Der Space Shuttle Hitzeschutzschild – Teil 3 : die Produktion und die Testflüge

So, nun zum vorletzten Teil des Artikels über den Hitzeschutzschild des Orbiters. Man kam nach der Entwicklung kam zu der letzten Phase: der Produktion. Sie sollte zur größten Herausforderung werden. Dabei hatte man eigentlich mehr Zeit als ursprünglich vorgesehen. Schon früh gab es eine unzureichende Finanzierung, welche den Jungfernflug von Herbst 1977 auf Frühjahr 1978 verschob. Zahlreiche Probleme bei der Triebwerksentwicklung inklusive der Zerstörung einiger Turbopumpen und ganzer Triebwerke verschoben den Jungfernflug zuerst auf Frühjahr 1979 und dann Ende 1979. Die Columbia wurde als erster Orbiter ab 1978 zusammengebaut und bald zeigte sich dass man die Zeit die man brauchte um die Kacheln zu montieren gewaltig unterschätzt hatte.

Die Prozedur für die Installation einer Kachel war folgende:

Zuerst wurde das SIP in di benötigte Form geschnitten. Sie war für jede Kachel anders. Die Kachel selbst wurde von Lockheed in 36-Stück Packungen geliefert, jede mit einer eigenen Seriennummer. Zuerst wurde die Aluminiumstruktur mit einem grünen Epoxidharz belegt. Es diente als Korrosionsinhibitor. Dann wurde eine Blaupause aufgelegt, gedruckt auf transparentem Mylar, individuell gedruckt für jede Kachel. Sie zeigte die Position jedes SIP und eines Füllstreifens zwischen jedem SIP an. Ein Füllstreifen hatte eine Breite von 1,9 cm und bestand aus Nomex. Zwischen Füllstreifen und SIP gab es Lücken. Sie mussten sein, um dem Material Raum zum Ausdehnen zu geben, sie dürften aber auch nicht zu breit sein, um die Wärmeübertragung auf die Orbiterstruktur zu minimieren. Die Lücken hatten eine Breite von 0,762 mm. Die Kacheln mussten sogar noch genauer platziert werden Hier betrug die Genauigkeit sogar nur 0,0524 mm. Das betraf nicht nur die Positionierung in der Horizontalen. Auch in der Höhe musste eine Kachel zwischen 0,9 und 1,9 mm in der Höhe relativ zur Kante der benachbarten platziert werden. (da sie in der Mitte höher waren als außen, gab es diese Differenz).

Dazu wurde auf die Oberfläche ein Gerät namens Komparator angebracht, das sich mit einer Vakuumdichtung dort fest ansaugte. Ein Techniker konnte mit Lichtindikatoren dann prüfen ob die Kacheln passen würde. Wenn dies nicht der Fall war, wurden die Ränder abgeschmirgelt.

Paste sie, so wurden nun die Füllstreifen auf dem Aluminium angeklebt und die Kachel kam in einen separaten Raum, wo auf ihrer Unterseite das SIP Pad angebracht wurde. Sie wurde gewogen um festzustellen ob die Klebermenge ausreichend war, aber auch nicht zu hoch und dann konnte der Kleber über einige Stunden aushärten.

Während die Columbia bestückt wurde, kam auch ein neues Problem auf. Es zeigte sich das das SIP alleine nicht ausreichten um zwischen dem Aluminium der Orbiterstruktur und den Kacheln zu vermitteln. Es musste verstärkt werden. Man überlegte eine weitere Zwischenschicht zwischen Kachel und SIP einzubringen. Zuerst dachte man an eine Aluminiumfolie die man gut auf beide Seiten würde kleben können, doch der thermische Ausdehnungskoeffizient war zu hoch. Es hätte unerwünschte Kräfte auf die Kachel abgegeben. Folien aus Kohlenstoff-Polyimid hatten den richtigen thermischen Ausdehnungskoeffizienten, mit der Einführung der LI-2200 Kacheln sah man im Oktober 1979 eine Lösung: anstatt eine weitere Schicht einzubringen würde man mit kolloidalem Slikat (Ludox von Du Pont) die untere Schicht der Kacheln verstärken und damit hielten die Kacheln mehr aus (siehe bei der Entwicklung). Damit waren auch die Probleme mit der akustischen Belastung weitgehend gelöst. Sie erreichten nun eine Belastungsgrenze von 11,7 psi. Nun wurde der Kleber auf der Vertiefung zwischen den Nomex-Streifen eingebracht, die Dicke geprüft (0,13 bis 0.18 mm) und dann die Kachel aufgebracht. Werkezuge hielten die Kachel mechanisch und durch ein Vakuum für vier Tage fixiert. Dann gab es einen Zugtest ob sie auch hielt und die Lücken zwischen jeder Kachel wurden ausgemessen. Jeder Schritt wurde von einem eigenen Rockwell Mitarbeiter beobachtet und protokolliert.

Diese Prozedur war nicht serialisierbar und auch nicht auf verschiedene Arbeiter aufteilbar (jeder macht nur einen Schritt), da wegen der geringen Fertigungstoleranzen man bald darauf kam, die Kacheln nicht direkt hintereinander anzubringen, sondern die erste und die dritte einer reihe, danach wurde die Lücke dazwischen vermessen und bei Lockheed eine Kachel gefertigt die genau dazwischen passte. So wurde das Anbringen eine zeitaufwendige Angelegenheit. Maximal konnte ein Arbeiter in drei Wochen vier Kacheln montieren. 150 Personen waren die ursprüngliche Belegschaft für das Anbringen der Kacheln. Sie waren, wie in den USA üblich, für diese Arbeit angeheuerte Arbeiter, die eine Schulung erhielten. Sie bestand aus je zwei Wochen im Klassenzimmer und zwei Wochen beim Training bei der Arbeit. Miteingeschlossen waren Kurse in denen sie etwas über Thermalprotektion, Behandlung der Kacheln und das Anbringen des Klebers ohne Beschädigung der Kacheln lernten.

Doch ein Arbeiter schaffte im Durchschnitt nur eine Kachel pro Woche. So würde es mehr als zwei Jahre dauern bis alle 21.000 Kacheln an der Unterseite angebracht waren, die am kritischsten waren. Da traf es sich gut, das das Shuttle woanders auch Probleme hatte. Die Entwicklung der Haupttriebwerke hatten deutliche Verzögerungen. Als man sich schon kurz vor dem Abschluss der Entwicklung wähnte, explodierte im Dezember 1978 ein Triebwerk, und ein Erstflug vor 1980 schien unmöglich. Damit waren 1100 Arbeiter von Rockwell im Kennedy Space Center, die dort die Wartung und Flugvorbereitung der Columbia durchführen sollten, für mindestens ein dreiviertel Jahr arbeitslos. Rockwell beschloss die Fähre auf die Boeing 747 der NASA für die Gleittests zu packen und zum KSC zu überführen. Die dortige Belegschaft sollte die Kacheln anbringen und durch ihre größere Personenzahl sollte es schneller gehen. Bis dahin (März 1979) waren erst 7.000 der Kacheln angebracht worden. Der Rest waren provisorische Kacheln aus Stoff, die mit Doppelklebeband angebracht waren. Was passiert wurde zum PR-Fiasko. Schon nach dem Start der Fähre mit der B-747 fand man auf der Landebahn Bruchstücke von Kacheln. Als die Columba vor den Fernsehkameras im Kennedy Space Center ankam, konnte man sehen das Kacheln fehlten. Etwa 40 Stück waren abgefallen. Leider machten weder Rockwell, noch die NASA damals in der Pressekonferenz klar, das es sich vor allem diese temporären Kacheln aus Plastik waren, die abfielen. Das Doppelklebeband hatte sich an einer Kachel abgelöst und der Zug sowie die von ihm verursachten Wirbel an der Oberfläche führten zum Ablösen auch weiterer Kacheln. So steht der Flug auch noch heute in den Annalen, dass dabei viele echte Kacheln abgelöst wurden, darunter auch bis zur Recherche zu diesem Artikel auf meiner Website, dafür ein Sorry. Es waren aber 5 der normalen Kacheln auch abgegangen, obwohl der Flug auf der B-747 keine Belastungen darstellte die vergleichbar mit denen beim Start waren und eine Inspektion zeigte, dass viele andere Kacheln zwar nicht abgefallen waren aber sich die Verbindung gelockert hatte und sie beim Start verloren gegangen wären. Das zeigte, dass die Kachelprobleme noch nicht gelöst waren.

Rockwell hatte 260 Personen mit der Anbringung der Kacheln im KSC beauftragt, Doch bis sie eingearbeitet waren schafften sie nur wenige Kacheln. In den ersten drei Wochen waren es nur 200. Im April war die Zahl der installierten Kacheln von 7000 im März auf 8000 angestiegen, im Mai war man bei 10.800 angekommen. Rockwell heuerte nun hunderte von Arbeitern aus der Umgebung an, vor allem College Studenten in den Sommerferien. Die Anzahl stieg zuerst auf 300 installierte Kacheln pro Woche und erreichte schließlich 500 pro Woche. Rockwell brachte 22 mobile Container nahe dem OPF (Orbiter Processing Facility) unter, worin Ruheräume und das Cathering untergerbacht waren. Die Belegschaft arbeitete im Dreischichtbetrieb, den eines war inzwischen klar: der Orbiter könnte starten, tja wenn er nur seine Hitzeschutzkacheln schon montiert hätte.

Als wäre das nicht schlimm genug, kam 1979 auch noch das Problem auf, das ich bei der Entwicklung beschrieben hatte: die Kacheln waren erheblich höheren Belastungen durch akustischen Lärm ausgesetzt als geplant. Man musste bei einer Reihe von Ihnen die Rückseite verstärken. So war die Columbia 1979 im Kennedy Space Center ein Chaosgefährt: Teile waren fertiggestellt mit „guten“ Kacheln, andere Arbeiter demontierten an schon fertiggestellten Teilen „böse“ Kacheln, die beim Zugtest die 1.25-fache Nennbelastung nicht aushielten und unter den Tragflächen waren ganze Zonen noch nicht angegangen worden. Ein erster Test ergab, das 1% der Kacheln ausgewechselt werden musste, plus welcher, an besonders exponierten Stellen die mit Sicherheit nicht den Belastungen standhielten. Dann führte man ab Februar 1980 eine zweite Inspektion mit Ultraschall ein, die vorher bei Beton und Holz erprobt wurde. Sie sollte versteckte Fehler, die noch kein Loslösen waren, aber eine Schwächung der Verbindung nach dem Zugtest nachweisen. Nun waren schon 10% der Kacheln betroffen.

Wie kam es dazu, dass dieser Punkt so übersehen wurde? Es lag an der Konzeption des Programmes. Es folgte dem Grundsatz des „concurrent efforts“. Bisherige Raumfahrtprojekte hatten isolierte Abschnitte die vollständig durchlaufen wurden, bevor man in den nächsten Abschnitt überging. Üblich waren Design, Entwicklung, Produktion und Einsatz. Beim Shuttle waren diese Abschnitte verzahnt. Damit konnte man das Projekt schneller fertigstellen. Nach dem ursprünglichen Plan war ja schon im Herbst 1977 der Jungfernflug geplant, also nach gerade mal fünfeinhalb Jahren. Das Konzept wurde von der US Air Force in den sechziger Jahren eingeführt, um Technologien schneller zur Einsatzreife zu bringen. Es erforderte aber viel Erfahrung, welche Punkte man beim Testen zurückstellte und erst in der Produktionsphase anging. Und die Belastung der Kacheln durch Akustiklärm war eine die man als nachrangig einstufe. Der enge Kostenrahmen erforderte aber, dass man Kompromisse einging und Tests in die Produktionsphase verschieben musste. Hätte man diese Tests 1976 / 1977 durchgeführt, so sagte später ein NASA Bericht, man hätte wie bei der Verwendung der LI-2200 Kacheln die Verstärkung in die Produktion einfließen lassen können. Die Columbia hätte im April 1980 zum ersten Mal starten können, ein Jahr vor dem tatsächlichen Jungfernflug. So fanden die Tests aber erst 1979, parallel zur Installation der Kacheln statt.

Man nutzte die Zeit für weitere Tests. Neben Windtunneltests in Ames wurden die Kacheln an F-104 und F-15 Düsenjäger montiert. Sie flogen Profile die der 1,4-Fachen Nennbelastung beim Aufstieg entsprachen. Weitere Tests führten dazu, dass man die Kacheln bei den OMS-Pods mit ebenfalls hohen Belastungen kleiner machte, damit wirkte auf jede eine kleinere Kraft,.

Im Mai 1980 fasste die NASA einen Start für den März 1981 ins Auge, da kam Rockwell mit einem neuen Vorschlag: Der ganze Hitzeschutzschild sollte für 175% der Nennbelastung qualifiziert sein. Die ausgetauschten Kacheln hatten diese Sicherheitsspanne, ebenso die neuen LI-2200 Kacheln. Doch die nicht verstärkten waren nur für 125% qualifiziert. Das würde, so Rockwell, den Austausch von 9000 Kacheln bedeuten. Alan Lovelace, verantwortlicher NASA Manager für das Programm meinte das würde den Jungfernflug um ein weiteres Jahr verzögern und das Programm um 500 Millionen Dollar verteuern. Denn eines war klar: die Arbeiter die das Space Shuttle warten sollten, auf den Start vorbereiten sollten, die Angestellten der Subkontraktoren und auch von Thiokol und Martin Marietta, sie alle mussten ein Jahr lang Däumchen drehen, solange als einzige Problem der Hitzeschutzschild noch nicht fertig war.

Trotzdem lies die NASA die Situation untersuchen. Bis Juli 1980 hatte man einen genauen Überblick. 1700 Kacheln musste man austauschen, Sie hatten den Zugtest nicht bestanden. Weitere 1700 lagen in Zonen mit hoher Belastung und sollten ausgetauscht werden, auch wenn der Zugtest erfolgreich absolviert  wurde. 1216 kämen nach einer Studie mit kombinieren Lasten durch Akustik, Vibration und aerodynamischen Schockwellen hinzu. Das wären weniger als 4700, also nur halb so viele wie Rockwell veranschlagte, trotzdem bedeuten sie eine Verschiebung des Jungfernflugs über mehrere Monate. Man entschloss sich zu der Maßnahme, aber begann gleichzeitig die Vorbereitung zum Start die formell am 24.11.1980 begann. So wurde an den Kacheln bis zum Schluss gearbeitet, In einer Woche im September 1980 wurden z.B. 738 Kacheln montiert. Allerdings wurden auch 308 demontiert, So betrug der „Nettogewinn“ nur 438 Kacheln. Zu diesem Zeitpunkt waren 26.281 montiert, 4.741 fehlten für den Gesamtbestand von 30.922.  Während der ganzen Zeit von mehr als zwei Jähren wurden niemals mehr als 41 Packungen mit je 12 Kacheln pro Woche montiert.

Insgesamt hatte der Austausch von Kacheln durch an der Unterseite verstärkten den Jungfernflug der Columbia um ein Jahr verzögert.

2 thoughts on “Der Space Shuttle Hitzeschutzschild – Teil 3 : die Produktion und die Testflüge

  1. Puhhh!
    Also sooo einen riesen Aufwand für den Hitzeschutz hätte ich im Leben nicht erwartet! Es war mir ja zwar klar, dass das keine einfache Anglegenheit ist, aber so viel Aufwand?! – Da fällt mir nix mehr ein.

  2. Zum Thema als Vergleich, für einige unbekannte Details zum Buran.

    1) Die Fertigung der Buran Kacheln erfolgte automatisch, es wurden Parameter darunter die Krümmung eingegeben, die restliche Arbeit machten die Automaten. Die automatisierte Produktionsanlage hatte mehr als 800000 individuelle Verarbeitungsprogramme wie die Kontrolle der Form, Kennzeichnung, Etikettierung usw.

    2) Beim Vergleich der Materialien für die Thermoisolierung haben wir folgendes Bild. Die russischen TZMK-10 Materialien übertreffen die ausländischen Analoge bezüglich der Zugfestigkeit und der TZMK-25 bei gleichen Eigenschaften ist um 30% leichter als der Li-2200.

    3) Nach der Landung verlor der Buran von 38800 nur 6 Kacheln, bei Spce Shuttle waren über 100 Stück.

    Bin mir aber nicht sicher, ob der ernste Zwischenfall bei Buran Landung schon hier vom Bernd beschrieben wurde.

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