Zuverlässigkeit bei Raketen

Letzte Woche ging erneut ein Satellit bei einem Protonstart verloren. Von 96 Starts seit dem 1.1.2000 gingen 6 verloren. Das 6,25% und das ist heute ein sehr hoher Wert. Früher gab es die Regel, dass eine völlig neue Rakete oder wenn es nur wenige Erfahrungen mit der Technologie gibt (was für die ersten Raketen einer Nation gilt) anfangs nicht sehr zuverlässig ist. Damals (in den fünfziger bis Siebzigern) rechnete man mit:

  • Einem Fehlstart bei den ersten zwei Flügen
  • Zwei Fehlstarts bei den ersten fünf Flügen
  • Drei Fehlstarts bei den ersten 10 Flügen
  • Vier Fehlstarts bei den ersten 20 Flügen

Das ist eine Lernkurve. Es werden zuerst die offensichtlichen Fehler gefunden, dann tauchen irgendwann versteckte Fehler auf, die nur bei bestimmten Umständen von Bedeutung. so klappte bei Ariane 1-3 unter bestimmten umständen die Zündung der dritten Stufe nicht. Nur eben nicht bei jedem Start.

Auffällig ist dass immer mehr Starts glücken. Denn man kann es auch so sehen:

  • Von den ersten 2 Starts glücken 50%
  • Von den nächsten 3 Starts glücken 66,6%
  • Von den nächsten 5 Starts glücken 80%

Von den letzten 10 Starts glücken 90%

Danach kommt man in einen Bereich wo die Langzeitzuverlässigkeit bei 95% der neuen Starts liegt und ein Fehlstart weniger konstruktionsbedingt als mehr von Problemen bei der Fertigung oder zufälligen Ereignissen abhängt. Für Versicherungen fangen nun auch andere Ereignisse zu dominieren. (Satelliten gehen auch nach dem Start verloren, werden beim Transport beschädigt oder fallen im Orbit aus, oder jemand hat vergessen Klammern zum Fixieren der Solarpanels vor dem Start zu entfernen).

Titan Erfolgsstatistik

Idealerweise ist nach dem zwanzigsten Flug eine Rakete sehr zuverlässig und es gibt auch Beispiele dafür: Ariane 4, die Sojus, Ariane 5. Heutige Träger, zumindest wenn sie in Ländern entstehen, die schon eine Raumfahrtindustrie mit den Kenntnissen hat eine zu bauen, sollten vom ersten Flug weg deutlich zuverlässiger sein, als die obige Faustregel. Es gibt auch dafür Beispiele wie die Saturn, Delta 4 oder Atlas V. Auch bei Ariane 5 würde man wohl nicht 4 Fehlstarts bei den ersten 20 Flügen akzeptieren, wie sie noch ihr Vorgänger aufwies.

Erstaunlich ist aber auch, dass es Träger gibt die eine miserable Langzeitzuverlässigkeit aufweisen. Die Proton gehört dazu. Aber auch die Titan und die Atlas Centaur – bis 1991. Und es gibt neue Träger die bleiben unzuverlässig, wie die Zenit. Manchmal wird auch eine Rakete gar nicht zuverlässig wie die Delta III.

Ist das prognostizierbar? Meiner Ansicht nach nicht, denn man kann es nicht an technischen Details festmachen, also „Low-Tech“ = sicherer als „High-Tech“. Hier einige merkwürdige Beispiele:

Sojus / Molnija. Die Sojus gehört zu den Trägern mit einer extrem hohen Langzeitzuverlässigkeit, durch viele Starts auch statistisch gut abgesichert. Bei 928 Starts gab es nur 22 Fehlstarts, die meisten bei der Einführung. Die Molnija basiert auf der Sojus und hat nur eine zusätzliche vierte Stufe, die noch dazu technisch nicht sehr komplex ist. Trotzdem scheiterten von 320 Starts 33 und das bis heute. Das Risiko eines Fehlstarts liegt bei der Molnija also bei 1:9,6 und bei der Sojus bei 1:42. So verwundert es nicht, dass ihre Produktion eingestellt wurde.

Zenit / Atlas V. Die Zenit ist eine neue Trägerrakete, nicht eine aus der ersten Generation. Ihre erste Stufe basiert auf den Angara Boostern. so sollte man eine hohe Zuverlässigkeit annehmen. Das Gegenteil ist der Fall. Von 72 Starts scheiterten 9 – Chance für den Verlust 1:8. Basierend auf dem Triebwerk der Zenit (RD-171) wurde das RD-180 entwickelt und in der Atlas eingesetzt. Hier klappten allerdings alle 28 Starts. Einmal versagte die Centaur, aber niemals das RD-180.

Delta ErfolgsstatistikAtlas Centaur / Atlas I: Die Atlas Centaur sollte nominell zuverlässiger als die frühen Atlas sein, weil als sie entwickelt wurde die Basisstufe der Atlas die obige „Schweinephase“ schon durchmacht hatte. Trotzdem hatte die Trägerrakete bis zu Privatisierung 1988 eine miserable Bilanz: Von 60 Starts misslangen 6: Risiko 1:10. Als dieselbe Rakete dann privatisiert wurde (Bezeichnung Atlas I,II,IIA) waren es von 86 Starts nur noch 3 (Risiko 1:28,6). Wobei alle Fehlstarts auf das Modell entfielen, das auch das letzte von der NASA gestartete war.

Chang Zheng 3B: Das Modell 3 der Langen Marsch Serie hatte drei Fehlstarts bei 53 Einsätzen. Interessanterweise entfielen zwei dieser drei auf die 14 Flüge des Submodell 3B, das sich nur in der Boosterzahl vom Basismodell unterscheidet. Noch interessanter ist das alle Fehlstarts auf kommerzielle Starts entfielen und nicht auf chinesische Nutzlasten, obwohl diese nur sieben Starts ausmachen. Für einen westlichen Satelliten beträgt also das Verlustrisiko 1:3,5 für einen chinesischen 1:46!

Titan / Delta: Beide Träger sind vom technischen Stand vergleichbar. Sie setzen mittelenergetische Treibstoffe ein, dazu kommen Feststoffbooster. Bei beiden wurden die Triebwerke über Jahrzehnte kaum verändert, bei der titan sogar noch weniger als bei der Delta. Bei bis zu 9 Boostern bei der Delta liegt auch hier das Risiko höher als bei nur zweien bei der Titan. Von 335 Starts misslangen nur 10 Deltastarts. Von den 220 Starts der Titan waren es dagegen 15 (Risiko 1:33,5 und 1:14,7). Noch auffälliger ist aber die Statistik am Ende der Einsatzzeit. die Delta wies kaum noch Fehlstarts auf. Vom letzten Modell, der Delta 2 misslang nur einer von 132 Starts. Vom letzten Titamodell, der Titan 4, dagegen 4 von 39. Die Titan hat wie die Proton eine miserable Langzeitbilanz. Sie wird im Laufe der Zeit nicht besser, sondern pendelt sich auf einem 90-95% Niveau ein. Dagegen weist dieselbe Grafik der Delta einen Trend zu 100% auf, der am Schluss auch über Jahre gehalten wurde.

3 thoughts on “Zuverlässigkeit bei Raketen

  1. Das wichtigste ist, dass die Fehlfunktion selbst bei einer bemannten Mission die Crew nicht direkt gefährdet hätte … auch wenn die fällige Notlandung in Sibirien den Kosmonauten wohl wenig Angenehmlichkeiten bereitet hätte.

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