffekt, der dem Funktionsprinzip zugrunde liegt ist, dass diese Technologie keinen Gasgenerator und Vorbrenner erfordert um die Turbopumpe zu starten. Diesen zu starten ist recht aufwendig, das einzige Triebwerk dass dies bei Wasserstoff/Sauerstoff jemals mehrmals konnte, das J-2 hatte dazu eigens einen Starttank mit gasförmigem Wasserstoff und zusätzliche Triebwerke eingebaut. Bei dem Expander Cycle treibt das durch die Kühlung der Brennkammer und Düse entstehende Wasserstoffgas die Turbine an. Daher reicht es zum Wiederzünden die Ventile des Wasserstofftanks zu öffnen, der Flüssige Wasserstoff fließt mit niedrigem Druck die Brennkammerwand, verdampft bildet dabei Gas und  das Gas treibt dann die Pumpe an, die den Förderdruck und die Fördermenge dann schnell erhöht. Deswegen wird dieses Verfahren auch „Bootstrap Cycle“ bezeichnet.

Doch es ist nur ein Nebeneffekt der gewählten Technologie, es ist nicht ein Designfeature das notwendig für die Missionen wäre, die Ariane 5 durchführt. Ich glaube nicht mal dass die PR Abteilungen das wissen. Als ich bei der ESA nachfragte zu weiterem Material über die Ariane 5 hieß es, die Webseiten wären alles was sie hätten – das ist schon deswegen falsch, weil in früheren Ausgaben des ESA Bulletins mehr drin steht als auf den Webseiten. Hier gibt es einen echten Bruch in der Kommunikation.

Das hat Folgen. Wer mal die Wikipedia liest, der stellt fest dass vieles ergänzt wurde aufgrund irgendwelcher Pressemitteilungen und im wesentlichen eine Kurzzusammenfassung dessen wiedergegeben wird. Ich sehe hier ein echtes Problem. Meiner Meinung nach ist die Wikipedia die „Bildzeitung“ des Wissens. Wenn Laien an einer Enzyklopädie schreiben, dann fallen oft komplizierte Sachverhalte unter den Tisch, manche Artikel lesen sich wie zusammengeschriebene Pressemitteilungen, andere wie Zusammenfassung von Interviews (vor allem bei Stars) oder wie eine Werbung für etwas. Daher reagiere ich auch ziemlich allergisch wenn Leute als Quelle für irgendwelche Behauptungen Wikipedia Links nehmen. Ich besuche sie oft, aber meist scrolle ich nach unten: Wo die Verweise auf die Originalquellen sind und gehe dann direkt zu diesen. Ich rate diese Vorgehensweise auch allen anderen an.

5 thoughts on “Nachplappern und Nachschlagen

  1. Es ist natürlich auch eine Binsenweisheit, dass man Wikipediaartikel nicht unkritisch betrachten soll. Leider ist sie, da gebe ich dir recht, noch nicht überall zu jedem durchgedrungen. Doch es gibt dort auch nicht nur „Müll“ oder Bildniveau.

    Und wenn man sich über bestimmte Artikel vielleicht ärgert, kann man ja zum Glück mitwirken 😉

  2. Eine Enzyklopädie ist dazu da, sich knapp aber korrekt über einen Tatbestand zu informieren. Ich greife zu ihr wenn ich selbst wenig oder keine Ahnung vom Thema habe. Wenn ich mich auf die Qualität der Einträge nicht verlassen kann ist sie nutzlos.

    Zum Bearbeiten: Auch hier stellte ich die Demokratie von Wikipedia fest: Falsche Angaben die ich fand habe ich korrigiert und sie wurden flux wieder zurück korrigiert. Wenns x mal falsch steht muss es ja richtig sein…

    So fliegen Viking und Voyager nach Wikipedia immer noch mit einem RCA 1802, einem Prozessor, der 1976 erfunden wurde – ein Jahr nach dem Start von Viking und als Voyager schon zusammengebaut wurde. Huuh da ist ja startrek nichts dagegen – Warum rüsten wir nicht New Horizons mit einem Quad Core Prozessor aus?

  3. Eine gewisse Massenträgheit kann man Wikipedia zuweilen leider nicht absprechen, und dann muss man gute Quellen angeben können. Für solche strittigen Fragen gibt es aber schließlich die Diskussionsseiten, nicht wahr?

  4. Zuweilen ist die Diskussionsseite bei Wikipedia interessanter als die eigentliche Seite, aber das ist gar nicht der Punkt gewesen, auf den ich hatte eingehen wollen. Wenn Sie genau wissen, dass eine Information falsch ist und dies korrigieren, aber ihre Korrektur einem Revert unterworfen wird, genau dann ist der Zeitpunkt gekommen, die Sache auszudiskutieren.

    In den von Ihnen angeführten Beispielen scheinen aber sowohl die von Ihnen als richtig wie auch als falsch bezeichneten Informationen izwischen komplett entfernt worden zu sein.

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