Weitere Fragen rund ums Übergewicht

Stimmt die Theorie der „guten und schlechten Futterverwerter?“

Noch in Ernährungsbüchern der achtziger Jahre fand man Passagen wie „Wer jeden Tag nur ein Brötchen mehr isst, als sein Energiebedarf beträgt, der nimmt pro Jahr 8 kg zu“. Wäre dem so, so wäre es für viele recht schwer sein Gewicht zu halten, da die Nahrungsaufnahme doch laufend schwankt. Es gab aber schon immer Zweifel an diesem Model, die auch zur Set-Point Theorie führten.

Heute weiß man das jede Person individuell unterschiedlich reagiert. Nach Untersuchungen nahmen Adipöse bei einer bilanzierten Diät (also genau vorgeschriebenen Zusammensetzung) bei gleichen Ausgangsvoraussetzungen unterschiedlich stark ab und auch nach einer Diät unterschiedlich schnell wieder zu. Würden alle gleich reagieren, so wäre dem nicht so. Vielmehr vertritt man heute die Theorie, dass jemand der zu viel Energie aufnimmt, Fett bildet, bis ein individuelles Körpergewicht erreicht ist, dieser Punkt soll bei Adipösen höher liegen.

So spielen individuelle Faktoren eine Rolle. Jeder kennt sicher in seinem Bekanntenkreis jemanden, der sehr viel isst und trotzdem nicht an Gewicht zulegt. Sehr oft sind diese Menschen sogar relativ schlank. Der Stoffwechsel unterliegt individuellen Prägungen.

Zumindest bei Mäusen konnte ein Gen und von ihm kodiertes Hormon gefunden werden, das für die Neigung zu Übergewicht verantwortlich ist. Diese Erkenntnis ist allerdings nicht 1:1 auf den Menschen übertragbar. Das zeigten Forschungen. Das Hormon Leptin, dass bei Mäusen und anderen Säugetieren gefunden wurde und das bei Mäusen für die Fettleibigkeit verantwortlich ist, hat beim Menschen nicht diese Wirkung. Bei Mäusen bewirkt ein Leptinmangel die Neigung zu Übergewicht. Beim Menschen konnte weder ein Mangel bei übergewichtigen Personen festgestellt werden, noch erwies es sich als wirksam in Studien. Hormongaben von Leptin führten nicht zur Reduktion des Übergewichts.

Folgende individuellen Unterschiede zwischen „guten und schlechten Futterverwertern“ sind bekannt:

Leerzyklen, englisch „Futile cycles“ genannt. Das sind Stoffwechselkreisläufe, die Energie verbrauchen, ohne das Stoffwechselprodukte gebildet werden. Üblicherweise gibt es eine energieverbrauchende Reaktion, bei der ein energiereiches Produkt entsteht und eine energieliefernde Rückreaktion, bei der die dort mögliche Energiegewinnung unterbleibt. So haben wir im ersten Teil gelernt, dass Fett aus Fettsäuren und Glycerin besteht. Um es in diese Einzelsubstanzen zu spalten, benötigt man Energie. Es kann auch Fett aus Glycerin und Fettsäuren erneut gebildet werden. Laufen beide Reaktionen gleichzeitig ab, so bleibt das Fett erhalten, aber es wird für die Spaltung laufend Energie verbraucht. Dies ist ein bekannter Leerzyklus. Weitere andere sind bekannt. Nach verschiedenen Untersuchungen sollen alleine diese Leerzyklen individuelle Unterschiede im Grundenergiebedarf von 2.100 kJ (500 kcal) oder rund ein Drittel des Grundenergiebedarfs ausmachen.

Das Nächste ist, das es tatsächlich individuelle Unterschiede in der Ausnutzung der Energie der Nahrungsmittel gibt. Sie beruhen zum einen in der Nahrung selbst: Ballaststoffe behindern die Resorption. Eiweiß wird weniger gut aufgenommen als Stärke oder Fett. Aber es gibt auch individuelle Unterschiede, wie gut die Nahrung aufgenommen wird und wie viel unaufgenommene Stoffe im Stuhl verbleiben. 1-9% der Energie, die in der Nahrung steckt, verbleibt im Stuhl. Oder anders ausgedrückt: Wird weniger aufgenommen, kann man mehr essen.

Sobald die Nährstoffe im Blut sind, werden sie zu den Zellen transportiert, ineinander umgewandelt, z.B. Kohlenhydrate in Fett, wenn gerade keine Kohlenhydrate benötigt werden. Auch hier gibt es individuelle Unterschiede und 6-10% der Energie wird dafür benötigt.

Die nutzbare Energie in Form z.B. von Muskelbewegung oder anderen Formen beträgt nur 40%. 50% entfallen auf Wärme. Der Wirkungsgrad des menschlichen Körpers ist damit in mit dem des Ottomotors vergleichbar, der auch 35% der Energie des Benzins in Bewegung umsetzt. Daher wird uns auch heiß, wenn wir uns körperlich betätigen. Auch hier sind die 50% Wärmeverlust ein Mittelwert, der bedingt durch die Leerzyklen von Person zu Person unterschiedlich ist.

Wie stark ist das Gewicht epigenetisch festgelegt?

Untersuchungen in den letzten Jahren zeigten, dass dem nicht automatisch so ist. Bewegung kam durch die Entdeckung des Hormons Leptin in den Neunziger Jahren. Dieses Hormon steuert die Sättigung bei Ratten und wurde bei diesen zuerst entdeckt und dann auch beim Menschen nachgewiesen. Der grundlegende Mechanismus ist eine negative Rückkopplung: Fettgewebe schüttet Leptin aus. Es signalisiert dem Gehirn, dass der Körper über genügend Energievorräte verfügt. Anders als Insulin ist es ein Langzeitsignal. Der Spiegel sollte also, solange man über ausreichende Fettreserven verfügt, hoch sein, unabhängig von der Nahrungszufuhr. Leptin unterrichtet den Hypothalamus, ein Gehirnareal, welches die Körpertemperatur und den Wasserhaushalt kontrolliert. Der Hypothalamus ist auch zuständig für die Ausschüttung zahlreicher Hormone, welche die Fettreserven des Körpers steuern. Als Folge wird die Bildung zahlreicher Neuropeptide gedrosselt. Diese sollen die Nahrungsaufnahme hemmen, so das Neuropeptid Y, aber auch den Fettabbau steigern, zum Beispiel indem mehr Wärme produziert wird.

Genetisch veränderte Mäuse, die zu wenig Leptin ausschütten, essen viel mehr als andere, neigen zu extremer Gewichtszunahme. Zuerst nahm man an, dass dies auch der Grund dafür ist, dass zahlreiche Menschen mehr essen als sie an Energie benötigen, also über den Sättigungspunkt hinaus. Untersuchungen zeigten, dass Leptin auch beim Menschen für das Sättigungsgefühl verantwortlich ist, aber nur ein geringer Anteil der Menschen an einer Hormonstörung leiden. Viel häufiger scheint aber ein Rezeptordefekt vorzuliegen. Das Leptin wird ausgeschüttet, aber nicht von dem Hypothalamus aufgenommen. Damit ist es wirkungslos.

Leptin ist nur eines, aber das am besten erforschte Hormon, welches den Grundenergieumsatz regelt. Es gibt weitere und heute wird die Regulation als polygenetisch angesehen. Das heißt, es gibt zahlreiche Faktoren, die dafür verantwortlich sind. So steuern auch Hormone, die primär eine andere Hauptaufgabe haben, als Nebenwirkung auch den Energiehaushalt. Dies wird vom Insulin angenommen, Noradrenalin steigert die Kohlenhydrataufnahme. Die Hauptaufgabe ist die Regulation des Blutdrucks und die Nervenleitung als Neurotransmitter. Das Neuropeptid Gherlin ist für den Appetit zuständig, steuert aber auch die Ausschüttung von Wachstumshormonen. Auch seine Bildung scheint bei Übergewichtigen gestört zu sein. Manche Autoren sehen hier Möglichkeit der medikamentösen Behandlung von Übergewicht oder sogar der Prävention. Doch ist man davon heute noch weit entfernt.

Beim aktuellen Stand wird von mindestens 113 Genen ausgegangen, welche mit der Bildung von Übergewicht in Verbindung gebracht werden. Eventuell sind es noch mehr. Manche Autoren führen bis zu 300 Gene an. Durch Zwillingsstudien, aber auch die genauere Untersuchung von Übergewichtigen und ihrer tatsächlichen Nahrungsaufnahme, geht man heute davon aus, dass bei 50 bis 70% der Übergewichtigen eine genetische Vorbelastung gegeben ist.

Wir wissen heute auch, das Fettgewebe hormonell aktiv ist. Das bewirkt zum einen, dass obige Regulationsmechanismen gestört werden. Es kann dazu noch zu Folgekrankheiten kommen, wie z.B. Diabetes Typ II durch die Insulinresistenz / vorzeitiges Einstellen der Insulinproduktion, was wiederum das Übergewicht verstärkt.

Allerdings bedeutet dies nur ein: es ist eine Vorbelastung, doch bedeutet dies nicht dass man automatisch Übergewicht bekommt, denn auch bei genetischer Vorbelastung kommt immer noch eines hinzu, nämlich dass man mehr ist, als der Körper an Energie braucht.

Ist die Anzahl der Fettzellen festgelegt?

Ja. Nach neueren Untersuchungen bleibt die Zahl der Fettzellen konstant, sobald man 20 ist. Sie werden schon in der Schwangerschaft abgelegt, wer als Kind dick war, bildet auch neue und dies geht auch als Jugendlicher weiter. Daher ist es auch so, dass wer als Kind übergewichtig war sehr oft als Erwachsener mit Gewichtsproblemen zu kämpfen hat. Nach neueres Untersuchungen sind die Fettzellen aber aktiv. Etwa zehn Prozent sterben pro Jahr ab und werden aus Voirläuzferzellen neu gebildet. Nach 8,3 Jahren wurde die Hälfte der Fettzellen durch neue ersetzt. Das bedeutet allerdings nicht, dass jemand mit wenigen Fettgewebszellen nicht sehr dick werden könnte. Fettgewebszellen oder Adipozyten, die wenn sie kein Fett enthalten eine sehr kleine wassergefüllte Vakuole, einen zentralen Bereich ohne andere aktive Zellbestandteile enthalten. Diese Vakuole kann nun mit Fett gefüllt werden, bis sie fast die gesamte Zelle ausfüllt. Reines Fettgewebe besteht schließlich dann aus 70% aus Fett. Im Extremfall kann eine Zelle zu 95% mit Fett ausgefüllt werden. (Da im Fettgewebe auch noch Blutbahnen verlaufen und es Zellzwischenräume gibt, ist der mittlere Fettgehalt geringer und liegt bei den oben erwähnten 70%). Darüber hinaus ist die Größe variabel zwischen 40 und 150 µm. Das bedeutet, dass man auch mit wenigen Fettgewebszellen ohne Problem Adipositas bekommen kann. Weiterhin existieren im Fettgewebe auch noch Vorläuferzellen. Sie bilden zum einen neue Fettgewebszellen, wenn alte absterben (also der oben erwähnte Austausch, bei gleichbleibender Zahl). Es gibt aber auch Anzeichen, dass diese Präadipozyten zumindest bei älteren Personen neue Fettzellen bilden können.

Ist Abnehmen gesund?

Alle paar Jahre rauscht durch den Blätterwald das Gerücht, dass man, wenn man abnimmt nicht länger leben würde, ja sogar ein leichtes Übergewicht gesund wäre.

Nun eines ist nach Auswertung der Sterberegister der USA inzwischen relativ klar:

  • Übergewichtige haben kein erhöhtes Risiko an Herz-Kreislauf- und Krebs-Krankheiten zu sterben.
  • Übergewichtige haben ein vermindertes Risiko, an Krankheiten zu sterben, die nicht in die Kategorien Herz-/Kreislaufkrankheiten, Diabetes und Nierenkrankheiten fallen.
  • Übergewichtige und Fettleibige sind überdurchschnittlich stark gefährdet, an Diabetes und Nierenkrankheiten zu sterben.

Man tauscht also ein Krankheitsrisiko gegen ein anderes ein. Insgesamt ist die Moralität etwas höher als wie bei den Normalgewichtigen, in etwa auf dem Niveau von Untergewichtigen.

Erstaunlicherweise ist die Frage, ob Abnehmen Übergewichtigen wirklich eine höhere Lebenserwartung bringt, noch sehr umstritten. Was abgesichert ist, ist dass wenn Normalgewichtige abnehmen ihr Sterblichkeitsrisiko ansteigt. Das gilt auch bei Übergewichtigen im Alter, da diese dann kaum noch Fett, dagegen viel Muskelmasse verlieren. Weiterhin ist auch klar, dass wer schon im BMI-Bereich der Adipositas ist, durch Abnehmen sein Risiko an ernährungsbedingten Krankheiten zu erkranken stark absenkt und an Lebensqualität und -erwartung gewinnt. Doch ob denen die nur „übergewichtig“ sind, also im BMI Bereich von 25 bis 30 liegen, Abnehmen hilft ist sehr umstritten. Es gibt Studien, die zeigen, dass Abnehmen zumindest nicht die Mortalität erniedrigt, also das Risiko in einem bestimmten Zeitraum zu sterben. Nach anderen Studien sterben Personen, die abgenommen haben, dann an anderen Krankheiten.

Das grundlegende Problem ist, dass die Untersuchung erheblich schwieriger ist als nur die Aussage, wie hoch das Sterblichkeitsrisiko abhängig vom BMI ist. Dazu kann man sehr große Datenbasen auswerten, nämlich die Sterblichkeitsregister ganzer Länder. Um eine Aussage über den gesundheitlichen Langzeiteffekt des Abnehmens treffen zu können, braucht man dagegen persönliche Angaben von zahlreichen Personen, wie z.B. wie viel sie abgenommen haben, wie lange sie das Gewicht hielten oder ob sie wieder zugenommen haben. Diese Daten bekommt man wegen dem Datenschutz nur bei aktiver Mitarbeit von Teilnehmern an Studien, die dann auch noch über Jahrzehnte laufen müssen, um eine Aussage die sich ja auf das ganze Leben beziehen soll, treffen zu können. An gerade dieser Datenbasis mangelt es aber noch. Alle Schlüsse auf kleinen Teilnehmerzahlen und/oder kurzen Zeiträumen können daher zufällig oder nicht signifikant sein. Daher auch die oft widersprüchlichen Aussagen in verschiedenen Studien.

5 thoughts on “Weitere Fragen rund ums Übergewicht

  1. Sehr interessanter Artikel, bei dem ich wieder einmal viel gelernt habe. Übergewichtigkeit ist vom medizinischen Standpunkt also weniger ungesund, als oft vermutet.
    Grundsätzlich ist meine Lebenseinstellung allerdings doch, Überflüssiges zu meiden. Auch bei der Körpermasse…

  2. Ergänzend dazu: etwa 30% der Übergewichtigen sind, wenn ihre Blutwerte überprüft werden (Cholesterin, Insulin, verschiedene Hormone oder Abbauprodukte) „gesund“, weisen also keinerlei Veränderungen auf. Nach derzeitigem Stand sind bei ihnen also keine Folgekrankheiten zu befürchten (außer eben der Belastung des Skelettsystems durch das zusätzliche Gewicht). Nur ist das eben die berühmte Ausnahme von der Regel.

  3. Moin,

    ein paar Anmerkungen:

    Langzeitstudien zur Epigenentik gibt es aus Holland bei Kindern die in so genannten Hungerwintern geboren wurden.

    Eine Hormonumstellung, z.b. Schwangerschaft oder Wechseljahre, kann die Anzahl der Fettzellen verändern. Meist jedoch erhöht sich die Anzahl.

    Eine Jahreszeitliche Schwankung von 10% ist zumindest bei mir normal. Als Segler und Drachenflieger stehe ich regelmäßig auf der Wage, und wiege im Sommer 54kg und im Winter 58kg, seit über 10 Jahren. Mit einer Größe von 178cm hab ich also offiziell ein extremes Untergewicht.

    Wichtiger als das absolute Gewicht finde ich jedoch die Frage, ob sich jemand mit seinem Gewicht wohl fühlt und was für eine Kondition dieser hat. Dabei ist es egal ob jemand ein leichtfüßiger 55kg Fockaffe ist oder ein 120kg selbstladender Ballast. Jeder hat seinen Platz/Funktion an Bord. Wichtig ist vielmehr, ob nach Stunden immer noch die Kondition vorhanden ist. Und das ist keine Frage des Gewichts sondern des Trainings.

    ciao,Michael

  4. Oft wird auch ein Zusammenhang zwischen Übergewicht und Schlafmangel gezogen. Da ist es nicht so unwahrscheinlich, dass Deutschland, die höchste Rate mit Übergewichtigen in Europa hat, wenn man bedenkt, dass ungefähr 42% der Deutschen unter Schlafstörungen leiden. Mit Schlafstörungen gehen aber auch zugleich Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck et cetera einher, die oft als Folgen von Übergewicht verstanden wird. Die Regierung will mit einer Förderung übergewichtigen Menschen jetzt zum Abnehmen bewegen (Quelle: Sat1. Ob das schlussendlich der richtige Weg ist und die Betroffenen nicht noch mehr Druck erleiden, bleibt offen.

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